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OSTKONTAKTE Polen verloren

aus DER SPIEGEL 14/1961

Amerikas Präsident John F. Kennedy hatte es bei Heinrich von Brentano angeregt, als der deutsche Außenminister im Februar auf Besuch in Amerika war: Ob die Bundesrepublik denn nicht wenigstens erst einmal für polnische Studenten Freiplätze einrichten und mit Polen verstärkten Kulturaustausch treiben könne?

Kennedys Wunsch wird in Erfüllung gehen: Wenn Kanzler Adenauer in 14 Tagen Visite in Washington macht, will er seinem Gastgeber im Weißen Haus solche Pläne - Studienfreiplätze und Kulturaustausch - als Bonner Beitrag zur deutsch-polnischen Annäherung unterbreiten.

Zu weiteren Bonner Vorschlägen hat es einstweilen nicht gereicht. Es steht allerdings zu erwarten, daß der junge Herr Amerikas damit nicht zufrieden sein wird. Schon seinem Besucher Willy Brandt sagte Kennedy, es sei nun Zeit, »über Wortbekenntnisse hinaus« etwas zu tun, und Konrad Adenauer wird sich ähnliches anhören müssen.

Dabei ist das Auswärtige Amt Anfang März in einer Bestandsaufnahme der deutsch-polnischen Beziehungen zu dem Schluß gekommen, daß im Wahljahr 1961 in Sachen Warschau - Bonn nichts Spektakuläres mehr zu erreichen sei.

Dieses Urteil gründet sich auf das Ergebnis von amtlichen deutsch-polnisehen Kontakten, von denen erstmals offiziell die Rede war, nachdem Krupp-Hausmeier Berthold Beltz im Dezember und Januar »mit Billigung des Bundeskanzlers und des Auswärtigen Amts, - so das amtliche Kommuniqué - zweimal nach Warschau gereist war.

In Bonn hatte Beitz hinterher - laut Kommuniqué - »dem Bundeskanzler berichtet. Es ist vorgesehen, daß nunmehr weitere Besprechungen zwischen amtlichen Stellen stattfinden«.

Konrad Adenauer fällte einige Tage nach der Bestandsaufnahme-Konferenz des Auswärtigen Amts öffentlich ein wenig günstiges Urteil über diese amtlichen Besprechungen: »Verhandlungen

kann man es eigentlich nicht nennen. Die Sache ruht einstweilen, und ich möchte darauf noch keine weitere Antwort erteilen.«

Was Adenauer nicht sagen wollte: Von Anfang an hatten die polnischen Gesprächspartner in den Geheimverhandlungen klargestellt, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Warschau und Bonn wäre nicht etwa ein Entgegenkommen Bonns sondern Warschaus. Wenn Bonn auf Beziehungen Wert lege, müsse es zunächst Zugeständnisse machen.

Bereits vor zwei Jahren - im März 1959 - hatte Ministerpräsident Jozef Cyrankiewicz vor dem 111. Parteitag der

Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei erklärt. Polen wünsche nicht, Konrad Adenauer zu sehen, »es sei denn, er würfe den ihm feierlich und symbolisch angelegten Mantel eines Kreuzritter-Ordensmeisters von sich, zöge ein Büßerhemd an und würde für das Übermaß der Schäden, die wir durch deutsche Militaristen und Kriegsverbrecher erlitten haben, beim polnischen Volk um Vergebung bitten. Natürlich müßte er aber in diesem Fall ein Visum der DDR haben«.

Solche mehr symbolischen Worte wußten die polnischen Diplomaten jetzt ins Praktische zu übersetzen: Wenn die Bundesregierung diplomatische Beziehungen wolle, müsse sie - etwa wie im Falle Israel - zunächst tätige Reue für die NS-Verbrechen beweisen.

Wichtigstes Reuezeichen: Die Oder-Neiße-Grenze dürfe nicht mehr in Frage gestellt werden. Weiter: Entschädigungsforderungen polnischer Staatsbürger müßten befriedigt werden. Und was deutsche Kredite für Polen angehe: Sie sollten mit polnischen Wiedergutmachungsansprüchen gegen Deutschland verrechnet werden.

Vor solchem Hintergrund werden die einander scheinbar widersprechenden öffentlichen Äußerungen Konrad Adenauers und des polnischen Außenministers Adam Rapacki verständlich.

Adenauer: »Ich glaube nicht, daß Polen auf Herstellung diplomatischer Beziehungen Wert legt.«

Dagegen Rapacki: »Ich möchte feststellen, daß niemand bisher Polen einen konkreten Vorschlag über die Normalisierung der, Beziehungen zu Westdeutschland unterbreitet hat.«

Um aus der Zwickmühle zwischen Amerikas beharrlichem Drängen nach, Bonner Ostkontakten einerseits und Polens hartnäckigem Beharren auf unakzeptablen Bedingungen, andererseits herauszukommen, ventiliert man nun in der Ostabteilung des Auswärtigen Amts unter Ministerialdirektor Duckwitz, ob man nicht »an einem anderen Ende« mit der Kontaktpflege beginnen könnte, und zwar bei, einem östlichen Nachbarstaat, der Tschechoslowakei, bei dem es keine Probleme wie mit Polen gibt.

Damit wurde ein Gedanke aufgegriffen, der schon länger in Bonn umgeht. Bereits Ende des Jahres 1959 erklärte der deutsche Botschafter in Amerika, Professor Wilhelm Grewe, in kleinem Kreis: »Es gibt kein Grenzproblem mit der Tschechoslowakei ... Es stimmt, daß einige sudetendeutsche Flüchtlingsorganisationen von Zeit zu Zeit die Frage der Grenzen im Sudetengebiet aufwerfen. Die Bundesregierung vertritt oder unterstützt jedoch keine dementsprechenden Ansprüche.«

Auch wirtschaftlich, so ergaben überschlägige Berechnungen, sei die Tschechoslowakei interessanter als Polen. Die Frage bleibt freilich, ob die Bundesregierung im Wahljahr das Protestgeschrei der stramm organisierten Sudetendeutschen riskieren will.

Auch die »Hallstein-Doktrin« müßte modifiziert werden. Nach den Vorstellungen des Auswärtigen Amts könnte, man sie so interpretieren, daß es die Bundesrepublik zwar weiterhin als unfreundlichen Akt betrachten würde, wenn Staaten, die mit Bonn bereits diplomatische Beziehungen unterhalten, nun auch mit der DDR solche Beziehungen aufnähmen. Die Staaten aber, die bereits durch einen Botschafter in Pankow vertreten sind, weil es die Zeitläufe nun einmal so ergeben haben, sollen in Zukunft auch einen Vertreter nach Bonn schicken dürfen.

Das Auswärtige Amt hofft, John F. Kennedy werde diese Ausweichlösung akzeptieren, zumal es im kulturellen Bereich durchaus freundliche Bonner Gesten in Richtung Warschau geben soll. In Sachen Oder-Neiße will die Bundesregierung aber unnachgiebig hart bleiben und sich äußerstenfalls - so der Pariser Botschafter Blankenhorn, dessen Dienststelle die polnischen Kontakte pflegte - »vergewaltigen« lassen, wenn die Amerikaner darauf bestehen, daß Bonn die Oder-Neiße-Grenze akzeptiert.

Deutsche Zeitung

Adenauer: »So steht doch die Box wenigstens nicht mehr janz leer ...«

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