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EINBERUFUNG Post von Inge

aus DER SPIEGEL 42/1966

Philosophie-Student Lothar Weitner, 24, saß auf den Champs Elysées und las Friedensfreund Bertrand Russell.

Zur gleichen Zeit klingelte bei seinen Eltern im bayrischen Gröbenzell ein Bote, übergab einen Brief ohne Absender und sagte: »Mit einem schönen Gruß von Herrn Obst, und es wäre nichts Wichtiges.«

Der Brief eines Unbekannten enthielt die Einberufung des Jung-Philosophen Weitner zur Bundeswehr. Wirklicher Absender: Das Kreiswehrersatzamt in Fürstenfeldbruck bei München.

Mit solcher Heimtücke stellen westdeutsche Rekrutierungsbehörden wehrunwilligen Wehrpflichtigen nach, die sich auf neutrale Territorien - wie etwa West-Berlin oder das Ausland - abgesetzt haben.

Proteste gegen diese Schleich-Werbung sind erwünscht: Wer die Gefahr wittert und den Tarn-Brief im Papierkorb versenkt, bleibt ungeschoren; wer dem unbekannten Absender - meist arglose Angestellte der Kreiswehrersatzämter - antwortet, muß dienen. Denn diese Antwort gilt bei der Bundeswehr und in der Rechtsprechung als Empfangsbestätigung für den Gestellungsbefehl.

Möglich ist der große Bluff dank eines Erlasses des Bonner Verteidigungsministeriums vom 20. November 1964, der die Versendung von Einberufungsbescheiden an Wehrpflichtige in West-Berlin regelt: »Als Absender (ist) der Name und die Privatanschrift eines Angehörigen der Dienststelle anzugeben.«

Bonn motiviert die Tarn-Vorschrift so: »Wir machen das aus Gründen der Sicherung gegen Ausspähung der Post auf dem Weg durch die Zone.«

Diese Sorge ist unnötig, denn nach Auskunft des Bundespostministeriums gehen »alle Briefsendungen über das Nachtluft-Postnetz nach West-Berlin und nicht durch die Zone«.

Bar jeder Tarnung sind denn auch die Erklärungen aus Kreiswehrersatzämtern. Oberinspektor Herbst aus Fürstenfeldbruck: »Das machen wir nur,uum Drückeberger zu fangen.« Und Regierungsrat Obst, der seinerzeit schön grüßen ließ: »Wir versuchen es eben auf die krumme Tour, wenn das nichts nützt, ziehen wir den Schwanz ganz schnell wieder ein.«

Meist nützt die krumme Tour. So bei den Wehrpflichtigen

- Hartmut Wimleithner, Tarn-Absender: Inge Puhlmann, Sekretärin im Kreiswehrersatzamt München;

- Helmut Weisser, Absender: Regierungsrat Biermaier aus Donaueschingen;

- Mario Heinrich, Absender: Max Knarr, Verwaltungsangestellter der Bundeswehr in Kulmbach;

- Michael Simon, Absender: Paul Herrmann, Oberinspektor in Arnsberg (Westfalen).

Alle vier Jungmänner - beheimatet in Westdeutschland, aber mit zweitem Wohnsitz in West-Berlin - beschwerten sich. Und alle mußten dem Vaterland dienen.

Hartmut Wimleithner schrieb an die Absenderin Puhlmann: »Liebe Inge, vielen Dank für Deinen Brief. Ich muß gestehen, doch ein wenig von dem äußerst kühlen und sachlichen Ton brüskiert zu sein.«

Der Witz verschlug nicht, und Wimleithner wurde eingezogen. Auch ins Ausland klappt die Zustellung, wie bei Mario Heinrich, der von Berlin aus noch einmal in die Fremde ging. Dazu Amtmann Härtlein vom Kreiswehrersatzamt Kulmbach: »Dem sind wir später noch bis nach Frankreich nachgesagt, aber dann ist er marschiert.«

Die Kreiswehrersatzämter in Bremen und München riskierten gar diplomatische Verwicklungen mit dem befreundeten Ausland. So wurden die Wehrpflichtigen Kurt Ketterl (München) und Hans-Werner Schütz (Bremen) aus der Schweiz mittels Tarnmethode zu den Waffen gelockt.

Die Eidgenossen kommentieren das ungnädig. Walter Jäggi, Chef des Informationsamtes im schweizerischen Außenministerium: »Jeder Hoheitsakt eines fremden Staates auf unserem Gebiet ist unzulässig. Deshalb können weder Steuer- noch Militärbescheide in der Schweiz zugestellt werden ... Gerade mit Deutschland ist die Inanspruchnahme der Post für Zustellungen ausdrücklich nicht zulässig.«

Zwar rechtfertigte der Oberregierungsrat Winterstein vom Bundesverteidigungsministerium vor dem Bremer Verwaltungsgericht, das vom zwangsrekrutierten Hans-Werner Schütz angerufen worden war, den direkten Weg: Die Schweizer Behörden hätten es nicht gern, »wenn deutschen Wehrpflichtigen, die sich in der Schweiz aufhalten, Einberufungsbescheide über die diplomatischen Vertretungen zugestellt werden«.

Doch das brachte die Alpenländler vollends in Zorn. Dr. Emanuel Diez, Chef der Abteilung Rechtsdienst im Berner Auswärtigen Amt: »Daß deswegen der Postdienst mittels Privatumschlag eingeschlagen wird, deutet noch auf die Böswilligkeit der deutschen Stelle hin.«

Wehrpflichtiger Weitner

Mit einem schönen Gruß ...

... zu den Waffen gelockt: Getarnte Einberufungs-Briefe

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