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GESELLSCHAFT / GASTARBEITER Per Moneta

aus DER SPIEGEL 41/1964

Der lange Zug glitt in die Bahnhofshalle zu Köln-Deutz. Aus dem Lautsprecher dröhnte die Aufforderung, der Zimmermann Armando Sá Rodrigues aus dem nordportugiesischen Dorf Vale de Madeiros möge sich melden.

Als der Gesuchte nach mehrmaligem Aufruf verschüchtert aus der Menge seiner 1200 schwadronierenden, mit Pappkoffern und Schachteln bewehrten Landsleute hervortrat, schmetterte eine Blechkapelle »Wem Gott will rechte Gunst erweisen« und »Alte Kameraden« unter das rußige Bahnhofsdach.

Rundfunk-Mikrophone streckten sich dem Neuankömmling wie einem lang ersehnten Staatsbesucher entgegen, Kameras von Fernsehen und Wochenschau hielten das Bild für die Geschichte fest: Deutschland hatte seinen millionsten Gastarbeiter.

Ein Herr im dunklen Arbeitgeber-Päckchen gebot Ruhe. Die Leistungen der westdeutschen Wirtschaft seien, so rief der Kölner Fabrikant Dr. Manfred Dunkel, den die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-Verbände zum Willkomm aufgeboten hatte, ohne die Mithilfe der Gastarbeiter nicht möglich gewesen.

Der Festredner stattete sodann dem verdutzten Armando Sá Rodrigues, der seinen Sombrero verlegen in den Händen drehte und dem ein Priester der Dunkel-Rede Sinn übersetzte, den Dank der Deutschen ab: ein blitzendes Moped, Urkunde und Blumen. Die Kapelle intonierte Portugals Hymne.

Die Völkerwanderung zu Westdeutschlands Lohntüten hat in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreicht. Bereits 1963 waren mehr als 800 000 Gastarbeiter in der Bundesrepublik beschäftigt. Rund drei Viertel von ihnen stammten von der Iberischen Halbinsel, aus Italien, Jugoslawien, Griechenland und der Türkei (siehe Graphik Seite 47), aber trotz des Masseneinsatzes sind - wie auch im vergangenen Jahr - immer noch über 600 000 bundesdeutsche Arbeitsplätze unbesetzt.

Werbekolonnen westdeutscher Arbeitgeber schwärmten über den Kontinent aus, um dem ausgedorrten Arbeitsmarkt frisches Blut zuzuführen. Von den Gastgebern werden sie erwartet löse Verkünder einer neuen Heilslehre. Eine Wiesbadener Werbegruppe, die nach Mazedonien fuhr, wurde von den griechischen Dörflern überschwenglich begrüßt. Noch ehe der VW mit der Wiesbadener Nummer das Haus des Bürgermeisters von Vegora erreicht hatte, mußten die Männer ihr Auto verlassen und sich zu Fuß vorankämpfen.

»Unsere Griechen müssen die wahrsten Wunderdinge nach Hause berichtet haben«, notierte später Franz Schmitt für seine Firma, die Chemische Werke Albert AG. »Frauen, Männer und Großväter und Mädchen, alle vollen bei uns in Deutschland arbeiten.«

Seit einigen Jahren beschäftigt das Wiesbadener Unternehmen Griechen aus der Gegend von Vegora, und Franz Schmitts Trupp war gekommen, Nachschub zu holen. Ganze Sippen pilgerten zu den Bürgermeister-Häusern, sahen den Westdeutschen durch die offenen Fenster bei der Arbeit zu und warteten geduldig, ob einer der Ihren für tauglich befunden werde.

Lehnten die Deutschen einen Bewerber ab, weil er zu jung, zu alt oder nicht kräftig genug war, dann brach sein Clan in Wehklagen aus. Die erfolgreichen Kandidaten wurden von ihren Familien im Triumphzug nach Hause geleitet.

Der Slogan »Germania gut«, den die Werber in Vegora auf Schritt und Tritt hörten, hat in allen unterentwickelten Gebieten Südeuropas und Kleinasiens gezündet.

Auf dem Kölner Hauptbahnhof rollen mehrmals in der Woche Menschentransporte aus Spanien und Portugal an. Am Bahnsteig 11 des Münchner Hauptbahnhofs setzen die Sonderzüge aus Italien, Griechenland und der Türkei ihre Fracht ab.

Für 96 000 Kunden bereitete die Weiterleitungsstelle im Bahnhof München vergangenes Jahr das erste deutsche Essen, und die Caritas-Vertretung hält für die neu eintreffenden Türken, die als Mohammedaner kein Schweinefleisch essen dürfen, stets Spezialwurst auf Lager.

Die Arbeitswilligen kommen auf vielerlei Wegen. Etwa die Hälfte läßt sich durch Werbekommissionen der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung anheuern, die mit insgesamt 222 Beschäftigten in Verona und Neapel, Athen und Saloniki, Istanbul und Ankara sowie in Lissabon und Madrid tätig sind.

Andere werden von fliegenden Rekrutierungskolonnen der Industrie angemustert, vertrauen sich privaten Vermittlungsstellen an oder reisen auf eigene Faust gen Norden.

Sie wollen alle »per moneta«, wegen des Geldes, nach Deutschland, und jeder Trick ist ihnen recht, einen Arbeitsvertrag zu ergattern. In Neapel nahmen Bewerber spielend die Hürde, die die Nürnberger Kommission vor Analphabeten aufgebaut hatte: Die fünf Worte »Cinema«, »Teatro«, »Correre«, »Fermarsi« und »Attenzione« in den Schulheften der Deutschen konnten bald alle Arbeitskandidaten auswendig.

Viele Südländer legen gleich mehrere Berufszeugnisse vor. Wer zum Beispiel einmal ein Schweißgerät in der Hand gehalten hat, präsentiert sich als gelernter Schweißer. Gerhard Ahl, stellvertretender Leiter des Arbeitsamts Dortmund, hat die Erfahrung gemacht, daß es unter den Spaniern drei Arten von Maurern gibt: »Solche, die tatsächlich den Beruf ausgeübt haben, solche, die einmal einen Ziegelstein bewegt haben, und solche, die Maurer werden möchten.«

Wer beim besten Willen keine gewerblichen Fähigkeiten nachweisen kann, hat dennoch eine Chance auf Westdeutschlands menschenhungrigem Arbeitsmarkt. Unter den türkischen Hilfsarbeitern des Hüttenwerks Salzgitter finden sich unter anderen ein Kirchendiener, ein Offizier, ein Militärpolizist, ein Gefängniswärter, ein Priester und zwei Religionslehrer.

Die Automation macht's möglich, auch ungelernte Naturburschen fremder Zunge produktiv zu beschäftigen. Mehr als die Hälfte der Ausländerarmee ist in den hochtechnisierten Sparten der Eisen- und Metallerzeugung sowie der verarbeitenden Industrie tätig.

Bei den Kölner Ford-Werken etwa heißt es: »Wir verlangen keine Fertigkeiten, sondern suchen nur gesunde Leute, die etwas erlernen können.« Das Hüttenwerk Salzgitter forderte vor kurzem aus der Türkei »75 Hilfsarbeiter im Alter von 21 bis 35 Jahren« an. Besondere Kenntnisse waren nicht gefragt, es sollten lediglich »körperlich gesunde und kräftige Arbeiter sein, die den Anforderungen einer Tätigkeit in der Schwerindustrie ... gewachsen sind«.

Generell konzentrieren sich die Gastarbeiter in Berufsgruppen, deren überwiegende Merkmale schwere Arbeit (Straßenbau, Bergwerk) oder geringes Sozialprestige (Kellner, Busfahrer) sind. Durchweg rücken sie in Berufe ein, die von den Deutschen mehr und mehr gemieden werden.

Unternehmen wie Ford oder das Volkswagenwerk lernen die Zuwanderer bis zu drei Monate lang an und stellen sie dann unbesorgt ans Fließband, wo sie meist doch nur einen einzigen Griff auszuführen haben.

In einigen typischen Frauenberufen, wie zum Beispiel bei der Zellwoll und Kunstseidenproduktion oder der Herstellung von Obst- und Gemüsekonserven, sind schon weit über zehn Prozent aller Beschäftigten Ausländerinnen.

Ein weiteres Viertel der Gäste schafft auf bundesdeutschen Baustellen. Im Hoch- und Tiefbau ist jeder 15. Arbeiter ein Zugereister. Im Steinkohlenbergbau unter Tage sind sogar neun Prozent der Belegschaften Gastarbeiter, obwohl die Bergbaubehörden wegen der umfänglichen Sicherheitsbestimmungen »Grundkenntnisse in der deutschen Sprache« verlangen.

Die gegenwärtige Gastarbeiterschwemme ist bereits die dritte der jüngeren deutschen Geschichte. Im Jahre 1910 waren 1,3 Millionen Ausländer, vorwiegend aus Österreich-Ungarn, registriert. Hinzu kamen noch etwa drei

Millionen Deutsche polnischer Herkunft und Sprache. Ende 1943 gab es, neben anderthalb Millionen beschäftigten Kriegsgefangenen, 5,3 Millionen »Fremdarbeiter«. Aber die dritte Welle ist anders als ihre Vorläufer: Nicht als ausgebeutete Menschen zweiter Klasse kommen die Fremden, sondern als gutbezahlte, umworbene Helfer.

Schon als Bonn im Dezember 1955 mit dem von Arbeitslosigkeit geplagten Italien die erste »Anwerbevereinbarung« schloß, galt der Grundsatz, die Gastarbeiter mit ihren deutschen Kollegen auf eine Stufe zu stellen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Westdeutschlands Gewerkschaften erkannten bald, daß ihre Mitglieder gegenüber den Ausländern sogar im Nachteil waren. Der deutsche Lohnempfänger hat in der Regel eine Kündigungsfrist von 14 Tagen, die Gastarbeiter erhielten, weil es ihre Heimatregierungen forderten, Verträge mit einjähriger Laufzeit. Käme es zu einem Konjunkturrückschlag, dann wären die Arbeitsplätze der Gäste sehr viel sicherer als die der Bundesbürger. Diese Erfahrung machten bereits im Sommer dieses Jahres die deutschen Arbeiter von Eisenbahnoberbau-Firmen, als die Bundesbahn die bereits zugesagten Gelder für die Instandsetzung und Erneuerung der Gleiskörper rigoros kürzte. Mehr als 1000 westdeutsche Schotterstoßer wurden nach dreitägiger Kündigungsfrist entlassen, die Ausländer jedoch weiterbeschäftigt, da ihre auf ein Jahr geschlossenen Verträge erst im Dezember 1964 auslaufen.

Einzelne westdeutsche Firmen weigern sich heute um des Betriebsfriedens willen, ihren Gastarbeitern Jahresverträge zu gewähren. Ford in Köln zum Beispiel stellt Deutsche wie Ausländer »auf unbestimmte Zeit« ein.

Anlaß zu Mißmut bei den eingesessenen Belegschaften sind häufig auch die den Zuwanderern gewährten Extras. Wenn Firmen über die Kommissionen im Ausland Arbeitskräfte anfordern oder wenn sie Arbeitserlaubnis für selbst Angeworbene beantragen, müssen sie den Arbeitsämtern »angemessene Unterkünfte« vorweisen. Große Unternehmen bauen eigens Wohnheime, in denen es sich erträglich und dazu noch billig leben läßt.

Salzgitter etwa empfahl sich seinen Türken durch ein »Wohnheim (Massivbauten mit Zentralheizung), Drei-Bett-Zimmer, Vier-Bett-Zimmer und in geringem Umfang Sechs-Bett-Zimmer-. Wohnkosten je Mann und Monat: 30 Mark einschließlich Heizung. Beleuchtung. Wasser, Bettwäsche und Reinigung. Am Arbeitsplatz gebe es außerdem ein Werksessen für 90 Pfennig.

Die Firma Ford, die neben 14 000 deutschen Lohnempfängern 7000 Ausländer beschäftigt, hat zehn moderne Wohnheime, darunter einige Hochhäuser, mit einem Gesamtaufwand von 30 Millionen Mark gebaut. Ein Bettplatz kostet zehn Mark Wochenmiete, das Mittagessen in der Kantine 60 Pfennig.

Als VW-König Nordhoff Anfang 1962 für seine Fließbänder 4700 Italiener (zehn Prozent der Wolfsburger Belegschaft) holte, baute er gegenüber dem Werkstor ein Italiener-Dorf, »Castel Lupo« (Wolfsburg) genannt. Die Monatsmiete für ein Bett in einem der 46 doppelstöckigen Holzhäuser beträgt 30 Mark - Licht, Wasser und Bettwäsche inbegriffen.

Jedem Wolfsburger Italiener schenkt das Werk beim Eintritt eine Erstausstattung mit Haushaltsgerät, zu der unter anderem eine Elektro-Bratpfanne und ein Spaghetti-Sieb gehören.

In Castel Lupo liegen an der Via Paganini und an der Via Verdi zwei Gemeinschaftshäuser mit Kino und Theatersaal, in dem sonntags Pater Enzo Parenti Gottesdienst halt. In einem anderen Saal stehen Spielgeräte vom Tisch-Fußball bis zum Glücksautomaten.

Die Fürsorge westdeutscher Manager befriedigt zwar im allgemeinen die Gastarbeiter, nicht jedoch deren Heimatfunktionäre. Wie vor kurzem Direktor Polychronis vom griechischen Arbeitsministerium, so hatte vor drei Jahren Fiorentino Sullo, damals italienischer Arbeitsminister, Unterkünfte inspiziert und abfällig beurteilt.

Beim Besuch der Gerresheimer Glashüttenwerke in Düsseldorf zeigte der Minister auf seinen Landsmann Michele Jacobucio: »Die Unterkunft von diesem Mann möchte ich sehen.« Er sah im Wohnheim - 23 Mark Monatsmiete, Ölheizung, Fernsehgerät, Tischtenniszimmer - Jacobucios Stube mit sechs Betten, jeweils zwei übereinander, und sechs Schränken.

Sullo sprach von »kongolesischen Zuständen« und gab sein »tiefstes Mißfallen« kund: »Ich kann meine Landsleute in Gerresheim nur bedauern.« Das Mailänder Blatt »Corriere della Sera« empörte sich prompt über die Zumutung, daß Italiener in mehrstöckigen Betten schlafen müßten.

Bundesarbeitsvermittler Anton Sabel stellte den aufgebrachten Minister zur Rede: »Sie haben wohl keine Ahnung, wie in Ihrem eigenen Land die Menschen wohnen.« Der Italiener Angelo Marra, Arbeiter der Glashütte, bedankte sich bei Sullo brieflich »im Namen aller Italiener von Gerresheim ... für die schöne Blamage, die Sie uns verursacht haben«.

Viele Gastarbeiter vegetieren jedoch tatsächlich in unbeschreiblichen Behausungen. Wer auf eigene Faust in die Bundesrepublik kommt und sich seinen Arbeitgeber selbst sucht, hat keinen offiziellen Anspruch auf angemessenen Wohnraum.

So hausen in der Kölner Innenstadt-Straße »Am Duffesbach« zwölf Gastarbeiter in drei Souterrain-Räumen; Bettmiete je Monat 60 Mark. In Kölner Altbauten bewohnen Ehepaare mit Kindern jeweils einen Raum für 160 Mark; das gemeinsame Waschbecken ist auf dem Flur, das WC wird von mehreren Familien benutzt.

Während die Südländer meist von westdeutschen Hausbesitzern geschröpft werden, hatte ein Hamburger Fall von Wohnungswucher mit Gastarbeitern seine besondere Pointe: Die übervorteilten Etagiers waren griechische Landsleute des Vermieters.

Um solchen Haien zu entgehen, suchen sich die Neu-Deutschen gelegentlich kostenlose Notquartiere. Eine Türkengruppe kampierte in Kölner Wohnhaus-Rohbauten. Als sie von der Polizei in die städtische Schlafstelle »Joachimshaus« verfrachtet werden sollten, ließen sich die Türken zum Proteststreik auf den Straßenbahnschienen am Chlodwigplatz in der Kölner City nieder. Später verschwanden sie, irgendwohin.

In den Werksunterkünften teilen sich nicht selten zwei Gastarbeiter in ein Bett: Der eine schläft, während der andere auf Nachtschicht ist. Kontrolleure in den Ford-Wohnheimen fanden 200 Italiener, die gar nicht bei Ford arbeiteten.

Auf die Lohntüten der Ausländer haben es nicht nur Zimmervermieter abgesehen. Um die Behausungen der VW-Italiener ließ Heimleiter Vollmann einen hohen Zaun ziehen: »Sie ahnen gar nicht, wieviel Teppich- und Uhrenhändler und Mädchen den Arbeitern das Geld abnehmen wollten, bevor der Zaun stand.«

Ein Dr. R. Wehner in Ratingen bei Düsseldorf teilte den Gastarbeitern Giuseppe Berra und Espedito Di Gesù schriftlich mit, er sei »auf Veranlassung des Herrn Oberkreisdirektors« berechtigt, »für das Amt Angerland ... ärztliche Untersuchungen an ausländischen Arbeitskräften vorzunehmen«. Sie hätten an einem bestimmten Termin zu erscheinen; »die Kosten der Untersuchung betragen 50 Mark«.

Der Patienten-Rekrutierung verlieh der drohende Hinweis Nachdruck: »Sollten Sie ohne Entschuldigung diesem Termin fernbleiben, sehe ich mich gezwungen, der Amtsverwaltung ... Mitteilung zu machen. Eine Aufenthaltserlaubnis kann Ihnen dann nicht erteilt werden.«

Giuseppe und Espedito wandten sich an die Gewerkschaft, und auf deren Einspruch hin teilte der Oberkreisdirektor mit, Dr. Wehner verfahre entgegen seiner Weisung; die Italiener könnten sich den Arzt selbst aussuchen.

Die Gastarbeiter wecken deutsches Profitstreben nicht zuletzt deshalb, weil sie über viel Geld verfügen: Sie verdienen die gleichen Stundenlöhne wie bundesdeutsche Arbeiter, leben aber ungleich billiger.

Griechische Gastarbeiter berichten, daß sie zwischen 250 und 300 Mark monatlich sparen. Die Italiener im Volkswagenwerk erübrigen sogar bis zu 400 Mark je Monat.

Solche Sparquoten fließen nicht allein aus den Unternehmenskassen. So beziehen manche der Südländer mehr Kindergeld als Lohn. Auf einer Baustelle in Quickborn bei Hamburg mauerte ein Spanier, der daheim zwölf Kinder hatte; er erhielt monatlich 400 Mark bundesdeutsches Kindergeld.

Auf den Gleisen der Eisenbahnstrecke Duisburg-Düsseldorf warnt ein Türke seine Schotter-Kollegen mit Trompetensignalen vor nahenden Zügen; für seine 33 Sprößlinge kassiert er 1240 Mark Kinderzuschüsse im Monat.

Am D-Mark-Segen lassen die familienbewußten Zuwanderer ihre Lieben in der Heimat freigebig teilhaben. Nordhoffs 4900 Italiener schicken allmonatlich 1.5 Millionen Mark an ihre Familien. Die Bundespost schätzt, daß ausländische Arbeiter ihren Angehörigen im vergangenen Jahr insgesamt eine Milliarde Mark überwiesen haben. Daran waren die Italiener mit 650 Millionen Mark, die Spanier mit 119 Millionen, die Griechen mit 115 Millionen und die Jugoslawen mit 48 Millionen beteiligt. Bereits in den ersten neun Monaten dieses Jahres wurde eine weitere Milliarde Gastarbeiter-Lohn über die Grenzen transferiert.

Aber auch die eigene Konsumfreude schießt ins Kraut. Rund eine Milliarde Mark steckten Gastarbeiter im letzten Jahr allein in die Ladenkassen der Hausrat-, Radio-, Fernsehgeräte-, Elektrogeräte- und Photohändler.

Auch die Gebrauchtwagenfirmen lassen nichts auf die Fremdlinge kommen, die meist so schnell wie möglich ein altes Auto erwerben. Die Türken haben sich auf amerikanische Straßenkreuzer spezialisiert, die sie auch in beschädigtem Zustand kaufen.

Vor den Ford-Wohnhäusern in Köln -Weidenpesch parkt stets eine Anzahl blessierter Chevrolets und Buicks, deren verbeulten Kotflügeln die Türken in ihrer Freizeit wieder Form geben. Das Fernziel: mit den großen Kutschen dereinst in der Heimat als Taxifahrer Geld zu machen.

Gastarbeiter auf Urlaubsfahrt bringen die ausländischen Zöllner zur Verzweif-Lung. Sie transportieren ganze Warenladungen von Elektrogeräten, Fahrrädern und Mopeds gen Süden. Nicht selten sind auch Urlauber abzufertigen, die ihre in der Bundesrepublik gekauften Traktoren auf dem Landmarsch in die Heimat überführen.

Supermärkte in Köln, Frankfurt und München haben Berater engagiert, die beim Einkauf mediterraner Lebensmittel helfen sollen. Textilläden sichern sich Dolmetscher für das Sonnabend -Geschäft mit der fremdsprachigen Kundschaft.

Der Verband der Körperpflegemittel -Industrie vermerkte, daß die Käufe der Gastarbeiter im Jahre 1963 eine »ausgesprochene Mengenkonjunktur« bei Haaröl und Brillantine ausgelöst hätten. Auch einer anderen Branche verhelfen die Landfremden mancherorts, zur Mengenkonjunktur. Die Prostituierten -Promenade Eigelstein in Köln heißt im Stadt-Idiom jetzt »Corso Italia«.

Die Freizeitgestaltung auf dem Corso Italia ist Indiz für das dornigste Problem der Gastarbeiter: Sie finden meist keinen Zugang zum bundesbürgerlichen Lebensstil. Sie sind eher Getto-Bewohner als Gäste. Wenig bindet sie an das Land, das ihnen doch wie ein Wohlstandsparadies erscheinen müßte.

Von 55 000 Italienern, die der Katholische Siedlungsdienst befragte, erwogen nur zehn Prozent, für immer in Westdeutschland zu bleiben.

Kundige Landsleute haben den Anti-Gefühlen nachgespürt, die Bundesdeutschland in den Gastarbeitern mobilisiert. Der ehemalige italienische Priester Dr. jur. Dr. theol. Giacomo Maturi, Ausländer-Referent der Ford-Werke, schreibt in seinem Buch »Arbeitsplatz: Deutschland« über des Südländers Germania-Reaktion: »Ordnung, Planung, Organisation, (das) jagt ihm ein Gefühl ein, das zwischen Bewunderung und Schrekken schwankt.« Das überorganisierte Wirtschaftswunderland erscheine ihm »wie ein Prokrustesbett«.

Der Archimandrit der Griechisch-Orthodoxen Kirche in Frankfurt, Dr. Timotheos Kontomerkos, 35. testete Deutsche und Ausländer an der Werkbank. Im Sommer vergangenen Jahres arbeitete er für 2,85 Mark Stundenlohn bei den Chemischen Werken Albert in Wiesbaden, danach verrichtete er - Kontrollnummer 5784 - bei Buderus in Wetzlar in der Gießerei »die dreckigste Arbeit«.

Zwar fand Kontomerkos, »am Arbeitsplatz gibt es nichts zu beanstanden«. Aber Deutsche und Gastarbeiter blieben einander fremd. Deutschland sei für die Südländer »das Land der Unteroffiziere«, die Unteroffiziere wiederum kämen nicht dahinter, was ihre Muschkoten aus Sizilien oder vom Bosporus eigentlich wollen.

Der Düsseldorfer Betriebspsychologe Dr. Hellmut Sopp hat festgestellt, daß auf die Beziehungen zwischen einheimischen und ausländischen Arbeitern spätestens nach drei Tagen der erste Reif fällt. Sopp: »Am ersten und zweiten Tag ist das Interesse der Deutschen an ihren neuen Kollegen groß. Aber dann gibt es unweigerlich die erste Panne: Die allesamt sparsamen Gastarbeiter denken nicht daran, am Arbeitsplatz einen Einstand zu geben und Bier zu spendieren.«

Nach dieser ersten Enttäuschung komme »eine Periode der Neckereien«. Den Griechen sage man, daß sie dreckig seien, den Türken, daß sie zu Hause faulenzen und ihren Harem arbeiten ließen, und den Italienern, daß sie schlechte Soldaten seien. Die Südländer zischelten dann zurück, die Deutschen fingen alle Kriege an, könnten aber keinen gewinnen.

In der »Süddeutschen Zeitung« beklagte sich ein italienischer Gastarbeiter: »In Ansprachen heißt es immer ,Carissimi italiani', aber Kollegen sagen ,Itaker und Zitronenschüttler' zu uns.« Auch »Spaghettifresser« und »Kameltreiber« gehören zum gesicherten Arbeitsplatz-Vokabular.

»Ultima ratio im Wortkampf«, so der Psychologe Sopp, sei meist, daß die Gastarbeiter durch drastische Gesten ihren deutschen Kollegen klarmachten, daß sie ihre Gegner in Konzentrationslager gesperrt und massakriert hätten.

Dr. Sopp: »Danach kann man von Beziehungen nicht mehr sprechen. Es gibt keine offenen Feindschaften, aber auch keine Freundschaften. Man arbeitet zusammen - aber in der Kantine sitzt man getrennt.« Die Deutschen duldeten die Ausländer und wiesen ihnen oftmals die Arbeit zu, die sie selbst nicht machen wollten.

Der Psychologie-Professor Dr. Charles Zwingmann hat bei den Ausländern sogar eine spezielle Art von Heimweh entdeckt, die »Nostalgische Reaktion"*.

Besonders nach Feierabend erwacht das Heimweh. Freizeit, so erläutert Fords Dr. Maturi, sei im Süden kein Problem: »Die Unterhaltung auf der Piazza ist die beste Gestaltung der Freizeit... Auch die Wirtschaften und Kaffeebars bilden eine Einheit mit den Straßen und mit den Plätzen; sie sind nicht wie deutsche Wirtschaften, wo man durch zwei Türen und einen Vorhang hineingeht, wo die Fenster auch Vorhänge haben und wo man sich eingeschlossen fühlt wie im Kiel eines Schiffes.«

Maturi folgert: »Es ist (in südlichen Ländern) kein Problem, die Menschen anzusprechen; das Leben ist wie ein Fluß, der alle mitreißt, die sich nicht unbedingt isolieren wollen. Hier in Deutschland wird diese Isolierung deshalb zum psychologischen Kernproblem der ausländischen Arbeiter.«

Besonders hoch geschätzte Sammelpunkte der Isolierten sind neben italienischen Eisdielen und Teenager-Kneipen, die der internationalen erotischen Verständigung dienen, vor allem Deutschlands Bahnhöfe, an denen allwöchentlich Scharen von Ausländern Stehkonvent mit großem Palaver halten.

Den Bahnhofs-Komplex der Südländer erklärt Professor Zwingmann mit der »physisch-geographischen Trennung von einem affektbesetzen Objekt«, den Eltern, der Ehefrau oder der Braut. »Man beschwert sich, daß der Bahnhof von diesen 'Typen' belagert wird, und überlegt nicht, welche nostalgische Bedeutung gerade der Bahnhof für Menschen hat, die Kontakt suchen ... Für sie beginnt bei den Schienen die Heimat.«

Die Firmen versuchen gelegentlich, für ihre Importarbeiter Kontakte und Freizeitbeschäftigung zu finden. Das Handbuch »Ausländische Arbeiter im Betrieb« gibt die »hauptsächlichen Förderungsobjekte« an: »Schaffung von Betreuungszentren, Anmietung von Sportplätzen und Bereitstellung von Sportgeräten, Bereitstellung von Musikinstrumenten und Unterhaltungsspielen, Einrichtung von Klubabenden, Verbesserung der Ausstattung der Unterkünfte.«

Für ihre 150 türkischen Gleisarbeiter richtete die Bundesbahn-Direktion Hannover zwei Waggons als rollende Miniatur-Moscheen ein. Die vorgeschriebene Richtung des Betenden - sie weist nach Mekka - wird an jedem Standort des Bauzuges mit Hilfe eines Kompasses ermittelt.

Arbeitsdirektor Jungbluth vom Hüttenwerk Salzgitter ermittelte durch Umfrage unter seinen Türken, mit wem sie »in der Freizeit am liebsten Kontakt pflegen« wollten. Die meisten entschieden sich für deutsche Familien, Vereine oder Freundinnen. Jungbluth tat daraufhin sein Bestes.

Wolfsburgs Castel Lupo hat eine Boxstaffel und drei Fußballmannschaften hervorgebracht, die in der C -Klasse mitspielen. Trainierende Rennradler in himmelblauen, Anzügen mit

der weißen Rückenaufschrift »SC Lupo« sind in der VW-Stadt ein gewohnter Anblick.

Die Münchner Fußballvereine ."SC Italia« und »SC Hellas« haben ihre Probespiele gegen deutsche Firmenmannschaften bestanden und kicken in der laufenden Punktserie mit.

Zahlreiche Organisationen nehmen sich mit mehr Eifer als Fingerspitzengefühl der Isolierten an. Der Caritas-Verband bemuttert Italiener und Spanier, die Innere Mission Griechen und die Arbeiterwohlfahrt Türken. Um die ausländischen Arbeiterinnen bemühen sich der »Verein der Freundinnen junger Mädchen« und der Katholische Mädchenschutzverein.

Die Fürsorge der von Experten bespöttelten »Betreuungsindustrie« wurde im vergangenen Jahr allein vom Bundesinnenministerium mit 800 000 Mark Zuschüssen honoriert.

Deutsche Vorliebe für organisierte Kraft durch Freude treibt in der Betreuungsindustrie oft exotische Blüten. So sandte ein Dr. Külb aus München der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ein siebenseitiges Exposé »Über die Möglichkeit wirksamer und gezielter kultureller Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte in der Bundesrepublik«.

Als »sinnvolle Zerstreuung und Freizeitgestaltung durch leichte und ernste Unterhaltung auf verschiedenen Gebieten« schlug Külb in seiner »Vertraulich!« gekennzeichneten Schrift vor, Griechinnen sollten als Tanzgruppe auftreten, Italiener als Musikclowns, Türken als Akrobaten.

Höhepunkt des Külb-Frohsinns: Spaghetti-Wettessen der Gastarbeiter und Tauziehen zwischen den einzelnen Nationen; »Siegermannschaft trifft auf Mannschaft deutscher Arbeitgeber«.

BDA-Mann Rolf Weber erkannte das richtig als »grobe Geschmacklosigkeit«. Fords-Gastarbeiter-Referent Maturi: »Wann werden die Deutschen endlich erkennen, daß der Südländer in der Bundesrepublik seinen Feierabend so verbringen will wie zu Hause?«

Bei solcher Freizeitgestaltung aber »Er steckt die Hände in die Taschen, geht auf die Straße und unterhält sich mit den Nachbarn« (Maturi) - wecken die im Pulk herumstehenden Südländer den Argwohn der Bundesbürger.

Ohnehin weichen die liebgewordenen Leitbilder vom Mittelmeermenschen als einem heißblütigen, unberechenbaren, zudem faulen und schmutzigen Individuum nur langsam. Der bei ehemaligen Landsern verbreitete Widerwille gegen die rückzugsfreudigen »Itaker« hilft auch nicht zum besseren Verständnis.

Westdeutschlands Massenpresse pflegt und hegt das Klischee vom asozialen Fremdstämmigen mit dicken Schlagzeilen:

- Schmutziger Trick kostete sie das

Leben. Italienischer Gastarbeiter unter Mordanklage« ("Bild«-Zeitung);

- »Vier Messerstiche trafen sie ins

Herz« ("Mittag");

- Gastarbeiter erstach Deutschen«

("Westdeutsche Allgemeine");

- »Mit sieben Dolchstichen tötete ein

23jähriger griechischer Gastarbeiter...« ("Westdeutsche Allgemeine").

Dagegen Düsseldorfs Kripo: »Das Kriminalitätsproblem der Gastarbeiter macht noch keine Sorge.« Das Wiesbadener Bundeskriminalamt versichert: »Die Gastarbeiter stellen kein besonderes Problem dar.«

Bislang halten es weder Bundeskriminalamt noch Statistisches Bundesamt für erforderlich, über die Straffälligkeit der Gastarbeiter gesondert Buch zu führen. Die allgemeinen Statistiken über kriminelle Verfehlungen von Ausländern in der Bundesrepublik enthalten die Delikte aller fremden Staatsangehörigen, also beispielsweise auch diejenigen der alliierten Soldaten.

Düsseldorfs Kriminalpolizei stellte für 1963 fest, daß von je 100 Einwohnern der Stadt 1,7 straffällig geworden waren (ohne Verkehrsdelikte). Die Düsseldorfer Ausländer für sich hatten nur eine Quote von 1,04.

Allerdings: Der Anteil von Spaniern, Griechen und Italienern an den Fällen von gefährlicher Körperverletzung und den Sittlichkeitsdelikten, die 1962 im Bundesgebiet registriert wurden, war höher als ihr Anteil an der westdeutschen Bevölkerung (rund drei und knapp zwei Prozent).

Dazu der Arbeitsmarkt-Experte der Arbeitgebervereinigung, Rolf Weber: »Man muß berücksichtigen, daß sich alle Ausländer im kriminalfähigen Alter befinden.«

Nicht zuletzt die Vorliebe der Südländer für das feststehende Messer findet unter den faustkämpfenden Teutonen erregte Publizität. Allerdings melden die Zeitungen nur sehr selten, daß Italiener, Griechen und Türken insbesondere auf Tanzdielen wegen ihrer stupenden Blitzsiege bei deutschen

Maiden regelmäßig von abgekämpften nordischen Vorstadt-Casanovas provoziert und angeödet werden.

Auch Eifersuchtsdelikte von Gastarbeitern, die sich mit der verbreiteten Vorliebe einheimischer Mädchen für häufigen Partnerwechsel nicht abzufinden vermögen, schlagen sich als ständiger Bodensatz in den Gerichtsreportagen nieder.

Um einen hohen sittlichen und staatsbürgerlichen Standard in der Ausländer-Armee mühen sich jene 19 Beamten und Angestellten, die in München -Pasing die »Zentralkartei für nichtdeutsche Arbeitnehmer« führen. In der »Warnkartei Z 2« sind mehr als 50 000 Ausländer registriert, von denen Vorstrafen oder politische Unzuverlässigkeit bekanntgeworden sind.

Taucht der Name eines Ausländers, der mit Touristenpaß ins Bundesgebiet kommt und sich um Arbeitserlaubnis bewirbt, in der Münchner Kartei auf, wird der Einwanderer ebenso rigoros wieder abgeschoben wie der Gastarbeiter, der sich in der Bundesrepublik etwas zuschulden kommen läßt.

So geht denn ein großer Teil der westdeutschen Ausländer-Kriminalität auch nicht zu Lasten der Gastarbeiter. Vielmehr kommen für typische Ausländerdelikte, wie etwa berufsmäßige Zuhälterei, Fälschung oder Rauschgiftschmuggel, jene rund 200 000 Landfremden in Frage, die sich laut Schätzung des Bundeskriminalamts unregistriert in Westdeutschland aufhalten.

Auch die landläufige Vorstellung vom mangelhaften Arbeitsethos der Männer aus dem Süden ist revisionsbedürftig. So ermittelte der Bundesverband der Ortskrankenkassen, daß Italiener, Spanier und Griechen weniger krankfeiern als ihre deutschen Kollegen.

Die Einwanderer zeigen auch beträchtliches Durchhalte-Vermögen auf dem westdeutschen Prokrustes-Bett. Von den 141 000 Südeuropäern, die 1960 laut Statistik in der Bundesrepublik längerfristige Arbeitsverträge hatten, waren 82 000 (58 Prozent) im vergangenen Jahr immer noch da. 16 000 von ihnen hatten es sogar schon auf einen Aufenthalt von fünf Jahren und mehr gebracht.

Ähnlich wie die Schaffensmoral, erscheint auch die politische Zuverlässigkeit der Fremdlinge den staatstragenden Kräften Bundesdeutschlands immer noch zweifelhaft. Das Deutsche Industrieinstitut, die Meinungsfabrik der Unternehmer, warnt unermüdlich vor der 'kommunistischen Wühlarbeit unter Gastarbeitern«; der Deutsche Gewerkschaftsbund starrt ebenso gebannt auf die Gefahr »von rechts«.

Deutsche Gerichte haben die Unruhe noch verstärkt, indem sie Gastarbeitern die Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei Italiens gestatteten. Einleuchtende Begründung: Die KPI erstrebe nicht den Umsturz der demokratischen Ordnung Westdeutschlands.

Italiens Kommunisten versorgen denn auch die Landsleute nördlich der Alpen ständig mit Funktionären. Ebenso hält es die kommunistische Gewerkschaft, die in Münchens Kaufinger Straße 29 das Büro »Istituto Nazionale Confederale di Assistenza« unterhält. Die faschistische Gewerkschaft hat in Köln, Sudermannplatz 8-10, das Büro »Ente Nazionale di Assistenze Sociale« etabliert.

Die Sender in Ost-Berlin, Prag und Budapest liefern täglich zu bestimmten Zeiten für die Gastarbeiter Variationen zum Thema Ausbeuter und Sklave. Westdeutsche Stationen haben deshalb ihre Sendezeiten für Gastarbeiter kürzlich verlängert. Der WDR zum Beispiel bringt seit dem 1. Juni täglich von 19.45 bis 20 Uhr Nachrichten für Italiener. Für Türken, Spanier und Griechen gibt es wöchentlich je eine halbe Stunde.

Kenner der Gastarbeiter-Psyche hatten den politischen Trubel für nutzlos. Der Leiter der Italiener-Siedlung in Wolfsburg, Ludwig Vollmann, berichtet: »Die Männer sind politisch desinteressiert. Sie sind ja 'per moneta' zu uns gekommen, um in der Heimat ein Haus zu bauen oder ein Fischerboot oder ein Stück Land zu kaufen.«

Das Desinteresse bekommen auch die deutschen Gewerkschaften zu spüren. Trotz großer Werbeanstrengungen und obwohl die Gewerkschaftszentralen eigens ausländische Funktionäre ausgeliehen haben, sind nur zwischen fünf und zehn Prozent der Gastarbeiter organisiert.

Für die Ford-Werke will Giacomno Maturi »jede Wette eingehen, daß keine 20 Mann in der Gewerkschaft sind«.

Wo die lohnbewußten Gäste zweifellos gern aktiv würden, dürfen sie es nicht: Für ihren beruflichen Aufstieg finden sie kaum Möglichkeiten. Die Beförderung zum Vorarbeiter oder gar Meister ist ihnen verbaut. Maturi sieht darin eine Gefahr: »In einigen Jahren sind die Gastarbeiter eine riesige, gesichtslose Masse ohne jede Führung aus den eigenen Reihen. Sie werden verbittert sein, daß sie immer auf der untersten Stufe bleiben, egal, wie tüchtig sie sind oder wie lange sie schon in ihrem Betrieb arbeiten.«

Solcher Kümmernisse will sich auch die »Unione Emigrati in Germania annehmen, die unter der anspruchsvollen Bezeichnung Gastarbeiter-Parlament vor kurzem in Stuttgart erstmals zusammentrat. Ihre 35 Delegierten wollen fortan alle zwei Monate tagen, »um die Probleme aller in der Bundesrepublik beschäftigten ausländischen Arbeiter erörtern zu können«.

Die Emigrati werden jedoch nach jahrelangem Aufenthalt in Westdeutschland vor allem mit einem neuen Selbstbewußtsein in ihre Heimatländer zurückkehren. Dort gelten sie, laut Maturi, schon heute als »verlorene Söhne«.

So fremd sie sieh auch in Westdeutschland gefühlt haben mögen, so werden sie bei der Rückkehr die heimischen Zustände doch an der pedantischen Wohlstandsordnung bundesdeutschen Zuschnitts messen.

Maturi: »In Deutschland erleben die Südländer zum erstenmal im Betrieb und bei den Behörden Ordnung. Jeder kennt hier seine Rechte und erhält sie. In der Heimat aber treffen sie wieder auf das ,Gesetz des Dschungels'.«

Der Italiener prophezeit: »Wenn die Gastarbeiter aus Deutschland zurückkommen und wieder der trostlosen Wirklichkeit in ihrer Heimat konfrontiert werden, werden sie Radikale. Sie werden gegen ihren Willen Kommunisten.«

* Nostalgie = Heimweh; besonders bei Jugendlichen häufig Ursache für Brandstiftung, Sexualverbrechen u.a.

Millionster Gastarbeiter Rodrigues

Aus Europas Armenhäusern...

... eine Völkerwanderung zu deutschen Lohntüten: Gastarbeiter-Ankunft in München

Gastarbeiter-Musterung in Neapel

Fünf Worte, ein Vertrag

Werftarbeiter

Postarbeiter

Eisenbahnarbeiter

Kellner

Krankenschwester

Bauarbeiter

Automobilarbeiter

Landarbeiter

Ausländische Arbeitskräfte in der Bundesrepublik: Für ein Haus, ein Fischerboot, ein Auto jährlich eine Milliarde in die Heimat

Stern

»Ich würde an deiner Stelle nicht über uns Deutsche meckern! Vielleicht seid ihr mal

froh, wenn wir bei euch arbeiten!«

Ford-Wohnheime in Köln: Bei niedrigen Mieten und hohen Löhnen ...

... bleibt ein Hauch von Getto. Ausländer-Wohnheime in Hamburg

Fords Gastarbeiter-Referent Maturi

Im Land der Unteroffiziere ...

Griechischer Arbeiter-Priester Kontomerkos

... Heimweh nach der Piazza

Moschee-Wagen der Bundesbahn: Gebete auf den Gleisen

Fremdarbeiter nach Feierabend (in Wolfsburg): Am Band vereint, in der Kantine getrennt

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