Zur Ausgabe
Artikel 41 / 83

Pekings Spiel mit Moskau und Washington

Reagans Verteidigungsminister Weinberger vorige Woche in Peking, Andropows Vize-Außenminister Iljitschow kommt diese Woche - der sich steigernde Konflikt zwischen Washington und Moskau verschafft den Chinesen eine Schiedsrichterrolle. Die Ära der großen Konfrontation zwischen UdSSR und China geht zu Ende. *
aus DER SPIEGEL 40/1983

Sein außenpolitisches Lebensziel, die Allianz mit Amerika, hat er nicht erreicht - jüngere Leute in der Führung zieht mehr das Muster Moskau an. Doch vorige Woche saß Chinas großer alter Mann Teng Hsiao-ping, 79, noch einmal in Pekings »Großer Halle des Volkes« neben einem Minister aus den USA.

Teng bot seinem Nachbarn an, die Sessel zu tauschen. »Ich kann auf meinem linken Ohr besser hören«, sagte der Chinese zum US-Gast Caspar Weinberger. Der antwortete mit ungewohnter Höflichkeit: »Sehr gut, ich höre wirklich besser mit meinem rechten Ohr.« Darauf Teng: »Dann haben wir eine gute Grundlage für eine Zusammenarbeit.«

Der Wechsel schien symbolhaft für die derzeitige chinesische Außenpolitik, die das bewegliche Kräfte-Dreieck Rußland-Amerika-China zu nutzen sucht: Die zwei Jahrzehnte währende sowjetisch-chinesische Konfrontation bis an den Rand des Krieges - mit den Schüssen am Ussuri 1969 - geht zu Ende.

Den Chinesen fällt eine Art Schiedsrichterrolle im Konflikt zwischen den USA und der UdSSR zu, der sich fortwährend zu verschärfen scheint: Während US-Vizepräsident Bush Unfrieden in den Sowjetblock trug, indem er von Wien aus Osteuropa gegen Moskau aufwiegelte, während Sowjetchef Andropow Westeuropa von dessen Führungsmacht abzukoppeln sucht, hält sich Peking an die alte Landesweisheit, auf dem Berge sitzen zu bleiben, wenn die Tiger im Tal miteinander kämpfen.

Im Uno-Sicherheitsrat enthielt sich Peking der Stimme, als es galt, den sowjetischen Jumbo-Abschuß anzuprangern. Mit fröhlichen Scherzworten über die anstehende Öffnung »neuer Kanäle zur Normalisierung« hatte sich nach einer Besuchswoche Moskaus Vize-Außenminister Kapiza in Peking verabschiedet, am Donnerstag dieser Woche kommt der erfahrene Kapiza-Kollege Iljitschow zur letzten Verhandlungsrunde über einen sowjetisch-chinesischen Ausgleich nach Peking. Zwischendurch suchte Washingtons Verteidigungsminister zu retten, was im Spiel mit der legendären »chinesischen Karte« zu retten ist:

Die beiden größten sozialistischen Staaten der Erde bemühen sich intensiv um gegenseitige Entspannung. Angesichts des starken US-Drucks auf Moskau glaubt Peking, den Preis hoch ansetzen zu können: Es fordert Rückzug oder Verminderung der mindestens 45 Sowjet-Divisionen und 108 SS-20-Raketen an der China-Grenze, Abzug der Sowjets aus Afghanistan und der Vietnamesen aus Kambodscha.

Auch wenn demnach eine Rückkehr der Chinesen in den Sowjetblock nicht zur Debatte steht, feierte die Pekinger Presse schon den - längst ausgelaufenen, von China nicht erneuerten - Freundschaftsvertrag mit der UdSSR von 1950 als ein »Bollwerk gegen den US-Imperialismus« und lobte die gut erzogenen Sowjetmenschen, welche nicht auf die Straße speien und im Theater keine Zwischenrufe machen.

Pekings Diplomaten spielen ihre günstige Position im Dreiecksverhältnis derzeit voll aus. Umworben von beiden Weltmächten, holen sie von beiden Seiten Angebote ein, ohne doch einen eindeutigen Zuschlag zu geben.

Da paßte es, den US-Gast von Teng betreuen zu lassen, dem in Amerika als Reformgeist geschätzen Mao-Widersacher von einst - obwohl die »Beijing Rundschau« gerade eben eine »Entmaoisierung« Chinas zur »freien Erfindung« _(Am vorigen Montag in Turnschuhen auf der ) _(Großen Mauer, mit US-Botschafter Arthur ) _(Hummel. )

des Westens erklärte, mit der Teng in Verbindung zu bringen »noch lächerlicher« sei: auch Teng sei Maoist.

Aufrüster Weinberger - immer noch von chinesischer Sowjetfeindschaft überzeugt - hatte nichts anderes anzubieten als Waffen, und zwar solche, die Moskau nicht hat und China sonst nirgendwo bekommt, aber dringend braucht.

Als der führende US-Rüstungsfachmann Edward N. Luttwak 1976, gleich nach Maos Tod, Verteidigungsvorkehrungen im Ili-Tal, an Chinas Nordwestgrenze zur Sowjet-Union, inspizierte, kündigte der Amerikaner seinem Begleiter von der »Volksbefreiungsarmee« für den Fall eines Sowjetangriffs »eine Menge toter Russen« an. Der chinesische Offizier lächelte über das, was er für ein Kompliment hielt. Luttwak aber fuhr fort: »Sie sterben nämlich vor Lachen.«

Auch heute verfügen Chinas vier Millionen Volksbefreiungs-Soldaten, die noch am Bajonett ausgebildet werden und deren Etat halb so groß ist wie der Bundeswehr-Haushalt, über eine völlig überholte Ausrüstung - wie im Krieg gegen Vietnam 1979 offenbar wurde.

Chinesische Militärdelegationen reisten in die Industriestaaten des Westens, interessierten sich in England für Senkrechtstarter, in Frankreich für Mirage-Bomber und Boden-Luftraketen, in Westdeutschland für MBB-Hubschrauber, in Schweden für U-Boote, in der Schweiz für Oerlikon-Flugabwehrkanonen und in den USA für alles, besonders aber Elektronik: Radar, Funkleitsysteme, Infrarotgeräte.

Alles wollten sie gern kaufen, doch nicht ein Vertrag kam zustande: Ihrer Regierung fehlten die Devisen, ihren Guerilla-Generälen fehlte der Mut zur modernen Strategie. Und Westlern fehlte das Zutrauen in die Dauerhaftigkeit der chinesischen Sowjetfeindschaft.

Den Amerikanern mangelte es zusätzlich an Treue zu dem 1972 von Präsident Nixon in Schanghai unterzeichneten Kommunique, wonach es nur ein China gebe, mit Peking als Hauptstadt. Präsident Reagan schickte statt dessen Waffen im Wert von 350 Millionen Dollar zu Pekings Erzfeind Taiwan.

Die Pekinger erweckten dennoch den Anschein einer Bereitschaft, ihre Wiedervereinigungsträume auszuklammern - um selbst zu US-Waffen zu kommen, und zwar ohne dafür zu bezahlen. »Für so ein großes Land wie unseres ist es unmöglich, eine Modernisierung der nationalen Verteidigung durch Kauf von Waffen zu erreichen«, sagte ihr Premier Zhao Ziyang, 64. Der Ton lag auf »Kauf«.

Die Amerikaner träumen noch immer von der »Anbindung Chinas an das Nato-System, die ihnen mehr wert ist als ein paar Millionen Dollar«, so ein West-Diplomat in Peking. Weinberger war bereit, der Volksbefreiungsarmee - die jedenfalls in der Doktrin noch immer Taiwan befreien möchte, dann Hongkong und schließlich auch Sibirien - die

modernen US-Waffen zu schenken, speziell Flug- und Panzerabwehrraketen.

Vor zwei Jahren hatte Peking schon eine Wunschliste präsentiert, auf der auch noch Munition, Mikro-Computer, elektronische Prüfgeräte und Aufnahmeapparaturen stehen, insgesamt 65 Kriegsartikel, von denen Washington nur elf überhaupt zum Export zuließ - man war sich, wie die Westeuropäer, der neuen Liebe Chinas zu den USA noch nicht ganz sicher.

Jetzt aber wurde die Volksrepublik - wie Jugoslawien - von Washington als »freundlicher, nicht paktgebundener« Staat eingestuft, was den US-Export von 43 weiteren Rüstungsprodukten gestattet, dazu noch 11 (wie Halbleiter, Computer, Mikro-Chips), wenn China sich verpflichtet, sie nicht an dritte Staaten, etwa die UdSSR, weiterzuleiten.

US-Unternehmen beabsichtigen, Atomkraftwerke in China zu bauen; Washington lockerte die Einfuhrbeschränkungen für Textilwaren aus China, dafür erhielten US-Konzerne Rechte im ölträchtigen Südchinesischen Meer; US-Firmen wie Fluor und Occidental schürfen auf dem Festland Kohle.

Nach drei Tagen mit Weinberger befand Zhao zum Waffenangebot: Die Möglichkeit, etwas zu kaufen, »würde ich nicht ausschließen«. Der Ton lag auf »etwas«. Doch vereinbart wurden nur der Austausch von Heeresdienstvorschriften und amerikanische Ausbildungshilfe für die chinesischen Kader - was sich kaum bis zu dem ominösen Beistand durch US-Berater entwickeln könnte. Das reichte schon, um die Russen zu erschrecken - und die Angebote hochzutreiben, die Peking-Gast Iljitschow am Donnerstag mitbringt.

Premier Zhao wird im Januar zudem Amerika besuchen, Präsident Reagan im April China. Auf seinem Heimweg ermöglichten es die Chinesen dem amerikanischen Verteidigungsminister noch, die Reise als »großen Erfolg« zu buchen:

Nachdem er in der Nähe von Peking die 3. Division der Volksbefreiungsarmee bei Schießübungen inmitten eines von der Truppe bebauten Kohlfeldes besichtigt hatte und in Sian eine altmodische Flugzeugmotorenfabrik, wurde ihm am Ende in Schanghai die Chinesische Ostflotte vorgeführt, bewaffnet nach dem Standard der 50er und 60er Jahre.

Hier traf er auf den Admiral Shi Yung, der endlich lauthals wider die Russen wetterte: »Perfide« hätten sie geplant, »unser Land unter Kontrolle zu bringen«, speziell die Flotte, die 1958 mit der sowjetischen hätte vereinigt werden sollen, so daß Moskau zu Stützpunkten an Chinas Küste gekommen wäre.

So klar hatte in Peking niemand mit dem Unterhändler aus Washington geredet. Sein chinesischer Kollege Zhang Aiping, der Verteidigungsminister, blieb dort beim Jonglieren mit drei Kugeln: »Wir binden uns nicht selbst an irgendeine Großmacht oder einen Machtblock.«

Am vorigen Montag in Turnschuhen auf der Großen Mauer, mitUS-Botschafter Arthur Hummel.

Zur Ausgabe
Artikel 41 / 83
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren