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BONN OSTPOLITIK Protest bei Bach

aus DER SPIEGEL 53/1970

Horst Ehmke unternahm einen Ausflug in die Geheimdiplomatie. Doch beim Versuch, unerkannt nach Washington zu Präsident Nixons Chefberater Henry Kissinger zu reisen, wurde der Kanzleramts-Minister erkannt: Ehmke landete in den Schlagzeilen.

Und der Bonner Bote bewirkte genau das, was er hatte vermeiden wollen: Seine Blitzreise machte offenkundig, wie sehr die Bundesregierung um Verständnis der USA für Ihre Ostpolitik besorgt ist. Denn immer häutiger hatten in den letzten Wochen Amerika-Reisende in Bonn von zunehmender Unlust In der Nixon-Administration an Kanzler Brandts ostpolitischer Selbständigkeit berichtet.

So meldete Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt nach der Rückkehr von einer Tagung der Nuklearen Planungsgruppe der Nato in Ottawa dem Kabinett einen »Ausbruch« seines US-Kollegen Melvin Laird über Brandts Ostpolitik. Schmidt: »Er machte mir Vorhaltungen über das Tempo.«

Seit seinem Treffen mit dem Amerikaner glaubt Schmidt zu wissen, daß die Nixon-Regierung sich nur schwer an die veränderten Verhältnisse In Bonn gewöhnen kann: Früher sei es üblich gewesen, daß die Deutschland-Abteilung Im US-Außenministerium präzise Hinweise ans Bonner Außenamt gegeben habe, die in der Regel befolgt worden seien.

Auch aus der engsten Umgebung Nixons, der innenpolitische Schwäche durch außenpolitische Härte überspielen will, gingen Signale in die Bundeshauptstadt. Ein Berater des Präsidenten gab zu verstehen, es werde den Amerikanern unbequem, daß die bislang so präzise kalkulierbare Bundesrepublik zu einer schwerer berechenbaren Größe geworden sei.

Noch deutlicher sagte es der ehemalige US-Außenminister Dean Acheson: Es werde höchste Zelt, Bundeskanzler Willy Brandts »wildes Rennen nach Moskau« zu bremsen.

Brandts Presse-Staatssekretär Conny Ahlers analysierte: »Acheson spricht nicht nur für sich. Er ist repräsentativ für einflußreiche Gruppen im Kongreß, um die wir uns bislang zu wenig gekümmert haben.« Auch Helmut Schmidt riet seinem Kanzler, sich mehr um die Freunde im Westen zu kümmern.

In der Tat fühlte sich die Nixon-Administration durch Bonns Entspannungspolitik in ihrem Führungsanspruch für die westliche Welt tangiert. Ein Kanzler-Berater: »Die USA wollen eine gewisse Hegemonialstellung gegenüber uns im Verhältnis zur Sowjet-Union haben.

Nixons Reserve muß Brandt auch deshalb unangenehm sein, weil bei den Viermächte-Gesprächen noch immer kein Durchbruch zu einer befriedigenden Berlin-Regelung erkennbar ist, von der Brandt den Erfolg seiner Ostpolitik abhängig gemacht hat.

Obwohl die Sowjets seit Wochen augenzwinkernd die Hoffnung der Bundesregierung auf einen baldigen positiven Abschluß der Gespräche nähren, macht die DDR Immer neue Schwierigkeiten.

Am Dienstag vorletzter Woche überraschte Moskaus Bonn-Botschafter Semjon Zarapkin den Bundeskanzler mit neuen Details über sowjetische Vorstellungen für den Berlin-Verkehr (plombierte Interzonenzüge, Identifikation statt Personenkontrolle).

Ein Bach-, Brahms- und Mozart-Konzertabend vor geladenen Gästen im Kanzlerbungalow führte vier Tage später dem Bonner Regierungschef das ambivalente Verhältnis zum Vertragspartner Moskau sinnfällig vor Augen. Während der russische Virtuose und Solschenizyn-Freund Mstislaw Rostropowitsch Cello-Kunst vortrug, rief ein Beamter des Bundespresseamts (BPA) den stellvertretenden Regierungs-Sprecher Rüdiger von Wechmar vor die Tür: Der BPA-Nachrichtendienst hatte zu melden, daß die Moskauer Regierung gegen eine Konferenz der SPD- Fraktionsvorsitzenden von Bund und Ländern in West-Berlin protestiert hatte.

Mit ihrem Protest deckten die Sowjets die Schikanemaßnahmen der DDR-Behörden, die westdeutsche und West-Berliner Pkw- und Lkw-Fahrer an den Grenzkontrollstellen bis zu neun Stunden auf Abfertigung warten ließen.

In der Sorge, amerikanischer Führungsanspruch könne Im Verein mit Ost-Berliner Hartnäckigkeit schon bald die schwungvoll begonnene Ostpolitik bremsen, startete die Bundesregierung Rettungsaktionen nach Ost und West:

>Brandt schwächte, assistiert von SPD-Fraktionschef Herbert Wehner, die ursprüngliche Forderung ab, mit der DDR nur nach einem gemeinsamen Auftrag der vier Mächte über den Zugang nach West-Berlin zu verhandeln;

* Brandt mahnte die drei Westmächte in persönlichen Botschaften zur Eile in Berlin und regte eine ständige Berlin-Konferenz der vier Botschafter an.

In Bonn werden mittlerweile schon ostpolitische Notstandspläne diskutiert. Sollten die Berlin-Gespräche scheitern, dann wäre nach der bisherigen Bonner Junktim-Doktrin die Ratifizierung des Vertrags mit Moskau nicht möglich -- Brandts Ostpolitik wäre blockiert.

Um dennoch ein Minimum zu retten, haben die Kanzleramts-Planer den einst aus innenpolitischen Gründen konzipierten Plan wieder aufgegriffen, auch beim Ausbleiben einer befriedigenden Berlin-Lösung den Polen-Vertrag aus dem Ost-Paket zu lösen und isoliert im Bundestag ratifizieren zu lassen.

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