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PARTEIEN / NPD Pfefferkorns Wächter

aus DER SPIEGEL 18/1967

Um 18.06 Uhr meldete Gerichtsvollzieher Ernst Stapelfeld dem hannoverschen Advokaten Gerhard Borck: »Herr Rechtsanwalt, ich übergebe Ihnen hiermit die Kartei.«

Umringt von Büropersonal, vier Möbelträgern der Spedition Urban sowie den NPD-Funktionären Otto Hel 3 und Hans-Joachim Richard, standen die beiden Herrn am Dienstag letzter Woche vor drei heligrauen Stahlschränken im Flur der NPD-Bundesgeschäftsstelle zu Hannover.

Dann wuchteten die Packer den ersten Schrank hoch, hielten aber sogleich verwirrt wieder inne: »Da ist

* Beim Abtransport aus der NPD-Bundesgeschäftsstelle in Hannover am 18. April 1967.

doch gar nichts drin -- Mensch, der ist ja leer.«

So war es. Heimlich geleert worden waren auch die beiden anderen Tresore: Der Versuch des nur noch mit Hilfe von Gerichtsdekreten amtierenden NPD-Vorsitzenden Fritz Thielen, statt der Partei wenigstens die Kartei in die Hand zu bekommen, war gescheitert.

Zusammen mit seinem hannoverschen Parteigänger Dr. Kühne hatte Thielen schon am Freitag zuvor die von seinem Rivalen Adolf von Thadden beherrschte NPD-Zentrale okkupiert und -- während Thadden auf Wahlreise war -- die Herausgabe der Mitgliederkartei verlangt.

Doch Thadden-Sekretärin Brunhilde Hoffmann bedauerte: »Tut mir leid, die Schränke sind verschlossen.«

Wütend baute sich der NPD-Kommandeur Fritz Thielen vor den Stahlschränken auf: »Und wenn ich die eintreten muß, ich hole mir den Kram da 'raus.« Ratlos ließ er sich dann unter Aufsicht von zwei grimmig schweigenden Wächtern aus der Thadden-Garde -- neben Kühne auf das Sofa im Zimmer seines Vize sinken.

Kühne, über solche »SA-Methoden« entrüstet, trat noch am selben Abend aus der Partei aus. Thielen, der in NPD-Kreisen neuerdings »Pfefferkorn« genannt wird (NPD-Richard: »Weil der immer so bitter aussieht"), bemühte ein weiteres Mal die Gerichte.

Mit einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hannover in der Hand ("Als Vorstandsmitglied hat er Anspruch auf Einsichtnahme in die Kartei") und dem Gerichtsvollzieher Stapelfeld im Gefolge, erschien der isolierte NPD-Chef am Montag erneut in Thaddens Zentrale. Auch diesmal war kein Schlüssel da. Stapelfeld versprach, wiederzukommen. Anderntags konnte der Gerichtsvollzieher nur noch leere Schränke abtransportieren lassen. Thielen-Anwalt Borck: »Nicht ein einziges Blatt Papier war drin.«

Es war Thielens dritte Niederlage binnen drei Tagen: Am Montag hatte das Landgericht Bremen entschieden, Thadden-Freund Otto Heß sei nach wie vor NPD-Vorstandsmitglied und sein Hinauswurf durch Thielen ungültig. Und am Sonntag zuvor hatte der niedersächsische NPD-Landesverband den von Thielen zweimal verstoßenen Thadden im Schützenhaus von Bad Gandersheim nahezu einmütig zum Spitzenkandidaten für die Niedersachsen-Wahlen am 4. Juni gekürt.

Damit »uns nicht erneut ein Bein gestellt werden kann« (Heß), wählten die Delegierten unter giftgrünen Papiergirlanden statt Thadden, dessen Wahl vom Bremer Landgericht auf Antrag Thielens für rechtsunwirksam erklärt worden war, den Hofbesitzer und ehemaligen Deutschparteiler Harborg Große-Endebrock, 52, aus Kalkriese am Wiehengebirge zu ihrem neuen Vorsitzenden.

»Die Dinge ziehen sich langsam glatt«, konstatierte NPD-Mann Hans-Joachim Richard, der das Parteiblatt »Deutsche Nachrichten« redigiert und stellvertretender Vorsitzender der niedersächsischen NPD wurde.

Und Adolf von Thadden, einstweilen noch ungekrönter NPD-König, las dem Bremer Betonmacher Fritz Thielen die Leviten: »Wir haben die Aufgabe, diese ganzen Betontrümmer wegzuräumen. Und wir haben bei der Trümmeraufbereitung schon große Fortschritte gemacht.«

Die Delegierten jubelten, tranken Steinhäger gleich aus der Flasche und übten ausgelassen, was sie »osteuropäische Folklore« nannten. NPD-Landtagskandidat Heinz Rudolph (Platz zwei der Landesliste) zappelte dazu einen Kosakentanz auf dem Wirtshaustisch.

Nächstes Mal soll in Wiesbaden geschwoft werden. Am 10. Mai will sich dort die Gesamt-NPD von ihrem Vorsitzenden befreien, damit die Partei dem Wahlvolk genießbarer und -- so Thadden -- »nicht länger durch Verrückte kaputtgemacht wird«.

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