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REITER Pferde sind besser

aus DER SPIEGEL 42/1964

Vergeblich kurvte in der letzten Woche der Oberst Berend Werncke im Auto durch die holsteinische Knick -Landschaft. Er fand nicht, was er inspizieren wollte: den ersten berittenen Grenadierzug der bundesdeutschen Streitkräfte bei der Ausbildung im Gelände.

Noch ehe Oberst Werncke, G 3 (Operation, Organisation, Ausbildung) des Wehrbereichskommandos I (Kiel), die Kavalkade schließlich in der Nähe der Unterkunft aufstöberte, waren die Reiter schon abgesessen. Der Oberst resigniert: »Die Tarnung klappte jedenfalls vorzüglich.«

Es war der zweite Tarnerfolg der Mann-und-Roß-statt-Wagen-Aktion der Bundeswehr. Monatelang war es zuvor gelungen, den Plan geheimzuhalten, im Zeitalter der vollmotorisierten, atombestückten Kriegsmaschinerie wieder auf Quadrupeden für die Territorial -Verteidigung (TV) der Bundeswehr zurückzugreifen.

Erst als in der vorletzten Woche 31 Reservisten zur ersten Reiterübung auf dem Gelände des 1960 wegen Unrentabilität aufgelösten schleswig-holsteinischen Landgestüts Traventhal aufsaßen, wurde das Geheimnis gelüftet.

Die Landleute, an denen der Grenadierzug vorbeitrabte, erkannten die Berittenen trotz Stahlhelm und Bundeswehr-Jacke sogleich wieder sie hatten alle Reiter schon mit Jagdkappe und schwarzem Rock auf den Turnieren des nördlichen Pferde-Landes gesehen. Es waren Bauernjungen aus der Umgebung und drei Reitlehrer, allesamt Mitglieder holsteinischer Reitervereine.

Sie waren freiwillig mit ihren Pferden (Wert von 4000 bis 15 000 Mark), mit eigenem Sattelzeug und eigenen Reithosen in Traventhal angerückt, um von morgens fünf Uhr bis nach dem Dunkelwerden Dienst zu tun. Pro Pferd und Tag stellte die Bundeswehr zehn Mark pauschal für Futter, Beschlag, Versicherung und Heilbehandlung zur Verfügung.

13 Tage lang übten die Reitersleute Sicherungs- und Spähtrupp-Aufgaben. Sie knatterten mit dem Gewehr G 3 und dem MG 42, teils um sich selbst wieder einzuschießen, teils um ihre empfindsamen Turniertiere an Schlachtenlärm zu gewöhnen. Schließlich exerzierten sie noch soldatisches Verhalten bei Nacht.

Was die Armee zu diesem Reiter -Experiment bewogen hat, erläuterte der Übungsleiter, Oberstleutnant Wolfram Diepenbeck vom Kieler Wehrbereichskommando, so:

- »Im Mob-Fall (Mobilmachungsfall)

wird es an geländegängigen Autos fehlen. Für eine Objektsicherung sind Autos ungeeignet. Sie machen zudem Krach. Das Pferd ist besser.«

- »Das Pferd kommt dahin, wo man mit Fahrrad oder Auto nicht hinkommen kann oder es zu Fuß zu lange dauert.«

- »Wir erwarten, daß der Reiter unter

bestimmten Geländebedingungen dem motorisierten Melder überlegen ist.«

Mit anderen Worten: Reiter gelangen querfeldein selbst dann noch ans Ziel, wenn die Straßen mit Flüchtlingstrecks verstopft und für Armee-Fahrzeuge unpassierbar sind.

Umfragen bei Reiterverbands-Funktionären hatten außerdem ergeben, daß Jungreiter bereitwillig unter die Fahnen der an Personalmangel leidenden Territorial-Verteidigung eilen würden, wenn sie nur ihre Pferde mitbringen dürften. Und auch Kai-Uwe von Hassel hatte schon vor Jahren, als Ministerpräsident in Kiel, entdeckt, Reitervereine seien »infolge ihrer konservativen Grundhaltung die geeignetste Basis für den Aufbau der Territorialen Verteidigung«.

Ex-Artillerist und Ex-Bundesverteidigungsminister Strauß zeigte sich damals desinteressiert. Nach Straußens Fall aber griffen Holsteins Reiter das Projekt wieder auf. Der Geschäftsführer des Landesverbandes der Reit- und Fahrvereine, Chefreitlehrer Max Habel, erhielt Anfang dieses Jahres einen entsprechenden Wink aus dem Kieler Wehrbereichskommando.

Im Handumdrehen trommelte Habel, Kavallerie-Major a.D., einen Zug Freiwillige mit eigenen Pferden zusammen: »Mit Flüsterpropaganda, ein Rundschreiben wollten wir nicht schicken.« Bereits im Februar stand der (berittene) Grenadierzug im Grenadierbataillon 711 (TV) abrufbereit. Die Freiwilligen-Meldungen rissen nicht ab. Noch während der Übung in Traventhal mußten fast täglich Dienstwillige wieder nach Hause geschickt werden.

Das Aufsitzen verzögerte sich aber doch bis zum Herbst: Erst mußte der neue Verteidigungsminister von Hassel alte Einwände in seinem Haus ausräumen. Oberstleutnant Diepenbeck: »Wenn einige Herren in Bonn etwas von Berittenen hören, sehen sie gleich die ganze Innere Führung wackeln.« Dann waren die Reiter verhindert - sie wollten Ernte und Landesturnier im nahegelegenen Bad Segeberg nicht versäumen.

Als sie schließlich Ende September zur Übung anritten, lösten sie ihre Aufgabe so routiniert, daß Reitlehrer Habel schon vor Abschluß des Experiments am letzten Wochenende von den Spitzen des Wehrbereichskommandos artige Komplimente über die reiterliche Vorausbildung zu hören bekam, die er seinen Männern hatte angedeihen lassen: Bei solchen Freiwilligen sei eine Fortsetzung der Reiterübung durchaus wahrscheinlich.

Damit sehen Habel und seine Sportsfreunde aus dem finanzschwachen Landesverband einen Erfolg greifbar nahe, von dem sie bislang nicht einmal träumten: Entwicklungshilfe aus dem Militär -Etat.

Berittene Grenadiere bei Traventhal. Hosen mitgebracht

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