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Paraguay Piraten des Chaco

General Stroessners korruptes Erbe lebt fort: Hehler, Schmuggler und Drogenhändler haben Hochkonjunktur.
aus DER SPIEGEL 10/1991

Jede Woche erkundigt sich die Anruferin nach den Konsumträumen ihrer ausgesuchten Kundschaft. »Wie wäre es mit einem Mikrowellenherd«, will sie wissen, »brauchen Sie einen neuen Videorecorder?«

Die Interessentinnen, zumeist Hausfrauen aus der Mittel- und Oberschicht von Sao Paulo, schätzen den Service. Mühelos wie bei einem Versandhaus können sie die Waren - vom Whisky bis zum Kleincomputer - ordern, die Bestellungen sind außerdem unverbindlich. Wenige Tage später meldet sich die vertraute Stimme wieder am Telefon: »Ihr bezaubernder englischer Kaschmirpullover ist eingetroffen, dazu auch der Sony-Fernseher.«

Für die prompte Erledigung der Aufträge sorgen Tausende von Schmugglern, die jedes Wochenende 30 Stunden lang geduldig im Bus nach Paraguay sitzen, 1200 von Schlaglöchern übersäte Straßenkilometer hin, 1200 zurück. Nur an der Grenze kribbelt es auch den Routiniers im Magen: An der Willkür, mit der die brasilianischen Zöllner die Fahrzeuge auf dem Rückweg kontrollieren, ändert sich trotz erheblicher Bestechungsgelder nichts.

Risiko und Strapazen verderben aber keineswegs das Geschäft: Die »Mulas« (Maultiere), wie die Warenschlepper heißen, verdienen bis zu 1000 Dollar im Monat, und ihre Abnehmer zahlen für die internationalen Markenartikel im Regelfall nur die Hälfte des Preises vergleichbarer, oft minderwertiger brasilianischer Produkte.

Doch während die fleißigen »Ameisenschmuggler« (so die Tageszeitung Globo) die Wohlhabenden in der Megalopolis Sao Paulo versorgen, stöhnt Brasilien unter der Plage von Schiebern und hochgerüsteten Diebesbanden, die jedes Jahr Milliardenwerte in die Gegenrichtung nach Paraguay schaffen, vor allem Autos, Lebensmittel, Edelhölzer und geschützte Tiere. Mehr als 300 brasilianische Lkw-Fahrer wurden ermordet, ihre Fahrzeuge verschwanden samt Fracht über die durchlässigen Grenzen ins Nachbarland. »Das legendäre Refugium der Piraten in der Karibik«, bemerkt der argentinische Autor BenjamIn Venegas, »hat sich ins Herz von Südamerika verlagert.«

Schon unter dem Regime des deutschstämmigen Generals Alfredo Stroessner, der sich in 35 Regierungsjahren ein gewaltiges Vermögen zusammenstahl, »bestand der Daseinszweck des Landes im Schmuggel«, befand der Miami Herald. Der Caudillo liebte, ähnlich wie sein legendärer Vorgänger Carlos Antonio Lopez Mitte des vergangenen Jahrhunderts, Paraguay mit solcher Leidenschaft, daß ihm am Ende fast die Hälfte davon gehörte.

Die rechte Hand Stroessners, Vize-Armeechef Andres RodrIguez, der den Diktator im Februar 1989 stürzte, löste zwar die Fesseln der Opposition und versprach die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung, doch an der »Kleptokratie« (Financial Times) rührte er nicht.

Der Nachfolger des »landeseigenen Hitler«, klagt Domingo LaIno von der liberalen Partei PLRA, »unternimmt nichts gegen die Korruption«. Der US-Wissenschaftler Riordan Roett, Direktor des Latin American Studies Program an der Johns Hopkins University in Baltimore, beobachtete sogar eine »dramatische Eskalation«, das Schmuggelgeschäft wurde noch perfektioniert.

Trügerische Hoffnungen, daß RodrIguez das organisierte Verbrechen eindämmen werde, weckte kurzfristig der gewaltsame Tod von Yusef Ernest Gardeman, einem der ganz großen Bandenchefs. Obwohl 400 Pistoleros für ihn arbeiteten, wurde er gemeinsam mit seiner Frau (und seinem Hund) von Maschinengewehrsalven niedergestreckt. Der Mord erwies sich aber nicht als Beginn einer Säuberungswelle, Gardeman hatte lediglich einem falschen Leibwächter vertraut. »Er wurde umgelegt«, erkannte bald ein Polizeioffizier, »damit die Gewinne unter noch weniger Personen aufgeteilt werden können.«

»Der Schmuggel«, so Roett, »ist jetzt so selbstverständlich, daß bei Analysen der Handelsbilanz die offiziellen Ein- und Ausfuhrdaten kaum noch beachtet werden.« Mit illegalem Warenhandel verdienen Diebe, Hehler und Schmuggler jährlich etwa eine Milliarde Dollar - ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Paraguays. Heikle, aber einträgliche Geschäfte werden über etwa 2000 sorgfältig getarnte Flugpisten abgewickelt.

Das unscheinbare Binnenland im Schatten mächtiger Nachbarn profitiert von seiner geopolitischen Lage: Spätestens seit den Zeiten der »French Connection« in den siebziger Jahren fließen Drogen aus Bolivien und Kolumbien via Paraguay nach Europa und USA. In den fast menschenleeren Weiten der Chaco-Ebene erspähten US-Aufklärungssatelliten weitläufige Marihuanafelder. Auch als Waffenumschlagplatz für rechtsradikale Europäer und südamerikanische Todesschwadronen ist das Land gut im Geschäft.

Flinke Händler nutzten die Hyperinflation in Argentinien für Elektronikimporte zu Spottpreisen. Uruguay und Brasilien stellen dem Binnenland jeweils einen Zollfreihafen zur Verfügung. Paraguay selbst erhebt keine Importsteuern, um den größten Supermarkt Lateinamerikas nicht zu gefährden.

Auch bei offensichtlichem Diebesgut stellen sich die Behörden blind. Die Hälfte aller registrierten Autos wurde zuvor in Brasilien oder Argentinien gestohlen, sogar das Heer ist mit Fahrzeugen ohne gültige Papiere ausgerüstet. In plombierten Lkw verlassen jedes Jahr etwa zwei Millionen Sack Kaffee und 560 000 Tonnen Soja »made in Paraguay« das Land, obwohl die heimische Produktion kaum einen Bruchteil davon ausmacht. »Unsere Nachbarn vollbringen ein Wunder der Multiplikation«, spottet Brasiliens Globo.

Im vergangenen August enthüllte die vom World Wide Fund for Nature unterstützte Umweltschutzorganisation Traffic einen weltweiten Handel mit 40 000 Kaimanhäuten aus dem brasilianisch-bolivianischen Naturparadies Pantanal, in den paraguayische Regierungsspitzen verwickelt waren. Außerdem werden vom Aussterben bedrohte Affen und Papageien über die Hauptstadt Asuncion in die Industrieländer verschickt.

Präsident RodrIguez beklagte dagegen, daß jede Woche fünf bis sieben einheimische Babys an reiche Nordamerikaner verkauft würden, und empfahl den Medien, diesem häßlichen Geschäft nachzuspüren.

Inzwischen sind einige mutmaßlich am Tierhandel Beteiligte auf mysteriöse Weise umgekommen. »Das Leben zählt hier sehr wenig«, sagt der Polizeichef der Grenzstadt Ciudad del Este, die bis zum Machtwechsel in Asuncion noch Puerto Stroessner hieß, »die Leute lösen die Probleme, indem sie ihre Gegner umbringen.« o

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