SCHWEIZ Perfekt und perfid
Die Freiheit stirbt zentimeterweise«, warnt eine »Aktion Freiheit und Verantwortung« in einer teuren Anzeigen-Kampagne die Schweizer.
Die Gefahr der »Bevormundung«, so die Aktion, kommt von 200 jungen Leuten -- alkohol- und nikotinfrei lebenden Mitgliedern der Guttempler-Jugend, die in der ganzen Schweiz ein Reklameverbot für »Raucherwaren und alkoholische Getränke« durchsetzen wollen.
Mit Hilfe von Ärzten, Pfarrern und Lehrern sammelten sie 77 515 Unterschriften für ein Volksbegehren, das in die Schweizer Bundesverfassung ein Reklame-Verbot für Tabak und Alkohol einfügen will. Am dritten Februar-Wochenende stimmen die Schweizer darüber ab.
Der von den Guttemplern verlangte Eingriff in die den Eidgenossen sonst heilige Handels- und Gewerbefreiheit soll »Kinder und Jugendliche vor den Gefahren des gewohnheitsmäßigen Rauchens und Trinkens bewahren Das Verbot der »perfekten und perfiden« Propaganda, so die Initianten, könne den Suchtmittelkonsum um fünf Prozent pro Jahr senken.
Bereits mit zwölf Jahren habe jeder achte Schweizer Schüler seinen ersten Vollrausch hinter sich, argumentieren die Alkohol- und Nikotingegner. Rund 140 000 Schweizer -- 2,2 Prozent der Bevölkerung -- seien alkoholkrank (in Westdeutschland rund 2,5 Prozent). Der Volkswirtschaft entständen dadurch jedes Jahr Schäden von rund 1,5 Milliarden Franken.
Wegen dieser süchtigen Minderheit aber, konterte die von der Werbewirtschaft getragene »Aktion Freiheit und Verantwortung«, dürften die übrigen Schweizer nicht »wie unmündige Kinder behandelt werden«. Zudem sei fraglich, ob Genußmittelreklame, die nur 4,6 Prozent des gesamten Werbeaufkommens ausmacht, tatsächlich derart suchtfördernd wirke.
Der Zürcher Werbeberater Alfons Biland etwa, der selbst weder für Schnaps noch Zigaretten wirbt, hält das Reklameverbot für sinnlos: »Für Tabak und Alkohol werben Vorbilder wie Serien-Helden im Fernsehen, Eltern und Erzieher besser und billiger.«
»Einseitig, unverhältnismäßig und unzweckmäßig« nannte auch die Regierung den Vorschlag; zudem fürchten die Behörden den Verlust von rund 610 Millionen Franken an Getränke- und Tabaksteuer, die in die Kasse der Rentenversicherung fließen.
Angst haben vor allem die Zeitungsverleger, die einen empfindlichen Einnahmen-Ausfall im Anzeigengeschäft vor allem der Wochenpresse voraussehen, bei der rund 12 Prozent der Inserate für Alkohol und Tabak werben: Ein Absinken der Erträge zwinge zu Fusionen, beschleunige dadurch die Pressekonzentration und drücke auf das Niveau der Blätter.
Sorgen machen sich aber auch ausländische Verlagshäuser, da nicht nur einheimische Produkte, sondern auch alle importierten Presseerzeugnisse, die über einer »unbedeutenden Verkaufsauflage« (Initianten) von etwa 20 000 Exemplaren liegen, unter das Reklameverbot fallen würden.
Allein aus der Bundesrepublik kommen jede Woche rund zwei Millionen Exemplare, die meisten mit großen bunten Genußmittel-Anzeigen auf ihren Seiten. Wenn die Initiative angenommen würde, müßten die Schweizer Zöllner die Blätter an der Grenze beschlagnahmen, als seien es harte Pornos.
Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V. forderte seine Mitglieder deshalb in einem Rundschreiben auf, Informationen »über Einzelheiten des Sachverhalts sowie über mögliche Ansatzpunkte eines Gegenlenkens« zu sammeln. Auch der deutsche Zentralausschuß der Werbewirtschaft (ZAW) warnte in seinem Branchendienst: »Die Gefahr einer Annahme ist groß.«
Käme es so, wie der ZAW fürchtet, dann droht der Schweiz internationaler Ärger: Eine Einfuhrsperre für ausländische Zeitschriften, wie sie die Initianten vorsehen, widerspräche dem in der KSZE-Schlußakte von Helsinki festgelegten freien Austausch von Informationen -- eine Forderung, für die sich die Schweizer Diplomaten in den vergangenen Jahren gerade bei den osteuropäischen Regierungen besonders intensiv eingesetzt hatten.
Aus der Schweiz ausgesperrt würden -- neben italienischen und französischen Blättern -- mindestens 18 deutsche Periodika, darunter die »Neue Revue« (in der Schweiz verkaufte Auflage: 88 000), »Brigitte« (78 000) und DER SPIEGEL (40 000). Denn aus technischen und finanziellen Gründen könnte keine dieser Zeitschriften in einer speziellen Schweizer Teilauflage -- ohne Alkohol- und Tabakreklame -- gedruckt werden.
Schuld an einer derartigen »massiven Pressezensur« (Zürcher »Weltwoche") hätte allerdings nicht die Guttempler-Jugend, sondern das. Parlament: Die Volksvertreter lehnten einen Kompromißvorschlag ab, der Ausnahmen für ausländische Zeitungen vorsah -- wohl in der Annahme, daß die Schweizer auf die ausländische Presse nicht verzichten wollen und darum die Initiative ablehnen.