FDP Platz frei
In einem Brief an »liebe Parteifreunde« erkundigte sich der Vorsitzende der Jungliberalen ("Juli"), Guido Westerwelle, was denn aus dem FDP-Versprechen zur Wahl 1983 geworden sei, die Partei werde gegen die Diskriminierung von Minderheiten kämpfen. Nur ein paar lauwarme Worte kamen als Antwort. »Das Thema«, merkte Westerwelle, »ist nicht mehr gefragt.«
Was der Juli-Chef in jüngster Zeit erlebte, hat ihn beinahe irre werden lassen an seiner FDP: »Es ist die Frage, ob sie in der Innen- und Rechtspolitik überhaupt noch die Freiheit garantiert.« Den jungen Freidemokraten hat die »Schreckensvorstellung« befallen, »daß die FDP umkippt zur wirtschaftlichen Interessenvereinigung«.
Die Sorgen aus dem Parteinachwuchs werden auch vom geschrumpften Häuflein derer geteilt, die aus sozialliberaler Zeit ein anderes FDP-Gefühl hegen. Je näher die Termine der Landtagswahlen in Berlin und im Saarland (10. März) sowie in Nordrhein-Westfalen (12. Mai) heranrücken, um so mehr wird die Partei auf neuen Kurs getrimmt.
Wurden früher - etwa auf dem Freiburger Parteitag 1972 - soziale Reformen propagiert, gilt eine solche Einstellung - das zeigte die Diskussion über die Ergänzungsabgabe - heute nur noch als »Neidhammelei« (FDP-MdB Josef Grünbeck). Auf dem Landesparteitag der nordhrein-westfälischen FDP in Gütersloh feierten die Liberalen in höchsten Tönen nicht mehr die soziale, sondern nur noch Marktwirtschaft pur, Leistung und Wettbewerb. Bei der Vorstellung der Landtagskandidaten wurden Handwerker und Unternehmer begeistert beklatscht; der Kongreß tanzte um ein goldenes Kalb: den Mittelstand.
An die Gesellschaftsreformer von gestern und die wenigen überlebenden Linken, richtete Ex-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff in gewohnter Schroffheit sein Schlußwort: »Den politischen Wandel« hätten sie wohl »verschlafen oder nicht verstanden«.
Wie der Wind weht, zeigte auch die Nominierung des Bundestagsvizepräsidenten kurz vor Weihnachten in der FDP-Fraktion. Gewählt wurde Dieter Julius Cronenberg; Beruf: Unternehmer. Acht Stimmen erhielt Hildegard Hamm-Brücher, Prunkstück einer vergangenen FDP.
Anfang Januar will sich der Rest-Linke Burkhard Hirsch bei der Wahl eines Nachfolgers für Cronenberg im Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden bestätigen lassen, daß Politiker wie er derzeit nichts zu melden haben. »Das geht wie bei mir«, prophezeit Frau Hamm-Brücher. Ihr Eindruck: »Es gibt einen neuen Wende-Ruck, wie ich das nicht erwartet habe.«
Lange Zeit hatten sich die einstigen Wendegegner, die im Herbst 1982 gleichwohl die Partei nicht verlassen mochten, vertrösten lassen. Sie erfreuten sich des Beifalls auf Parteitagen; Frau Hamm-Brücher und Hirsch bekamen die meisten Stimmen bei der Wahl der frei nominierten Kandidaten in den Vorstand. Nun sei es dringlich, so lautete die Parole aus der FDP-Führung, die Partei zu konsolidieren und neue Wählerschichten fester an die Partei zu binden. »Wir müssen erst durch«, bekam auch der stellvertretende Parteivorsitzende Gerhart Baum oft genug zu hören, »aber wir brauchen Sie.«
Da gingen die Überlebenden der verblichenen sozialliberalen Ära in die innere Emigration - vorübergehend, wie sie glaubten. Sie pflegten ein paar alte rechtspolitische Themen, bockten dann und wann gegen CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann und wurden immer mal wieder beschieden, es sei schon recht so; nur freilich, ganz so laut sollten sie's nicht treiben.
Inzwischen wächst bei den Vertrösteten der Verdacht, man habe sie mit leeren Versprechen hereingelegt, sie selber seien in der neuen Partei unerwünschte Elemente. »Ich glaube, wir sollen nicht auf die Reservebank, sondern ganz weg«, ahnt Frau Hamm-Brücher. Ihre »ursprüngliche Hoffnung«, sagt sie, »daß die Bandbreite der Liberalen, in Personen und Politik, wiederhergestellt wird, schwindet«.
Das ist wohl so. Zwar sagen die FDP-Oberen nicht offen, Linksliberale
gehörten nicht mehr zur neuen FDP. Aber manche in der Fraktion halten deren Umtriebe schon für parteischädigend.
Die einst prominente Bildungspolitikerin Hildegard Hamm-Brücher findet nirgendwo Verständnis mit ihrer Klage, das neue Hochschulrahmengesetz mache die Universitätsreform rückgängig. Der linke Vorwurf, Justizminister Hans Engelhard zerstöre den traditionellen Ruf der FDP als Partei der Rechtsstaatlichkeit, wird als Störmanöver empfunden.
Engelhard gilt den meisten neuen Liberalen jetzt als positive Leitfigur - gerade weil er so unauffällig bleibt. Die Erinnerung an das Freiburger Reformprogramm, mit dem die FDP vor dreizehn Jahren Unternehmen und Arbeitnehmer zusammenführen wollte, wirkt für viele schon peinlich.
»Das war in einer bestimmten historischen Situation richtig«, erläuterte der NRW-Landesvorsitzende und Staatsminister Jürgen Möllemann die Lage, »jetzt gibt es neue Aufgaben.«
In Nordrhein-Westfalen soll bei den Landtagswahlen die neue Linie erprobt werden. Dort will sich die FDP in entschiedener Abkehr von sozialliberaler Vergangenheit eine feste Klientel beschaffen und sich, wie der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß schon immer empfohlen hat, rechts von der Union etablieren, gefeit gegen jedwede soziale Anwandlung.
Die Volkspartei CDU/CSU, die es allen recht machen will, werde es - so das Konzept der rechten FDP-Strategen - mit einem Teil ihrer Wähler sicher verderben, durch Sozialpolitiker vom Schlage Norbert Blüms oder Heiner Geißlers. Die beiden sind zu Wunschgegnern avanciert, ausersehen, der FDP alle unzufriedenen Unionssympathisanten zuzutreiben. Eine Marktwirtschaft lohnt sich, so das Partei-Credo, in der Leistungsfähige viel Geld verdienen und wenig Steuern zahlen müssen.
Mit ihrem erfolgreichen Kampf gegen jede Form einer Ergänzungsabgabe haben sich die Liberalen in den neuen Freundeskreisen schon einen guten Namen gemacht.
Ihnen kam die lange Diskussion darüber zupaß, ob Besserverdienenden ein Ersatz für die verfassungswidrige Zwangsanleihe zugemutet werden könne; den CDU-Sozialpolitikern von Blüm bis Lothar Späth sei gedankt.
Die Wirtschaftspartei auf Kurs: Im NRW-Wahlprogramm heißt es, die 1951 von CDU und SPD gemeinsam beschlossene Montan-Mitbestimmung solle abgeschafft werden - eine Provokation für Gewerkschaften wie für linke Christdemokraten. »Die CDU hat ein Problem«, höhnt Möllemann, »im Ruhrgebiet ist sie eine katholische SPD. Da läßt sie einen beachtlichen Platz für uns frei.«
Um die neue Kundschaft nicht zu verprellen, sind manche in der Wende-FDP dabei, sich von alten Traditionen zu trennen. »Da läuft eine Diskussion«, hat der hessische FDP-Chef Wolfgang Gerhardt gemerkt, »ob in der Rechtspolitik noch Kontinuität gewahrt wird.«
Die Gegner sitzen vor allem in der Bonner Fraktion. Allenfalls »ein halbes Prozent« an Wählerstimmen (Möllemann) sei mit Prinzipientreue zu gewinnen.
Doch an der Basis, in Kreis- und Ortsverbänden, gibt es noch Anhänger der sozialliberalen Koalition. Viele Funktionäre, weiß Fraktionsvize Hans-Günter Hoppe, »würden ihre Arbeit niederlegen, wenn wir hingingen und sagten: was heißt Schutz des Individuums«.
Auch der Generalsekretär geht daher behutsam vor. Er fürchtet zwar nicht, daß neue Wähler durch altliberale Gedanken erschreckt werden könnten, aber er gibt zu: »Das Wächteramt auf diesem Gebiet ist nicht mehr treibende Kraft.«
Haussmann will der Partei anderweitig durch modernen Appeal wieder Profil verschaffen, denn auch er hat das »Gefühl, außer Steuer- und Wirtschaftspolitik sehen manche nichts anderes mehr«. Der Parteimanager: »Was früher Rechtsstaat für uns bedeutete, sind heute Umweltthemen.«
Wählerwirksam soll sich die Partei auch in der Außen- und Deutschlandpolitik darstellen, »je länger die Koalition dauert«. Dort müsse sie, meint der Generalsekretär, den Kontrapunkt setzen zu jenen in der Union, denen die Ostpolitik seit 1969 immer schon ein Greuel war. Seine Hoffnung: »Die Leute sehen dann, was sie an der FDP haben.«
Auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart will sich der alte FDP-Vorsitzende Hans-Dietrich Genscher bereits in dieser Rolle präsentieren. Fraglich ist, ob auch dessen nominierter Nachfolger, Wirtschaftsminister Martin Bangemann, als Umweltschützer mitspielt, wie Haussmann sich das wünscht, oder ob er sich an den Mittelstand wendet, wie Vorgänger Lambsdorff verlangt.
Was allerdings in Bonn passiert, wenn die FDP bei den drei Landtagswahlen '85 untergeht, ist noch nicht ausgemacht. Immerhin: Es wird etwas passieren. Haussmann hat eine »Grundstimmung« geortet, »die alles neu machen will«. Juli-Chef Westerwelle erwartet dann »ein Schlachtfest«.