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Artikel 55 / 83

Pullach intern

Von Heinz Höhne
aus DER SPIEGEL 21/1971

10. Fortsetzung

Westdeutschlands oberster Verfassungschützer wollte seinem Kanzler Vortrag halten, doch die TOr zum Regierungschef blieb ihm verschlossen. Wann immer Dr. Otto John, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Konrad Adenauer zu sprechen wünschte, erhielt er eine Absage. Der Kanzler hatte John einmal gesehen -- das reichte ihm. Adenauer·. »Der jefällt mir nicht.«

John ließ durch V-Männer erkunden, warum ihn der Kanzler nicht empfange. Bald hörte er, im Palais Schaumburg heize ein Besucher, der zu den Dauergästen des Kanzlers gehöre, die Stimmung gegen John an. Der Besucher: Generalmajor außer Dienst Reinhard Gehlen, Chef der nach ihm benannten Geheimdienst-Organisation.

Allerdings erfuhr John nur die halbe Wahrheit. Ihm blieb verborgen, daß er seit Monaten von Agenten eben jener Organisation beschattet wurde, deren Chef offenkundig das Vertrauen des Kanzlers genoß: der Organisation Gehlen (Org).

Anfang 1952 hatte Adenauer den Org-Chef gebeten, er möge nachforschen lassen, ob es zutreffe, daß der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Kontakt zur Sowjetzone unterhalte, mit Osthandelsgesellschaften zusammenarbeite und ein großes Bankkonto in der Schweiz besitze. Gehlen will sich zwar heute an den Auftrag nicht mehr erinnern; doch alte Gehlen-Kenner wissen: Die Org konnte John nichts anlasten.

Mochte John auch nichts von dieser Schnüffelaktion ahnen -- schon die wenigen Informationen, die er über die Zusammenkünfte zwischen Adenauer und Gehlen erhielt, schockierten den Verfassungsschützer. Bis dahin hatte er den katholischen Rheinländer Adenauer für einen passionierten Antimilitaristen gehalten, der vor allem Generale preußischen Zuschnitts nicht ausstehen könne.

Den Ex-General Gehlen schien Kanzler Adenauer jedoch ohne Vorbehalt zu akzeptieren. Adenauers neuer Ratgeber aus Pullach wußte so präzise vorzutragen und die Interessen des Kanzlers und CDU-Politikers so zu berücksichtigen, daß Adenauer in Gehlen schon frühzeitig den künftigen Geheimdienst-Chef der Bundesrepublik sah.

Noch war die Organisation Gehlen dem amerikanischen Verteidigungsministerium attachiert, noch ihr rechtlicher Status im neuen westdeutschen Staat ungeklärt, da bediente sich Adenauer bereits der Org. Das Sekretariat des Kanzleramts war angewiesen. sofort einen Termin auszumachen, wann immer der Org-Chef Adenauer zu sehen wünschte.

Zusehends verließ sich Adenauer auf die Meldungen und Lagebeurteilungen der Org. Auch Monatsberichte des Verfassungschutzes ließ er gelegentlich nach Pullach weiterreichen und dort überprüfen. Als es Ende 1953 dem Verfassungsschutz nicht gelang, eine von Adenauer gewünschte Liste kommunistischer Agenten in Westdeutsch -- land zu erstellen, erhielt die Org den Auftrag. Wenige Tage später lag die Org-Liste auf dem Schreibtisch des Kanzlers.

Gehlens Stellung im Kanzleramt war bald so unangefochten, daß es John ("Wir sind Freunde") vorzog, den Org-Chef öffentlich zu loben. Vergebens warnte ihn der bereits entmachtete Gehlen-Rivale Friedrich Wilhelm Heinz im Januar 1954: »Gehlen und seine Leute sind drauf und dran, die Kontrolle über alle deutschen Geheimdienste an sich zu reißen. Dabei stehen Sie ihm ebenso wie ich im Weg. Er wird auch Sie noch schaffen.«

In der Tat nutzte Reinhard Gehlen die Verbindung zum Kanzleramt dazu, den letzten Punkt seines ehrgeizigen Programmes zu verwirklichen: die Übernahme seines Geheimdienst-Apparats in den deutschen Staatsdienst.

Punkt drei seiner 1946 mit dem US-Kriegsministerium abgeschlossenen Vereinbarung besagte: »Die Organisation ist im Augenblick der Bildung einer souveränen deutschen Regierung ...

nur noch dieser verantwortlich.« Doch ein halbes Jahrzehnt nach der Gründung der Bundesrepublik war die Organisation Gehlen noch immer eine deutsch-amerikanische Privateinrichtung.

Mächtige Interessengruppen hatten sich verschworen. Gehlens Organisation den Eintritt in den westdeutschen Staatsdienst zu verwehren. Im Verfassungsschutz. im Amt Blank (dem künftigen Bundesverteidigungsministerium). im Stab der Alliierten Hochkommissare. in der Führung der US-Armee -überall ging die Parole um. die der britische John -- Freund Sefton Delmer, Chefkorrespondent des »Daily Express«, in Umlauf gesetzt hatte: »Gehlen und seine Nazis kommen!«

Desto stärkeren Anlaß sah Gehlen. auf die Karte Adenauers zu setzen. Fr hatte schon Anfang 1948 der Org den Auftrag erteilt, eine sorgfältige Biographie und Charakterstudie Adenauers zu erstellen.

»Gehlen witterte frühzeitig. erinnerte sich 22 Jahre später ein Mitarbeiter des Org-Führungsstabes. »daß Adenauer der Mann sei, der die erste Regierung der Bundesrepublik bilden werde. Gehlen kannte den Zug der Westdeutschen zu den bürgerlichen Parteien.«

Ob späte Glorifizierung oder gelungene Personenabklärung -- Gehlen wollte mit dem Mann in Kontakt kommen. der ihm helfen konnte, die Org aus ihren amerikanischen Verpflichtungen zu befreien. Über Mittelsleute ließ er Adenauer ausrichten, er habe den Wunsch. sich dem CDU-Politiker vorzustellen und mit ihm »Fragen der Sicherheit Westdeutschlands« zu besprechen.

Gehlen hilft Adenauer im Machtkampf um die Kanzlerschaft.

Die hausinternen Historiker des BND datieren die erste Zusammenkunft auf das Jahr 1950. Org-Veteranen erinnern sich jedoch genauer. Am 14. September 1948 verurteilte ein sowjetisches Militärgericht in Ost-Berlin fünf Berliner wegen Widerstandes gegen die Besatzungsmacht zu je 25 Jahren Arbeitslager, einen Tag darauf vereinigte sich der Parlamentarische Rat in Bonn, der Vorläufer des Bundestages, zu einem Protest gegen das Sowjet-Urteil.

Am Abend meditierte Adenauer im Kreis von Parteifreunden. wie wenig man doch über die Sowjetzone wisse. Da bemerkte ein CDU-Mann. Gehlen und seine Organisation wüßten viel darüber. Adenauer: »Wer ist Herr Gehlen?« Er wurde aufgeklärt und äußerte den Wunsch. Gehlen einmal zu sehen.

Ein paar Tage später stand Gehlen vor ihm. Was die beiden Männer damals besprochen haben. ist nicht überliefert. Sie dürften jedoch rasch erkannt haben. daß sie einander brauchten: Gehlen konnte dem CDU-Mann in dem anhebenden Machtkampf um die Kanzlerschaft durch seine mannigfachen Möglichkeiten geheimer Information einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Konkurrenten sichern, Adenauer hingegen dem Org-Chef eine Vorrangstellung im westdeutschen Geheimdienst-System garantieren.

»Gehlen schien Adenauer in zweifacher Hinsicht interessant«, erläutert ein ehemaliger Polit-Gehilfe Adenauers. »Erstens konnte er Adenauer über die Entwicklung in der Ostzone auf dem laufenden halten; das war für Adenauer deshalb besonders wichtig, weil seine beiden gefährlichsten politischen Widersacher. Jakob Kaiser in der CDU und Kurt Schumacher von der SPD, über die Sowjetzone sehr gut im Bilde waren. Zweitens erkannte Adenauer sofort, daß Gehlen mit seinem Wissen Einfluß auf jene ausübte, denen er dieses Wissen lieferte -- auf die Amerikaner.«

Zudem stimmten Adenauer und Gehlen in der politischen Lagebeurteilung überein: Beide rechneten mit der Möglichkeit eines Kriegs zwischen West und Ost, beide sahen Westdeutschland von einer Fünften Kolonne des Kommunismus bedroht.

Adenauer befürchtete vor allem im Ruhrgebiet bolschewistische Agitation

Gehlen richtete in Bochum und Essen Außenstellen ein. Auch die Hamburger Hafenarbeiter schienen Adenauer anfällig für kommunistische Parolen -- Gehlen verstärkte die Hamburger Außenstelle.

Der Pullacher konnte aber nicht nur Ost-Ausforschung und West-Staatsschutz bieten. Nicht minder wertvoll mußten Adenauer die Beziehungen ins westliche Ausland erscheinen, die Gehlen längst geknüpft hatte.

Sie beschränkten sich nicht auf die 50 US-Verbindungsoffiziere, die jeden Morgen im Pullacher Geheimdienst-Camp auftauchten und die in den Abteilungen und Referaten der Org einlaufenden Meldungen lasen. Die Amerikaner hatten bald auf Besatzer-Allüren verzichtet.

Unter dem Einfluß der taglichen Lagebilder aus dem Osten, die Moskaus Pressionspolitik in düstersten Farben widerspiegelten, übernahmen die US-Geheimdienstler zwangslaufig die politische Gedankenwelt ihrer deutschen Partner. Schon bald plädierten führende US-Geheimdienstler dafür, das Besatzungsregime diesseits der Elbe zu beenden und Westdeutschland in die politische, militärische und wirtschaftliche Allianz des Westens einzugliedern.

Die Amerikaner ermunterten denn auch Gehlen. in eine geheimdienstliche Einheitsfront des Westens gegen den Kommunismus einzuscheren. Sie drängten den Org-Chef, Geschäftsbeziehungen zu Frankreichs Geheimdienst »Service de Documentation extéricure et de Contre-Espionnage« (S.D.E.C.E.) aufzunehmen.

Der US-Geheimdienst besaß kaum eine Verbindung zum S.D.E.C.E., war aber höchst begierig. Einblick in die Pariser Politik zu gewinnen. Gehien ließ den Kontakt zu den Franzosen herstellen -- die Partnerschaft zwischen der Organisation Gehlen und dem S.D.E.C.E. entwickelte sich später nicht minder freundschaftlich als die Allianz mit Amerikas CIA.

Org-Mitarbeiter, die im Zweiten Weltkrieg in Italien eingesetzt gewesen waren, nahmen Kontakt zum italienischen Nachrichtendienst auf, ehemalige Canaris-Offiziere in Madrid zogen den Draht zwischen Gehlen und dem spanischen Geheimdienst.

»So entstand frühzeitig. erklärte später der Kanzleramts-Staatssekretär Carstens, »eine Partnerschaft mit den westlichen Nachrichtendiensten, die nicht ohne Einfluß blieb auf die spätere politische und militärische Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit ihren Alliierten.«

Den Chef einer Organisation mit so vielfachen Beziehungen mochte Adenauer in seiner engsten Umgebung nicht missen. Er bot Gehlen an, ihn möglichst oft zu besuchen. Als die Bundesrepublik gegründet wurde, hatte sich die Zusammenarbeit zwischen Adenauer und Gehlen bereits eingespielt. Kaum war Adenauer am 20. September 1949 von der ersten Sitzung seines Kabinetts zurückgekehrt, da empfing er den Geheimdienst-Chef aus Pullach zu einem förmlichen Arbeitsgespräch.

Besprechungspunkt eins: die Zukunft der Organisation Gehlen. Washington zeigte keine Bedenken. die Org sofort in die Dienste der Bundesregierung zu entlassen. Doch Adenauer befürchtete Schwierigkeiten seitens der Briten und Franzosen. die den US-gelenkten Gehlen-Apparat mit Mißtrauen verfolgten.

Gehlen war an einer Lösung des Problems dringend interessiert, denn nach der Proklamation der Bundesrepublik konnte die Zusammenarbeit mit einer ausländischen Macht die Org in den Ruch bringen, sie handele gegen deutsche Interessen. Der Org-Chef fand einen Ausweg: Wenn der Kanzler und der sozialdemokratische Oppositionsführer, so regte Gehlen an, formell erklärten, die deutsch-amerikanische Geheimdienst-Allianz sei für die Sicherheit der Bundesrepublik notwendig, dann werde der Gehlen-Dienst auch der Bonner Regierung zur Verfügung stehen. Der Handel kam zustande. Im Kanzleramt ein Sonderfonds für Gehlens Agenten.

Bundeskanzler Adenauer gab »die Genehmigung zur Fortsetzung der Arbeit unter amerikanischer Treuhänderschaft. Auch der damalige Führer der Opposition, Dr. Schumacher, stimmte dem zu, wie Carstens berichtet. Wichtige Meldungen der Org gingen von nun an dem Kanzleramt zu. Gehlen hatte seinen Fuß in das westdeutsche Entscheidungszentrum gesetzt.

Die Alliierten Hochkommissare stützten noch Gehlens Position. Sie erließen am 30. August 1951 ein Gesetz. das ein soeben vom Bundestag beschlossenes Strafrechtsänderungsgesetz -- es drohte für die Ausspähung und Weitergabe von Staatsgeheimnissen Zuchthausstrafen an zugunsten allierter Geheimdienste. mithin indirekt auch der Organisation Gehlen, einschränkte.

In Paragraph 92 des Strafrechtsänderungsgesetzes hieß es: »Wer in der Absicht ... für eine Dienststelle

außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes ... über Verwaltungen, Dienststellen, Betriebe, Anlagen, Einrichtungen, Vereinigungen oder Personen, die sich im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes befinden. Nachrichten sammelt oder zu diesem Zwecke einen Nachrichtendienst betreibt, für eine solche Tätigkeit anwirbt oder sie unterstützt, wird mit Gefängnis bestraft.«

Die Alliierte Hochkommission aber korrigierte in ihrem Gesetz Nr. 62: »Weder das deutsche Strafgesetzbuch noch sonstige strafrechtliche Bundes- oder Landesgesetze finden Anwendung in bezug auf:

* Informationen jeder Art, die den Regierungen der Vereinigten Staaten, der Französischen Republik oder des Vereinigten Königreichs. deren Besatzungsbehörden oder deren Besatzungsstreitkräften gegeben werden oder bestimmt sind, ihnen gegeben zu werden;

* die Aufnahme oder Unterhaltung von Beziehungen zu den Regierungen der Vereinigten Staaten. der Französischen Republik oder des Vereinigten Königreichs. deren Besatzungsbehörden oder deren Besatzungsstreitkräften.«

Das Gesetz der Alliierten sicherte den Pullachern ein einzigartiges Ausnahmerecht: Mit der Vollmacht. Informationen für die US-Besatzungsmacht zu sammeln, konnte die Organisation Gehlen innerhalb der Bundesrepublik ihre Beobachtung tatsächlicher oder vermeintlicher Staatsfeinde legalisieren.

Gehlens V-Leute horchten in westdeutschen Universitäten. beobachteten in Industriebetrieben, spähten in Behörden. Sie nahmen Einblick in Karteikarten bei Einwohnermeldeämtern, Krankenkassen, Arbeitsämtern: sie betrieben Personenabklärung über Bewerber für den neuen Bundesdienst, über Journalisten, Gewerkschaftler, Politiker, Geistliche, Professoren und Wirtschaftler.

Gehlens innerdeutsche Dossiersammlung diente von Anbeginn einem persönlichen Ziel: Seine Stellung dort auszubauen. wo der Geheimdienst-Chef schon frühzeitig seinen eigentlichen Dienstherrn sah -- im Bundeskanzleramt zu Bonn.

Im Palais Schaumburg an der Koblenzer Straße hatte Gehlen rasch die Zuneigung eines Mannes gewonnen, der das geheime Informationsmaterial der Org zum Wohl der christdemokratischen Staatspartei zu nutzen wußte. Dr. Hans Globke, im Dritten Reich Referent für Staatsangehörigkeitsfragen im Reichsinnenministerium und Kommentator der NS-Judengesetze, bediente im Kanzleramt als »Vizepräsident«, Ministerialdirektor und höchster Personalchef die Verwaltungsmaschinerie mit einer Fertigkeit, daß noch zwei Jahrzehnte später Amtsminister Ehmke über ihn urteilte »Ein As.«

Schon bevor Globke im Oktober 1953 selber Staatssekretär wurde, fungierte er als der eigentliche Verwaltungschef im Palais Schaumburg. Auf ihn setzte Gehlen von der ersten Stunde an. Globke seinerseits erkannte sofort die Möglichkeit, die ihm Gehlen bot: geheimes Wissen zu erlangen. um heimliche Macht ausüben zu können.

Für Globke gab es nie einen Zweifel: Die Org mußte als geschlossener Verband eines Tages die Auslandsaufklärungs-Organisation des Bundes werden. Und er war auch sicher, wer dann die Oberaufsicht führen würde: nicht ein Bundesministerium, sondern das Kanzleramt -- und das hieß: Hans Globke.

Globke richtete mit Adenauers Genehmigung im Kanzleramt einen Sonderfonds ein, aus dem er spezielle Aufträge für die Org finanzierte. Mit diesem Geld begann Gehlen, die Inlands-Aufklärung seines Geheimdienstes zu intensivieren. Ihm dienten die entstehenden Ministerien und Behörden des Bundes als Ansatzpunkte für die Anwerbung neuer Mitarbeiter, Quellen und Agenten. Wie die Org-Werber dabei operierten, schildert ein Mitarbeiter des Hauptamtes für Soforthilfe, das 1949 unter dem Präsidenten Dr. Hans Lukaschek aufgebaut wurde.

Pullacher Faustregel: Wer gegen Adenauer opponiert, ist Kommunist.

»In dieser Zeit besuchte mich in Bad Homburg ein Herr, der mir bekannt vorkam«, erzählt der Chronist. »Er war zuletzt Oberst im Generalstab und Quartiermeister in der Armee. Seinen Namen wollte er mir aber nicht angeben. Offenbar stand dieser Herr im Dienst der Organisation Gehlen. Er bat mich, aus meinem Bekanntenkreis und auch unter Auswertung der beim Hauptamt für Soforthilfe eingehenden zahlreichen Bewerbungsgesuche Personen zu benennen, die für eine Agententätigkeit geeignet erschienen.«

Der Besuch des Ex-Obersten war erfolgreich: »Ich habe diesem Herrn einige Namen genannt. Lukaschek hat ihn auch empfangen und ihm ebenfalls einige Namen genannt.«

Die so geworbenen Mitarbeiter in Bundesbehörden lieferten der Organisation Gehlen die Namen von Bekannten oder Verwandten in der DDR. sie boten aber auch Amtsinterna. darunter viel Klatsch und Tratsch. Derartigen Bodensatz aber beförderte die Zentrale der Org nicht in den Papierkorb. sondern benutzte ihn vielfach zur politischen Denunziation.

Denn die Berichte und Analysen der Inlandsaufklärung wurden oft nach einer schlichten ideologischen Faustregel bearbeitet: Die Regierung Adenauer stand mit den USA in einer Front gegen den bolschewistischen Weltfeind. Wer in der Bundesrepublik parteipolitisch oder persönlich gegen Adenauer opponierte, war für Gehlen-Leute zumindest verdächtig, wenn schon nicht Kommunist, so doch Neutralist und damit anfällig für die Lehren des Kommunismus zu sein.

Diese simple Optik erklärt denn auch, warum Gehlen und seine Führungsmitarbeiter jede von der CDU geführte Bundesregierung mit dem Staat schlechthin identifizierten, mochten sie aus taktischen Gründen auch Wert darauf legen, ihre Kontakte zur SPD-Parteiführung zu pflegen. Die Sozialdemokraten blieben ihnen suspekt, allein Adenauer und seine CDU zählten.

Doch trotz der engen Verbindung zum Kanzleramt drohte dem Org-Chef echte Konkurrenz: Eine von Pullach unabhängige Gruppe deutscher Geheimdienstler, durch gemeinsamen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur geprägt, machte Gehlen die nachrichtendienstliche Monopolstellung streitig.

Den Anlaß boten die Bestrebungen, der Bundesrepublik eine politische Polizei zu geben, die Gegner des Staates observieren und fremde Spione jagen sollte. Den meisten Politikern und Beamten schwebte eine Kopie des Weimarer Modells vor: eine in den normalen Polizeiapparat eingebaute Sonderabteilung mit exekutiven Vollmachten.

Westdeutschlands alliierte Herren aber mochten ihrem Zögling eine solche Polit-Polizei nicht zugestehen. Nach langen Verhandlungen entstand, was der US-Journalist James P. O'Donnell »ein hübsches kleines Ungeheuer« nannte: das von der Polizei getrennte Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).

Der Bundestag umriß daraufhin in einem Gesetz vom 27. September 1950 als Aufgabe des BfV: die »Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten ... über Bestrebungen, die eine Aufhebung. Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land zum Ziele haben«. Das BfV sollte sich zunächst darauf konzentrieren, kommunistische und rechtsextremistische Umtriebe unter Beobachtung zu nehmen.

Adenauer wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz sich selber unterstellen. Gegen eine solche Stärkung der Hausmacht des Kanzlers aber wandte sich die SPD-Opposition. Deshalb übertrug der Bundestag dem Bundesinnenminister die Dienstaufsicht über das BfV.

In der »Anordnung der Bundesregierung über die Errichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz« vom 7. November 1950 sicherte sich Adenauer gleichwohl Einfluß auf das BfV: Für die Ernennung des Verfassungsschutz-Präsidenten, so hieß es da, sei die Zustimmung des Kanzlers erforderlich.

Kanzlei-Verwalter Globke schlug denn auch als ersten Chef des Staatsschutzes einen persönlichen Referenten Adenauers vor: Ernst Wirmer, Bruder eines nach dem 20. Juli 1944 hingerichteten Widerstandskämpfers. Aber wieder sperrte sich die SPD, ihrem Veto mußte sich auch Adenauer beugen. Er überließ es dem sachlich zuständigen Innenminister Dr. Robert Lehr, einen Chef für den politischen Geheimdienst zu finden.

So konnte schließlich an die Spitze des Verfassungsschutzes ein Mann gelangen, der Adenauer nicht sonderlich behagte, auf Gehlen aber wie eine Herausforderung wirken mußte. Der liberal-konservative Rechtsanwalt Dr. Otto John, von 1937 bis 1944 Syndikus in der Hauptverwaltung der Deutschen Lufthansa, Freund des heutigen Hohenzollern-Chefs Prinz Louis Ferdinand und Mitarbeiter des anti-nationalsozialistischen Abwehr-Generalmajors Hans Oster, gehörte zu den wenigen Überlebenden des Widerstandes gegen die NS-Diktatur.

Intrigen gegen John: Racheakt der Generale.

John hatte sich vier Tage nach dem mißlungenen 20.-Juli-Putsch der drohenden Verhaftung in Berlin durch einen Flucht-Flug nach Madrid entziehen können; von Madrid aus wurde er nach England gebracht. Dort arbeitete er zunächst als Berater am Soldatensender »Calais«, einem Organ der britischen Propaganda gegen Hitler-Deutschland.

Von dem alten Widerstands-Freund Jakob Kaiser empfohlen, von Bundespräsident Heuss unterstützt, hatte John beste Chancen, als oberster Verfassungsschützer akzeptiert zu werden. Doch Gehlen versuchte, Johns Ernennung zu hintertreiben. Als Amerikas CIA, vom US-Sicherheitsdirektor bei der Alliierten Hochkommission zur Personenabklärung Otto Johns aufgefordert, die Organisation Gehlen über Johns Chancen informierte, gab Gehlen Alarm.

Der Ex-General Gehlen nahm Anstoß daran, daß es der Emigrant John gewagt hatte, deutschen Generalen in der Kriegsgefangenschaft nicht mit Ehrerbietung zu begegnen. Vor allem: Gehlen verübelte John. daß er 1949 im Prozeß des britischen Militärgerichts gegen den Generalfeldmarschall von Manstein aufgetreten war und damit zur Verurteilung Mansteins beigetragen hatte.

Für den Manstein-Verehrer Gehlen war es eine ausgemachte Sache, daß ein John niemals Chef einer Staatsbehörde werden dürfe. Gehlen nahm den Kampf gegen ihn an zwei Fronten auf: Die Freunde in der CIA erfuhren. daß es eine Liste gab, auf der John als Sympathisant der prosowjetischen Spionage- und Widerstandsgruppe »Rote Kapelle« figurierte, und im Kanzleramt machte Gehlen geltend, mit John an der Spitze eines Staatsschutzorgans werde die junge Republik niemals das Vertrauen der Millionen ehemaliger Soldaten gewinnen können.

Als der US-Sicherheitsdirektor Gehlens Argumente aufgriff, fand er bei seinen Partnern in der Alliierten Hochkommission kein Gehör. Die Briten erwiderten, der Anti-Nationalsozialist John sei als Gegengewicht gegen den Ex-General Gehlen notwendig. Die Franzosen schlugen sich auf die Seite der Briten.

Im Bundeskabinett schraubte Innenminister Lehr die Anwürfe gegen John auf ihren Kern herunter: Das alles, gab er zu Protokoll, sei doch wohl nur der Racheakt einer Generalsclique. Zögernd gab Adenauer seine Zustimmung. John konnte am 5. Dezember 1950 die Leitung des Kölner Amtes übernehmen, jedoch nur kommissarisch.

Gehlen ließ nichts unversucht, die endgültige Bestallung Johns zu hintertreiben. Schließlich tauchte auch das Argument auf. John stehe im Solde der Briten -- gleichermaßen suspekt für Adenauer, der auf ein Bündnis mit der amerikanischen Weltmacht und auf die Aussöhnung mit dem benachbarten Frankreich setzte.

Die wahren Motive der John-Gegner wurden indes überdeutlich. als Man-Steins ehemaliger Generalstabschef. General Busse. dem Innenminister Lehr einen »Protest der Generale« gegen Johns Ernennung zum BfV-Präsidenten vortrug: John habe deutsche Offiziere unter entwürdigenden Umständen vernommen.

Solche Ranküne war Lehr zuviel. Energisch drängte er Adenauer, endlich John fest anzustellen. Der Kanzler gab nach. Im Dezember 1951 wurde John Präsident des Bundesverfassungsschutzes; er beeilte sich, Gehlen-Vertretern klarzumachen -- daß die Spionageabwehr zu den wichtigsten Aufgaben des Verfassungsschutzes gehöre.

Damit aber wucherte die persönliche Abneigung Gehlens gegen John zur sachlichen Rivalität zwischen Org und BfV aus. Gehlen mußte jetzt aufpassen daß ihn der Verfassungsschutz kraft gesetzlicher Zuständigkeit nicht aus Abwehr und Inlandaufklärung verdrängte.

Da er John nicht ausschalten konnte suchte der Org-Chef mit dem BfV-Präsidenten einen Burgfrieden. Er besuchte John in dessen Kölner Amt, John fuhr zu einem Gegenbesuch nach Pullach. Bei einem Abendessen erhob Gehlen sein Glas zu einem Trinkspruch auf den Rivalen: »Wir wollen das Vergangene vergessen. Auf gute Zusammenarbeit« John blieb zurückhaltend: »Prosit.«

Den ehemaligen Widerstands-Mann John zu hofieren, schien Gehlen vor allem auch deshalb opportun, weil weitere NS-Gegner vitale Interessen des ehemaligen Generals bedrohten -- diesmal auf einem Gebiet, das Gehlen bereits für sich reserviert zu haben glaubte:

Seit einiger Zeit drängten die West-Alliierten Adenauer, dem Westen durch einen eigenen Verteidigungsbeitrag zu Hilfe zu kommen. Die Hochkommissare wünschten, die Regierung in Bonn möge eine militärische Kontaktstelle einrichten, mit der die Alliierten detaillierte Pläne für eine Remilitarisierung Westdeutschlands besprechen könnten. Gehlen bekommt Konkurrenz. In Bonn entsteht ein militärischer Geheimdienst.

Die Amerikaner wußten auch schon, wer diese Aufgabe übernehmen könne: die Offiziere in der Organisation Gehlen. die sich seit Jahren mit militärischer Grundlagenforschung befaßten. Als Leiter eines deutsch-alliierten Verbindungsbüros empfahlen die US-Vertreter ihren Favoriten: General Gehlen.

Briten und Franzosen lehnten jedoch ab, der US-Protegé war ihnen allzu undurchsichtig. Der britische Hochkommissar Sir Brian Robertson schlug Adenauer einen anderen Kandidaten vor: den ehemaligen General der Panzertruppen Gerhard Graf von Schwerin. Adenauer stimmte zu.

Als »Berater des Bundeskanzlers in Sicherheitsfragen« bezog Schwerin mit einigen Mitarbeitern im Dachgeschoß des Palais Schaumburg einige Räume (die später vom BND übernommen wurden) und bereitete die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik vor. Seine Gesprächspartner auf alliierter Seite waren zunächst Abgesandte der Geheim dienste.

In diesem Kreis entstand das, was Gehlen für ein Komplott gegen sich und die Org hielt. Im Mai 1950 rief Schwerin den früheren Major Joachim Oster in sein Büro und erteilte ihm den Auftrag, einen militärischen Geheimdienst zur Erforschung der Lage in der DDR zu bilden.

Osters Vater, der Generalmajor Hans Oster, ehedem Leiter der Zentralabteilung im Amt Ausland/Abwehr und einer der engsten Vertrauten des Admirals Canaris. war der eigentliche Organisator des militärischen Widerstandes gegen Hitler gewesen und noch im April 1945 hingerichtet worden. Aus eben dieser Abwehr holte sich der geheimdienstlich wenig versierte Jung-Oster den Oberstleutnant Friedrich Wilhelm Heinz, mit dem zusammen er einen militärischen Nachrichtendienst aufzubauen begann.

Oster übernahm es, die Zentrale zu organisieren; Heinz leitete den Außendienst, zunächst von Frankfurt, dann von Wiesbaden aus. Je weiter sich aber der Apparat entwickelte, desto mehr sah Gehlen seine Position gefährdet.

Er wähnte sich bereits von den Erben des Widerstands-Märtyrers Oster verfolgt, die dem Pullacher übelnahmen, daß er allzu viele Ex-Nazis in seiner Organisation beschäftigte. Jeder von ihnen hatte einmal dem Oster-Kreis angehört: Sohn Joachim hatte die Arbeit seines Vaters unterstützt. John war Verbindungsmann der Gruppe gewesen. Heinz hatte dein von Ostern- zusammengestellten Kommando angehört, das im September 1938 Hitler verhaften sollte.

Gehlen aber war entschlossen, seine Gegenspieler auseinanderzudividieren, ehe sie ihn aus der Geheimdienst-Domäne vertreiben konnten. Er setzte bei dem schwächsten Mitglied des Freundeskreises an: dem Ex-Oberstleutnant Heinz. Der einstige Canaris-Mann galt in der Branche als unseriös.

Der ehemalige Freikorpsführer Heinz. zunächst Büro-Offizier bei Canaris. dann Regimentskommandeur in der Abwehr-Division »Brandenburg«, nach dem 20. Juli 1944 von der Gestapo verhaftet, hatte nach dem Kriege in Berlin-Lichterfelde, Baseler Straße, einen privaten Nachrichtenhandel aufgezogen. Er war bald darauf spezialisiert, Informationen über Stationierung und Stärke der Sowjet-Truppen in der Ostzone zu verkaufen. Seine Kunden: zunächst der amerikanische, später der holländische und der französische Geheimdienst. Manche Meldungen verkaufte er allen Kunden gleichzeitig.

Gegenüber Agenten und Abnehmern bediente sich Heinz einer gängigen Qualitätsmarke: des Namens Canaris. Er verschwieg dabei freilich, daß der Amtschef ihn nie sonderlich ernstgenommen hatte. Wo seine besonderen Fähigkeiten tatsächlich lagen, enthüllt ein geheimdienstliches Dossier aus der Nachkriegszeit:

Die eingesetzten Teile der Division Brandenburg waren verpflichtet, regelmäßig zu bestimmten Terminen Berichte Über die Art ihres Einsatzes und den Zustand der Truppe dem Divisionskommandeur zu melden --- Die Berichte von Heinz waren im Vergleich zu den Berichten anderer Truppenteile in besonderem Maße hervorstechend. Die Berichte waren unübertrefflich im Stil und in der An der Schilderung der einzelnen Kampfhandlungen. Man konnte jedesmal hell begeistert sein über all das, was das Regiment Heinz inzwischen geleistet hatte. Die Berichte von Heinz hatten nur einen Fehler: Sie stimmten nicht.

Die Franzosen zeigten sich von den Berichten ihres Informanten Heinz (Deckname: »Tulpe") beeindruckt. Heinz war der Geheimdienstfiliale Koblenz unter Captain Elsaneaux angeschlossen; wann immer »Tulpe seinen Verbindungsmann »Courby« (Deckname) zur Entgegennahme neuer Nachrichten in die Baseler Straße bat, konnten Frankreichs Geheimdienstler sensationeller Meldungen aus der Zone sicher sein.

»Fabelhafte Erfolge in der Erkundung, glänzende, hochinteressante und wichtige Berichte«, lobte ein französischer Geheimdienstler Heinz in einem Protokoll. Heinz wurde den Franzosen allmählich so wertvoll, daß sie ihm erlaubten, von Berlin nach Neuwied in der französischen Zone überzusiedeln und von dort aus sein V-Mann-Netz in der Ostzone zu führen; außerdem erlaubten sie ihm, einen Verlag ("Michael-Verlag") zu eröffnen »Tulpe« blieb weiterhin produktiv.

Eben diese nachrichtendienstliche Massenfertigung aber erregte schon frühzeitig den Argwohn Gehlens. Dem Org-Chef war zudem das Gerücht zugetragen worden, Heinz habe den Sowjets 1946 einen der ersten V-Männer Gehlens in der Zone verraten. Damals verurteilte ein sowjetisches Militärgericht Gerhard Pinckert, der in Sachsen und Thüringen ein Agentennetz aufgezogen hatte, zu einer hohen Zuchthausstrafe.

Koblenz schaltet »Tulpe« ab. Arbeitete Heinz für die Sowjets?

Pinckert und Heinz kannten sich aus gemeinsamer Dienstzeit im Canaris-Amt und in der Division Brandenburg. Org-Veteranen behaupten noch heute, Pinckert habe Gehlen vor Heinz gewarnt. der ihm allzu zwielichtig erschienen sei.

Tatsache ist, daß Gehlen seine Mitarbeiter anwies, jeden Kontakt mit Heinz zu meiden. Ob Gehlen auch den französischen Geheimdienst gewarnt hat, ist nicht bekannt. Die Vermutung liegt jedoch nahe, denn eines Tages schaltete die Koblenzer Filiale »Tulpe« ab. Die Franzosen beauftragten V-Mann »Courby«. das Heinz-Netz in Berlin und in der Sowjetzone zu übernehmen.

Der neue Mann aber stellte fest, daß Heinz gar kein eigenes Netz führte. Alle Mitarbeiter, die ihm Heinz genannt hatte, erklärten, sie arbeiteten für den US-Geheimdienst; sie hätten sich von Heinz getrennt, weil er ihre Informationen nie honoriert habe. »Courby« konnte Quittungen mit der Unterschrift von Heinz vorweisen.

Daraus aber ergab sich nur die Schlußfolgerung: Entweder hatte Heinz Spielmaterial aus sowjetischen Quellen geliefert und als Agent der Russen den französischen Geheimdienst zu verwirren gesucht, oder er hatte die Informationen zu eigenem Nutzen erfunden.

Eine weit harmlosere Version boten freilich Heinz-Freunde an: Der Canaris-Mann, stets am Rande üppiger Phantasie lebend, habe Zeitungsmeldungen aus der Zone »angereichert« (Geheimdienstjargon) und daraus Kapital geschlagen damals ein erfolgsträchtiges Geschäft. besonders in Berlin.

Daß Bonn einem so zwielichtigen Mann den Auftrag erteilt hatte, einen militärischen Aufklärungsapparat zu schaffen, erleichterte Gehlen den Kampf gegen die neue Oster-Gruppe. Doch er konnte den Feldzug gegen den geheimdienstlichen Schwarzhändler nicht selbst führen. Gehlen war bereits in den Ruch überhöhten Machtstrebens geraten; er mußte einen anderen gegen Heinz ansetzen. Dieser andere war Otto John, nur: John merkte es nicht.

Über Mittelsmänner ließ Gehlen dem Hitler-Gegner John einreden, Heinz habe gegen John intrigiert, um selbst Chef des Verfassungsschutzes zu werden. Auch der Anwurf, Heinz arbeite für die Sowjets, scheint nicht ohne Eindruck auf John geblieben zu sein. Der BfV-Präsident ließ eine Heinz-Akte anlegen, die kurz darauf von einem früheren Berliner Informations-Partner des Heinz, dem niederländischen Geheimdienstler Jan Eland, mit allerlei Verdächtigungen angereichert wurde.

Im September 1953 setzte der politische Abwehrchef John zum Sturz des militärischen Abwehrchefs Heinz an. Er legte das Dossier seinem Vorgesetzten im Bundesinnenministerium, dem Staatssekretär Ritter von Lex, und dem Kanzleramts-Exekutor Globke vor. Heinz-Chef Theodor Blank erfuhr nichts.

Globke verstand es, die Akte Heinz für Adenauer noch mit Würze zu versehen. Einem frühen Heinz-Buch ("Sprengstoff") entnahm er einen auf Adenauer gemünzten Satz über die rheinische Separatistenzeit: »Pan-Europa-begeisterte Oberbürgermeister domüberschatteter Städte unterstützten sie (die Separatisten) durch Schweigen und Untätigkeit.«

Adenauer gab dem zögernden Amtschef Blank die Weisung, Heinz zu entlassen. Am 29. September 1953 bat der Oberstleutnant »im gegenseitigen Einverständnis« um seinen Abschied; auch Oster resignierte. Gehlen war fortan ohne Konkurrenz auf dem militärischen Aufklärungssektor.

Jetzt kam dem Org-Chef zugute, daß einige seiner engsten Vertrauensleute in das »Amt Blank« einrückten. so der ehemalige Gehlen-Stellvertreter Gerhard Wessel und der einstige Gehlen-Chef Adolf Heusinger.

* Auf einer Amerika-Reise im Juli 1953; 4. v l.: Blanks Pressesprecher Conrad Ahlers.

Die Gehlen-Militärs garantierten rechtzeitig, daß die Pullacher Kameraden in Zukunft die Feindaufklärung allein betreiben und ihren Anspruch auf Übernahme in den Bundesdienst durchsetzen konnten. Sie erarbeiteten einen Organisationsplan für das geplante Bundesverteidigungsministerium, der (neben Org und BfV) ein drittes Zentrum geheimdienstlicher Aktivitäten ins Leben rief: den Militärischen Abschirmdienst, abgekürzt MAD.

In der Org »viele ehemalige SD-Leute«.

Die von Gehlen inspirierten Plan-Autoren sorgten dafür, daß der MAD dem Pullacher Apparat nicht gefährlich werden konnte. Der MAD sollte nur Spionageabwehr-Dienst in der Bundeswehr ausüben, nicht aber einen selbständigen Aufklärungsapparat erhalten.

Im Sommer 1955 trug Gehlen diesen Plan Adenauer vor, der gab sein Einverständnis. Dann besetzten die Mitautoren die Schlüsselstellungen der militärischen Spionageabwehr:

Chef des Amtes für Sicherheit, dem alle MAD-Gruppen unterstanden, wurde Oberst Josef Selmayr, Südosteuropa-Fxperte der Organisation Gehlen. Oberst Wessel übernahm die Leitung der für militärisches Nachrichtenwesen zuständigen Unterabteilung Fü B II im Verteidigungsministerium. Oberst Ernst Ferber, Mitglied der Org, wurde Personalchef des Bundesverteidigungsministeriums.

Noch immer aber fehlte der Schlußstein in Gehlens Machtgebäude: die Übernahme der Organisation in den Bundesdienst. Jahrelang konnten sich Gehlen und seine Partner nicht darüber einigen. Immer wieder pochten Briten und Franzosen darauf, daß der Bund bis zur Erlangung der vollständigen Souveränität nicht einen Geheimdienst in eigener Regie betreiben dürfe.

Zudem befürchteten britische und französische Politiker, Militärs und Geheimdienstoffiziere. daß sich über die US-kontrollierte Organisation Gehlen der amerikanische Einfluß in der Bundespolitik vertiefen könne -- auch dies nicht ohne Grund.

Bundesdeutsche Politiker wiederum fürchteten den Machtzuwachs, den eine Verstaatlichung für die Org bedeuten mußte. Bundesinnenminister Gerhard Schröder opponierte dagegen, den Auslands-Aufklärungsdienst dem Kanzleramt zu unterstellen; dem Sicherheits-Beauftragten Blank waren die »vielen ehemaligen SD-Leute« in der Org suspekt. Die SPD-Führer Schumacher und Erler verlangten eine strikte parlamentarische Kontrolle des Geheimdienstes.

Gehlen selbst hatte Zweifel ob die Unterstützung Washingtons auf die Dauer halten werde -- ein Zwischenfall machte ihn stutzig.

Bei einem Amerika-Besuch Adenauers im Frühjahr 1954 lud die deutsche Mission in Washington auch den Leiter des Geheimdienstes der US-Armee, Generalmajor Arthur Trudeau, zu einem Dinner. Trudeau vertraute dem Kanzler an, er mache sich Sorgen darüber, daß die CIA einen westdeutschen Spionageapparat unterstütze. Er zweifle an Gehlens Zuverlässigkeit: er könne auch nicht sehen, welche politischen Vorteile es biete, eine Geisterorganisation zu stützen, die ein »ehemaliger Nazioffizier« leite.

Gehlen bringt einen amerikanischen Geheimdienst-General zu Fall.

Die Warnung Trudeaus schien ihre Wirkung auf Adenauer nicht zu verfehlen. Der US-General wurde nochmals zu einer längeren Unterredung in die Mission gebeten. Trudeau wiederholte seine Gehlen-Kritik.

Von dem Gespräch erfuhr auch Gehlen. Er protestierte daraufhin in einem Schreiben an CIA-Direktor Allen Dulles. der prompt bei Präsident Eisenhower vorstellig wurde und den General Trudeau beschuldigte. durch seine Intervention vitale US-Interessen verletzt zu haben.

Eisenhower ließ sich Trudeau kommen und rügte dessen Verhalten. Zwar stellten sich die Generalstabschefs der Streitkräfte und der Verteidigungsminister hinter Trudeau. aber die CIA war stärker. Trudeau wurde abgelöst und auf ein Fernostkommando der USA abgeschoben.

Gehlen wußte, daß er nun bald in Bonn eine Entscheidung erzwingen mußte. Der Sturz seines Rivalen John kam ihm zugute.

Am frühen Morgen des 21. Juli 1954 wurden alle westlichen Geheimdienste alarmiert: Verfassungsschützer John war nicht in das West-Berliner »Hotel Gehrhus« zurückgekehrt, in dem er zum zehnten Gedenktag des Putsches gegen Hitler Quartier genommen hatte.

Zur selben Stunde lag der Geheimnisträger aus Westdeutschland in einem Haus des sowjetischen Geheimdienstes in Berlin-Karlshorst: »narkotisiert in tiefem Schlaf« wie John im Dezember 1956 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe aussagte, »im Alkoholrausch« -- wie Gehlen-Ureunde noch heute annehmen.

Vermutlich wird ungeklärt bleiben. wie der Spionageabwehr-Chef Bonns in der Nacht zum 21. Juli 1954 über die Grenze nach Ost-Berlin gelangt ist: bewußtlos, weil er zuvor im Auftrage der Sowjets von dem Arzt Dr Wolfgang Wohlgemuth mit Drogen betäubt worden war, oder bewußtseinsgetrübt, weil John, verbittert über den restaurativen Kräftezuwachs in der Bundesrepublik, zuviel Whisky genossen hatte und sich von Wohlgemuth überreden ließ, in den Osten zu fahren und dort ein Signal gegen eine vermeintliche Wiedergeburt des Nationalsozialismus zu setzen.

Noch war das Rätsel John nicht gelöst, da zeigte sich für einen Mann der Grenzwechsel schon geklärt: für Gehlen. Als der Org-Chef im Bonner Innenministerium gefragt wurde, wie er sich Johns Abgang erkläre, entgegnete Gehlen: »Einmal Verräter, immer Verrater!«

Er fühlte sich so stark, daß er jetzt den Preis hinaufschrauben wollte. zu dem er zum Eintritt in den Bundesdienst bereit war. Der Fall John, erklärte Gehlen in Pullach, beweise, wer allein diesen Staat zu schützen vermöge: der deutsche Offizier. Wenn ihn jetzt die Bundesregierung um seine Dienste anginge. werde er die Bedingungen diktieren.

Gehlen zu einem befreundeten FDP-Abgeordneten: »Jetzt, nachdem das mit John passiert ist, sollen die mich hier erst mal bitten, etwas für sie zu tun! Es schadet nichts, wenn ich mich jetzt etwas zurückhalte; das vergrößert nur die Bereitschaft, meine Forderungen zu erfüllen.«

In der Tat wollte Konrad Adenauer noch im Juli im Kabinett den Plan durchsetzen, die Org mit einem Jahresetat von zunächst 26 Millionen Mark in den Bundesdienst zu übernehmen. Die administrative Verantwortung wollte Adenauer (nach einem Plan Gehlens) Staatssekretär Globke. die politische Aufsicht einem Bundestagsgremium übertragen.

Die Minister Blank und Schröder erhoben Einspruch. Vor allem Johns Aufsichtsminister Schröder mißfielen die jahrelangen Intrigen Gehlens gegen den Verfassungsschutz-Präsidenten. Die Frage wurde erneut vertagt.

Nun suchte Gehlen Schützenhilfe ausgerechnet bei der Partei, deren Funktionäre er auf ihr politisches Wohlverhalten hin observieren ließ -- bei der SPD. Er fand vor allem Verständnis bei dem SPD-Bundestagsabgeordneten Fritz Erler, der dem Vorwurf entgegenwirken wollte, den Sozialdemokraten sei die äußere und innere Sicherheit der Bundesrepublik gleichgültig.

Gehlen verstand es. mit politischen Berichten aus der DDR, vor allem aus der SED-Führung, Erler ins geheimdienstliche Vertrauen zu ziehen. Schließlich hatte die SPD ihr eigenes Sicherheitsproblem: Die Parteiführung fürchtete kommunistische Unterwanderung. Gehlen versprach, darauf zu achten, welche SPD-Mitglieder an Kursen, Tagungen und Veranstaltungen in der DDR teilnähmen.

Dem Org-Chef blieb nicht mehr viel Zeit. Auch in Amerikas CIA schwand das Interesse an dem deutschen Hilfsverband in Pullach. Schwere Verluste der Org in der DDR und die Verurteilung von Gehlen-Agenten durch DDR-Gerichte brachten die Organisation ins internationale Gerede.

Außerdem mißfiel den Amerikanern, daß Gehlen auf Rechnung der CIA überwiegend für Bonn operierte. Da kam Ende Juni 1955 das Gerücht auf, CIA-Chef Dulles habe die Zahlungen an die Organisation Gehlen eingestellt. Eingeweihte halten diese Nachricht freilich nur für einen Trick, mit dem Gehlen die Übernahme seines Geheimdienstes durch den Bund endgültig habe erzwingen wollen.

Am 11. Juli 1955 beschloß das Kabinett, die Organisation Gehlen »als eine dem Bundeskanzleramt angegliederte Dienststelle« in den Bundesdienst zu übernehmen. Nach zehn Jahren voller Kämpfe, Erfolge und Intrigen hatte Reinhard Gehlen sein Ziel erreicht, hatte die Organisation Gehlen ihre endgültige Form gefunden. Ein neuer Name beschäftigte die Zeitgenossen: Bundesnachrichtendienst (BND).

Der Kabinettsauftrag an den Bundesnachrichtendienst bestand aus einem Satz: Er habe Informationen im Ausland zu sammeln, die für die Bundesregierung wichtig seien und ihr eine Entscheidungshilfe gäben. Mehr wollte das Kabinett nicht sagen -- Schweigen senkte sich über den BND.

Vergebens drangen SPD und FDP im Bundestag darauf, den Bundesnachrichtendienst durch Gesetz zu verankern. Adenauer weigerte sich und verletzte damit den Artikel 87 des Grundgesetzes, der zwingend vorschreibt, jede Bundesoberbehörde sei auf gesetzliche Grundlage zu stellen. Wegen dieses Geburtsfehlers gelang es dem BND nie, den Ruch der Illegalität ganz abzustreifen und eine ihm zustehende Rechtsposition im öffentlichen Bewußtsein einzunehmen.

Daran änderte auch das Zugeständnis Adenauers nichts, ein Vertrauensmännergremium von Bundestagsabgeordneten aus allen Fraktionen könne eine Art parlamentarische Kontrolle über den BND ausüben. Jahrelang wurden die Vertrauensmänner in Pullach mit Lagevorträgen geblendet; wo Aufsicht und Vorsicht geboten gewesen wären, genügte den geheimdienstlichen Laien schon das Wort des großen Gehlen, alles sei in Ordnung.

Gehlen konnte auch unter dem Schutz des vieldeutigen Sicherheitsbegriffes jede Überprüfung seines Personals vor Übernahme in das Beamten- oder Angestelltenverhältnis abwehren. Für seine Mitarbeiter entwickelte er noch einmal rege Fürsorge. Als im August 1955 der organisatorische Umbau des Gehlen-Apparates begann, ließ der Chef zahlreiche mittlere Außenstellen und kleine Filialen zu großen Dienststellen zusammenlegen. Dadurch sicherte er sich genügend Planstellen für Amtmänner, Regierungsräte und Oberregierungsräte.

Er selber ließ sich den Rang eines Ministerialdirektors und den Titel eines Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes zuschreiben. Gehlen verfügte jetzt über 540 Beamte. 641 Angestellte und 64 Arbeiter.

Am 1. April 1956 war es endlich soweit. Vor dem Flaggenmast im Pullacher Camp stand die deutsche Geheimdienst-Beamtenschaft. An diesem Morgen stieg am Mast nicht mehr Amerikas Sternenbanner hoch, sondern die Bundesflagge schwarz-rot-gold.

Als eine Stunde später Verbindungsoffiziere der CIA in die Arbeitszimmer der Auswertungs-Abteilung kamen und nach den Meldungen des Vortages fragten, wurde ein Referent mit dem Titel Amtmann patzig: »Guck mal, was da oben für eine Fahne weht. Ihr habt nichts mehr zu sagen!«

Doch die Freude am Triumph sollte nicht lange währen. Über die östlichen Agentennetze des BND fiel ein düsterer Schatten: Der Staatssicherheitsdienst der DDR hatte zum Gegenschlag ausgeholt.

Im nächsten Heft

Ein V-Mann der Organisation GeHen spioniert für den Ost-Berliner Geheimdienst -- Der Aufbau des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit -- Der SSD zerschlägt GehlensAgentennetz in der DDR

Hermann Zolling
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