ISRAEL Profis am Werk
Der legendäre Eichmann-Jäger Isser Harel wurde ungeduldig. Die fanatischen Eiferer müßten doch auszukundschaften und auszuschalten sein, meinte der frühere Geheimdienstchef. Auch der Publizist Chanoch Bartov mahnte rasches Handeln an: »Solange diese Mörder nicht gefunden werden, bleiben unser aller Hände blutbefleckt.«
Doch Israels Terror-Fahnder, Meister im Aufspüren arabischer Gewalttäter, tun sich schwer, wenn womöglich Juden die Täter sind. Vier Wochen nach dem blutigen Anschlag in der Universität von Hebron, bei dem drei Araber getötet und 33 verletzt wurden, fehlt von den maskierten Mordschützen noch immer jede Spur. Die hatten - bislang einmalig in der langen Terrorgeschichte der von Israel besetzten arabischen Gebiete - wahllos das Feuer auf die zum Gebet gehenden Studenten eröffnet und eine Handgranate in einen Vorlesungssaal geworfen. Als israelische Soldaten kurz darauf am Tatort erschienen, waren die Täter verschwunden.
Premier Begin verurteilte die »infame Schandtat« und versprach, keine Mühen zu scheuen, um die Verbrecher zu fangen. Armee, Polizei und der Sicherheitsdienst »Schin Beth« seien, so hieß es, »in mehrere Richtungen« ausgeschwärmt.
Doch das Resultat war gleich Null: keine Festnahmen, nicht einmal die geringste Spur, obwohl es an Zeugen nicht fehlte. Vergeblich blieb die Suche nach dem Fluchtfahrzeug, einem weißen Peugeot 504. Selbst die Seriennummer der bei dem Anschlag benutzten Handgranate aus Armeebeständen konnten die Polizeilaboranten bislang nicht ermitteln.
Schon kurz nach dem Überfall hatte die liberale Morgenzeitung »Haaretz« die Richtung für die Fahndung nach den Verantwortlichen gewiesen. Israels Regierung trage die Schuld, schrieb das Blatt, wenn zionistische Siedler auf dem besetzten Jordan-Westufer »wie der Ku-Klux-Klan in Amerikas Südstaaten wüteten«. Der ehemalige Polizeiminister und Abgeordnete der Arbeitspartei Schlomo Hillel sieht das ähnlich: »Diese Regierung hat in den letzten Jahren gegenüber den Machenschaften von rechts- oder religiös-radikalen Gruppierungen oft beide Augen zugedrückt.«
Nur eine Minderheit von Israelis, vor allem die Siedler von Kirjat Arba, dem neuen jüdischen Vorort der Patriarchenstadt, behaupteten, militante Araber hätten sich als Agents provocateurs betätigt. Für die Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit wie für die Araber lag der Verdacht auf der Hand, daß in Hebron Juden gezielt Rache für vorangegangene arabische Ausschreitungen nahmen und die Palästinenser weiter einschüchtern wollten, damit sie das von den Ultras begehrte Land verlassen.
Außerdem: Die Präzision, mit der das Blutbad angerichtet wurde, läßt eher auf jüdische denn arabische Maßarbeit schließen. Kommentar eines mit der Untersuchung des Attentats beauftragten Offiziers: »Hier waren zweifellos Profis am Werk.«
Es wäre nicht das erste Mal, daß sich rabiate, oft illegale israelische Siedler für arabische Gewalttaten exzessiv rächten. So wurden 1980 auf drei Bürgermeister im Westjordanland zur gleichen Zeit Sprengstoffattentate verübt, bei denen der Nablus-Bürgermeister Schakaa beide Beine verlor, und erst im vergangenen Februar zerriß in Jerusalem eine Handgranate einen Juden.
Als auch in Hebron ein Israeli ermordet worden war und daraufhin radikale jüdische Siedler im Stadtzentrum arabische Verkaufsstände in Brand gesteckt hatten, sahen die aufgefahrenen Armeeverbände tatenlos zu. Nicht ein einziger jüdischer Brandstifter wurde verhaftet. Schließlich »könnten iraelische Soldaten nicht auf die eigenen Landsleute schießen«, erklärte danach der Militärbefehlshaber des Zentral-Distrikts, General Uri Orr.
In allen Fällen zogen die israelischen Behörden die Ermittlungen dermaßen in die Länge, bis nahezu jedes Interesse der Öffentlichkeit erloschen war - und ähnliches befürchten viele Israelis nun auch für das Hebron-Massaker. Daß es sich bei den Anschlägen nicht nur um Taten fanatischer Wirrköpfe handelt, sondern um eine zunehmende organisierte Rechtsradikalen-Kriminalität, vermutet der Abgeordnete der Arbeitspartei, Jossi Sarid. Und an die wagten sich die Ermittlungsbehörden nicht heran, weil, so Sarid, »die an der Nabelschnur mit dem Regime verbunden sind«.
Die Existenz einer jüdischen Untergrundorganisation hält auch Isser Harel für »durchaus denkbar«. In der Tat finden jüdische Ultras im besetzten Westjordanien günstige Bedingungen für ihren Kampf um ein zu annektierendes Großisrael. Der ideologischen und finanziellen Unterstützung einflußreicher chauvinistischer Gruppen in Tel Aviv kann sich die mordende Minderheit sicher sein. Zudem verfügen die im Militärdienst gedrillten Siedler über genügend Waffen, die ihnen einst staatliche Behörden zu ihrem Selbstschutz lieferten.
Dennoch bezweifelt kaum ein israelischer Politiker, daß der effektive Sicherheitsdienst die Himmelsstürmerkommandos der religiösen Fanatiker zerschlagen könnte, wenn er wirklich wollte. Isser Harel zum Beispiel sollte es wissen - er hat schon in den fünfziger Jahren mehrere rechtsradikale Organisationen ausgehoben.
Man müsse nur, so der ehemalige Geheimdienstler, mit aller Konsequenz das seit 1948 geltende »Gesetz gegen Aufruhr« anwenden. Da man bislang allzu nachsichtig mit den jüdischen Extremisten umgegangen sei, könnten sich diese eines Tages auch gegen Juden richten und die israelische Demokratie ins Wanken bringen.
Die gleichen Befürchtungen äußerte auch Jossi Sarid bei einer Sitzung seiner Arbeitspartei in Tel Aviv: »Hier sitzen vielleicht die künftigen Opfer eines Rechtsterrors.«