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US-PRÄSIDENTSCHAFT Pfiffe im Dunkeln

aus DER SPIEGEL 4/1952

In der harten, frühzivilisatorischen Zeit Amerikas - vor der Erfindung des Fernsehens - fanden die US-Großstädter mannhaften Spaß bei Rummel und Radau in einer der Sporthallen in der Nachbarschaft. Dort konnte jeder, der genügend Mut oder Mangel hatte, in den Boxring klettern und sich für ein paar Dollar zum Gaudi seiner Mitbürger herumschlagen. Es war Sitte, daß Kampfeswillige - wahrscheinlich in populärer Abwandlung des ritterlichen Fehdehandschuh-Wurfs - ihren Hut herausfordernd in den Ring schleuderten.

Theodore ("Teddy") Roosevelt, US-Präsident von 1900 bis 1908 und eine der farbigsten Figuren in der Galerie amerikanischer Berühmtheiten, entdeckte als erster die Aehnlichkeit zwischen dem Betrieb in einer Boxhalle und dem Kampf um den höchsten Posten der USA. »Ich werfe

meinen Hut in den Ring«, erklärte er, als er ankündigte, daß er um die Präsidentschaft »rennen« wolle.

Letzte Woche - wie zu Beginn eines jeden Schaltjahres - lagen bereits mehrere Hüte in dem Ring für den Präsidentschafts-Titelkampf 1952. Während Propaganda-Lärm, Kabale und Umtriebe der Manager beginnen, drängt sich das Publikum Amerikas und der Welt gespannt in die Halle; denn ob es ihm Spaß macht oder nicht - die US-Präsidentenwahl mit ihrem Drum und Dran ist (wenn man die entfernte Möglichkeit eines Weltkriegs III ausschließt) das größte und wichtigste Spektakel dieses Jahres.

Titelverteidiger Harry S. Truman sieht sich vier republikanischen Herausforderern gegenüber. Robert Taft ("Mr. Republican") schreitet selbstsicher am Ring auf und ab und läßt seine Muskeln springen. Earl Warren, der Gouverneur von Kalifornien, und Universitätspräsident Harold Stassen stehen ein wenig kleinlaut herum, warten auf die Anfeuerungsrufe ihrer fans und rechnen sich Außenseiter-Chancen aus.

Die Kopfbedeckung des vierten, eine Generalsmütze, hatte ein halbes Jahr lang atemberaubend und unberechenbar wie eine Fliegende Untertasse über dem Ring gekreist und war nach aufregenden Wochen von einigen begeisterten Zivilisten endlich aus der Luft geholt und auf der Matte deponiert worden. Aber ihr Besitzer, Dwight David Eisenhower, wird nur kämpfen, wenn seine Freunde stark genug werden, um ihn an Händen und Füßen in den Ring zu schleifen.

Truman, der angeschlagene Champion der Demokraten, hat bisher auf keine Herausforderung reagiert, sondern seinen Fünf-Gallonen-Hut nur tiefer ins Gesicht gezogen. Er beobachtet und schürt den Streit unter den Republikanern, welcher ihrer Leute gegen Truman antreten soll. Denn der Ausgang dieses Streites entscheidet wahrscheinlich über den Ausgang der Wahl und damit über den Verlauf der Weltpolitik in den kommenden vier Jahren.

Bei diesem Streit versagt Theodore Roosevelts Vergleich - denn selbst das Manager-diktierte, moderne Berufsboxen ist gegenüber der verwirrenden Komplexität amerikanischer Präsidentschaftspolitik so simpel wie Pingpong. Der Hut-Wurf ist nur der Anfang einer enervierenden Prozedur, ehe es überhaupt zum Kampf gegen die andere Partei kommt. Damit hat der aufstrebende US-Bürger nämlich erst seine Absicht bekundet, sich um die Kandidatur für eine der beiden großen Parteien zu bewerben.

Um sich der Unterstützung seiner Parteifreunde zu versichern, muß er sich zumindest in zwei Staaten der Union einer »Vorwahl (Primary)« stellen. Vorwahlen werden im Frühling des Wahljahres von den Parteiorganisationen der einzelnen Staaten unter Aufsicht der Behörden durchgeführt. Hierbei stimmen die Parteimitglieder über ihre Kandidatur-Aspiranten ab. Gleichzeitig werden die Delegierten für die Nationale Parteiversammlung gewählt, die dann den Präsidentschaftskandidaten ihrer Partei endgültig nominiert.

Zur Parteiversammlung (National Party Convention) werden aus jedem Wahlbezirk zwei und aus jedem Staat noch einmal je vier Delegierte entsandt. Sie müssen, um ernannt zu werden, einen Favoriten nennen, der auch von der Partei-Organisation gebilligt wird. 1200 Delegierte versammeln sich nach Abschluß der Vorwahlen bei der Convention (die der Republikaner steigt am 3. Juli in Chikago, die der Demokraten sechs Wochen später). Der Kandidatur-Bewerber, der 601 Stimmen auf sich vereinigt, steigt nun in den Ring, um auf den Kandidaten der Gegenpartei zu treffen.

Wenn sich der Convention mehr als zwei Bewerber stellen, sind mehrere Wahlgänge erforderlich, und keine Ueberraschung ist dann ausgeschlossen.

Bob Taft ist der Spitzenmann der Republikanischen Partei. Doch so sehr sie mit seiner anti-wohlfahrtsstaatlichen, liberalen Innenpolitik einverstanden sind, so

sehr beweifeln viele Republikaner und viele kluge Amerikaner seine Fähigkeit, Amerlkas Weltpolitik zu meistern, ohne daß eine Katastrophe entsteht. Diese Fronde startete - wie schon 1948 - die Eisenhower - for - President - Bewegung. »Eisenhower ist der Mann, der in dieser entscheidenden Stunde Amerikas Geschicke leiten sollte«, rief die »New York Herald Tribune« dramatisch aus. Die pro-Eisenhower-leute (unter Führung von Senator Henry Cabot Lodge) wußten, daß Ike der populärste Mann in USA ist, »der Mann, der Truman todsicher schlagen kann«. Die Ike-Leute unter den Republikanern stammen aus den Küstengebieten, die Taft-Anhänger aus dem soliden, isolationistischen, deutschfreundlichen Mittelwesten.

Der große Haken: Die 1200 Delegierten aus der Parteiorganisation, die im Sommer nach Chikago fahren, wählen ihren Mann nicht nach Popularität und historischer Größe. Sie sind Berufspolitiker und Interessenvertreter, denen ein Bewerber feste Versprechen auf Posten in der Regierung und Zusagen auf wirtschaftspolitische Begünstigung geben muß, ehe er von ihnen gewählt wird. Meinte »Time": »Sie (die Parteileute) kennen Bob Taft, und er kennt sie. Ike ist ein netter Kerl, aber er kennt noch nicht einmal ihre Namen.«

Bob Taft stand frühzeitig auf. Er, der Freikapitalist und Anti-Gewerkschaftler, baute sich die größte, mächtigste und am besten (von der Großindustrie) finanzierte Wahlorganisation auf, die die USA je gesehen haben*). Schon im Spätsommer und Herbst 1951 rollte der Taft-Werbefeldzug. Ein potentieller Delegierter nach dem anderen wurde von den Taft-Leuten verpflichtet.

Ike Eisenhowers Leute dagegen hingen in der Luft. Der General war durch seinen Vereinigungskreuzzug in Europa in Anspruch genommen - und als Offizier ist es ihm verboten, sich politisch irgendwie zu betätigen.

Bis zur vorletzten Woche war die Lage der Eisenhower-Bewegung immer verzweifelter geworden. In Scharen strömten die Politiker in die Taft-Organisation, zumal es nach den letzten Skandalen in der Truman-Regierung klar zu sein schien, daß auch Taft Truman schlagen könne. Damit verlor das beste Argument der Ike-Leute - »Stellt - Euch - hinter - einen - sicheren-Sieger!« - seine Zugkraft. Mitte Dezember hatte sich Taft schon über 400 von 1200 wahrscheinlichen Delegierten der Party Convention gesichert. Die republikanischen Kongreß-Abgeordneten stimmten 71:54 für Taft, gegen Eisenhower. Die Illusion, daß die Welle der Eisenhowerschen Popularität alles überschwemmen würde, platzte.

Earl Warren und Harold Stassen, ebenfalls Ike-freundliche Internationalisten, gaben ihre Bewerbung um die Kandidatur bekannt und verkündeten ein aufgedonnertes Wahlprogramm, um die pro-Ike-Welle auszunutzen und Leute zu sammeln, die sie dann auf der Convention eventuell der Ike-Streitmacht zuführen könnten - im Austausch gegen einen Posten im Kabinett Eisenhower. Aber sie konnten nur ein paar Mann sammeln, die das Risiko lieben.

Senator Lodge schrieb vor Weihnachten einen dringenden Brief an Eisenhower, er müsse seine Bereitschaft zu kandidieren frühestmöglich bekanntgeben. Ike schien noch nicht begriffen zu haben und antwortete unverbindlich. Panik brach im Eisenhower-Lager

*) Ein Beispiel für Tafts Reichtum: er und sein Bruder kauften jetzt die Zeitung »Times-Star« in Cineinnati für 35 Millionen DM. aus. Auch die loyalsten Männer erklärten, daß alles verloren sei, wenn sie weiter mit dünnen Versprechen um sich werfen müßten statt mit konkreten Zusagen.

Senator Duff, der einflußreichste I-like-Ike-Mann, der in seinem Heimatstaat Pennsylvanien 45 (von 70) Delegierte an Taft verlor, schrieb Anfang Januar ins SHAPE nach Paris und gab dem General eine brutale Darstellung der Situation. Endlich, in der vorletzten Woche, konnte Lodge melden, daß Ike ein Republikaner ist, und ihn für die Vorwahlen am 11. März in New Hampshire aufstellen.

Ike bestätigte vorsichtig in Paris: »Es ist mir klar, daß Lodge und seine Freunde versuchen, mir im nächsten. Juli eine Pflicht vorzulegen, die meine gegenwärtigen Verantwortlichkeiten übersteigen würde. Solange es jedoch keinen klaren Ruf zur politischen Pflicht gibt, werde ich meine ... Energien auf die Erfüllung der lebenswichtigen Aufgabe lenken, die mir gestellt worden ist ...«

Die Reaktion in Amerika war gedämpfte Freude beim I-like-Ike-Verein, skeptische Genugtuung in der unabhängigen Oeffentlichkeit und Schadenfreude bei den Taft-Leuten. Meinte die »Charleston Gazette": »Eisenhower benimmt sich wie der Junge, der schrecklich gern Klassensprecher werden möchte, sich aber nicht direkt darum bemüht, weil ihn eine eventuelle Niederlage zu sehr blamieren würde.« Die »New York Daily News« sagte: »Das amerikanische Volk, durch Steuern geschunden, durch hohe Preise geplagt und durch Korruption beunruhigt, wird von Ike direkt seine Meinung über diese Probleme hören wollen, ehe es ein Kreuzchen hinter seinen Namen macht.«

Taft-Kampagne-Manager John Hamilton spottete: »Das ist das erste Mal, daß sich Leute (Ike-Anhänger) freuen, weil ihnen der Teppich unter dem Hinterteil weggezogen worden ist. Jetzt stehen sie draußen im Dunkeln und pfeifen ...« Tröstete sich Senator Lodge: »Ike wird seinen Posten wahrscheinlich schon vor Juli aufgeben und sich dann deutlicher erklären ...«

Aber da erhob sich der enttäuschte Harry Truman, der im November einen Korb von dem Anti-Wohlfahrtsstaatler Eisenhower bekam, als er ihm die demokratische Kandidatur anbot. Mit einer Gerissenheit, die ihm niemand nachmacht, begann er, die Spaltung innerhalb der Republikaner auszuschlachten.

Auf seiner Pressekonferenz in der letzten Woche sagte er erst, es würde ihm nach wie vor das größte Vergnügen bereiten, gegen Taft zu »rennen"*), nur, um im nächsten Atemzug zu erklären: »Ich glaubte wirklich, Eisenhower sei ein Demokrat, denn 1918 hat er für die demokratische Partei gearbeitet ... Ich habe Eisenhower gern ... aber ich glaube nicht, daß es dem Land unter irgendeinem republikanischen Präsidenten gut gehen wird ... Ich habe nicht die Absicht, Eisenhower von seinem Posten in Europa abzuberufen ...«

Außerdem empfahl er Ike, einmal nachzulesen, wie es General Winfield Scott, einem Helden des Krieges in Mexiko, vor hundert Jahren ergangen sei, als die Republikaner seine Kandidatur aufgestellt hatten und er in der Wahl jämmerlich verlor**). Aber wenn er in die Politik steigen und sich in der Kampagne mit Schmutz bewerfen lassen wolle, dann sei das seine Sache und er, Truman, werde ihm nicht im Wege stehen.

Letzte Woche gab Taft bekannt: »Wenn alle Versprechen ... die wir erhalten haben, in Delegierten-Stimmen umgesetzt werden können, haben wir bereits jetzt eine sichere Mehrheit der Convention ...

Abgesehen vom Kampagnen-Optimismus Tafts: Auch nach Eisenhowers »Ihr könnt mich haben« ist es sehr unsicher, daß die Ike-Leute mit ihren verhältnismäßig beschränkten Geldmitteln und ihrer jungen, wenig eingespielten Organisation Tafts Vorsprung noch einholen können. Sie können keine verbindlichen Posten-Zusagen machen wie Taft, auch wenn das Volk, Gallup und die wichtigen Zeitungen zu ihnen stehen.

Truman liegt flach und wartet schlau auf Anzeichen, daß sich die Anstrengunden der Ike-Gruppe totlaufen und es vollends unwahrscheinlich wird, daß die republikanische Convention Ike nominiert - um dann seine Kandidatur auszurufen und vielleicht doch noch mit Unterstützung der Gewerkschaften gegen Taft einen »Truman zu bauen« wie 1948. Diese Auslegung der Truman-Taktik gab Hubert Humphrey, einer der »Lieblingssöhne« des Präsidenten, die sich bei den Vorwahlen der Demokraten stellen und Delegierte für ihn organisieren - was nicht schwierig ist, denn die Demokratische Partei mag korrupt sein, aber sie hält besser zusammen als die Republikaner.

Die Staatsmänner des Westens und die NATO hoffen, daß entweder die Kombinationen der Ike-Leute oder die Trumans aufgehen, bereiten sich aber schon innerlich auf Taft vor und auf die Lockerung im Bündnissystem der USA, die er mit sich bringen würde. Nur ein Mann auf der internationalen Szene gab vor, von dem fieberhaften Betrieb am US-Präsidentschaftsring völlig unberührt zu sein: Rußlands Wyschinski. Sagte er: »Von mir aus kann er (Eisenhower) kandidieren. Ich habe nichts dagegen.«

*) Amerikas gegenwärtiger Wohlstand ist das wichtigste, wenn auch einzige pro-Truman-Faktum, das den Republikanern echten Respekt einflößt. **) Ein weiteres für Ike nicht unbedingt ermutigendes Beispiel: 1916 wurde der Oberste Bundesrichter Charles Hughes von den Republikanern nominiert, während er noch im Amt war. Aber damals gab es keinen Rivalen wie Taft. Außerdem verlor Hughes gegen Woodrow Wilson.

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