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USA / KENNEDY-MORD Peitschen und Ketten

aus DER SPIEGEL 13/1967

Es war wie in einem Krimi. Ein Mann, mit dem niemand gerechnet hatte, trat auf und verhieß die unerwartete Wendung: Jim Garrison, 45, Oberstaatsanwalt von New Orleans, gab vor, das Verbrechen des Jahrhunderts aufgeklärt zu haben -- den Mord an John F. Kennedy.

Fast vier Wochen lang rätselte Amerika : Wollte sich Jim Garrison lediglich ein Sprungbrett für seine Wahl zum Gouverneur von Louisiana zimmern oder war er tatsächlich auf einer heißen Spur?

Am Dienstag letzter Woche endlich präsentierte Garrison den Kronzeugen für seine Theorie, daß John F. Kennedy nicht einem Einzeltäter, sondern einer Verschwörung zum Opfer gefallen sei: den Versicherungskaufmann Perry R. Russo, 25.

Russo war angeblich dabeigewesen, als sich der mutmaßliche Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald im Herbst 1963 in New Orleans dreimal mit dem Ex-Piloten David W. Ferne und dem angesehenen Kaufmann Clay Shaw traf, um die Einzelheiten der Kennedy-Ermordung zu erörtern.

Der Warren-Kommission hatte sich Russo nicht offenbart: Er war sich angeblich nicht sicher, dem als Täter verdächtigten Oswald schon einmal begegnet zu sein. Noch am 24. Februar 1967 versicherte er einem Rundfunkreporter. er habe Oswald nie gesehen.

Erst als Garrisons Mitarbeiter jetzt verschiedene Oswald-Photos mit verschiedenen Bärten bemalten, erkannte Russo: Das ist der Mann, der mir in der Wohnung Fernes als »Leon Oswald« vorgestellt wurde.

Ferne konnte nicht mehr aussagen. Am 22. Februar war der Homosexuelle in seinem Appartement im Haus 3300 Louisiana Avenue Parkway in New Orleans tot aufgefunden worden.

Die Ärzte diagnostizierten: Blutgerinnsel im Gehirn. Dagegen Garrison: Selbstmord -- aus Furcht vor der bevorstehenden Verhaftung. In Fernes Hand hatte man ein Röhrchen Schlaftabletten gefunden, in seinem Zimmer eine Notiz: »Aus diesem Leben zu scheiden ist für mich eine süße Verlockung.«

Der zweite Verdächtige sollte Garrison nicht entwischen. Eine Woche nach Ferries Tod verhaftete der Staatsanwalt den Kaufmann Clay Shaw, in dessen Wohnung außer einem Gewehr mit Patronengurt nur Indizien für abartigen Sex gefunden wurden: fünf Peitschen, Ketten, Lederriemen sowie ein schwarzer Kapuzenumhang. Nach fünfstündigem Verhör mußte Garrison sein Opfer gegen 10 000 Dollar Kaution wieder laufenlassen.

Am Dienstag letzter Woche eröffnete Richter Bernard J. Bagert die Voruntersuchung gegen Shaw. Garrisons Kronzeuge Russo belastete ihn schwer: Shaw habe sich ihm gegenüber in Fernes Wohnung als Clay Bertrand ausgegeben. Nach einem Clay Bertrand, der schon am Nachmittag des Kennedy-Attentats einen Anwalt für Oswald bestellen wollte, hatte die Warren-Kommission vergeblich gefahndet.

Russo sagte weiter aus: Bei der Verschwörer-Konferenz sei Ferne der Wortführer gewesen. Drei Männer, so habe er erklärt, müßten eingesetzt werden, »außerdem eine Art Sündenbock«, der die Aufmerksamkeit der Polizei von den wahren Attentätern ablenken sollte.

Auch tags darauf, als ihn Shaws Verteidiger ins Kreuzverhör nahmen, blieb Russo bei seiner Aussage.

Die Verteidiger holten lediglich aus ihm heraus, daß er 1959 und 1960 in Behandlung bei einem Psychiater gewesen und zur Auffrischung seines Gedächtnisses von Garrisons Mitarbeitern dreimal hypnotisiert worden war.

Schließlich versuchten sie, ihn in einen Widerspruch zum Warren-Report zu verwickeln. Russo hatte behauptet, den Oswald mit Bart noch im Oktober 1963 in New Orleans gesehen zu haben. Nach dem Warren-Report war Oswald jedoch »nicht nach dem 25. September« aus seiner Geburtsstadt abgereist.

»Das meinen Sie doch wohl nicht ernst?« erwiderte Richter Bagert, als Shaws Rechtsanwälte den Warren-Report als Beweismittel einführen wollten. Wie Garrison und 44 Prozent aller Amerikaner glaubt offenbar auch Richter Bagert nicht an die Alleintäter-These der Warren-Kommission, sondern an eine Verschwörung. Am Freitag verfügte er die Eröffnung der Hauptverhandlung gegen Clay Shaw, Garrisons einzigen noch lebenden Verdächtigen.

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