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Politik aus Chinas Untergrund

Die Kundgebung für den toten Tschou En-lai und Vize Teng auf dem Pekinger Tienanmen-Platz im April war nicht so spontan, wie es zunächst schien: Vor allem Funktionäre im feinen Kader-Anzug demonstrierten. Wie im totalitär regierten China insgeheim eine inoffizielle Massenkundgebung organisiert werden kann, beschreibt »Newsweck":
aus DER SPIEGEL 30/1976

Geschickte geheime Machenschaften rivalisierender Fraktionen sind zu einer der höchsten Kunstformen in China geworden. Die Gruppen bestehen aus breiten, wechselnden Koalitionen, und somit ist ihr Hauptproblem die Kommunikation. Ihre Botschaften sickern durch ein Untergrundnachrichtennetz -- Chinas Flüsterpropaganda.

Da die Telephone abgehört werden, leitet man politische Anweisungen auf Zetteln und mündlich weiter. Dann holen die Sympathisanten eine Erlaubnis ein.« Studiengruppen« abzuhalten -- angeblich, um aus den Gedanken des Vorsitzenden Mao zu lernen -. und machen ein größeres Auditorium mit den Ansichten der politischen Gruppierung vertraut. Die Versammlungen, die oft zu später Stunde in verlassenen Pagoden stattfinden, dienen auch dazu. Gerüchte in Umlauf zu setzen.

Als nächstes kleben die Führer Plakate an, die gewöhnlich zu Hause von Hand gefertigt wurden, wobei das Material (Papier, Feder und Tusche) von einem sympathisierenden Schulbeamten oder Werksleiter zur Verfügung gestellt wurde.

Erst wenn es so aussieht, daß die Kampagne in der Bevölkerung Zustimmung findet, riskieren die Führer eine Demonstration. Im allgemeinen versuchen sie, offiziell anerkannte Gelegenheiten auszunutzen. So entschieden sich jetzt die Gemäßigten für den Totengedenktag und hofften, sie könnten ohne Risiko ein großes Treffen zum Gedenken an Tschou En-lai organisieren.

Damit eine Demonstration gelingt, bedarf es der heimlichen Unterstützung irgendeiner Regierungsstelle. Pekings Radikale verlassen sich dabei auf die Meinungsmedien und die Universitäten für die Propaganda und die logistische Unterstützung, die Gemäßigten dagegen sind auf Hilfe aus Erziehungs- und den Wirtschaftsministerien angewiesen.

Sympathisierende Behörden und Fabriken besorgen Transportmittel. Bei vielen Demonstrationen, vor allem wenn sie in Gewalt umschlagen. stellen unzufriedene junge Großstädter, die gegen ihren Willen zur Arbeit in Landkommunen geschickt worden sind, die Stoßtrupps. Viele vertriebene Anhänger der Gemäßigten kehrten nach Peking mit gefälschten Reisedokumenten zurück, gestempelt mit einem Siegel, das aus einem Stück Seife geschnitzt war.

Ist von der einen Fraktion eine Demonstration gut organisiert (mit einem über alle Kritik erhabenen Vorwand -- wie im April die Huldigung für Tschou), kann die andere Gruppe ihr kaum entgegentreten. Es gibt nur eine angemessene Reaktion auf eine gut organisierte Demonstration: eine gut organisierte Gegendemonstration.

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