Professoren über Professoren: Wieder Elite
Nur wenige klingelten vergebens, als das Münchner Infratest-Institut seine Interviewer insgesamt 1900 Professoren und anderen Hochschullehrern in 60 Orten. von München und Hamburg bis Worms und Weingarten, ins Haus schickte.
Bereitwillig gaben die Gelehrten etwa eine Stunde lang Antwort auf 119 Fragen. Ihre Auskünfte waren repräsentativ für alle ihre Kollegen in der Bundesrepublik und in West-Berlin, soweit sie nicht beurlaubt, nur Gäste oder schon emeritiert sind.
Sie bezifferten ihre Einkünfte und Arbeitszeiten, schilderten Herkunft und Werdegang, offenbarten die Partei ihrer Wahl und sagten vor allem ihre Meinung über die heutige akademische Welt und deren Probleme.
Die 800 Tabellen der Untersuchung. die während des Sommersemesters 1974 vom 16. Mai bis 28. Juni durchgeführt wurde, liegen derzeit nur dem Auftraggeber, dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, vor und werden erst im Frühjahr 1975 veröffentlicht.
Es ist nicht nur die erste Bestandsaufnahme an den deutschen Universitäten und anderen Hochschulen seit der Studentenrevolte in den späten sechziger Jahren. Eine so umfassende Untersuchung über die deutschen Hochschullehrer hat es bisher überhaupt noch nicht gegeben.
Befragt wurden alle Sparten. Die größte Gruppe bildeten die Naturwissenschaftler vor den Germanisten, Anglisten und anderen Wissenschaftlern der früheren Philosophischen Fakultät. den Ingenieurwissenschaftlern, Medizinern. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, Pädagogen und Juristen. Selbst winzige Minderheiten wie die Theologen und die Agrarwissenschaftler sind repräsentativ vertreten.
Einbezogen waren Lehrkräfte an Universitäten und an Technischen Universitäten und Hochschulen, an Pädagogischen, Gesamt- und Fachhochschulen.
Die Untersuchung war nicht auf die ordentlichen und außerordentlichen Professoren -- die »Hochschullehrer in engerem Sinne« -- beschränkt. Sie machen 27 Prozent der Befragten aus. Einen noch größeren Anteil stellt das »sonstige wissenschaftliche Personal mit Lehrverpflichtungen« (39 Prozent), das größtenteils aus Assistenten, im übrigen aus Lehrbeauftragten und Lektoren besteht. Die anderen Gruppen (abgesehen von zwei Prozent »Sonstigen"): > Dozenten (elf Prozent),
Professoren und Dozenten von Fachhochschulen (neun Prozent),
»wissenschaftlicher Nachwuchs«, vor allem Assistenzprofessoren sowie Oberärzte und -assistenten (vier Prozent).
* »Akademischer Mittelbau«, überwiegend Akademische Räte (acht Prozent).
Demgegenüber nehmen sich auch jene früheren Untersuchungen, die als Standardwerke gelten, bescheiden aus. Sie waren meist auf einzelne Fächer an wenigen Hochschulen beschränkt. Bislang beruhten deshalb Ansichten von Professoren über ihresgleichen »häufiger auf subjektiven Erfahrungen als auf wissenschaftlichen Unterlagen«. wie die liberale Gießener Soziologin Helge Pross ihren konservativen Münsteraner Fachkollegen Helmut Schelsky zustimmend zitierte.
* In den Graphiken sind die Befragten, die keine oder eine »sonstige« Antwort gaben, nicht gesondert ausgewiesen. Die Antworten summieren sich deshalb zum Teil auf weniger als 100 Prozent.
Auch eigene Umfragen der beiden Soziologen änderten daran nicht viel. Schelsky genügten für eine 1966 veröffentlichte und seither vielzitierte Arbeit über »Berufsbild und Berufswirklichkeit des Professors« die Angaben von 30 Ordinarien aus drei Fakultäten an zwei Orten, und Helge Pross beschränkte sich 1966/67 auf 96 Hochschullehrer ihrer Heimatuniversität. Das Statistische Bundesamt wiederum bezieht zwar in seine Zählungen weit mehr Hochschullehrer ein, stützt sich aber stärker auf Karteien der Hochschulen als auf Auskünfte der Professoren und beschränkt sich zudem auf die äußeren Daten.
Doch auch in dieser Hinsicht brachte die Umfrage des Bonner Wissenschaftsministeriums so viele Details zusammen, daß sie sich zu einem Mosaikbild vom deutschen Professor fügen, wie er gegenwärtig lebt und arbeitet.
Er verdient nach eigenen Angaben im Durchschnitt 3750 Mark netto im Monat (gleich brutto etwa 4670 Mark), widmet 87 Prozent seiner Zeit der Hochschule und den Rest dem Nebenerwerb, der lukrativer ist als seine amtlichen Einkünfte. Er kostet ihn 13 Prozent seiner Arbeitsstunden und bringt ihm 21 Prozent seines Einkommens.
Je nach Ruhm, Fach und Eifer differieren die Einkünfte allerdings erheblich. 27 Prozent der Professoren beziehen weniger als 3000 Mark, 14 Prozent mehr als 5000. Wie unterschiedlich die allmonatlichen Eingänge auf den Konten je nach Fach sind, zeigt ein Vergleich zwischen drei Disziplinen*. Es gaben ihr monatliches Nettoeinkommen ("Nach Abzug der Steuern und der Sozialversicherung") an
Noch immer dauert es geraume Zeit. bis ein Hochschullehrer am Ziel ist. Der deutsche Professor war 9,4 Jahre an der Hochschule tätig, bevor er einen Lehrstuhl erhielt. Diese Durchschnittszahl läßt nicht erkennen, wie unterschiedlich lang die Laufhahnen sind. Von je 100 Professoren brauchten Gleichwohl sind die Professoren heute jünger als früher. 1960 lag das Durchschnittsalter bei knapp 54 Jahren, heute ist jeder zweite jünger als 40 Jahre. Es sind von je 100 Professoren
Zwei von drei Wissenschaftlern, die derzeit an den Universitäten lehren und forschen, haben die Welt des Katheders nie verlassen. Nach dem Abitur begann gleich das Studium, nach dem Examen gleich die Karriere. Mehr Praxis als andere Lehrkräfte haben vor allem die Professoren und anderen Wissenschaftler an den Technischen und den Fachhochschulen.
Zwar sammeln Pädagogen und Sprachwissenschaftler auch dann praktische Erfahrungen, wenn sie vor oder während ihrer Hochschul-Karriere eine Zeitlang an einer Schule unterrichten. Trotzdem kennen auch sie wie weitaus die meisten anderen Hochschullehrer die Welt der Arbeit, soweit sie nicht aus Klassenzimmern und Hörsälen besteht, nur vom Hörensagen. In dieser Hinsicht hat sich gegenüber früheren Generationen nichts geändert.
In anderer Beziehung, sozusagen hochschulintern, ist demgegenüber ein erheblicher Wandel festzustellen. Schon die stark verminderte Zahl von Titeln zeigt an, daß sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten an den deutschen Hochschulen mehr geändert hat als zuvor in eineinhalb Jahrhunderten. Die Habilitation (von lat. »habilis« gleich geeignet, fähig) ist nicht mehr »unerläßliche Bedingung für den Eintritt in die akademische Laufbahn«, wie der Kieler Ordinarius Erich Schneider noch 1966 und ähnlich früher fast alle Professoren meinten. Das dreiteilige Verfahren zur Erlangung der Lehrbefugnis (erforderlich: Habilitationsschrift, Kolloquium und öffentliche Probevorlesung), das zum Kürzel »habil.« hinter dem Doktortitel berechtigt, haben nur noch zwei von drei heute tätigen Professoren hinter sich gebracht.
Jeder achte Professor ist sogar ohne Doktorarbeit zum Lehrstuhl gekommen. In den unteren Rängen gibt es heute sogar schon eine beträchtliche Minderheit, die nicht promoviert hat: Im Mittelbau trägt fast jeder zweite keinen Doktortitel.
Noch weniger Habilitierte und Promovierte als in anderen Fachrichtungen gibt es bei den Ingenieurwissenschaftlern, am treuesten sind der Tradition die Mediziner. Sie führen aber nicht nur die meisten Titel und verdienen nicht nur das meiste Geld, sondern sie arbeiten auch am meisten.
Mehr als die Sonderstellung der Mediziner beschäftigt die deutschen Professoren die Frage, ob die Zeiten für Lehre und Forschung im rechten Verhältnis zueinander stehen. Erstmalig liegen hierfür nun Daten vor. Der deutsche Durchschnitts-Professor widmet von je 100 Arbeitsstunden der
Für welche Aufgaben heute mehr und für welche Aufgaben weniger Zeit gebraucht wird als in der Vergangenheit. läßt sich nicht ermitteln. Frühere Untersuchungen waren in dieser Frage weder repräsentativ noch um exakte Daten bemüht.
Lediglich Schelsky gab in seiner Untersuchung Prozentsätze an. Wären sie repräsentativ, so hätte sich eine uralte Forderung deutscher Professoren erfüllt: Sie brauchten nicht mehr soviel Zeit für die Lehrtätigkeit zu verwenden wie früher. Sie nimmt nicht mehr 55 Prozent ihrer Zeit in Anspruch (wie laut Schelsky noch Mitte der sechziger Jahre), sondern wäre um ein Viertel reduziert. Die Stundenzahl, die für Forschung frei ist, hätte sich fast verdoppelt. Die Verwaltungsarbeit einschließlich Sitzungen kostete etwa so viele Stunden wie früher.
Daß die Hochschulen sich mit so geringem Zeitaufwand leiten lassen, ist allerdings zweifelhaft. Andere Ergebnisse der Umfrage zeigen an, daß die Antworten in diesem Punkt der Wirklichkeit wohl kaum gerecht werden. Denn zahlreiche Professoren beklagen, daß administrative Aufgaben sie zuviel Zeit kosten. Die neuen Mitbestimmungs-Gremien, die es seit dem Wandel von der Ordinarien- zur Gruppenuniversität gibt, verbrauchen viele Sitzungsstunden.
Hingegen ist es wahrscheinlich, daß viele Professoren und Dozenten weniger mit Lehre beschäftigt sind als früher. Denn ihre Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht, und überdies ist es die Hauptfunktion des neugeschaffenen Mittelbaus, sie hierbei zu entlasten.
Noch weitaus am meisten mit dem Lehren beschäftigt sind die Professoren und Dozenten der Fachhochschulen. Sie haben so wenig Zeit für Forschung wie laut Schelsky früher die Professoren der Universitäten. Es wenden auf (in Prozent ihrer Arbeitszeit) für
Fast nichts hat sich in anderen Fragen geändert: Noch immer sind hinter den Kathedern die Männer so unter sich wie sonst nur an Stammtischen und in Klöstern. Lediglich acht Prozent der Lehr-Stellen sind mit Frauen besetzt.
Daß es überhaupt so viele sind, ergibt sich aus ihrem überdurchschnittlich großen Anteil am Personal der Pädagogischen Hochschulen. Aber auch dort, wo mehr Frauen als Männer studieren, ist der Lehrkörper nur zu einem Fünftel weiblichen Geschlechts.
Noch immer ist für Frauen zumeist der Verzicht auf die Ehe der Preis für eine akademische Karriere. 49 Prozent der weiblichen Hochschullehrer blieben unverheiratet, weitere elf Prozent sind geschieden oder leben von ihren Ehepartnern getrennt.
Wer nur die Köpfe zählt, kann argwöhnen, beim Entscheid über die Besetzung von Posten herrschten noch immer solche Ansichten vor, wie sie etliche Professoren 1953/54 bei einer Umfrage des Sozialpsychologen Hans Anger zu Protokoll gaben. Typische Beispiele:
»Ich sage es sehr knapp und klar: Der Frau liegt das Auftreten auf dem Katheder nicht. Das ist ein sekundäres Geschlechtsmerkmal.«
* »Geistigkeit ist ein Privileg der Männer, wenn die Frau Geistigkeit im gleichen Ausmaß besitzt, dann fehlt ihr etwas anderes. Sie ist dann keine Frau mehr.«
* »Frauen können nicht denken. Oder schreiben Sie besser: Das abstrakte Denken ist der Frau nicht so zu eigen, und die Ausbildung erwachsener Männer liegt ihr nicht.« Ein neuer Trend ist in der Einstellung zur Religion festzustellen. Die Minderheit der Hochschullehrer, die keiner Kirche angehören, ist erheblich angewachsen, ohne daß es bislang irgend jemand wahrgenommen hat. Es gibt bereits dreimal so viele, wie es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechen würde. Demgegenüber sind -- wie früher schon -- die Katholiken unterrepräsentiert. Es sind von je 100
Setzt sich der Trend der Trennung von Geist und Gott fort, so wird« es in absehbarer Zeit an den deutschen Hochschulen mehr Konfessionslose als Katholiken geben. Denn unter den Assistenten (zum großen Teil künftigen Professoren) ist es schon heute so.
Nicht mehr ganz so einseitig wie früher rekrutiert die akademische Welt ihren Nachwuchs aus akademisch gebildeten Familien, also sozusagen aus den eigenen Reihen. Aber auch heute noch hat nur jeder zwölfte Bundesbürger. aber fast jeder zweite Professoren-Vater mindestens Ober- oder sogar Hochschulbildung. Es haben besucht von je 100
In ihrer sozialen Herkunft unterscheiden sich die Professoren noch stärker von den Durchschnittsdeutschen. Es sind oder waren von je 100
Aus keiner anderen sozialen Gruppe gehen so viele Hochschullehrer hervor wie aus Beamtenfamilien. Hier sind noch Trends wirksam, die bereits vor mehreren Jahren festgestellt wurden. Helge Pross über die Gründe: »Wahrscheinlich ist, daß die Verbindung von bürokratischem Berufsethos. spezifisch deutschen Denktraditionen der Beamtenschaft und ihrer (gegenüber vergleichbaren Statusgruppen) beengteren finanziellen Lage ein häusliches Klima schaffte, das die Kinder zu hoher Arbeitsdisziplin, zu Aufstiegshoffung und Bildungsverlangen motivierte.«
Ihrer sozialen Herkunft entsprechend müßten die Professoren sich so verhalten, wie es in Tages- und Wochenzeitungen oft behauptet wird. Eine Reihe von Zitaten faßte die Gießener Soziologin (in ihrem Buch »Professoren in der Provinz«, Luchterhand Verlag) zusammen:
»Professoren sind reaktionär, bestenfalls konservativ. Sie marschieren rückwärts. Sie sind unbeweglich, starr. autoritär, Feudalherren, unfähig, die Zeichen der Zeit zu verstehen. Engstirnig verfolgen sie ständische Interessen. die Rückkehr zum Zustand vor Beginn der Reformdiskussion ... Gewiß es gibt ein paar aufgeschlossene Einzelgänger, aber die zählen nicht. Maßgeblich ist die Mehrheit, und die ist nun einmal reaktionär.«
Die Ergebnisse der Infratest-Umfrage zeigen. daß vieles an diesem Bild falsch ist.
Sicher ist, daß die meisten Professoren nicht mehr im weltfernen Elfenbeinturm leben wollen. Auf die Frage, wie groß ihr hochschulpolitisches Interesse sei, erklärten von je 100 Befragten. es sei
In keiner Gruppe gibt es erhebliche Abweichungen, Professoren sind sogar noch um einige Grade engagierter als Assistenten.
In der Einstellung zu Regierung und Opposition in Bonn ist sich die Mehrheit der Lehrenden sogar mit der Mehrheit der Lernenden an den deutschen Hochschulen einig: Vor wie hinter dem Katheder haben SPD und FDP mehr Anhänger als Gegner. Das zeigt ein Vergleich der Zahlen, die Infratest 1973/74 bei einer Studenten-Umfrage (SPIEGEL 28/1974) und jetzt bei der Hochschullehrer-Umfrage ermittelte.
Auf die Frage, »welche Partei politisch Ihren Vorstellungen am nächsten steht«, entschieden sich von je 100
Die Minderheiten, die nicht mit einer der Bonner Parteien sympathisieren, sind allerdings in der politischen Landschaft an entgegengesetzten Stellen anzusiedeln, wie eine Analyse der Infratest-Tabellen deutlich macht: bei den Lernenden links von der SPD, bei den Lehrenden rechts von der FDP.
Unter den Studenten gibt es nicht nur die fünfprozentige DKP-Klientel, sondern auch eine etwa gleich große Gruppe, die Kommunisten maoistischer Spielart nahesteht. Unter den Hochschullehrern hingegen sind diejenigen. die keine Partei ihrer Wahl angaben, größtenteils der Bonner Opposition näher als der Koalition.
Gleichwohl haben SPD und FDP in allen Gruppen der Hochschullehrer die absolute Mehrheit. Die einzige Ausnahme sind die Professoren, bei denen es nur zur relativen Mehrheit für die Bonner Koalition reicht. Es bezeichnen als Partei ihrer Wahl von je 100
Ihrer Mehrheit unter den Hochschullehrern können die heiden Regierungsparteien allerdings nicht recht froh sein. Denn mit ihr dürften sie nur bei Wahlen (wenn sich nicht 1975 die Stimmungslage ändert), nicht aber in der Hochschulpolitik rechnen.
Was die Einstellung zur derzeitigen und zur künftigen Entwicklung an den Hochschulen angeht, so lassen sich die Ansichten der Professoren und anderen Lehrkräfte nicht einfach als überwiegend »konservativ« oder »progressiv«, als regierungsfreundlich oder oppositionsnah einordnen.
Vielmehr bietet sich ein differenziertes Bild, je nachdem, ob es um die Einstellung zu den Studenten oder zu linksradikalen Eiferern, um Lehre oder Forschung, um den jetzigen Stand der Mitbestimmung oder um weitere Reformpläne geht.
Das Verhältnis weitaus der meisten Professoren und anderen Hochschullehrer zu den Studenten ist besser, als die Funktionäre des kommunistischen Studentenbundes »Spartakus« und des konservativen »Bundes Freiheit der Wissenschaft« wahrhaben wollen.
Beide Bünde. der linksradikale und der rechte, brauchen die Lebenslüge von der tiefen Kluft zwischen Studenten und Professoren, ohne die sie ihre Existenz kaum rechtfertigen können.
In Wahrheit aber ist die Zeit, in der noch Kämpfe zwischen Katheder und Klappsitz tobten, längst vorüber. Weitaus die meisten Professoren und weitaus die meisten Studenten haben ihren Frieden miteinander gemacht.
Das zeigte sich vor allem, als den Hochschullehrern mehrere Statements vorgelesen wurden und sie sich dazu anhand einer Skala mit Werten von 1 bis 8 äußern sollten. Jeder Interviewer verlas die Belehrung: »Der Skalenwert 1 bedeutet, daß Sie der Aussage überhaupt nicht zustimmen, der Skalenwert 8 bedeutet, daß Sie voll zustimmen. Mit den Werten 2 bis 7 können Sie Ihr Urteil abstufen.«
Ganz eindeutig stimmten die Hochschullehrer dem Statement zu: »Die Beziehungen zwischen Lehrenden und Studenten sind in meinem Fachbereich im allgemeinen gut.« Es entschieden sich, von je 100 Befragten für den Skalenwert
Nur eine Minderheit von zwölf Prozent hält mithin ähnlich wie der »Bund Freiheit der Wissenschaft« das Verhältnis zwischen Professoren und Studenten für mehr oder minder schlecht.
Und sogar noch größer ist die Übereinstimmung bei einem anderen Statement. Neun von zehn Hochschullehrern lehnen die Behauptung ab: »Die Lehrveranstaltungen in meinem Fachbereich haben unter politisch motivierten Störungen zu leiden.« Es entschieden sich von je 100 Befragten für den Skalenwert
Mit anderen Worten: Für große Mehrheiten sind politische Störungen kein Thema mehr, nur eine Minderheit von zehn Prozent leidet noch darunter.
Diese Minderheit ist in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern etwas größer als in anderen, auch äußern sich Professoren ein wenig kritischer als Dozenten oder Assistenten. Aber wie auch immer ausgewählt wurde: An keiner Hochschule, in keinem Fachbereich und in keiner Gruppe von Hochschullehrern ist die Minderheit größer als 15 Prozent.
Diese Ergebnisse schließen nicht aus, daß es punktuell für einzelne Professoren oder örtlich in einzelnen Fachbereichen noch immer Konfliktsituationen gibt. Aber im Widerspruch zur Wirklichkeit stehen Schilderungen, wie sie vom »Bund Freiheit der Wissenschaft« und dessen Wortführern gegeben werden.
Das gilt nicht nur für den Vorsitzenden des Bundes, den Münchner Historiker Professor Thomas Nipperdey. Er behauptete kürzlich in seinem Jahresbericht: Einige Universitäten seien »hart umkämpft und ständig gefährdet«, andere »in wesentlichen Bereichen von den Radikalen »erobert« und zum Teil ruiniert«, wieder andere, wie die Freie Universität in Berlin und die Bremer Universität, zu »Gegeninstitutionen gegen die demokratische Gesellschaft« umfunktioniert worden.
Es gilt auch für den renommierteren Berliner Historiker Professor Ernst Nolte, der zu den Gründern des Freiheits-Bundes zählt. In seinem jüngst (bei Piper) erschienenen Buch »Deutschland und der Kalte Krieg« behauptet Nolte, durch die Studentenrevolte und verfehlte Reformen seien die Universitäten »teilweise in Tollhäuser oder Parteihochschulen verwandelt« worden, und Parteigänger der DDR hätten »Teile der Hochschulen dauerhaft zu ihren Zitadellen gemacht«.
Dazu Werner Sörgel, der die Infratest-Untersuchung leitete: »Hier wird von möglicherweise individuell gemachten Erfahrungen in einer Weise auf das Ganze geschlossen, wie es sich mit unseren repräsentativen Befunden nicht vereinbaren läßt.«
Daß es die Fronten nicht mehr gibt, über die Sprecher des »Spartakus« und des Freiheits-Bundes noch immer berichten, lehrt auch ein Vergleich der politischen Statements mit anderen Antworten. Die Professoren haben zum großen Teil längst ganz andere Sorgen. Mit den Beziehungen zu den Studenten und mit der Ruhe nach den politischen Stürmen sind viele weit zufriedener als mit ihren Bezügen (18 Prozent halten sich nicht für angemessen bezahlt), mit der Ausstattung und der Zahl der Räume in ihren Instituten.
Welche Funktion die Hochschulen. heute für die Studenten haben, ließ das Wissenschaftsministerium sowohl die Studenten selbst als auch die Hochschullehrer fragen. 13 Ansichten standen zur Wahl, und übereinstimmend wurden die Hochschulen am häufigsten als »Ausbildungsstätten für den späteren Beruf« sowie als »Institutionen zum Erwerb von spezialisiertem Fachwissen« und zum »Lernen von wissenschaftlichen Arbeitstechniken« bezeichnet. Daß die Studenten die Hochschulen nutzen wollen, um »gesellschaftskritisches Bewußtsein« zu entwickeln, wurde ebenso selten als zutreffend bezeichnet wie die Behauptung, sie böten vornehmlich »eine angenehme Unterbrechung zwischen Schule und Berufsleben«.
Unterschiedlicher Ansieht sind Studenten und Professoren über die Gründe. warum in etlichen Fächern weit länger studiert wird, als es die Studienordnungen vorsehen. Die Studenten erklären am häufigsten, sie hätten ihr »Studium von vornherein breiter angelegt und eine entsprechend lange Studiendauer vorgesehen«. Die meisten Hochschullehrer glauben dies nicht. Ordnet man die auf einer Liste aufgeführten zwölf Gründe danach, wie häufig sie als zutreffend bezeichnet werden, so steht dieses Motiv bei ihnen auf Platz neun.
Am häufigsten wurden genannt: Prüfungsangst. »Inanspruchnahme durch Gelderwerb« und »Fehlplanung des Studiums«. Nicht so oft suchen die Lehrenden die Schuld in den eigenen Reihen: An vierter bis sechster Stelle stehen »mangelnde Beratung und Betreuung der Studierenden durch das Lehrpersonal«, zu niedrig angesetzte Studienzeiten und fehlende Orientierung über den Leistungsstand.
Jeweils zwischen 21 und 23 Prozent der befragten Professoren glauben, daß »Disziplinlosigkeit und Faulheit«, ein »weites Spektrum an Freizeitinteressen« sowie »zu viele Verpflichtungen außer dem Studium« dazu führen, daß die Studenten lange an der Hochschule bleiben.
Gleichwohl lehnt es eine Zweidrittelmehrheit ah, die Studiengänge auf administrativem Wege zu verkürzen. Die »weitere Verschulung des Lehrbetriebes an den Hochschulen« wäre der Preis, den die Professoren nicht zu zahlen bereit sind. Infratest-Kommentar: »Eine Hochschulreform, die auf Verkürzung der Studiengänge abzielte, hat nach den Erhebungsbefunden mit deutlichen Widerständen der Lehrenden zu rechnen.«
Daß die meisten Wissenschaftler die Studiendauer nicht reglementieren wollen, hat vermutlich auch politische Gründe. Denn sicher ist, daß die Studenten sich zum Widerstand formieren und daß längst vernarbte Wunden aufbrechen würden.
Etliche Aussagen zeigen eindeutig. daß die meisten Hochschullehrer neue Unruhen fürchten wie ein gebranntes Kind das Feuer. So selten sich die Gelehrten noch darüber beklagen, daß es politische Aktionen von Radikalen gibt, so häufig bekunden sie trotzdem ein extremes Bedürfnis nach gesetzlich geregelter Ruhe und Ordnung.
56 Prozent verlangen:« Der reibungslose Ablauf des Lehrbetriebes an den Hochschulen muß gewährleistet sein, störende Studenten müssen notfalls von der Hochschule verwiesen werden können.« Dementsprechend halten 57 Prozent ein besonderes Ordnungsrecht für notwendig.
Eine Zweidrittelmehrheit der Professoren pflichtete einer Ansicht bei. wie sie dem sogenannten Radikalen-Erlaß zugrunde liegt: »Bewerber, die aufgrund ihrer politischen Ansichten das Grundgesetz nicht voll unterstützen können, sind für den öffentlichen Dienst ungeeignet.« Nur knapp ein Drittel hingegen stimmte der Meinung zu, die von der Mehrheit der Studenten vertreten wird: »Niemand sollte aufgrund seiner politischen Überzeugung von einem Berufszweig, auch nicht vom öffentlichen Dienst, ausgeschlossen werden dürfen.« Eine Mehrheit, die so liberal wie die Studenten urteilt, gibt es lediglich bei den jüngeren Lehrkräften aller Gruppen (unter 30 Jahren). bei den Frauen und bei den SPD-Sympathisanten.
Nur die Allergie gegen radikale Außenseiter erinnert noch an die Kämpfe der vergangenen Jahre. Im Übrigen ist es den meisten Professoren und fast allen anderen Lehrkräften gelungen, sich konsequent von der alten auf die neue Hochschule umzustellen: in der nicht mehr allgewaltige Ordinarien das Feld allein beherrschen, sondern mehrere Gruppen neben-, mit- und auch gegeneinander die Entwicklung der Hochschulen bestimmen. Es herrscht Frieden, aber nicht Eintracht. Die Konflikte werden offen ausgetragen, ohne daß sie sich zu politischen Frontkämpfen auswachsen.
Die Mitbestimmung der Studenten wird nicht mehr als politisches, sondern nur noch als technisches Problem empfunden. Als die Befragten anhand einer Liste die Mängel der Mitbestimmung an den Hochschulen angeben sollten. wurde am häufigsten angekreuzt: Die Gremien verlören sich in Details, bei den Studenten gebe es zu wenig Kontinuität, die Sitzungen würden schlecht vorbereitet. Weit seltener wurden Konsensmangel« oder »Politisierung der Debatte« genannt.
Nur noch eine kleine Minderheit der Professoren (17 Prozent) hält es für eine »Anmaßung, wenn Studenten über Lehrinhalte mitbestimmen wollen«. In den fünfziger und sechziger Jahren wäre diese Ansicht vermutlich noch von weitaus den meisten Hochschullehrern geteilt worden. Als beispielsweise der Sozialpsychologe Hans Anger Professoren und Dozenten befragte. ob Studenten »bei bestimmten Entscheidungen ... zum Beispiel bei Fragen der Gestaltung des Lehrprogramms, mitwirken« sollten, sprach sich nur jeder fünfte dafür aus. Aber selbst diese Außenseiter verstanden darunter laut Anger zumeist »lediglich die zeitliche Organisation des Stundenplanes«. Für die Mehrheit waren Ansichten typisch wie diese: »Entweder ist jemand Lehrer, oder er ist es nicht. Er kann sich solche Dinge nicht von den Schülern sagen lassen.«
Die Zahl der Studenten-Sitze in den Gremien, in denen heute über »solche Dinge« entschieden wird, halten 56 Prozent der Befragten für angemessen, nur 14 Prozent für zu hoch, 24 Prozent sogar für zu niedrig.
Eigene Erfahrungen mit der Mitbestimmung haben drei von vier Hochschullehrern gesammelt. Die meisten berichteten, es werde seltener »einheitlich nach Gruppenzugehörigkeit abgestimmt« als je nach Sachlage mit wechselnden Mehr- und Minderheiten. Block-Abstimmungen werden am häufigsten den Studenten vorgeworfen, von den anderen Gruppen neigen vor allem die Professoren dazu.
Daß die Professoren noch immer oder schon wieder zu großen Einfluß haben, ist eine Auffassung, die unter den anderen Hochschullehrern weit verbreitet ist. Umgekehrt sind viele Professoren auf Distanz zu den anderen bedacht. Dazu Infratests Sörgel: »Sie fangen an, sich wieder als Elite zu verstehen -- wenn auch anders als einst.«
Die Position des Assistenzprofessors. der nach langgehegten SPD-Vorstellungen eine Mittelstellung zwischen Professoren und Assistenten einnehmen und den Abstand zwischen ihnen verringern sollte, wird von der Mehrheit entschieden abgelehnt. Die Gesamthochschule akzeptieren die meisten Professoren nur dann, wenn die Lehrkörper der verschiedenen Hochschulen nicht verschmolzen werden (wie es vielen SPD-Politikern vorschwebt), sondern lediglich miteinander kooperieren.
Und so eindeutig unter den Professoren die Ansicht überwiegt, daß Studenten über die Lehre mitbestimmen sollen, so entschieden sind sie der Meinung, daß die Forschung allein ihre Sache ist.
Allerdings nur in diesen Kernfragen, bei denen es um die Abgrenzung zu anderen Gruppen geht, haben sich so klare Mehrheiten gebildet. Wie weit sonst die Ansichten voneinander abweichen, zeigen sogar die Antworten auf eine Frage, die früher fast tabu war: ob (von ganz wenigen Sonderfällen abgesehen) einen Lehrstuhl nur erhalten dürfe, wer sich zuvor habilitiert habe.
Die Habilitation ist erwünscht, aber nicht Bedingung -- auf diese Formel läßt sich die heute vorherrschende Meinung bringen. Von je 100 Befragten erklärten die Habilitation für
Während von den Professoren nur eine knappe Mehrheit von 55 Prozent die Habilitation nicht mehr für notwendig oder gar für unverzichtbar hält, sind die Mehrheiten in den unteren Rängen größer: Je 84 Prozent der Angehörigen des Mittelbaus und der Assistenten sind gegen die Habilitation als Bedingung des Aufstiegs.
Angesichts so unterschiedlicher Ansichten in vielen Fragen nimmt es nicht wunder, daß es noch keiner Partei und keinem Verband gelungen ist, an den Hochschulen eine Mehrheit für ihre Bildungspolitik zu gewinnen,
Das stellte sich heraus, als 25 Organisationen in einer Liste aufgeführt wurden und die Hochschullehrer angeben sollten, mit welchen sie »in Fragen der Hochschulreform am stärksten übereinstimmen
23 von 100 Befragten konnten oder wollten sich überhaupt nicht äußern, etliche andere mochten sich nicht für eine einzige entscheiden und gaben gleich zwei oder gar drei an. Noch am häufigsten wurden die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Bundesassistentenkonferenz (BAK) genannt, aber je 13 Prozent genügten für die beiden ersten Plätze der geistesverwandten Organisationen: Die BAK beschloß im vergangenen Semester, sich zum Jahresende 1974 aufzulösen und ihren Mitgliedern den Eintritt in die GEW zu empfehlen.
Es folgen mit je neun Prozent die Westdeutsche Rektorenkonferenz, die mehr als Dachorganisation und weniger als Interessenverband tätig ist, und der Hochschulverband, der als eine Art Professoren-Gewerkschaft arbeitet. Den konservativ-kämpferischen »Bund Freiheit der Wissenschaft« benannten acht Prozent der Befragten.
Linke GEW und rechter Freiheitsbund sind unter den Organisationen, die sich um die Hochschullehrer bemühen, weitaus am rührigsten und liefern sich immer neue akademisch-agitatorische Wortgefechte. Für den obersten Freiheitsbündler Nipperdey ist die GEW eine »Volksfrontlobby der spätbourgeoisen radikalen Intelligenz«, der Gewerkschaftsboß Erich Frister sieht in dem Bund eine »Aktion Denkmalschutz für verbleichende Ordinarienherrlichkeit und gelehrte Fachidiotie«.
Während die GEW Anhänger in allen Gruppen der Hochschule hat, besitzt der Bund seine Sympathisanten überwiegend unter den Professoren. Es stimmen überein von je 100
Und noch einseitiger sind die Anhänger des »Bundes« parteipolitisch orientiert. Als Irrtum erweist sich die Vermutung seines Wortführers Professor Hermann Lübbe. Er glaubt, die meisten müßten »nach Gesichtspunkten des Wählerverhaltens der Bonner Koalition zugeordnet werden«.
Die Wahrheit: Von den Sympathisanten des »Bundes Freiheit der Wissenschaft« wählen 66 Prozent CDU oder CSU, während die SPD-Anhänger nur acht Prozent ausmachen.
Bei der GEW ist es genau umgekehrt: Für 79 Prozent ihrer Anhänger unter den Hochschullehrern ist die SPD die Partei ihrer Wahl, und nur vier Prozent sympathisieren zugleich mit der GEW und der CDU.