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Pläne für den Tag danach

Kanzler Brandts Berlin-Junktim scheint sich zu bewähren. Die Bundesregierung rechnet damit, daß bis Ende August eine »befriedigende Berlin-Regelung« vorliegt und im Frühsommer nächsten Jahres die Ostverträge im Bonner Parlament ratifiziert werden. Brandt will seine Ostpolitik mit der Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen und mit der zuerst von Moskau geforderten europäischen Sicherheitskonferenz krönen.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Willy Brandt will eine Feier zu seinem größten diplomatischen Erfolg arrangieren, dessen Preis es sein wird, daß er selbst nicht Gastgeber sein kann.

Ende dieses Jahres, so plant der Kanzler, sollen die Außenminister der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs anläßlich der Unterzeichnung eines Berlin-Abkommens in der ehemaligen Reichshauptstadt zusammentreffen -- zwölf Jahre nach ihren letzten erfolglosen Berlin-Verhandlungen in Genf und knapp anderthalb Jahre nachdem Brandt in Moskau vom sowjeti-

* Gromyko in Ost-Berlin mit DDR-Außenminister Otto Winzer, Douglas-Horne in West-Berlin an der Mauer.

schen KP-Chef Leonid Breschnew eine »befriedigende Berlin-Lösung« gefordert hat.

Kommt das Vierer-Treffen zustande, wäre das Hindernis Berlin auf dem Weg zur Entspannung in Europa demonstrativ beseitigt. Brandts Abwesenheit würde zeigen, was die Bundesrepublik dafür bezahlen mußte -- eine Einschränkung der Bundespräsenz.

Die Chancen des West-Berliners Brandt, Berlin den vieren eine Reise wert zu machen, stehen nicht schlecht.

Selbst Springers »Welt«, die noch Mitte Juli nach einer Information des SPIEGEL über Brandts Plan ein »herzhaftes Gelächter« der »westlichen Diplomaten« registriert haben wollte, bereitete ihre Leser vorige Woche auf die neue Lage vor. Der Axel-Springer-Inland-Dienst (ASD) berichtete von Plänen »aus der unmittelbaren Umgebung des Bundeskanzlers«, die Berlin-Verhandlungen mit einem Treffen der vier Außenminister William Rogers (USA), Alec Douglas-Home (Großbritannien), Maurice Schumann (Frankreich) und Andrej Gromyko (UdSSR) »feierlich« abzuschließen.

Ob es zu dem Berliner Kongreß kommen wird, von dem sich Brandt einen Klima-Umschwung zugunsten der Ratifizierung seiner Ostverträge verspricht, hängt nicht zuletzt vom Kompromiß-Geschick jener vier Unterhändler ab, die seit fast einem Jahr im Berliner Kontrollratsgebäude um den Status der Halbstadt feilschen.

Noch in dieser Woche, in der sich der Bau der Berliner Mauer zum zehnten Male jährt, soll der Durchbruch gelingen. In einer Vier-Tage-Session wollen die vier Botschafter über die noch verbliebenen Streitpunkte aus dem Berlin-Paket beschließen -- »alles dicke Brocken«. wie Walter Scheels Bonner Stallwache, AA-Staatssekretär Karl Moersch. meint.

In der Tat sind noch vier wichtige Punkte strittig:

* der Umfang der Bundespräsenz in

West-Berlin,

* die Außenvertretung der Teilstadt

durch die Bundesrepublik,

* die Errichtung eines sowjetischen

Generalkonsulats und

* die Kontrollrechte der DDR auf den Zugangswegen nach Berlin.

Auch Randprobleme wie die Definition des Vertragsgegenstands Berlin bedürfen noch eines diplomatischen Kompromisses. Während die drei West-Botschafter Kenneth Rush (USA), Roger Jackling (Großbritannien) und Jean Sauvagnargues (Frankreich) darauf bestehen, Verhandlungsgegenstand seien die vier Sektoren der alten Reichshauptstadt, will Sowjetbotschafter Abrassimow nur über West-Berlin abschließen. Mögliche Einigungsformel: In den Vertragsdokumenten erscheint Berlin als »Region, über die verhandelt wurde«.

Gelingt es den vier Unterhändlern, bis zum Mauertag am 13. August alle dicken Brocken abzutragen, dann folgen nach den Planungen der Sieger-Mächte in der ersten Verhandlungsetappe nur noch zwei -- mehr formale

Verhandlungsrunden. In der einen sollen eventuell nachgeschobene Wunsche der vier Regierungszentralen ausgehandelt, in der zweiten die Texte geglättet und verabschiedet werden.

Dann -- Ende August -- sollen die beiden deutschen Unterhändler Egon Bahr (West) und Michael Kohl (Ost) endlich »grünes Licht« (Bahr) für ihre Verhandlungen über die Einzelheiten eines Verkehrsabkommens zwischen Bundesrepublik und DDR erhalten, das anschließend in das alliierte Vertragswerk eingebettet wird.

Vom Berliner Außenminister-Treffen erhofft sich die Bonner Koalition genügend Beifall in der Öffentlichkeit. um sich der risikoreichen Ratifizierungsdebatte in Bundestag und Bundesrat im Frühsommer nächsten Jahres stellen zu können.

Kanzler Brandt plant jetzt schon für den Tag danach. Als Entgelt für die »befriedigende Berlin-Regelung« hält er für seine beiden Haupt-Kontrahenten UdSSR und DDR zwei Eintrittskarten bereit. Erich Honeckers DDR, bislang als Staat zweiter Klasse behandelt, soll während der Uno-Herbstsession 1972 gleichrangig mit der Bundesrepublik in die Vereinten Nationen aufgenommen werden.

Brandts zweites Billett gilt für eine Spätvorstellung, auf die sich die Sowjet-Union inzwischen nicht mehr recht freuen kann. Brandt will das Seine dazu tun, daß zwischen dem Herbst 1972 und dem Frühjahr 1973 endlich Moskaus Wunsch nach einer Konferenz für die Sicherheit in Europa (KSE) in Erfüllung geht, den die Sowjets zum erstenmal im Frühjahr 1970 vorgebracht hatten. Damals noch hatten sie eine solche Konferenz für ein notwendiges Vehikel einer beiderseitig ausgewogenen Truppenreduzierung in Mitteleuropa gehalten.

Nachdem die Amerikaner aber eine solche Truppenreduzierung auch ohne KSE in Aussicht stellen, hat das sowjetische Interesse an einem gesamteuropäischen Sicherheits-Gespräch merklich abgenommen.

Bei einer solchen Konferenz könnten zwar -- auch für die Moskauer vorteilhafte -- ökonomische und kulturelle Vereinbarungen getroffen werden. Aber die Sowjet-Union würde, so kalkulieren die außenpolitischen Planer im Kanzleramt, einer Entwicklung ausgesetzt, mit der die Großmacht USA in ihrer Einfluß-Sphäre seit langem leben muß: Denn wie die Westeuropäer neben den Amerikanern würden erstmals auch die Junior-Partner des Warschauer Paktes gleichberechtigt neben der Großmacht Sowjet-Union am Verhandlungstisch sitzen.

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