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HANDEL Profit mit Sehnsucht

aus DER SPIEGEL 13/1966

Ulbrichts Untertanen sollen nicht

mehr neidisch in die Röhre gucken, wenn ihnen das westdeutsche Werbefernsehen begehrte Zutaten westlichen Wohlstands vorflimmert. Der Ministerrat der DDR hat insgeheim beschlossen, daß westliche Markenartikel - von der Zigarette bis zum Parfüm - auch in der DDR feilgeboten werden sollen, freilich zu hohen Preisen.

Mit dem Import von Pullis, Pulverkaffee, Rheinwein, Kognak und anderen Konsumartikeln hofft das Regime einem Übel beizukommen, das die SED-Planwirtschaft anders nicht auskurieren kann: dem immensen Kaufkraftüberhang in der DDR.

Denn in dem Staat, wo vieles fehlt und Hausfrauen mitunter Schlange stehen müssen, mangelt es nicht an Geld.

Schon Ende letzten Jahres hatte DDR -Finanzminister Willy Rumpf, 62, dem SED-Zentralkomitee in seiner Jahresschlußbilanz vorgetragen: »Die im Jahre 1965 geplanten Geldeinnahmen der Bevölkerung (63,5 Milliarden) werden mit rund 1,5 Milliarden Mark überschritten.«

Diesem Gelddruck steht kein Angebot gegenüber, das DDR-Bürger zum Shopping-Bummel verlocken könnte. Die DDR-Produktion orientiert sich nicht am Markt, sondern wird vom Plan bestimmt. Und der Plan vernachlässigt wie eh und je die Konsumgüter.

Den Geldüberschuß durch eine Preiserhöhung für Güter des täglichen Bedarfs abzubauen, sehen sich die Planwirtschaftler allerdings außerstande. Diese Preise unterliegen strenger Aufsicht und sollen aus politischen Gründen nicht erhöht werden. Trotz der allgemeinen Geldschwemme liegen in der Sowjetzone die Einkünfte vieler Bürger und zumal der Rentner gerade eben über dem Existenzminimum.

Um aber den gutverdienenden Stützen ihrer Volkswirtschaft das Gefühl zu nehmen, alle- Mehrarbeit lohne nicht, weil doch nichts Interessantes zu kaufen sei, verfielen die Planer auf den Ausweg, die ungestillte Sehnsucht der DDR-Bürger nach westlichen Genuß - und Luxuswaren für den ohnedies nötigen Abbau des Kaufkraftüberhanges auszunutzen.

Anregend erwies sich dabei die Praxis sozialistischer Bruderländer, wo seit langem Westwaren erhältlich sind - teils gegen westliche Devisen, teils gegen

überhöhte Preise in einheimischer Währung.

Devisenbesitz bleibt für DDR-Bürger weiterhin verboten. Der staatliche Außenhandel soll jedoch künftig Westwaren einkaufen, den Preis über US -Dollar und D-Mark West auf Ostmark umrechnen - zum sonst vielgeschmähten »Schwindelkurs« - und 30 bis 50 Prozent Gewinn für die Staatskasse aufschlagen. Was auf dem Weltmarkt einen Dollar kostet, soll also in der

DDR für rund 20 Ostmark feilgeboten werden.

Die sogenannten »Exquisit«-Läden in den Bezirkshauptstädten, die bisher schon westliche und östliche Luxusgüter - hauptsächlich Textilien - zu überhöhten Preisen verkaufen, sollen ihr Sortiment nach und nach erweitern. Und sobald erste Erfahrungen darüber vorliegen, wieweit die Faszination des westlichen Warenangebots ausreicht, den DDR-Bürgern mit Wucherpreisen das Geld aus der Tasche zu ziehen, gedenkt die Regierung, auch in den Kaufhäusern und Verkaufsstellen der staatlichen Handels-Organisation (HO) in kleineren Städten Sonderabteilungen für Westwaren einzurichten.

Selbst der Traum vom West-Auto soll sich für gut verdienende DDR -Bürger erfüllen. Ulbrichts Planer haben während der Leipziger Frühjahrsmesse mit den Turiner Fiat-Werken über die Lieferung kleinerer Fiat-Typen verhandelt. Denn die durchschnittlichen Lieferfristen für Ostblock-Automobile sind noch immer länger als eine Olympiade: fünf Jahre.

Westwaren-Vitrine im Ost-Berliner »Hotel Berolina": Träume zu Wucherpreisen

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