LUDWIG ECKES Pulver und Brei
Der 76 Meter aufragende Spreda -Turm in Cloppenburg ist das Denkmal der unternehmerischen Ambitionen des CDU-Bundestagsabgeordneten Hermann Siemer. Für Europas größten Weinbrenner Ludwig Eckes ("Chantré") wäre er zum Grabmal geworden, hätte Eckes einen Ausflug in die Welt der küchenfertigen Schnellgerichte nicht rechtzeitig abgebrochen.
Seit zwei Monaten ruhen die modernen Maschinen der Spreda Nahrungsmittelwerke AG, Cloppenburg, eingefettet in den Hallen. Die Bremer Landesbank mottet den Betrieb rostfrei ein, um ihre Millionenkredite zu sichern. Die 200 Beschäftigten wurden entlassen.
Der Landwirt im Flecken Spreda und Abfüller des Eckes-Fruchtsafts »hohes C« Hermann Siemer hatte dem skeptischen Eckes vom ganz großen Geschäft vorgeschwärmt, das mit Hilfe einer Schweizer Lizenz zu machen sei. Vom Birs-Trust in Basel kaufte Siemer im Juni 1961 die Rechte für ein neuartiges Kalt-Trocknungsverfahren zur Pulverisierung von Lebensmitteln.
Nach diesem System wird der Ausgangsstoff, beispielsweise Milch, in einem Sprühturm in großer Höhe zerstäubt. Die winzigen Tröpfchen sinken durch einen Gegenstrom aufsteigender Luft langsam nieder. Dabei verdunstet alle Feuchtigkeit, so daß die Trockensubstanz der Milch unten als feiner Puder herabrieselt.
Quark, Kaffee und Butter, Früchte, Eier, Käse, Fleisch, Suppen, »annähernd 100 verschiedene Produkte«, so rühmt die Birs AG, können auf diese Weise pulverisiert werden. Luftdicht oder unter Stickstoff abgepackt, sind sie nahezu unbegrenzt haltbar und auf kleinstem Raum zu lagern.
Von Kartoffeln beispielsweise bleiben nach dem Entzug des Wassers pur etwa 20 Prozent des ursprünglichen Volumens übrig. Gibt man wieder Wasser hinzu, quillt das Pulver sofort zu gelbem Kartoffelbrei auf.
Ernährungs-Staatssekretär Sonnemann in Bonn war von Siemers Vorschlag angetan, landwirtschaftliche Überschüsse derart aus dem Markt herauszupulvern. Aber er vermochte nicht die Raiffeisengenossen, deren Präsident er damals wurde, zu einem finanziellen Engagement zu bewegen.
Da wandte Dr. Siemer sich an den Getränke-Krösus Eckes, der gern ein Bein in eine verwandte Branche stellen wollte. Er präsentierte ihm als Vorstandsvorsitzer der Spreda AG in spe den Oldenburger Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Voet und als Aufsichtsratsvorsitzer sich selbst. Siemer zu Eckes: »Sie brauchen nur das Geld zu geben, alles andere machen wir.«
Der Spreda-Finanzbedarf war mit sechs Millionen Mark Investitionen und drei Millionen Mark Umlaufvermögen veranschlagt. Eckes übernahm 74,5 Prozent der Aktien, Dr. Siemer zehn Prozent, den Rest teilte Dr. Voet mit Freunden. Spezialisten der Firma »Birs Tecnica«, Florenz, begannen mit dem Aufbau des Millionen-Werks samt Sprühturm in Cloppenburg.
Die Florenzer Techniker hatten in Italien und in der Schweiz bereits kleinere Anlagen errichtet. Eine davon ist inzwischen an den Gütersloher Buchverlag Bertelsmann verkauft worden, der sich so ein Zubrot außerhalb der Welt des Geistes sichern möchte.
Im Sommer 1963 stattete Großaktionär Eckes der Spreda AG seinen ersten Besuch ab und kurbelte anschließend hoffnungsvoll seinen Vertriebsapparat an. Obwohl die Vertreter noch nicht einmal Muster vorweisen konnten, bestellte der Handel im Vertrauen auf den Namen Eckes unbesehen.
Ganzseitige Buntinserate in den Bilderblättern eröffneten die Werbung für sogenannte Instant("Sofort")-Gerichte, die im Zeitalter der berufstätigen Hausfrauen immer mehr gefragt sind: »Jetzt gibt es Spreda-Knödel ... wie von frisch geernteten Kartoffeln.« Dann wurden Püree und Reibekuchen in Pulverform angekündigt. Alles mit Qualitäts-Garantie: »Probieren Sie Spreda -Gerichte auf unser Risiko ... Sie bekommen umgehend Ihr Geld wieder.«
»Spreda für die gute Küche« war, so erfuhr die Kundschaft, »gut, gesund, praktisch« - nur gab es die Illustriertenspeise noch nirgends zu kaufen. Die Birs-Experten murksten fieberhaft und wurden nicht fertig; immer wieder mußte der Lieferbeginn verschoben werden. »Mal funktionierte die Produktion und mal die Verpackung nicht«, erinnert sich Ludwig Eckes: »Das hat mich auf die Palme gebracht.«
Von April 1964 an, als Siemer und Voet immerhin die Kartoffelanlage startklar gemeldet hatten, suchte der Hauptaktionär die Cloppenburger Pulverkammern öfter heim. Was er sah, konnte ihn nicht freuen: Die Spreda-Buchhaltung war im Juni erst bei Januar angelangt, die Belege wurden in Kisten gestapelt Das Personal rechtfertigte sich, es habe ständig mit dem Verkauf der bei Experimenten im Trockenturm verdorbenen Warenmengen als Viehfutter zu tun gehabt.
Millionen von Verpackungstüten und -schachteln wurden weggeworfen, weil sie falsch bedruckt waren oder nicht in die Maschinen paßten. Ein Teil des Pulvers, das glücklich von den Cloppenburger Lebensmittel-Trocknern produziert worden war, verregnete in undichten Lagern.
Statt Kartoffelpulver fabrizierte Spreda bald wohlschmeckende Erdbeer- und Zitronen-Quarkspeise. Aber die Anlage lief stotternd und stand zwischendurch stunden-, tage- und wochenlang still.
Der Eckes-Verkaufsstab verlustierte sich in Rundschreiben an grimmigen Persiflagen auf die permanenten Lief ernöte der »Spreda Quarkwerke AG« ("Von Nahrungsmittelwerken kann ja keine Rede sein"). Den Unterschied zwischen Eiffel- und Spredaturm definierten die Reisenden so: »Beim Eiffelturm sitzen die dicksten Nieten unten.«
Dieser Eindruck bemächtigte sich schließlich auch des Chantré-Erfinders. Aber Dr. Siemer stellte sich schützend vor den Freund Voet, den Eckes für »untragbar« hielt.
Im November 1964 schließlich beendete der Weinbrenner das »monatelange Hin und Her« mit den Doktoren, Siemer und Voet, indem er ihnen »eine Zeitbombe unter den Hintern« placierte: Er drohte ihnen mit dem Konkursantrag. Erst dann räumte Generaldirektor Voet seinen Posten, und Eckes scheuchte auch die italienischen Birs-Spezialisten hinterdrein, die bis dahin die Anlage gefahren hatten.
Dann zog er eine betrübliche Bilanz: Nach Dr. Siemers Lizenzvertrag war das Werk zum Fixpreis von sechs Millionen Mark gekauft, eine nachträgliche Kapazitätserweiterung sollte zwei Millionen Mark kosten. Eckes heute: »Aus den zwei wurden aber zwölf Millionen, und nebenher mit allem Drum und Dran wurde noch viel mehr verwirtschaftet. Es wurde hemmungslos Geld ausgegeben. Jeden Monat 600 000 Mark Kosten ohne Einnahmen.«
Dabei erreichte die Kapazität, wenn Luftaufbereitungsanlage und Sprühturm wirklich einmal funktionierten, statt stündlich 8000 Liter Wasserverdampfung je nach Wetterlage,und Produkt nur bis zu 3000. An der Produktion von 160 Tonnen Apfelpulver, die nach Wasserzusatz 550 Tonnen Apfelmus ergeben, wurde von November bis Januar 55 Tage gearbeitet; normalerweise hätte dieser Bundeswehr-Auftrag in einer Woche erledigt sein müssen.
Anstelle von 60 bis 70 Millionen Mark Jahresumsatz brachte es die Spreda AG nur auf 2,9 Millionen Mark, von denen die Hälfte auf Sonderlieferungen für die amtliche Berlin-Reserve und die Bundeswehr entfiel.
Aus der neuesten Bilanz, die den Vermerk »Status August 1964« trägt, mußte Ludwig Eckes erkennen, daß das Werk nur auf Touren gebracht werden kann, wenn weitere Millionen hineingesteckt werden. Der Weinbrenner aber hatte die Lust verloren.
Er arrangierte sich mit den Hauptgläubigern, zahlte die letzten Gehälter bis 31. März 1965 und verkaufte sein Cloppenburger Spreda-Paket an Schweizer Kunststoffindustrielle. Bisher ließen die Käufer nicht erkennen, wie sie die Anlagen, die der Landesbank zur Kreditsicherung übereignet wurden, zu verwerten gedenken.
Jetzt sinniert Ludwig Eckes dem Pulver-Abenteuer nach: »Für mich war's kein Geschäft, aber ein sehr lehrreicher Roman.« Wie viele Millionen Mark ihn die Lektüre gekostet hat, mag Eckes nicht verraten.
Spreda-Sprühturm in Cloppenburg
Millionen verpulvert
Spreda-Illustriertenwerbung
Gewinne versprochen
Ehepaar Eckes
Erfahrung gewonnen