IMMOBILIEN Pleite mit der Platte
Die Herren Jungunternehmer liebten das Besondere. Ganz wie die Lenker internationaler Großkonzerne düsten Kaufmann Christian Neuling, 56, und Kriminalhauptmeister a. D. Klaus-Hermann Wienhold, 50, im gecharterten Lear-Jet vom noblen Berliner Firmensitz zu Geschäftsterminen im Land. Auf Hochglanzprospekten posierten sie wie die Begründer ehrwürdiger Unternehmerdynastien.
Jeder Auftritt sollte signalisieren: Hier kommen zwei ganz Große, zwei Selfmade-Männer, die es im heiß umkämpften Immobilienmarkt Ostdeutschlands geschafft haben. Aus dem Stand heraus katapultierten die beiden Mitte der neunziger Jahre ihre Aubis-Gruppe mit dem Kauf von rund 16 000 Plattenbau-Wohnungen in Leipzig, Cottbus, Schwerin und Brandenburg an der Havel zu einem der größten privaten Wohnungsbesitzer in der Ex-DDR.
Vom einstigen Glanz ist nur fünf Jahre später kaum etwas geblieben. Auf dem polierten Edelstahl-Wegweiser im Berliner Airport-Business-Center ist der Name Aubis weggekratzt. Die Bürotür ist mit Plastikplane verhängt, dahinter sind Neuling und Wienhold nur noch mit der Abwicklung ihrer eigenen Unternehmensgeschichte beschäftigt. Die Wohnungen stehen unter Banken-Kuratel.
Der kometenhafte Aufstieg und der jähe Fall der Aubis-Gruppe haben ihren Ursprung in einem Modell zur Rettung der ostdeutschen Wohnungsgesellschaften. Die litten unter hohen Altschulden, die noch aus realsozialistischen Zeiten stammten. Für die notwendige Sanierung der Wohnkomplexe fehlte nach der Einheit meist das Geld, immer mehr Mieter flüchteten aus der Platte. Zu retten waren die Wohnungsgesellschaften, glaubte die damalige Bundesregierung, nur noch mit Massenverkäufen an Private. 1994 wurde mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz der rechtliche Rahmen gezogen.
Privatunternehmen konnten jetzt blockweise Plattenbauten zu Schnäppchenpreisen (ab 300 Mark pro Quadratmeter) erwerben. Für die Sanierung der einst als »Arbeiterschließfächer« verspotteten Einheitskästen gab's Steuervergünstigungen und satte Förderungen vom Staat. Die »Zwischenerwerber« mussten sich lediglich verpflichten, nach der Sanierung mindestens 40 Prozent der Wohnungen den Mietern zum Kauf anzubieten.
Doch die winkten meistens ab. Denn dank des steuerbegünstigten Neubau-Booms und der subventionierten Sanierung der maroden Altbauten entstand im Osten binnen kurzer Zeit ein gigantisches Überangebot an Wohnraum. Zwischen Anklam und Zittau stehen nach Berechnungen des Berliner Bauministeriums knapp eine Million Wohnungen leer - die meisten in Plattenbaugebieten.
Der Bremer Immobilienkaufmann Peter Kortlepel, der 4000 Plattenbau-Wohnungen im Osten besitzt, hält denn auch das Zwischenerwerbermodell für eine Totgeburt. Er rechnet nicht mehr mit einem schnellen Verkauf an Mieter. Erst in 10 oder 15 Jahren, glaubt Kortlepel, werde sich die Investition rechnen, denn dann dürften auch im Osten die »Mieten wieder auf Normalniveau« sein.
Doch gerade die Aussicht, mit schnellem Durchsatz eine schnelle Mark zu machen, hat Interessenten auf den Plan gerufen, die wenig Erfahrung in diesem Immobiliensektor hatten und auch kaum über Eigenkapital verfügten. Im Zwischenerwerber-Milieu irrlichterten neben gestandenen Leuten vom Bau Goldkettchenträger, Pleitiers und Halbwelt-Ökonomen vom grauen Kapitalmarkt.
Dem Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins Hartmann Vetter schwante schon bald: »Die sind doch alle Hasardeure, die das schnelle Geschäft wittern und dann nicht in der Lage sind, die Häuser anständig zu bewirtschaften.«
So kaufte der Dortmunder Bauunternehmer Ingo Petersmann mit geliehenen Millionen Plattenbauten in Rostock und Jena. Allein für Erwerb und Sanierung einer Großsiedlung in Kronskamp bei Rostock bewilligte die Aachener und Münchener Versicherung Darlehen in Höhe von 30 Millionen Mark.
Die Bankauskünfte, die Petersmann gute Zahlungsmoral und ausreichende Sicherheiten bescheinigten, basierten, so fand die Versicherung heraus, auf gefälschten Angaben. Gegen den Geschäftsmann, der sich mit dem Titel eines Honorarkonsuls von Äquatorial-Guinea schmückte, ermittelt die Bochumer Staatsanwaltschaft wegen Betrugsverdachts (SPIEGEL 37/1999).
Die Herren der Berliner Aubis vermittelten dagegen zunächst Seriosität und Solidität. Ihre Aufsichtsgremien schmückten die ehemaligen CDU-Bundesminister Christian Schwarz-Schilling (Post) und Jochen Borchert (Agrar). Wenn Wienhold und Neuling im Osten auf Einkaufstour gingen, blieb kaum eine Tür verschlossen. Auf der Leipziger Immobilien-Messe war der Aubis-Stand einer der größten; er lag so günstig am Eingang, dass kein Fachbesucher ihn übersehen konnte.
Albrecht Buttolo, für Wohnungsbau zuständiger Staatssekretär im sächsischen Innenministerium, fühlte sich jedes Mal an »den Auftritt eines großen Baukonzerns« erinnert. Auch die Bankreferenzen, mit denen die beiden Geschäftsmänner aufwarten konnten, waren erstklassig: Einen schier unbegrenzten Vertrauenskredit schienen sie bei der Berlin Hyp zu genießen, die sich unter dem Dach der Bankgesellschaft Berlin befindet und offiziell als Berlin-Hannoversche Hypothekenbank firmiert.
Berlin-Hyp-Chef Klaus Landowsky kennen die beiden Immobilien-Neulinge aus der Berliner CDU. Aubis-Gesellschafter Wienhold managte in den achtziger Jahren als Landesgeschäftsführer die Partei. CDU-Generalsekretär war zu dieser Zeit der Banker Landowsky.
Kollege Neuling saß für die Berliner CDU acht Jahre lang im Bundestag. 1990 wurde er Vorsitzender des Treuhand-Unterausschusses, eines Gremiums, das die Privatisierung von DDR-Volksvermögen überwachen sollte. 1991 musste er den Chefsessel räumen, nachdem ihm Verquickung seiner Kontrolleurstätigkeit mit eigenen geschäftlichen Aktivitäten vorgeworfen worden war.
Beim Einstieg ins Immobilien-Business waren die CDU-Verbindungen offenbar nicht von Nachteil. Landowskys Bank bewilligte reibungslos Kredite zum Ankauf von immer mehr Plattenbauten. Bis heute ist die Bank mit mehr als 700 Millionen Mark bei Neuling/Wienhold engagiert.
Die CDU-Verbindung, so beteuert Landowsky, habe »nicht einmal im Ansatz eine Rolle gespielt«. Im Platten-Engagement habe die Bank vielmehr eine Chance gesehen, sich als »Immobilienkompetenz-Zentrum« weiter profilieren zu können.
Ob die Wienhold/Neuling-Aktivitäten als Beleg für Kompetenz im Immobiliengeschäft dienen konnten, war schon bald recht fraglich. Von der Bank beauftragte Gutachter meldeten Zweifel an dem Aubis-Konzept an. Besonders fraglich erschien den Sanierungsexperten die Summe, die Aubis für die Instandsetzung der Plattenbau-Siedlungen veranschlagte. Mit 400 Mark pro Quadratmeter seien allenfalls »Mindeststandards« zu erfüllen. Renommierte Sanierer wie die Berliner Stern Immobilien Gesellschaft kalkulieren mit etwa 850 Mark pro Quadratmeter.
Vom kargen Aubis-Sanierungsbudget floss überdies knapp ein Fünftel gar nicht in die Erneuerung von Fassaden, Fenstern oder Sanitäranlagen: 18 Prozent der Sanierungskosten blieben bei der Aubis Konzept, einem Tochterunternehmen, das die Sanierungsarbeiten managen sollte, hängen. Die Marge bezeichnet Wienhold ("Wir haben alle gut verdient") als »durchaus üblich«. Das kostengünstige Sanierungskonzept habe er vom ehemaligen VW-Cost-Cutter José Ignacio López abgeguckt.
Bereits 1997 wurde erstmals öffentlich, wie wacklig das Aubis-Konstrukt war. Monatelang blieb das Unternehmen den Kaufpreis von 19,7 Millionen Mark für 959 Wohnungen in Brandenburg an der Havel schuldig. Im ostsächsischen Görlitz musste die städtische Wohnungsbaugesellschaft sogar vor Gericht ziehen, um ihre Forderung in Höhe von 40 Millionen Mark eintreiben zu können.
Auf »Druck der Bank« (Wienhold) verkaufte die Aubis-Gruppe schließlich 4097 Wohnungen an die Bavaria Objekt- und Baubetreuung, eine Tochter der Berliner Bankgesellschaft. Mit diesem frischen Geld konnten die Plattenbauer weitermachen - wenigstens für kurze Zeit.
Im vergangenen Sommer war die Liquidität bei Aubis erneut äußerst angespannt. Mindestens jede dritte Wohnung im Bestand war unvermietet. Sanierungsarbeiten kamen mancherorts ganz zum Erliegen.
In Cottbus mussten Mieter nach Auszug der Handwerker mit Balkonen ohne Brüstung vorlieb nehmen. In Görlitzer Aubis-Objekten drohte die Abschaltung von Heizung und Wasser. Die Aubis-Tochter Aubitec, mit der Verwaltung der Wohnungen betraut, hatte Rechnungen über 201 000 Mark erst in letzter Minute bezahlt.
Auch den Berliner Bankern konnte nun nicht mehr entgehen, dass im Plattenbau-Imperium der Parteifreunde von Bank-Chef Landowsky einiges neu zu ordnen war. Doch ein spektakulärer Zusammenbruch der Aubis-Gruppe im Sommer wäre höchst ungelegen gekommen.
Landowsky hätte sich im Vorfeld der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus peinliche Fragen gefallen lassen müssen - etwa, ob seine Bank die nötige Sorgfalt bei der Kreditvergabe an die beiden Parteifreunde aufgebracht habe. So begnügte sich die Bank im vorigen September erst einmal damit, einen Mann ihres Vertrauens in die Geschäftsführung der Aubis-Gruppe zu schicken. Jost Hieronymus, in der Szene als »Red Adair der Immobilienbranche« gefeiert, gilt als Mann für nahezu aussichtslose Fälle.
Die Berufung des Profis war der erste Schritt zur vollständigen Entmachtung der Aubis-Gründer Neuling und Wienhold. Am 21. Januar konnte die alte Geschäftsführung ihren Mitarbeitern nur noch verkünden, dass nach schwierigen und angespannten Monaten »wichtige Entscheidungen rechtskräftig geworden« seien.
Welche Entscheidungen das waren, erklärte bereits der neue Spitzenmann bei Aubis, Hieronymus: Die Tochterunternehmen Aubitec und Aubis Konzept werden verkauft an eine Tochter der Bankgesellschaft. Neuling und Wienhold bleiben zwar Eigentümer der Plattenbauten, alle Einnahmen, Verkaufserlöse und Mietzahlungen gehen jedoch in den nächsten 25 Jahren direkt an die Bank.
»Das war Kreissparkassen-Format«, klagt Wienhold. Mit dieser Konstruktion, die ihnen aufgezwungen worden sei, habe das Institut sich einen entwicklungsfähigen Immobilienbestand unter den Nagel gerissen: »Wenn man uns gelassen hätte, wären wir eines Tages Unternehmer des Jahres geworden.«
Auch bei der Westhyp, einem Tochterunternehmen der Münchner HypoVereinsbank, war zur Bewältigung eines verkorksten Plattenbau-Deals Kreativität gefragt. Ein Bankkunde, die Dresdner ISR Bauträger und Baumanagement GmbH & Co KG, hatte 1996 von der Chemnitzer Wohnungsbaugesellschaft 72 000 Quadratmeter Platte in Chemnitz erworben. Die Bank gewährte dem Unternehmen dafür einen Kredit von 79,8 Millionen Mark.
Doch Verwaltung und Sanierung der 1330 Wohnungen überstiegen die finanziellen Möglichkeiten des Bauunternehmens. Im vergangenen Sommer war die ISR nicht einmal mehr in der Lage, die Kreditzinsen zu bezahlen. Bei der Bank wurden Rückstände von 1 436 059 Mark verbucht.
Weil die Westhyp offenbar fürchtete, die gesamte Investition von über 80 Millionen Mark abschreiben zu müssen, entschloss sie sich zu einem kapitalen Schnitt. Der Schuldner wurde wie bei Aubis ausgetauscht.
Am 29. Juli wurde die ISR »auf Anraten der Bank« (Westhyp-Sprecher Thomas Schramm) samt Plattenbau-Bestand für eine Mark an die Görlitzer VBG Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft verkauft.
Das Unternehmen, das von einem Leihbüro in Dortmund aus geführt wird, glänzt zwar kaum mit Erfahrung im Management von Großsiedlungen. Dafür aber weist die Vergangenheit ihrer leitenden Mitarbeiter schillernde Details auf, die der Bank offenbar entgangen sind.
Der Sohn des VBG-Geschäftsführers Friedhelm Trippe, zugleich sein persönlicher Berater, hat bereits den Offenbarungseid geleistet. Consultant Ulrich Hillebrand, der nach VBG-Angaben den Kontakt zur Westhyp herstellte, war in der Vergangenheit auch nicht sehr erfolgreich. Am 1. Oktober 1996 scheiterte die Eröffnung eines Konkursverfahrens an fehlender Masse.
Hillebrand ist mittlerweile nicht mehr in VBG-Diensten, wohl aber Thomas Heuser, der schon mal für Geschäftsführer Trippe die Außenkontakte pflegt. Jurist Heuser war bis 1986 niedergelassener Rechtsanwalt in Gummersbach. Dann verspekulierte er sich bei Immobiliengeschäften und verlor seine Zulassung als Rechtsanwalt.
Nicht gerade vertrauensbildend war auch die erste geschäftliche Transaktion der neuen Plattenbau-Besitzer: Wenige Tage nach der Beurkundung des Kaufvertrags räumten sie die ISR-Konten. 850 000 Mark wurden mit Avis telegrafisch auf VBG-Festgeldkonten transferiert.
Die Gelder waren Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau und ausschließlich für Sanierungsarbeiten bestimmt.
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WOLFGANG BAYER, ANDREAS WASSERMANN