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Primärziel ist Cash

Alfred Rappaport entwickelte das Shareholder-value-Konzept
aus DER SPIEGEL 12/1997

Der Mann besitzt keine Aktien. Wie viele US-Bürger steckt Alfred Rappaport sein Erspartes lieber in Fonds, die das Geld für ihn an der Börse anlegen. Mit ihren großen Vermögen, weiß er, können Anlageprofis den Firmen mehr Druck machen.

Als Wissenschaftler und Unternehmensberater hat Rappaport wesentlich dazu beigetragen, die Manager großer Konzerne auf Profitmaximierung einzuschwören. Er gilt als der geistige Vater eines ökonomischen Konzeptes, das die Aktiengesellschaften weltweit in den letzten zehn Jahren stark verändert hat. Rappaport ist der Erfinder des Shareholder-value-Gedankens.

Sein 1986 erschienenes Buch (Deutscher Titel: »Shareholder-value - Wertsteigerung als Maßstab für die Unternehmensführung") ist mittlerweile ein Klassiker, aber den Nobelpreis wird der Wirtschaftsprofessor dafür nicht bekommen. »Nicht gerade neu«, urteilte die harvard business review nach Erscheinen des Buches, aber »genau zum richtigen Zeitpunkt und wichtig«.

Im Grunde habe Rappaport »nur Trivialitäten aufgeschrieben«, meint der Würzburger Ökonom Ekkehard Wenger. »Sensationell war das Konzept nur deshalb, weil zu viele Leute aus den Augen verloren hatten, worum es bei den Aktiengesellschaften eigentlich geht.«

Daß dieser Unternehmenstyp nützlich ist, um kleine Beträge für große Projekte zu bündeln, ist spätestens seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Ebenso alt ist die Erkenntnis, daß diese Gesellschaften ihren Zweck nur dann erfüllen können, wenn sie den Anteilseignern eine ordentliche Rendite auf ihr Kapital verschaffen: Ihr Primärziel ist Cash.

Uneinigkeit herrschte jedoch darüber, wie sich diese Zielsetzung konkret erreichen lasse, schreibt Rappaport in seinem Buch. Der Ökonom, der heute als Unternehmensberater arbeitet, gab den Managern das Handwerkszeug, mit denen sie die Interessen der Aktionäre besser befriedigen können.

Wachstum und Gewinne, so seine Lehre, sagen über den Unternehmenserfolg wenig. Für den gebe es nur einen echten Maßstab: den Börsenkurs.

Ein Sparer oder Investor, der einer Firma Geld zur Verfügung stelle, erwarte dafür eine bestimmte Rendite. Dieser Ertrag müsse höher sein als das, was ein Sparbuch abwirft. Denn würde der Sparer sein Geld zur Bank bringen, hätte er kein Risiko.

Erfolgreich ist ein Unternehmen für Rappaport nur dann, wenn es die Erwartungen der Geldgeber zufriedenstellt. Aber wie geht das? Zentrale Größe in Rappaports Konzept ist der Cash-flow, ein Zahlungsstrom, der dann entsteht, wenn die Einzahlungen in die Firmenkasse die Auszahlungen übersteigen. Bei der Analyse einzelner Investitionen ist die Kalkulation dieser Größe seit Jahrzehnten der entscheidende Faktor, der Ökonom übertrug die Methode auf ganze Unternehmen.

Der Gewinn, argumentiert er, tauge als Maßstab nicht, denn bei seiner Berechnung haben die Buchhalter große Bewertungsspielräume. So ist der bilanzielle Überschuß beispielsweise zu niedrig, wenn Maschinen schneller abgeschrieben werden, als sie tatsächlich verschlissen sind. Er ist zu hoch, wenn bestehende Vorräte mit einem unrealistisch hohen Anschaffungspreis bewertet werden. Der Cash-flow dagegen ist nicht manipulierbar. Gewinn ist Meinung, so Rappaport. Nur was in der Kasse ist, ist Fakt.

Für die Aktionäre interessant ist dabei nur der Teil der liquiden Mittel, der an sie verteilt werden kann. Von den Erlösen abgezogen werden müssen daher nicht nur die Kosten für Mitarbeiter, Material und Ersatzmaschinen, sondern auch die Zinsen für Kredite.

Was dann noch übrigbleibt, nennt Rappaport den Free-Cash-flow - das ist das Geld, das den Eigentümern überwiesen werden könnte. Und der wahre Wert eines Unternehmens ist die Summe dieser Überschüsse.

Es muß allerdings berücksichtigt werden, daß Beträge, die erst in weiter Zukunft fließen, weniger wert sind als das Geld, das schon nächstes Jahr in die Kassen kommt. Künftige Zahlungsströme werden daher abgezinst, wie es im Jargon der Betriebswirte heißt.

Unter dem Druck ihrer milliardenschweren Großanleger nutzen heute Tausende US-Firmen Rappaports Ansatz, das Konzept nahm immer stärker die Züge einer »Religion« (Wenger) an. Shareholder-value, ursprünglich nur als Methode zur planmäßigen Steigerung von Unternehmenswerten konzipiert, wurde zum alles übertönenden Schlagwort eines revitalisierten Kapitalismus.

Rüdiger Jungbluth
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