Purer Zufall oder eine echte Hoffnung?
SPIEGEL: Herr Professor Thomsen, freuen Sie als Gynäkologe sich über das sogenannte Retorten-Baby?
THOMSEN: Ja, denn diese Geburt ist eine echte Hoffnung für alle Frauen, die keine Eileiter mehr haben oder deren Eileiter verschlossen sind, die aber unbedingt ein Kind von ihrem Mann möchten.
SPIEGEL: Hat man denn nicht auch schon Eileiter, ähnlich wie Nieren oder Herzen, transplantiert?
THOMSEN: Die Transplantation fremder Eileiter hat bis jetzt zu keinen positiven Ergebnissen geführt, und es sieht so aus, als ob diese in naher Zukunft auch nicht zu erwarten sind. Mikrochirurgische Eingriffe an den Eileitern führen nur zum Erfolg, wenn die Eileiter unterbunden, aber gesund sind. Bei Frauen, deren Eileiter etwa nach einer Tuberkulose verklebten, sind die Ergebnisse gleich Null. Hat man bereits mehrmals erfolglos operiert, bleibt als einzige Chance ein Baby durch Reagenzglasbefruchtung.
SPIEGEL: Warum sind die Experimente von Steptoe und Edwards erst nach Jahren geglückt?
THOMSEN: Die größte Schwierigkeit -- und deswegen haben die beiden so lange herum laboriert -- ist die Synchronisation: Das wenige Tage alte befruchtete Ei ist nur während weniger Stunden in der Lage, sich in die Gebärmutter-Schleimhaut einzugraben. Ebenso zeitlich begrenzt ist die Fähigkeit der Schleimhaut, das Ei aufzunehmen. Steptoe und Edwards mußten also genau den richtigen Moment treffen.
SPIEGEL: Sind daran die zahlreichen früheren Experimente der Briten gescheitert?
THOMSEN: Ja: Das Ei nistete sich entweder nicht in die Schleimhaut ein oder wurde frühzeitig wieder abgestoßen -- die Synchronisation war nicht gelungen.
SPIEGEL: Wie vielen Frauen in der Bundesrepublik könnte mit einer Retorten-Schwangerschaft geholfen werden?
THOMSEN: Wir rechnen mit etwa fünfzehn Prozent steriler Ehen. In 40 Prozent der Fälle liegt die Ursache bei der Frau, und hier wiederum sind zu rund 30 Prozent unbrauchbare oder fehlende Eileiter der Grund. Die Zahl der betroffenen Frauen könnte schätzungsweise bei 100 000 liegen. Ich selber habe einigen solcher Patientinnen mit dringendem Kinderwunsch die Adresse von Steptoe und Edwards gegeben und ihnen gesagt: Warten Sie ab, was die herauskriegen.
SPIEGEL: Sind Ihnen westdeutsche Forscher bekannt, die mit diesem Verfahren experimentieren?
THOMSEN: Bei uns sind diese Arbeiten meist noch im Stadium des Tierversuchs. An unserer Klinik in Hamburg-Eppendorf hat mein Mitarbeiter Professor Krebs auch menschliche Eier, die bei Operationen oder durch Bauchspiegelung gewonnen wurden, mit menschlichem Samen befruchtet. Dabei sind Zellteilungen gelungen, jedoch nicht bis zum Stadium der Implantationsreife. In Kiel sind es Professor Semm und Dr. Liselotte Mettler, die an diesen Problemen arbeiten.
SPIEGEL: Könnte die Methode von Steptoe und Edwards eines Tages für Frauenärzte ein Routine-Eingriff werden?
THOMSEN: Es könnte durchaus sein, daß dies ein tragbares System für die genannten Frauen wird. Es könnte sich aber auch um einen reinen Glücksfall handeln, denn wir wissen noch nicht, ob das Problem der Synchronisation nun schon endgültig gelöst ist. War es ein Zufallstreffer, könnten bis zur nächsten Retorten-Schwangerschaft mit glücklichem Ausgang wieder Jahre vergehen.
SPIEGEL: Britische und amerikanische Wissenschaftler haben bereits vor möglichem Mißbrauch gewarnt ...
THOMSEN: Natürlich kann man auch auf diese Weise betrügen. Das könnte zum Beispiel so aussehen, daß der Samen eines fremden Mannes oder das Ei einer fremden Frau übertragen wird. Bedrückt bin ich bei der Vorstellung, daß man eine Frau sozusagen als Brutmutter für ein völlig fremdes Kind »benutzen« könnte.
SPIEGEL: Sie meinen, es könnte einen Markt für Miet-Schwangerschaften geben?
THOMSEN: Dieser Gedanke ist schrecklich. Wahrscheinlich wird dies aber nie Realität werden, weil dieses »Implantat« keine genetischen Eigenschaften der Mutter besitzt und wohl abgestoßen würde.
SPIEGEL: Ist nach Ihrer Meinung das Mißbildungsrisiko bei der Übertragung eines Embryos höher einzuschätzen als bei normaler Schwangerschaft?
THOMSEN: Darüber kann man noch nichts aussagen. Wenn es zu Schäden kommt, kann man sich eher vorstellen, daß dies während der Reagenzglasphase geschieht. Nach der Implantation findet das künstlich befruchtete Ei das gleiche Milieu für seine Entwicklung vor wie das auf natürliche Weise in die Gebärmutter gelangte Ei.