AFFÄREN Pech für ihn
Westlich der Vogesen, Im Dort Traves an der Saône, wollte er endlich, wie er schrieb, »la rue -- die Ruhe« finden.
Dem Vaterland, dem teuren, dem er einst sein Leben verschrieben hatte. kehrte er gleichgültig den Rücken: »Verabschiedet habe ich mich eigentlich nur vom Finanzamt.« »Die einzige Lücke« hinterließ er nach eigener Einschätzung im Blumenkübel seines Büros: Daraus nahm er den Gartenzwerg mit, der ihm geschenkt worden war.
Ende 50 war Joachim Peiper, einst Kommandeur in der SS-Leibstandarte seines Führers und stolzer Träger des Ritterkreuzes mit Eichenlaub und Schwertern, als er sich hinter die Berge zurückzog. Dort, hoffte Peiper. werde er mit Frau Sigurd »dermaleinst am Flußufer in Gestalt einer Doppeleiche« stehen, ungeschoren von der »Pleite von Gesellschaft und Wirtschaft« -- als was er die neue Zeit wohl sah.
Doch die Vergangenheit holte ihn ein. Am 18. April vergangenen Jahres versprachen acht Männer mit weißen Kapuzen auf einer Pressekonferenz im »Grand Hôtel« an der Pariser »Place de l"Opéra": »Wenn die entflohenen Nazis weiterhin der Justiz entkommen, dann werden sie früher, als sie glauben, vor die Justiz Gottes geführt werden.«
Was die acht »Rächer« des »Aktionskomitees Widerstand-Deportation« angekündigt hatten, vorige Woche war es soweit. Mittwoch nacht, als der französische Nationalfeiertag mit Böllern und Feuerwerk zu Ende ging, krachte und prasselte es auch in Traves an der Sahne: Peipers Haus ging in Flammen auf, in der Asche lag der verkohlte Leichnam eines Mannes mit einem Einschuß in der Brust.
Am Tag darauf meldeten die Rächer sich bei der rechten Pariser Zeitung »L'Aurore« am Telephon: »Die Peiper-Affäre, das sind wir. Es ist mehr als nur eine Warnung. Unsere Rache wird nicht nur die Nazis treffen, die sich in Frankreich verbergen.«
Der Mord von Traves geschah dreißig Jahre nach dem Tag, an dem Peiper als Kommandeur einer Kampfgruppe der 1. SS-Panzerdivision »Leibstandarte SS Adolf Hitler« von einem amerikanischen Militärgericht in Dachau zum Tode verurteilt worden war -- wegen »Tötung, Erschießung, Mißhandlung, Beschimpfung und Folterung« unbewaffneter US-Kriegsgefangener, wie es in der Anklageschrift hieß.
Zehn Jahre später, Weihnachten 1956, kam Peiper, Sohn eines kaiserlichen Majors und Absolvent der SS-Junkerschule in Braunschweig, wieder frei. Begnadigung und Entlassung beruhten auf der Einsicht, daß die Anklage gegen Peiper und 72 andere Angeklagte offenkundig überstürzt zusammengebastelt worden war: Der Tod von 71 amerikanischen Kriegsgefangenen bei Malmedy während der Ardennen-Offensive im Dezember 1944 war. so scheint es heute, eher ein Unglück als ein kalt geplantes Massaker.
Die Gefangenen hatte der damals neunundzwanzigjährige Peiper mit seiner Panzerspitze gemacht, aber »sie interessierten uns überhaupt gar nicht«, wie er erst kürzlich zu Protokoll gab, sondern wurden auf freiem Feld stehengelassen -- für die Infanterie, die sie aufsammeln sollte. Ein Schützenpanzer und ein »Panther«, dem die Kette abgesprungen war, blieben in der Nähe. Und als ein paar der GI"s plötzlich kehrtmachten und fortlaufen wollten, da, so ließ Peiper sich melden, »hätten die alle niedergemäht, was ich glauben will«.
Ohne Tadel sah sich Peiper auch in einem anderen Fall, der ihm 1968 eine Anklage der Stuttgarter Staatsanwaltschaft einbrachte: dem Blutbad im italienischen Ort Boves im September 1943.
Dort hatten, nachdem Italiens König schon den Waffenstillstand unterschrieben hatte, Partisanen zwei SS-Männer der Peiper-Truppe gefangen. die damals durch Piemont zog. Trotz Freilassung der beiden eröffnete Peipers Regiment das Feuer, Boves wurde zerstört, 34 Bewohner kamen um. Peiper: »Das war kein Massaker, sondern eine Schlacht. Krieg ist nun mal Krieg.« Ähnlich urteilte das Gericht in Stuttgart: Es sprach Peiper frei, mangels Beweisen.
Der SS-Mann hatte unterdes Arbeit bei Porsche gefunden und war schon zum Werbechef der Autofirma avanciert, als der Betriebsrat gegen die »Vorgesetztenposition« des Ritterkreuzträgers protestierte und die Werksleitung ihn entlassen mußte. Auch als VW-Verkaufstrainer blieb, was im Krieg geschehen war, ihm auf den Fersen: In Wolfsburg protestierten italienische Vertreter gegen den Kollegen und verweigerten jedwede Zusammenarbeit.
Da litt es Peiper nicht länger im Heimatland. Mit Frau und »Tim« und »Tom«, seinen Vorstehhunden, siedelte er als »Lektor« und unter vollem Namen in Traves, übersetzte Militärbücher für den Stuttgarter »Motorbuch Verlag«, zuletzt etwas über den Alten Fritz: »Das reicht«, schrieb er Freunden, »zu geruhsamem Sitzen -- und davon verstehe ich ja etwas.«
Die Geruhsamkeit fand vor vier Wochen ein Ende: In Traves wurden, mit Photos aus dem DDR-Staatsarchiv, Flugblätter gegen Peiper verteilt; in Paris verbreitete die kommunistische »Humanité« ganzseitig Peipers Vita. Wenn er, so drohten ihm Anrufer, Frankreich bis zum 14. Juli nicht verlassen habe, werde er getötet werden.
Abends um sieben an diesem Tag telephonierte er noch mit einem Freund im Breisgau, war »fröhlich und guter Dinge«. Es war Mitternacht, als im Dorf (357 Einwohner) Schüsse zu hören waren, in der Befestigung, wie Peipers Haus genannt wurde. Als Polizei und Feuerwehr anrückten, war schon alles vorbei. Außer der Leiche fand man drei Hülsen aus dem Jagdgewehr. das Peiper sich von einem Nachbarn geliehen hatte, und fünf Geschoßhülsen seines 7,65 mm-Revolvers. »So war er« -- sagt einer seiner deutschen Freunde. »er hat geschossen bis zuletzt.«
Einer von der alten Garde eben » wie seine Kampfgefährten von ehedem ihn einstufen, ein schneidiger Typ wie sein Oberbefehlshaber Sepp Dietrich, mit dem zusammen sein Name immer in Kameradenmund war. Einer, der »Indianergedanken« in den Panzerschlachten hatte, und so, als »hochdekorierten Mann« obendrein, akzeptierten ihn auch die Bürger von Traves.
Manchen französischen Patrioten jedoch mutete Peipers neues Image wie Staffage an, so einem ehemaligen Mann der Résistance: »Die Rede ist doch überall von Umweltverschmutzung, und da ist es unmöglich, daß man diesen Kerl noch lange die reine Luft Frankreichs verschmutzen läßt.«
Lange sollte das Exil ohnehin nicht mehr währen: Dorfbürgermeister Rigoulot und der Präfekt waren sich einig, Peipers Aufenthaltsgenehmigung nicht zu verlängern. Rigaulot: »Ich habe ihn bedrängt, zu gehen. Er wollte nicht. Pech für ihn.«