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SOWJET-HANDEL Planmäßig unterbrochen

aus DER SPIEGEL 43/1966

Mit 24 Stunden Verspätung trafen Bonns Unterhändler - wegen dichten Nebels über Moskau für eine Nacht nach Helsinki verschlagen - in der sowjetischen Hauptstadt ein. Als sie am Donnerstag letzter Woche abreisten, war deutlich geworden: Bonn hat im Sowjet-Handel Jahre verloren.

Sonderbotschafter Egon Emmel vom Auswärtigen Amt und Ministerialrat Walter Steidle vom Bundeswirtschaftsministerium waren in der vorletzten Woche nach Moskau geflogen. Sie wollten den seit 1964 bestehenden vertragslosen Zustand im deutsch-sowjetischen Handel beenden. Seit das 1960 signierte Handelsabkommen am 31. Dezember 1963 abgelaufen ist, tauschen deutsche Firmen ihre Erzeugnisse mit den Sowjets lediglich aufgrund unverbindlicher Warenlisten aus. Das Geschäft schrumpfte zusehends:

- 1964 wickelten Außenhandelsfirmen noch Ein- und Ausfuhrgeschäfte über insgesamt 1,3 Milliarden Mark ab;

- 1965 kamen sie auf Abschlüsse von nicht einmal 1,1 Milliarden.

Im vorletzten Jahr brachten die deutschen Verkäufe noch 774,3 Millionen Mark ein; im vergangenen Jahr lediglich 586,2 Millionen Mark.

Als Botschafter Emmel am Dienstag vorletzter Woche erstmals mit dem sowjetischen Handels-Politruk Andrej Manschulo im Außenhandelsministerium zusammentraf, bemühte er sich, sein Gegenüber von dem deutschen Handelswillen zu überzeugen.

Um sowjetische Empfindlichkeiten nicht zu verletzen, sollte er unter keinen Umständen das Wort »Berlin« im Munde führen. 1964 war die Prolongierung des alten Handelsabkommens vor allem daran gescheitert, daß Bonn auf der Aufnahme einer sogenannten Berlin -Klausel in den Vertrag bestanden hatte.

Mit dieser Klausel, die in ähnlichen Osthandelsverträgen - so im Warenabkommen mit Rumänien - enthalten ist und Berlin als einen Teil der Bundesrepublik definiert, versuchte Bonn bisher, Moskaus Theorie von der Existenz dreier deutscher Staaten entgegenzutreten.

Zunächst schien es, als ob den Sowjets Emmels salvatorische Berlin-Abstinenz genüge. Nach der ersten Zusammenkunft lud Manschulo die Deutschen ins Restaurant »Praga« ein, wo im vorbestellten Separee ein Mittagessen dampfte. Emmel und seine Begleiter schöpften Zuversicht. Die erste Verhandlungsrunde hatten sie ohne ein sowjetisches Veto hinter sich gebracht.

Von da an aber nahm Emmel keine Hürde mehr. Als er auf der nächsten Sitzung eine Ausnahmeliste von strategischen Gütern vorlegte, die nach Bonner Auffassung nicht Gegenstand eines künftigen Handelsabkommens sein dürfen, zeigte sich Manschulo reserviert. Bis heute haben die Sowjets der Bundesregierung nicht verziehen, daß sie im Dezember 1962 den Düsseldorfer Röhrenkonzernen Mannesmann und Phoenix-Rheinrohr untersagte, der Sowjet-Union vertraglich bereits zugesicherte Großrohre zu liefern.

Bei kaukasischem Mineralwasser flößte Manschulo seinen Gästen den sowjetischen Standpunkt ein: Seine Regierung sei durchaus an den angebotenen Konsumgütern wie etwa Grundig-Tonbandgeräten interessiert. Mit den diskriminierenden Einschränkungen könne sie sich aber nicht einverstanden erklären. Schließlich stelle auch die Sowjet-Union ihr ganzes Warenangebot ohne Ausnahme frei zur Wahl.

Kaum daß Emmel sich im fünften Stock des Ministeriums die Abfuhr geholt hatte, machten die Sowjets deutlich, daß sie auf diese Bonner Offerte nicht angewiesen seien. Höflich empfingen sie am letzten Donnerstag eine 20köpfige italienische Handels-Delegation unter Leitung Giulio Sachis vom Mailänder Ölkonzern Eni. Sachi kam, um Einzelheiten des geplanten Baus einer 1500 Kilometer langen Erdgas-Pipeline von der Ukraine nach Oberitalien zu besprechen. Voraussichtliche Kosten: 200 Millionen Mark.

Seit der italienische Fiat-Konzern am 15. August dieses Jahres den Vertrag über die Lieferung einer kompletten Automobilfabrik mit einer Jahreskapazität von 600 000 Personenwagen abschloß, ist Italien Moskaus liebster Handelspartner. Allein das Fiat-Werk, dessen Bau Rom mit Krediten von 1,5 Milliarden Mark und 15 Jahren Laufzeit fördert, kostet die Sowjets 3,5 Milliarden Mark.

Zum Ärger Bonns steht Italien nicht allein. Mit Moskau verhandeln derzeit:

- die staatliche französische Automobilfabrik Regie Renault; sie soll die Moskauer Moskwitsch-Fabrik ausbauen und die Produktion von jetzt 80 000 auf 350 000 Wagen jährlich steigern;

- die japanische Toyota Motor Company; sie soll jährlich 500 000 Personenwagen ihrer Typen »Crown« und »Corona« in der Sowjet-Union herstellen;

- die englische Automobilfirma Leyland Motor Corporation; im Juli verhandelte sie mit den Russen über den Bau einer Omnibusfabrik.

Während sich die Gespräche mit Briten, Franzosen und Japanern gut anließen, verschlechterte sich Emmels Position. Zu Beginn der zweiten Verhandlungswoche drängte Manschulo: Am Donnerstag müsse er bereits mit der finnischen Regierung verhandeln. Bis Mittwoch müsse daher das Gespräch beendet sein.

Für einen erfolgreichen Abschluß freilich reichte Emmels Marschplan der politischen Kleinstschritte nicht aus. Gegen den bedingungslosen Handel seiner Freunde kam er damit nicht an. Seine Direktiven waren von vorgestern.

Am Donnerstagmorgen vergangener Woche ließ der deutsche Sonderbotschafter verkünden, die Gespräche seien »wie vorgesehen unterbrochen« worden. Vier Stunden später war er wieder in Wahn.

Sonderbotschafter Emmel (l.) in Moskau*

Kleine Schritte ins Nichts

* Rechts: Bonns Moskau-Botschafter Gebhardt von Walther.

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