PFLICHTBESUCH
Zu der Veröffentlichung mit den beiden Photoaufnahmen über und unter der Schlagzeile »Nach dem Abmarsch der Panzer« möchte ich feststellen, daß mein Besuch an dem unruhigen Sektorenübergang Friedrichstraße am Samstag, dem 28. Oktober, durch das dortige Geschehen ausgelöst wurde. Ich hielt das für meine Pflicht, um persönlich einen Eindruck von der Lage zu gewinnen. Es ist richtig, daß ich bis zur weißen Markierungslinie ging, nicht richtig ist, daß ich den mir unmittelbar gegenüberstehenden Vopos und Ost -Berliner Reportern zugerufen hätte: »Ich komme im Auftrage des Herrn
Bundeskanzler.« Wohl aber sagte ich ihnen: »Warum schauen Sie uns so böse an - wir sind doch alle Deutsche!« Auch ist nicht richtig, daß mich amerikanische Militärpolizisten weggedrängt hätten. Sie versuchten nur, westliche Presse- und Rundfunkvertreter daran zu hindern, aus Versehen die Markierungslinie zu überschreiten.
Zum Abschluß dieser traurigen Begegnung zwischen Deutschen in
ihrer geteilten Hauptstadt rief ich noch hinüber, ich sei tiefbeschämt über diese Verhältnisse und könnte nur wünschen, daß wir einen Weg fänden, aus dieser traurigen Situation herauszukommen.
Berlin W 15 ERNST LEMMER
Bundesminister
für gesamtdeutsche Fragen
Lemmer