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HANDEL / LOCKVOGEL-ANGEBOT Preise zu niedrig

aus DER SPIEGEL 46/1969

Der Wiesbadener Einzelhändler Egon Hees machte seiner Kundschaft ein günstiges Angebot: eine Flasche »Scharlachberg Meisterbrand« für 9,40 Mark und eine Flasche »Doornkaat« für 7,25 Mark.

Die billigen Spirituosen kamen dem Kaufmann teuer zu stehen. »Bei Vermeidung einer vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Geldstrafe in unbegrenzter Höhe oder Haftstrafe bis zu sechs Monaten« untersagte der Erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofes dem hessischen Händler, künftig Scharlachberg und Doornkaat »zu einem unter dem Einstandspreis liegenden Verkaufspreis« anzupreisen.

Die Karlsruher Senatspräsidentin Dr. Gerda Krüger-Nieland und ihre vier Kollegen sahen in der Schnaps-Offerte des Delikatessenhändlers ein sogenanntes Lockvogel-Angebot, das nach Paragraph 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb verboten ist, »Bestimmte Waren billiger anzubieten«, sei zwar grundsätzlich zulässig, begründeten die Richter ihren Urteilsspruch. Nur müsse der Kaufmann die »Einzelerscheinung eines Sonderangebotes« so deutlich auszeichnen, daß der Verbraucher nicht auf die Idee komme, daß auch das übrige Sortiment ähnlich preisgünstig sei -- sonst handele es sich um Irreführung.

Nicht die Konkurrenz brachte Hees vor Gericht, sondern der Wiesbadener Markenverband, eine Vereinigung der größten Markenartikelfirmen Westdeutschlands. Den Verbandsfunktionären ging es vor allem darum, ein Grundsatz-Urteil in die Hand zu bekommen, mit dem sie dem Einzelhandel die Verschleuderung von nicht preisgebundenen Markenartikeln zu Werbezwecken untersagen konnten.

In der Klageschrift machten die Verbandsjuristen geltend, Hees habe nicht nur ein unlauteres, irreführendes Lockvogel-Angebot gemacht, sondern auch unzulässig den guten Ruf von Markenartikeln ausgebeutet.

Die hessischen Landgerichtsräte gaben dem Kläger in vollem Umfang recht. Lasse man die Schleuderei ungestraft zu, so befanden die Richter, müßten auch die anderen Kaufleute ihre Preise unter Selbstkosten senken, so daß es zu einem ruinösen Wettbewerb komme,

Auf ähnlichen Überlegungen basierte schon die im Jahr 1934 erlassene NS-Verordnung über den Wettbewerb. Sie bedrohte mit Gefängnis und Geldstrafe in unbeschränkter Höhe, »wer ... In gemeinschädlicher Weise Güter oder Leistungen zu Preisen anbietet, die seine Selbstkosten nicht decken können und den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft Widersprechen«.

Die auch von bundesdeutschen Gerichten beanstandeten Billig-Offerten gehören indes seit Jahren zum ständigen Repertoire des Handels. Besonders Handelsketten und große Selbstbedienungsläden verstehen es immer wieder, Kundschaft durch attraktive Sonderangebote in ihre Läden zu locken. Mit den scharf kalkulierten Preisen der Umsatzriesen können die kleinen Kaufleute aber kaum noch konkurrieren, denn bei Lieferanten und Fabrikanten bekommen sie längst nicht so günstige Einkaufspreise wie die Großabnehmer.

Recherchen des Wiesbadener Delikatessenhändlers ergaben, daß beispielsweise der Frankfurter Supermarkt-König Latscha Import-Whisky der Marke »Black & White« für 14,50 Mark noch mit Profit verkaufen kann. Den gleichen Betrag aber muß der Wiesbadener schon beim Einkauf der Flasche hinlegen. Doornkaat bekomme er bei »Neckermann billiger als ab Werk«, echauffiert sich Hees, und Scharlachberg Meisterbrand, für den er immerhin 9,40 Mark forderte, sei in Supermärkten des Ruhrgebietes für unter acht Mark zu haben.

Das praxisfremde Urteil der Wiesbadener Richter mochte der streitbare Kaufmann nicht akzeptieren und ging in einer sogenannten Sprungrevision vor das Bundesgericht. Doch auch die Karlsruher Richter glaubten, den Verbraucher vor irreführenden Billig-Angeboten schützen zu müssen.

Immerhin bestätigten die Bundesrichter das Urteil ihrer Wiesbadener Kollegen nicht in vollem Umfang. »Ein Rechtsschutzbedürfnis für ein umfassender formuliertes Verbot«, wie es die Wiesbadener Markenartikler gewünscht hatten, besteht nach Ansicht der Richter nicht: Der Verband muß ein Viertel der Gerichtskosten zahlen.

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