Potentiell jugendgefährdend
(Nr. 28/1976, Sexualverbrechen: Umstritten ist eine Aufklärungsaktion der Innenminister von Bund und Ländern gegen sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen)
Die Aufklärungs-Broschüre »Hab keine Angst« wurde nicht für Sexologen gemacht, sondern für Menschen aus Fleisch und Blut zwischen 7 und 14 Jahren. Wie verzerrt nun gar das Bild ist, das der SPIEGEL von der Kripo-Aktion wiedergibt, zeigt allein die Tatsache, daß er die von ihren Eltern getöteten Kinder mit den Opfern von Sexualmördern in einen Sarg wirft.
Düsseldorf CLAUS HARDEN
Troost Campbell-Ewald/Werbeagentur
Wahrscheinlich werde ich in Zukunft sicherheitshalber auch unter eine Decke kriechen, wenn ich am Strand die (Bade)Hose wechsele, und meine Frau ein Badetuch über mich halten lassen, außerdem einen Zeugen herbeibitten. der notfalls bescheinigen kann, daß man mein Geschlechtsteil nicht sehen konnte und der Auftritt nichts mit Sex zu tun hatte.
Bergisch-Gladbach (Nrdrh.-Westf.)
JOCHEN MITSCHKA
Die kurzsichtige Einseitigkeit und Unvollständigkeit, mit der Sie in Ihrem Artikel die neuartigen und damit zwangsläufig experimentierenden Methoden aufklärender Verbrechensverhütung vermiesen, belegt eine für den SPIEGEL erstaunliche rückwärtsorientierte Blickverengung. Verwerfbar ist insbesondere die Unterdrückung der überwiegend positiven Stimmen sowie die Tatsache, daß die Aktion von Polizeifachleuten aus Bund und Ländern gemeinsam getragen wird.
Wiesbaden OK. HORST HEROLD
Präsident des Bundeskriminalamtes
Über 90 Prozent der Resonanz war positiv. Bedauerlich war insoweit nur die Reaktion des SPIEGEL. Was nützt alles wohlformulierte schöne Reden über Vorbeugung, wenn man sich dann, wo es um die praktische Durchsetzung gegenüber vielfachen Erschwernissen geht, nicht nur zurückzieht, sondern sogar noch aus theoretischen, realitätsfernen Höhenüberlegungen heraus mit kleinlicher und besserwisserischer Kritik aufwartet? Was wir brauchen ist kein sich klugdünkendes Theoretisieren -- davon gibt's genug! sondern praktische Hilfe und praktische Unterstützung!
Stuttgart DR. ALFRED STÜMPER
Projektleitung Kriminalpolizeiliches Vorbeugungsprogramm des Bundes und der Länder
Die »Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung« erkennt die schwerwiegende Problematik sexueller Ausnutzung von Kindern. Wir sind jedoch der Auffassung, daß die Broschüre und die sie begleitenden Anzeigen und Plakatkampagnen nur Angst und hysterische Reaktionen erzeugen. denn
* die Kampagne benutzt kriminalstatistische Daten irreführend,
* sie schafft ein unterscheidungsloses Feindbild des »Sittenstrolches«. vom harmlosen Exhibitionisten bis zum sadistischen Sexualmörder,
* sie schürt Fremdenfurcht und Fremdenhaß, und
* sie weckt gezielt Sexualangst.
Die »Projektleitung« kann jedoch -- wenn überhaupt -- ihre Kampagne und die Wahl ihrer fragwürdigen Mittel nur mit großen Zahlen rechtfertigen. »Die Fassung ihres Aufrufes »300 000 Kinder geschändet« erweckt den Eindruck, als ob es sich dabei im wesentlichen um Notzucht- oder wenigstens beischlafähnliche Taten handele und weckt damit verständliche, aber gefährliche Emotionen.« Wir zitieren hier aus einem Brief des ehemaligen Justizministers Dr. Gustav Heinemann, der sich 1967 gegen eine fast identische Kampagne der Zeitschrift »Praline« wandte. Diesmal jedoch wurde der gleiche Vorurteilssud aus öffentlichen Mitteln finanziert.
Wir bestreiten die wissenschaftliche Kompetenz »namhafter deutscher Polizeibeamter«, die die Verantwortung für die Kampagne übernommen haben. Das, was sie Aufklärung nennen, ist wissenschaftlich unhaltbar, pädagogisch sinnlos, schädlich und potentiell jugendgefährdend.
Dringend notwendige Reaktion auf sexuelle Gewalttätigkeit jeder Art ist unter anderem eine angstvermeidende und sexualbejahende pädagogische Arbeit in Elternhaus und Schule sowie im Spiel- und Freizeitbereich von Kindern und Jugendlichen.
Hamburg
Für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung:
DR. GÜNTER SCHMIDT 1. Vorsitzender DR. GÜNTHER AMENDT Abteilung für Sexualforschung der Psychiatrischen Universitätsklinik