TRABRENNEN Platzwette auf Fahrt Frömming
(s. Titel)
Gattin und eheliche Postreferentin Frömming - neun Zentimeter größer als der Eheherr und trotzdem ausdrücklich zu Stöckelabsätzen autorisiert, »weil dann Frauenbeine noch mal so hübsch aussehen« - nahm eine Einladung des Wiener Trabrennvereins entgegen: Traber-Trainer-Jockey Hänschen Frömming soll beim internationalen Trabrennen um den »Großen Preis von Oesterreich« am 1. Oktober und beim »Graf Kalman-Hungady-Gedächtnisrennen« am 8. Oktober 1950 gleichberechtigt mitlaufen. Das wäre der erste Start eines Deutschen auf ausländischen Trabrennbahnen seit 1945.
Frömming hat Oesterreichs größtes internationales Trabrennen, das Graf Kalman Hungady-Rennen, schon 1936, 1938, 1943 und 1944 gewonnen - zuletzt mit Iltis, dem besten Pferd, das er nach seiner eigenen Meinung je betreut hat.
Bei den Reliquien von Hänschen Frömmings Laufbahn steht heute noch das tönerne Abbild des Rapphengstes Iltis, der als einjähriges Pferdebaby zu Hänschen Frömming nach Berlin kam, als Dreijähriger den Europa-Rekord des Russen Talantlivij um zwei Zehntel Sekunden verbesserte, als Vierjähriger mit Frömming gegen die gesamte ältere Elite sein erstes 100000 Mark-Rennen, das Graf Kalman-Hungady-Rennen gewann und bald darauf bei einem Bombenangriff auf München zusammen mit seinem Trainer Max Lindenmayer in den Stallungen der Trabrennbahn Daglfing umkam - mit 18 Siegen und drei zweiten Plätzen bei 21 Starts und einer Gewinnsumme von 373750 Mark.
Weil es solche Klassepferde in Deutschland nach dem Kriege nicht mehr gab, hat Hänschen Frömming alle Einladungen nach Paris und Italien abgeschlagen. Für Wien konnte er annehmen. Der Stute Coronia und dem Hengst Miramus gibt er internationale Chancen.
Coronia ist die schnellste deutsche Stute der Nachkriegszeit, sie brach zwei Jahre hintereinander deutsche Rekorde. Ueber ihre Kilometerleistung (1:19,2) sagt Frömming: »Es ist die schnellste Zeit, die meines Wissens, und solange ich trabrenne, eine deutsche Stute gelaufen hat.«
Es gibt nur einen Trainer in Europa, der im Trainieren solcher Traber-Pferde erfolgreicher ist als Hänschen Frömming. Das ist Charlie Mills, der mit nahezu 4000 Siegesfahrten unerreicht dasteht. Frömming ist aber 21 Jahre jünger und hat alle Aussichten, Charlie Mills noch zu übertrumpfen.
Mit einem Stockmaß von 1,60 Meter und einem Gewicht von knapp 55 Kilogramm erschien Frömming - Spitzname »der Kleine« - zum ersten Male im Jahre 1933 in der Siegerliste des »Traber-Derby«. Er holte es sich nachdem noch viermal: 1940 mit Adriatica, das Jahr darauf mit Alwa, 1943 mit Stella Maris und 1947 mit Avanti. Auch im Oesterreichischen Traberderby für Vierjährige war er mit Van der Hölgy und Kaba erfolgreich.
Das Matadoren-Rennen, die bedeutendste internationale Traberprüfung Deutschlands, gewann er mit Größen wie Xiphias, Iltis, Kampfflieger und Miramus Im Graf-Kalman-Hungary-Rennen stellte er mit Xiphias, Peter von Lurup, Van der Hölgy und Iltis den Sieger.
In 24 Jahren hat er 12000 Rennen gefahren. Nahezu jedes vierte hat er gewonnen, fast 3000 Titel umfaßt die Liste seiner Siege in den großen Zuchtrennen der Bahnen von Berlin, Hamburg, München, Gelsenkirchen, Recklinghausen, Straubing, Regensburg. Sein Rekord verzeichnet außerdem Erfolge in Kopenhagen, Stockholm und Oslo.
1934 wurde er zum ersten Male Champion von Deutschland mit 159 Siegen Bis zum Jahre 1944 verteidigte er diesen Titel jedes Jahr wieder mit Erfolg. Diese Kette von elf Championaten ist ohne Gegenstück in Deutschland oder irgend einem anderen Land. 1937 stellte er dann mit 246 Siegen einen Weltrekord auf, der bis heute noch nicht überboten ist.
Auch nach dem Kriege wurde er 1947 und 1948 noch zweimal erfolgreichster deutscher Berufsfahrer, 1948 bei nicht ganz 350 Starts und 129 Siegen mit bisher bestem Durchschnitt.
Dieser kleine Mann ist das Idol von Zehntausenden, die oben in der dritten Reihe der Tribüne aus der Rennzeitung studieren, wieviel Vorgaben die Pferde bekommen oder zu geben haben, wie die Bestleistung, d. h. die Kilometer-Durchschnittszeit der Pferde steht, welche Zeiten sie zuletzt getrabt haben, welcher Trainer hinter welchem Pferd im Sulky sitzt. Und die irgendeine dunkle Machenschaft vermuten, wenn Hänschen Frömming ein Rennen verliert.
In seinem Fahrerhabit sieht der Kleine täuschend schmal aus. Die meisten seiner 110 Pfund sind um muskulöse Schultern herum gepolstert, die sich zu einer Wespentaille und Zahnstocherbeinen verjüngen. Wäre nicht der immer mehr zurückweichende Haaransatz, so würde man ihm die 40 nicht ansehen.
Beständig im Gelde. Ungleich dem großen Jockey Grabsch, der sich für Monokel, Leibdiener und extravagante Festgelage in seiner prachtvollen Villa begeistert, glaubt Hans Frömming an die sicher angelegte Deutsche Mark, trainiert also unentwegt 45 Pferde von 15 verschiedenen Besitzern, darunter Miramus, der Ende Mai 1950 den »Großen Preis von Recklinghausen« in 1:18,2 Minuten für den Kilometer (deutscher Nachkriegsrekord und europäische Jahresbestleistung 1950) gewann; darunter Coronia (hat ebenso wie Miramus eine Gewinnsumme von über 60000 DM); darunter der Dreijährige Dodilo, der sich mit dem Ruhlebener Geläuf nicht abfand, im Traberderby wegen Galoppierens disqualifiziert werden mußte, nachher aber den mit 10000 DM ausgestatteten Dreijährigen-Prüfungspreis in Hamburg-Farmsen gewann und seitdem als bestes deutsches Traberpferd des Derby-Jahrganges angesprochen wird.
Außerdem hat Frömming noch einige vielversprechende Zweijährige im Farmsener Stall. So kann er sich für die meisten Rennen den geeignetsten Traber aussuchen, statt wie andere Trainer immer dieselben Pferde das ganze Jahr hindurch von Wettkampf zu Wettkampf zu hetzen.
Eine ganze Wettgemeinde legt ihr Geld auf jedes beliebige Pferd an, das gerade von Frömming gefahren wird und verkürzt sich dadurch selbst die Quote noch mehr. Zwar, sein großer Ruf trägt zuweilen dazu bei, falsche Favoriten zu machen. Aber eine Platzwette auf »Fahrt Frömming« ist doch in den meisten Fällen eine gute Kapitalsanlage.
In Berlin gab es früher kleine Wetter, denen Frömming durch die Beständigkeit, mit der er »im Gelde« war, so etwas wie eine Wochenrente verschaffte. Besonders »Platzschieber«, d. h. eine Wette, bei der Einsatz und Gewinn von Rennen zu Rennen auf das jeweilig angegebene Pferd weitergehen, haben schon manchen Frömmingwetter glücklich gemacht.
Frömming selbst wettet nicht.
Im Fachjargon ist Frömming ein »öffentlicher Trainer«, d. h. er trainiert die Pferde verschiedener Besitzer für einen bestimmten Tagessatz. Im Gegensatz zu einem »Privattrainer«, der von einem Rennstallbesitzer für ein festes Gehalt engagiert ist.
Privattrainer sind im Trabrennsport selten, die meisten Besitzer haben nur zwei oder drei Pferde. Frömming leitet als Trainer eines öffentlichen Stalles sein eigenes Geschäft, und das ist es, was er gern hat. Beim Finanzamt wird er als selbständiger Gewerbetreibender geführt.
Das Trainingshonorar für ein Traberpferd macht normalerweiser 6 DM pro Tag. Besitzer allerdings, die ihre Pferde von Frömming vorbereiten lassen, zahlen meist eine Kleinigkeit mehr - und wissen warum. Außerdem zahlen die Besitzer die Miete für die Rennbahnstallungen, gewöhnlich 12 DM pro Monat und Pferd. Sie müssen für Hufschmied, Tierarzt, Arzneien und Verladekosten aufkommen. Sie müssen Nenn- und Startgelder bezahlen.
Von den Trainingsgebühren muß das Futter für die Pferde beschafft, müssen Assistenten, Lehrlinge und Stallpersonal bezahlt werden. Von den Renngewinnen der Pferde gehören dem Trainer gewöhnlich zehn Prozent. Frömming kann es sich auch hier erlauben, eine Frömming-Quote zu fordern, die höher liegt.
Bei den heutigen Rennpreisen, die im Durchschnitt etwa 2000 DM betragen, ist der Verdienst trotzdem nur noch ein Schatten dessen, was Frömming vor dem Kriege einmal zusammengefahren hat - obwohl an Ort und Stelle in Hamburg zweinmal gerannt wird, mittwochs und sonntags, und obwohl Frömming jede Gelegenheit benutzt, um im heimatlichen Berlin, das jetzt wieder drei Trabrennbahnen (Mariendorf im amerikanischen Sektor, Ruhleben im britischen Sektor und Karlshorst im Ostsektor) hat, oder in Gelsenkirchen oder in Recklinghausen oder in München zu starten, wenn ein größeres Rennen ausgeschrieben ist.
Fahr eine schnelle Runde. Buchstäblich vom Mutterleibe an hat Frömming seinen Weg gegen beträchtliche Vorgaben gemacht. Schrittmacher-Vater Lawson stürzte nämlich, ehe Hänschen in Berlin-Steglitz das Licht der Welt erblickte, auf der Radrennbahn in Köln-Riehl zu Tode. So kam es, daß Großvater Wilhelm Frömming den lütten Johnny adoptierte. Damit war auch schon die Verbindung zum Trabersport hergestellt, denn Opa war Besitzer. Sein »Hartenfels« war zu Kaisers Zeiten ein beliebter Traber in Berlin.
Mit 14 Jahren kam Hänschen in die Lehre zu dem ungarischen Trainer Ignaz Lichtenfeld, der 1919 das Traber-Derby mit Stall Tannenbergs Dabendorferin gewonnen hatte. Bei der Morgenarbeit hatte der winzige Junge das Titanen-Amt, 15 und mehr Pferde in flotter Gangart über das Geläuf der Trabrennbahn von Ruhleben oder Mariendorf zu kutschieren.
Lichtenfeld sagte dann nicht einfach: »Fahr eine schnelle Runde und sieh zu, daß das Pferd nicht springt!« Er gab Auftrag, den Traber in einer Minute und 40 Sekunden über die 1200 Meter zu bringen, und er meinte weder eine Sekunde mehr noch eine Sekunde weniger. Hänschen lernte, »die Uhr im Kopf haben«.
Sein erstes Rennen fuhr er am 15. Oktober 1926. Ein Sieg wurde es nicht, aber einige Wochen später reichte es. Konsul hieß sein erster Sieger. Von da ließ ihn sein Lehrmeister häufiger im Rennen starten, und bei der Lehrlings-Freisprechung hatte es Hänschen schon auf ein Dutzend Siege gebracht.
Als junger Berufsfahrer hatte er ein anderes Handicap zu überwinden: Was einem Jockey hätte Karriere machen lassen, wurde ihm, dem Trabbahn-Fahrer, zum Aergernis. Er war viel zu klein, viel zu leicht. Kein Besitzer wollte seine Pferde von diesem Zwerg fahren lassen. Könnte er etwa ein pullendes Pferd halten? Es kam ihm der Gedanke, Jockey zu werden. Er bewarb sich also in Hoppegarten um ein neue Lehrstelle. Doch es war die Zeit der großen Arbeitslosigkeit. Die Rennstallbesitzer machten pleite und die Wettumsätze, die den Rennbetrieb finanzieren, fielen von Woche zu Woche.
Hänschen war schon entschlossen, nach Amerika auszuwandern, hatte seine paar Habseligkeiten verkauft, darunter seinen einzigen Sulky, da schickte ihm St. Georg einen Besitzer, der ihm ein Pferd mit dem schönen Namen Noblesse in Training gab. Das war der Wendepunkt. 1930 fuhr er 36 Siege, das nächste Jahr schon mehr als doppelt so viel. 1932 durfte er 102mal die Ehrenrunde fahren. Dann folgte der erste Sieg im Traber-Derby, das erste Championat. Der große Charlie Mills mußte sich von da an mit Hänschen Frömming in die Gunst des Berliner Publikums teilen.
Von Charlie, dem Pferdeprofessor, konnte jeder lernen. Vor allem seine Trainingsmethoden wirkten revolutionierend in Deutschland. Frömming war immer ein guter Beobachter und wenn er sich an ein Vorbild hielt, dann war ihm ein Mann wie Charlie Mills gerade gut genug dafür.
Zwei Dinge sind es, die Frömmings Trainingstheorie ausmachen: bestes Futter und gesunde Füße. Um seine Pferd gut im Fleisch zu halten, braucht Frömming ausgesuchtes Heu. Er kann Heu riechen oder im Dunkeln fühlen und sagen, ob es die Pferde mögen.
Sein Trick ist es, die Pferde nach der beendeten Morgenarbeit sich beruhigen zu lassen, indem sie sich an Ort und Stelle den Bauch mit frischem Gras vollschlagen. Frömming glaubt, daß die Pferde dadurch das Gefühl bekommen, die Arbeit sei ein Vorspiel zur Freizeit.
Solches Einfühlen plus Geduld und instinktivem Sinn für Pferde - »Mein Pferd ist mein Kind« - haben ihn berühmt gemacht. Er betrachtet das Rennpferd als einen vierbeinigen Athleten und behandelt es dementsprechend.
Das Futter soll Muskeln bilden, aber kein Fett. Auf diesem Grundsatz ist sein Training eingestellt. Daß ein Klassepferd wie sein Miramus ein Paket praller Muskeln ist, kann nur durch viele Kilo besten Futters und viel, viel Arbeit erreicht werden. Die Pferde gehen bei ihm nicht oft Schritt.
Es ist bei Frömming nicht ungewöhnlich, daß ein Pferd jeden zweiten Tag schnell ausgearbeitet wird, d. h. in rennmäßigem Tempo drei oder vier Runden von je 1200 Meter Länge traben muß. Konkurrenz-Trainer glauben, daß durch diese harte Arbeit einem Pferd die Frische und Rennlust genommen werden. Sie sagen: »Frömming ist ein guter Trainer, wenn es das Pferd aushalten kann«.
Frömming überhört solche Kritik. Er hat ebensowenig Interesse an billigen Pferden, wie an »armen« Besitzern, er schiebt sie einfach ab. »Schlechte Pferde brauchen kein Management, die läßt man einfach mitlaufen«, sagt er.
Nächst der Futterbeschaffung widmet Frömming am meisten Aufwand den Hufen und Beinen des Trabers. Da der Traber per Schritt weniger Boden bedeckt als ein Galopper, muß er notwendigerweise mehr Schritte per Kilometer machen. Daraus folgert, daß es ein Traber mit einem Galopper in punkto Schnelligkeit niemals aufnehmen kann. Die Aktion des Trabers ist aber gerade wegen der erhöhten Schrittzahl wesentlich größer, schneller und kräftiger als die des Galoppers - eine Frage der Beine.
Und des Gleichgewichts. Durch richtiges Balancieren wird das weiteste Ausschreiten in höchster Schnelligkeit bei absolutem Gleichgewicht des Pferdes ermöglicht. Es gibt eine Reihe von Hilfsmitteln für den Rennerfolg. Zu der Traberausrüstung gehören der Oberscheck, der dem Kopf des Pferdes einen besseren Halt in der Anlehnung gibt, als ihm die Hand des Fahrers geben könnte. Zum Schutz der Hufe und Beine gibt es die sogenannten Gummiboots, das sind tadellos sitzende Hufkappen. Gamaschen und Ellbogenschützer verhüten das Reiben am Geschirrgut und dämpfen das Anschlagen mit den Hufen. Um die Fesseln werden dem Traber oft Schrotringe gelegt, die das gleichweite Vorsetzen der Beine unterstützen. Zur Verbesserung des Gleichgewichts werden Zehengewichte gebraucht. Und von ganz besonderer Bedeutung ist die Wahl der richtigen Hufeisen.
Hier erweist sich der Meister unter den Trainern. Er muß die Individualität der ihm anvertrauten Pferde richtig einschätzen können. Tierpsychologe Frömming bewies sich am Beispiel der überaus schwierigen Stute Alwa, als er aus einem Nervenbündel von großer Heftigkeit eine Derbysiegerin machte.
Das ist Berlin. Während bei den Galoppern ein Trainer nur in den seltesten Fällen seine Pferde auch im Rennen reitet. sind Frömming und Kollegen doppelgleisig. Manager und Rennfahrer. Frömmings außergewöhnliches Geschick im Sulky steht seinen Trainer-Qualitäten nicht nach. Das Hänschen brachte es fertig, was noch keinem Fahrer gelungen ist: Im Jahre 1935 gewann er an einem Renntag in Ruhleben sämtliche sieben Rennen.
Auch in Hamburg-Farmsen glückte ihm im Mai 1950 eine ähnliche Erfolgsserie. Von sechs Rennen gewann er fünf und im sechsten wurde er noch, knapp geschlagen, Zweiter.
Unverkennbar ist bei ihm die berühmte Berliner Schule. Berlin war vor dem Kriege das Traberzentrum in Europa, mit Charlie und Johnny Mills, P. Finn, Otto Dieffenbacher, Jauß jr., M. Weidner.
Während der Anfangsjahre Frömmings nahm ihn der väterliche Charlie nach dem Rennen oft beiseite und zeichnete ihm seine Fehler auf. Er zeigte Hänschen, wie er Distanz verlor, indem er im Bogen um zwei Pferde außen herumging, wie er riskierte, in den Innenraum abgedrängt zu werden, als er versuchte, sich auf der Innenbahn durchzuquetschen. Charlie formulierte damals eine Regel, an die sich Hänschen heute noch hält: Versuche niemals, im Bogen in der dritten Spur vorbeizugehen oder ein Pferd an der Innenkante der Bahn zu passieren.
Frömming hält seine Wetter oft bis zum Zielpfosten in Atem mit seiner Wartetaktik. Ein Fehlstart, verursacht durch Frömming, würde in Fachkreisen eine kleine Sensation bedeuten. Er hat es gern, wenn andere Fahrer ihre Pferde an der Spitze des Feldes überjagen, um dann auf der Zielgeraden den Speed seines Trabers einzusetzen.
Während andere peitschen und peitschen, ist es sein Trick, sagt er, die Peitsche so wenig wie möglich zur rechten Zeit zu gebrauchen. Viel wichtiger ist für ihn die Stoppuhr, ohne die er nie in den Sulky steigt. Sie zeigt ihm die Schnelligkeit des Rennens, vermittelt ihm eine Einschätzung, über welche Reserven sein Pferd noch verfügt.
Obwohl seine Pferde in der Mehrzahl in ihrer Kondition so weit gefördert sind, daß sie mit echten Aussichten ins Rennen gehen, geschieht es doch häufig, daß er einen Traber, der gerade aus dem Winterquartier gekommen ist oder krank war, oder wie das bei Zweijährigen manchmal der Fall ist, noch nicht über genügend Trabsicherheit verfügt, ohne Wetten starten läßt - aus Fairneß-Gründen, dem Wettpublikum gegenüber.
Außer in ganz flagranten Fällen kann niemand in einem Trabrennen mit Bestimmtheit sagen, ob ein Fahrer sein Pferd wirklich auf Sieg ausfährt oder nicht. Genau wie die Berufsringer können auch die Trabrennfahrer dem Publikum ein großes Schauspiel vorführen. Wenn sie - etwa um die Wettquoten zu beeinflussen - verlieren wollen, dann brauchen sie nur die Zügel einen Augenblick zu lockern und den Kopf fallen zu lassen, oder sich einschließen zu lassen, oder im Bogen ein paar Längen zu verlieren. All diese »taktischen Feinheiten« geben selbst dem Bahnrichter keinen Grund zum Einschreiten.
Hänschen Frömming, Matador auf 12000 Rennen, ist bis dato noch in keinen der vielen Rennbahnskandale verwickelt gewesen. Wenn er gelegentlich schon einmal mehr ausgepfiffen worden ist als andere Trainer, so ist das in Wirklichkeit nur ein verstecktes Kompliment seiner Anhänger, die einfach nicht begreifen wollen, daß auch Hänschen Frömming einmal verlieren kann.