TERRORISMUS Phantom aus dem Libanon
Jahrelang galt sie der Polizei als Deutschlands gefährlichste Person. Die Schlagzeilen waren heftig: »Staatsfeind Nr. 1«, »Terrorchefin«, »Bomben-Barbara«. An Warnungen vor ihr fehlte es nicht: »Schießt sofort«, »unvorstellbar grausam«.
Im Fahndungsbuch stand hinter ihrem Namen »BEWA« - das amtsinterne Kürzel für bewaffnet. Die »Bild«-Zeitung widmete ihr eine ganze Serie, die den martialischen Titel trug: »Ich sterbe mit einer Kugel im Kopf«.
Von wegen: Am Dienstag vorletzter Woche betrat diese Frau, klein und fast zerbrechlich wirkend, Hand in Hand mit ihrem achtjährigen Sohn Jan Said die deutsche Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut. »Ich bin Barbara Meyer«, sagte sie, »und ich möchte nach Deutschland.«
Eiligst nahm ihr ein Konsularbeamter Fingerabdrücke ab, die er dann auf elektronischem Wege dem Bundeskriminalamt (BKA) nach Wiesbaden übermittelte. Wenig später kam die Bestätigung: Die »Selbstgestellerin« (Polizeijargon) werde weltweit als Mitglied der »Roten Armee Fraktion« (RAF) gesucht.
Aber niemand beim BKA, beim Verfassungsschutz oder bei der Karlsruher Bundesanwaltschaft mochte sich so richtig darüber freuen, daß auf der deutschen Kriminalkarte endlich ein weißer Fleck getilgt werden kann. Denn jetzt wird offenbar, daß die Fahnder gegen die vermeintliche Top-Terroristin peinlich wenig in der Hand haben. Zudem richtet Barbara Meyers Auftauchen nach fast 15 Jahren Untergrund das Augenmerk wieder aufs größte Fahndungsfiasko der deutschen Polizeigeschichte - die Suche nach den RAF-Terroristen der sogenannten dritten Generation.
Von den seit 1985 begangenen tödlichen Verbrechen, zu denen sich die RAF bekannte, ist kein einziges annähernd aufgeklärt - ausgenommen der Bombenanschlag auf die Frankfurter U. S. Air Base (2 Tote, 23 Verletzte). Dafür verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt inzwischen Eva Haule und Birgit Hogefeld zu lebenslanger Haft. Letztes RAF-Opfer war 1991 der Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder.
Während die RAF-Gründer und ihre unmittelbaren Nachfolger nach gezielter Polizeiarbeit oder zufällig ins Netz gingen, blieben die Terror-Enkel weitgehend Phantome - obgleich nirgendwo sonst auf der Welt ein vergleichbarer Aufwand zur Bekämpfung des Terrorismus getrieben wurde. Aber kein Land ist damit so gescheitert wie die Bundesrepublik. Forsche Fahnder ersetzten häufig ihr Nichtwissen und ihre Ratlosigkeit durch gröbste Beschuldigungen, auch im Fall der heute 42jährigen Barbara Meyer.
So verbreitete das Stuttgarter Landeskriminalamt vor Jahren, ihr und drei angeblichen Mittätern seien »schwerste Straftaten nachweislich zuzuordnen« - etwa die Morde an dem Münchner Industriellen Ernst Zimmermann vom Rüstungskonzern MTU und dem US-Soldaten Edward Pimental in Wiesbaden.
Als Barbara Meyer nach ihrer freiwilligen Rückkehr beim Karlsruher Ermittlungsrichter saß, hatten die Mannen von Generalbundesanwalt Kay Nehm allerdings nicht viel zu bieten. Nach derzeitigem Sachstand ist für die Strafverfolger der Vorwurf verjährt, die lange Gesuchte sei Mitglied in einer terroristischen Vereinigung; übrig blieb ein Haftbefehl wegen eines Überfalls auf einen Geldboten und wegen versuchten Sprengstoffdiebstahls im Sommer 1985.
Selbst hier ist die Beweislage nicht gerade üppig. Barbara Meyer hat bei ihrer Vernehmung die Anmietung einer Wohnung eingeräumt, in der möglicherweise der Überfall ausbaldowert wurde - und sie hinterließ auf der Batterie eines Scanners, mit dem Polizeifunk abgehört werden konnte, einen Fingerabdruck. Woher diese Batterie stammt, ist ungeklärt.
Die frühere Kauffrau und ihr gleichaltriger Mann Horst Ludwig Meyer, ein Starkstromelektriker, hatten sich Anfang der achtziger Jahre stark in der RAF-Sympathisantenszene engagiert. Sie besuchten inhaftierte Terroristen, arbeiteten bei der »Roten Hilfe« und dem »Komitee gegen Isolationsfolter«.
Im Herbst 1984 verschwand das Paar von der Bildfläche. Kurz danach erließ der Bundesgerichtshof einen Haftbefehl, der im Jahr darauf erneuert wurde.
Für die Polizei war klar, daß die Meyers im »Olymp des Terrors«, so ein Beamter, gelandet waren. »Beide gehören zur sogenannten Kommandoebene, die aus 20 bis 25 Personen besteht«, zitierte die Illustrierte »Quick« den BKA-Abteilungsleiter Klaus-Herbert Becker. »Sie sind unberechenbar, brutal, sehr gefährlich.« Die Quelle seines Wissens offenbarte Becker nicht. Lange Zeit glaubten die RAF-Sachbearbeiter in den Sicherheitsbehörden an eine Art Automatismus: Wer abtaucht, verdingt sich dem verbrecherischen Terrorismus. Dies wird mittlerweile in Polizeikreisen als ziemliche Fehlinterpretation gesehen.
Barbara Meyer, die jetzt in der Justizvollzugsanstalt Bühl einsitzt, soll nach Fahndereinschätzung »recht glaubhaft« ihren Rückzug in den Untergrund mit dem Hinweis erklärt haben, für sie sei nur illegal eine weitere Arbeit im RAF-Umfeld möglich gewesen. Als sie dann im September 1985 gelesen habe, sie sei des Mordes an Zimmermann verdächtig, verschwand sie völlig - wohl aus Angst.
Erst setzte sie sich nach Norwegen ab, von dort reiste sie nach Österreich. Etwa ein Jahr lang hielt sie sich in den beiden Ländern auf. Dann machte sie sich auf dem Landweg Richtung Syrien auf, um schließlich im Libanon seßhaft zu werden.
Die ersten Wochen verbrachte Barbara Meyer in einem Camp der »Volksfront zur Befreiung Palästinas« (PFLP). Militärischer Drill behagte ihr aber offenbar nicht. Sie meldete sich ab in eine PFLP-Schreibstube.
Auch hier hat sie sich nicht wohl gefühlt. Barbara Meyer bat darum, in einem Krankenhaus der libanesischen Küstenstadt Saida arbeiten zu dürfen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich von ihrem Mann Horst Ludwig schon längst getrennt. Sie lernte einen PFLP-Kämpfer kennen. Der wurde 1991 bei einer militärischen Aktion getötet - bald nach der Geburt des Sohnes Jan Said.
Gar nicht weit von ihr lebten andere Desperados. Italiener der »Roten Brigaden«, japanische Militante - und einige Deutsche. Ob sie mit denen in Kontakt stand, ist bislang nicht bekannt. Einer war der Arztsohn Christoph Seidler, wie Barbara Meyer als RAF-Spitzenkraft verdächtigt und als vermeintlicher Drahtzieher des Bombenanschlags auf den Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Alfred Herrhausen im Jahr 1989 international zur Fahndung ausgeschrieben.
Verfassungsschützern schwante schon recht früh, daß die Bekämpfung des Terrorismus durch die Polizei in der Erfolglosigkeit steckenbleiben könnte. Sie legten ein Aussteigerprogramm auf, das ein Kölner Beamter mit dem Decknamen »Hans Benz« organisierte.
Dem A-13-Beamten gelang es 1996, Seidler zur Rückkehr zu bewegen. Auch andere wie Magdalena Kopp, die Ex-Ehefrau des legendären Terroristen »Carlos«, hörten auf seinen Ratschlag.
Der Haftbefehl gegen Seidler ist längst aufgehoben. Ob jemals gegen ihn Anklage erhoben wird, ist ungewiß. Seine Aussagen und weitere Ermittlungen haben das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bereits im Juli letzten Jahres zu der Erkenntnis kommen lassen, einst so schwer Beschuldigte wie Barbara Meyer, ihr Mann Horst Ludwig sowie die ebenfalls steckbrieflich gesuchten Sabine Elke Callsen und Andrea Klump hätten die ihnen zugeschriebene Rolle im deutschen Terrorismus wohl nie gespielt. Jedenfalls gebe es »Zweifel an der tatsächlichen Zugehörigkeit« zum engeren RAF-Kreis, so ein BfV-Papier.
Die RAF selbst hat vor 14 Monaten in einer vorerst letzten Erklärung ihr Ende verkündet. Das Dokument schloß mit einem Wort von Rosa Luxemburg: »Die Revolution sagt: Ich war, ich bin, ich werde sein.«
Eine solche Zukunftsprognose interessierte Barbara Meyer mitnichten. Ende 1998 meldete sie sich aus freien Stücken, ohne Vermittlung von Benz, bei dem Frankfurter Rechtsanwalt Eberhard Kempf. Es dauerte bis zum 4. Mai 1999, ehe sie sich zur Rückkehr entschloß: Der entscheidende Grund war die Sorge um Jan Said; er soll hier zur Schule gehen und lebt bei einem Bruder.
Barbara Meyer weiß, daß sie nun wahrscheinlich längere Zeit sitzt. Eine BKA-Sonderkommission sichtet noch einmal alle alten Akten, neue methodische Ansätze sollen gefunden werden, um den »potentiellen Täterkreis« von damals durch »fundierte Erkenntnisse« vielleicht eingrenzen zu können.
Viel ist nicht da: ein paar Fingerabdrücke, Zigarettenstummel, Haare. DNS-Profile liegen bereit, um sie mit dem Gen-Material weiterer auftauchender Verdächtiger zu vergleichen - im Fall Meyer soll die Prozedur schon bald beginnen. Allerdings hat sie vor dem Ermittlungsrichter ausgesagt, an keinem der ungeklärten Anschläge beteiligt gewesen zu sein.
Ob es bei der Nacharbeit überhaupt Erfolge geben kann, ist zweifelhaft. Auch Generalbundesanwalt Nehm denkt nun anders: Mittwoch letzter Woche ordnete er an, bundesweit alle alten RAF-Fahndungsplakate abzuhängen und im Archiv zu versenken. GEORG BÖNISCH, GEORG MASCOLO