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BENZIN Prrr - krrr - prrr - krrr

Deutsche Kraftfahrer fühlen sich verunsichert durch eine neue gesetzliche Bestimmung, die den Bleigehalt im Autobenzin mindern soll. Sie horchen nach unheilkündenden Geräuschen aus dem Motor.
aus DER SPIEGEL 4/1972

Der drahtlose Ratgeber schien ratlos zu sein. »Warum«, so fragte NDR-Verkehrsredakteur Gerhard Hölther am 7. Januar in seinen täglich ausgestrahlten Rundfunk-»Verkehrsnotizen« einen Benzin-Fachmann, »nennt man dieses Geräusch 'Klopfen'?« Es sei doch wohl »eher ein klirrendes Schnarren«. Als die Männer versuchten, das Geräusch mit ihren Mündern nachzuahmen, tönte es wie »prrr-krrr-prrr-krrr« aus den Empfängern.

Doch auch Tages- und Fachpresse, die sich plötzlich in spaltenlangen Abhandlungen mit dem akustischen Phänomen befaßten, vermochten seine Art nicht schlüssig zu bestimmen. Die »Welt« ereiferte sich über »unerwünschtes Motorenklopfen«, »Bild« ließ es »klingeln«. Die »Frankfurter Rundschau« nannte es fein: »jenes metallische Zirpen«.

Die bundesweite Diskussion über ein schwer definierbares Geräusch und seine Ursachen hat Millionen von Automobilisten verwirrt. Anlaß war ein am 1. Januar in Kraft getretenes Gesetz zur »Verminderung der Luftverunreinigung durch Benzin«. Es wies die Mineralölkonzerne an, ihren Super- und Normalkraftstoffen künftighin nur noch höchstens 0,4 Gramm Blei je Liter Sprit beizumengen. Die einstweiligen Auswirkungen dieser Maßnahme haben bislang offenbar sogar Fachleute konfus gemacht.

So empfahl der ADAC seinen 2,5 Millionen Mitgliedern schon zu Weihnachten, sie sollten wegen der geminderten Benzinqualität »Höchstdrehzahlen sicherheitshalber vermeiden« und ihr Auto »nicht voll ausfahren«. Auch Autohersteller ließen über die ADAC-Zentrale verkünden. geminderte Verbleiung der Kraftstoffe beschwöre die Gefahr herauf, »daß besonders hochverdichtende Motoren bei hohen Geschwindigkeiten klopfen« und mithin »Schaden erleiden könnten«.

Oie Zeitungen gaben den Alarmruf weiter. »Vorsicht bei Vollgas«, mahnte die »Hamburger Morgenpost« und riet, brüskes Gasgeben zu vermeiden ("Fahrt wie auf dem Balkan"). »Bild« sah drei Millionen Autos. »die sehr guten Superkraftstoff brauchen«, durch »das neue Benzin« bedroht. Ein Sprecher der Mineralölfirma Aral AG nannte den BMW 2000 tii, den Volvo 144 und den BMW Touring 2000 als besonders gefährdete Typen.

Noch Anfang vergangener Woche wies der »Verband der Automobilindustrie« (VDA) auf »die Gefahr des Hochdrehzahlklopfens« hin, die manches Auto wie etwa das Mercedes-Benz-Coup~ 280 SE bedrohe. VDA-Geschäftsführer Dr. Günther Brenken: »Wir müssen verhindern. daß dieses gefährliche Benzin in den Handel kommt.«

Es war. als solle ein Volk von Rasern zu einem Volk von Horchern werden. Irritiert suchten die Autofahrer aus ihren Motoren ein Zirpen, Schnarren. Klingeln oder Pochen herauszuhorchen. jenes inkriminierte Geräusch. das in der Tat einen unkontrollierten Verbrennungsablauf infolge ungenügender Spritqualität und mithin Gefahr signalisieren kann. Verängstigt durch fragwürdige Ratschläge mancher Zeitungen, den Zündzeitpunkt ihrer Motoren zu ändern, fuhren die Autobesitzer voller Mißtrauen bei den Tankstellen vor -- als würde ihnen zum sicheren Ruin aus den Schankrüsseln ein flüssiger Klopfgeist in den Tank gemogelt.

Der Trend zu immer größerer PS-Leistung und höheren Verdichtungswerten der Otto-Motoren hatte in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, daß die Mineralölfirmen ihrem Benzin immer größere Mengen des giftigen Metalls beimischten. Der Bleizusatz verhinderte -- auf billige Weise -- daß sich das verdichtete Benzin-Luft-Gemisch verfrüht, entgegen dem Arbeitstakt des Motors, entzündete und Schäden an Zylindern und Kolben oder zumindest über Gebühr hohen Verschleiß verursachte.

Andererseits stießen die 14 Millionen Automobile in der Bundesrepublik alljährlich rund 7000 Tonnen Blei aus. Zwischen 0,3 und 0,65 Gramm je Liter Benzin« so hatten Messungen ergeben, schwankte der Bleigehalt der gängigsten Kraftstoffmarken. Beunruhigende Forschungsbefunde in- und ausländischer Mediziner über mögliche gesundheitsschädigende Auswirkungen der bleihaltigen Auspuffschwaden hatte das Genscher-Ministerium zu schrittweisen Maßnahmen gegen die »ansteigende Blei-Emission« veranlaßt.

Von gegenwärtig 0,4 Gramm Blei je Liter sollen die Benzinhersteller ihre giftigen Bleigaben im Jahre 1976 sogar um weitere 0,25 auf 0,15 Gramm je Liter Benzin verringern. Geschätzte Kosten für die Umstellung der Aufbereitungs-Anlagen in den Raffinerien: rund 1,5 Milliarden Mark.

Zahlreiche Fachleute halten für verfehlt, zumindest für übertrieben. wegen der soeben wirksam gewordenen Bleiminderung Alarm zu schlagen. Im Widerspruch zum VDA verkündete denn auch Mercedes-Benz: »Kein Typ aus dem MB-Programm« sei gefährdet, sofern die Mineralölindustrie die zugesicherten Benzinqualitäten tatsächlich ausliefere. Die Sportwagenfirma Porsche beruhigte gleichfalls ihre Kunden: Alle Porsche-Modelle, selbst die ältesten Typen, würden das mit weniger Blei als bisher versetzte Benzin ohne Leistungseinbuße und ohne jedes Risiko verkraften. Ähnlich äußerten sich VW, Peugeot, Fiat und BMW.

Ein BP-Sprecher: »Wenn alles genau nach Typenzulassung eingestellt ist. kann nichts passieren.« Auch das Fachblatt »mot-Auto-Journal« meinte, vorerst »braucht sich noch keiner Sorgen zu machen«.

NDR-Verkehrsredakteur Hölther will gleichwohl das vieldiskutierte, gefürchtete Geräusch verfrühter Gemischentzündung in einer seiner nächsten Sendungen verbreiten -- abgespielt von einer Schallplatte, die vor Jahren für die Ausbildung von Aral-Lehrlingen hergestellt worden ist.

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