MAILER Prominent und leer
Am Sonnabend veranstaltete er in seiner New Yorker Sieben-Zimmer-Wohnung eine wilde Cocktailparty für 200 bunt zusammengewürfelte Gäste: Filmschauspieler, Neger, Rechtsanwälte, Sportler, Journalisten und Callgirls.
Am Sonntag, im Morgengrauen, als der letzte der 200 gegangen war, stieß er seiner 35jährigen Frau Adele, einer dunklen, wohlproportionierten Schönheit, mit glasig-trunkenem Lächeln ein Taschenmesser in den Unterleib.
Am Montag saß der Beinahe-Mörder Norman Mailer, 37 Jahre alt, 1948 mit seinem blutig-brutalen Kriegsroman »Die Nackten und die Toten« zum Bestseller-Autor avanciert - nun wieder gut rasiert und frisch gelaunt -, im Studio der »National Telefilm Associates Inc.« (NTA) dem prominentesten Fernseh-Inquisitor Amerikas, Mike Wallace, 42, gegenüber. Und Wallace, rücksichtsloser Peiniger aller Prominenten, gab den rasch zu Ruhm und Reichtum gelangten Literaten, der in den letzten Jahren keine Gelegenheit versäumt hatte, sich selbst zu ruinieren, mit spitzen Fragen der Lächerlichkeit und der Verachtung preis.
Am Dienstag der vorletzten Woche, als Amerikas Fernseh-Konsumenten das Mailer-Wallace-Duell am häuslichen Bildschirm genossen, war Mailer, der 24 Stunden zuvor noch mit dem kühnen Gedanken gespielt hatte, 1961 für den Posten des Oberbürgermeisters von New York zu kandidieren, bereits am Krankenbett seiner Frau verhaftet und in die Irrenanstalt Bellevue zur Beobachtung eingeliefert worden. Diagnostizierte der Psychiater Dr. Conrad Rosenberg: »Norman Mailer hat einen akuten Nervenzusammenbruch erlitten, der zu Mord und Selbstmord führen kann.«
Der Häftling, die letzte grausige Stufe seines Abstiegs vor Augen, protestierte weinerlich: »Ich bin kerngesund ... Wenn man mich in eine Nervenheilanstalt einliefert, wird man meine künftigen Bücher für die Werke eines Verrückten halten.«
Halbwegs geistesgestört hatte sich Norman Mailer bereits im abgedunkelten NTA-Studio gebärdet. Seelen-Detektiv Wallace, auf dessen hartem Fernseh-Beichtstuhl bereits die Hollywood-Klatschtante Elsa Maxwell, der Gouverneur des Rassen - Krawall - Staates Arkansas, Orval Faubus, und der Chef des Ku-Klux-Klan, Wizward Eldon I. Edwards, gesessen hatten, beschäftigte sich nicht mit Mailers literarischen Produkten, sondern mit seinem politischen Ehrgeiz: mit der fixen Idee, als Oberbürgermeister New York zu regieren.
Prahlte Mailer: »Ich habe Ideen ...
Ich würde New York aus seinem dumpfen Schlaf wecken ... Ich weiß, wie man aus der Riesenstadt eine 'große Stadt' nach dem Vorbild von Rom, Athen oder Paris machen könnte.«
Und: »Ich habe bereits mit unzähligen Menschen gesprochen, die für mich stimmen werden...
Wallace bohrte weiter: Wie er, Mailer, als Oberbürgermeister mit den jugendlichen Verbrecherbanden fertig zu werden gedenke.
Philosophierte der nervenkranke Beinahe-Mörder: »Wer sind wir schon, daß wir die Jugend verurteilen? Vielleicht steht sie in ihrer Auflehnung Gott näher als wir!«
Und weiter: Amerikas kriminelle Jugendliche brauchten ein Messer »zur Stärkung ihres Selbstbewußtseins«. Ihre Zügellosigkeit sei ein Zeichen ihrer Kraft, die in neue Kanäle gelenkt werden müsse.
Wallace wollte Genaueres über Mailers »neue Kanäle« wissen. Und der Bestseller-Autor empfahl für New Yorks verwahrloste Jugendliche: ritterliche Turnierspiele im Central Park mit Lanzen, Rüstungen und Pferden.
Mike Wallace hatte mit seiner unbarmherzigen Seelen-Chirurgie vor Millionen von Fernseh-Konsumenten das getan, was nach dem Wunsch der - von Mailer mit dem Taschenmesser mißhandelten - Frau Adele auf der verschwiegenen Couch des Psychiaters geschehen sollte: Er hatte den kritischen Punkt einer steilen literarischen Karriere bloßgelegt, die am Erfolg gescheitert war.
Norman Mailer war 23 Jahre alt, als er zu schreiben begann. Er war Sodawasser-Verkäufer, Platzanweiser, Werkstudent, Anstreicher und Journalist gewesen, ehe er in fünfzehn Monaten »Die Nackten und die Toten« zu Papier brachte, jenen grimmigen Extrakt seiner Kriegsjahre im Pazifik. Lobte damals die »New York Times": »Ein unglaublich vollendetes Buch.«
Mit 25 war Mailer weltberühmt. Seine Einkünfte stiegen sprunghaft. Sein Buch ging als Film um die Welt. Mailer zählte zur Schriftsteller-Elite Amerikas.
Die nächsten zwölf Jahre, angefüllt mit zwei mittelmäßigen Romanen, einer gescheiterten (ersten) Ehe, politischer Sektiererei und dem steigenden Konsum von Alkohol und Rauschgift, sahen ihn auf dem Weg nach unten. Mailer wurde
- so formulierte er selbst - zum »psychopathischen Außenseiter«.
Zweimal stand er bereits vor Gericht. Der angetrunkene Mailer hatte einen Barbesitzer geohrfeigt, mit dem er über eine Rechnung in Höhe von 7,60 Dollar in Streit geraten war, und Polizisten angepöbelt, die ihm ihren Streifenwagen nicht als Taxi überlassen wollten.
»Der Riesenerfolg meines ersten Buches warf mich aus der Bahn«, urteilt heute der gescheiterte Romancier, der Politiker werden wollte, über sich selbst. »Ich verbrachte die folgenden Jahre damit, das Leben zu verschlingen wie ein siegreicher Mann, obwohl ich noch gar kein Mann war ... Ich war prominent, und ich war leer.«
Beschloß der von Fernseh-Inquisitor Mike Wallace seinem eigenen erbärmlichen Ich Konfrontierte: »Ich muß das Leben von vorn anfangen.«
Nervenkranker Autor Mailer
Ein Messer...
Fernseh-Inquisitor Wallace
... zur Stärkung des Selbstbewußtseins