ITALIEN Platz im Pantheon
In diesem Land werden zwar reuige Terroristen begnadigt«, empörte sich der italienische Historiker Ugoberto Alfassio Grimaldi, »aber gegenüber den Gebeinen eines vor 33 Jahren Verstorbenen läßt man keine Gnade walten. Das ist doch absurd.«
In einem offenen Brief an Staatspräsident Pertini sprach sich der angesehene Professor dafür aus, die sterblichen Überreste des 1947 im ägyptischen Exil verstorbenen Königs Viktor Emanuel III. und seiner Gemahlin Elena nach Rom zu überführen. Das sozialistische Parteiblatt »Avanti« druckte den Brief prompt ab, obgleich die Sozialisten streng anti-monarchistisch sind.
Über 30 Jahre lang war der Herrscher aus der Dynastie Savoyen für die meisten Italiener kein Gesprächsstoff mehr, doch jetzt kommt wieder Interesse an dem »kleinen König« (Größe: 1,55 Meter) auf.
Das Staatsfernsehen RAI beschäftigte sich in einer mehrteiligen Folge mit dem wankelmütigen Monarchen, der Mussolini in den Sattel half, 1940 die italienische Kriegserklärung unterzeichnete, dann aber dabei behilflich war, Italien für die alliierte Seite zu gewinnen. Im Mai 1946 schließlich -- in der vergeblichen Hoffnung, die Monarchie noch zu retten -- dankte er zugunsten seines Sohnes Umberto II. ab.
Die größte Zeitung des Landes, der »Corriere della Sera«, veröffentlichte Auszüge aus den königlichen Tagebüchern, und vor kurzem erschien eine Biographie über den Savoyer, der immerhin 46 Jahre lang regierte.
Sergio Boschiero, Generalsekretär der Monarchistischen Union, sieht in all dem schon Zeichen für eine Tendenzwende: »Die Leute flüchten aus der chaotischen Gegenwart in die Vergangenheit«, freut er sich. Seine Union verteilt Karten mit Bildern des Königspaares und dem Text: »Schluß mit dem Exil der Toten. Das Pantheon wartet auf sie«.
Nicht nur Nostalgiker um Boschiero wollen ihren König -- wenigstens als Toten -- wiederhaben. Ende Juli beantragten 262 Abgeordnete und Senatoren, darunter Christdemokraten, Liberale und Sozialisten, den Monarchen nebst Gattin im altrömischen Göttertempel Pantheon zu bestatten.
Einer der bekanntesten italienischen Publizisten, Giorgio Bocca, fügte als zusätzliches Argument an, auch der für Italien viel verhängnisvollere Mussolini sei schließlich in der Heimat beerdigt.
Ganz entgegengesetzt argumentiert Giampaolo Pansa, Vize-Chef der linken römischen Zeitung »La Repubblica": Mussolini liege in einer Familiengruft im Provinznest Predappio; ein Grab für Viktor Emanuel III. im Pantheon im Herzen Roms sei jedoch ein »offizieller Gnadenakt der Republik« für einen Kriegsverbrecher, und das könne man keinesfalls zulassen.
Die Bestseller-Autorin Camilla Cederna, die 1978 mit ihren Korruptionsenthüllungen zum Sturz des damaligen Staatspräsidenten Leone beitrug, pflichtete Pansa bei. »Warum«, fragte sie, »sollen wir uns eigentlich diejenigen als Tote wiederholen, von denen wir uns zu ihren Lebzeiten mühsam befreit haben?« Monarchie-Gegnerin Cederna fürchtet, das Savoyer-Grab in dem vielbesuchten Pantheon könne zu einem Wallfahrtsort für Ewig-Gestrige und Neofaschisten werden.
Dabei könnte die Heimkehr der Königsgebeine dem Monarchismus in Italien wohl kaum wieder zu neuer Blüte verhelfen. Zwar stimmten im Juni 1946, beim Volksentscheid über die Frage Monarchie oder Republik, immerhin noch 10,3 Millionen für den Thron, und die Republikaner siegten mit nur 1,8 Millionen Stimmen mehr.
Dann aber verblaßte die Erinnerung an das Haus Savoyen. Nur selten erreicht die Italiener ein patriotischer Appell des Ex-Königs Umberto aus seinem portugiesischen Exil.
Laut der Verfassung von 1947 ist es den Ex-Königen des Hauses Savoyen, ihren Frauen sowie ihren männlichen Nachkommen sogar untersagt, italienischen Boden zu betreten. Und an diesem Grundsatz wollen die großen römischen Parteien nicht rütteln.
Für eine Bestattung von Viktor Emanuel und seiner Elena im -staatseigenen -- Pantheon wäre das Plazet der Regierung erforderlich. Roms christdemokratisch beherrschte Regierung aber drückt sich in dieser heiklen Frage um eine Entscheidung.
Während Roms Regierende dem Thema »Savoyer-Gebeine« noch ausweichen, zeigt ein Teil der KPI offen Verständnis für die Monarchisten-Initiative. Im kommunistisch regierten Neapel, dem Geburtsort von Viktor Emanuel III., appellierten unlängst die Stadtratsfraktionen aller Parteien -außer einer ultralinken Splittergruppe -- an die »verantwortlichen Behörden in Rom«, endlich die Rückkehr der sterblichen Überreste des Königs ins Pantheon zu gestatten.
Millionen Italiener würden es durchaus akzeptieren, daß der tote König nach Rom »heimkehrt« -- unabhängig von seinen Fehlern.
»Da kann es doch nicht um Lohn oder Strafe gehen«, sagt Monarchisten-Führer Boschiero. »Im Petersdom sind schließlich etwa 150 Päpste bestattet, und die waren keineswegs alle Engel.«