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KRANKENHÄUSER Purpur für die Seele

Ärzte und Schwestern der neuen Kinderklinik von Hannover werden popbunt gekleidet: Farben sollen den kleinen Patienten eher wiederaufhelfen.
aus DER SPIEGEL 4/1972

Den weißen Kittel, althergebrachtes Zeichen seines Standes, will Medizin-Professor Johannes Wenner, 49, bald ablegen. Der turnusmäßig geschäftsführende Direktor der Kinderklinik an der medizinischen Hochschule Hannover beschloß, sich und seinen Stab künftig bunt zu kleiden.

So berieten auch vergangenen Dienstag beim Kaffee im Chefzimmer drei Assistenzärzte und drei Schwestern -- Vorstand des jüngst eröffneten Hospitals -- die Reform. Beschluß: Die Krankengymnastinnen werden entweder dunkles Türkis oder Orangerot tragen, zunächst aber, bis die Kostenfrage geklärt ist, jenes »sympathische Blau« (Wenner), in das schon die Schwesternschaft gehüllt ist.

Denn die vorerst 64 kleinen Klinikpatienten sollen nicht allein durch Fachärzte, Fürsorge, Fenchel und feuchte Wickel wieder auf die Beine kommen, sondern vor allem auch durch kräftigere Farben. Wenner: »Die Atmosphäre spielt für Kinder eine große Rolle, und da hat man sich hier Mühe gegeben.«

Für die Atmosphäre hatten die Architekten der Klinik den Psychologen Hermann Janiesch engagiert, der mit einem Assistenten und einer Schreibkraft in Essen ein »Studio für Farbberatung« unterhält. Mit 30 frei mitarbeitenden Designern und Graphikern, die er zum Teil von der Essener Folkwangschule holt und jeweils in Teams zusammenarbeiten läßt, belebte Janiesch in der grauen »Selbstmordstimmmung« des Ruhrgebiets schon Kindergärten und Schulen mit Farbe.

Zwecks »Humanisierung der Arbeitsstätte« erarbeitete er auch die Farbenplanung der August-Thyssen-Hütte in Duisburg. Janieschs Devise: »Wo keine Farben sind, ist es wie tot. Oder haben Sie schon mal einen rosigen Toten gesehen?«

Gegen ein Honorar von 20 Pfennig pro Kubikmeter umbauten Raums -- insgesamt für rund 8000 Mark -- gestaltete Janiesch die hannoversche Kinderklinik vom Fensterrahmen bis zum Arztkittel nach farbenpsychologischen Erkenntnissen.

Bei der Farbgebung ging der Essener Psychologe von Befunden aus, nach denen Kinder (anders als Erwachsene, denen Pastelltöne am angenehmsten sind) kräftige Farben vorziehen. Ein sattes Purpurrot haben sie am liebsten -- von 500 Essener Kindergartenkindern, die Janiesch testete, bevorzugten diese Farbe 17 Prozent; Lila, Rosa und Gelb folgen mit einigem Abstand auf der Kinder-Palette. Den größten Horror zeigten die Kinder vor Schwarz (36 Prozent), Grau und Dunkelbraun.

Analysen von Kinderzeichnungen ergaben zudem, daß die Kleinen die von ihnen bevorzugten Farben für angenehme, die sogenannten Ablehnungsfarben fast ausschließlich für unangenehme Dinge und Figuren verwendeten. Eine Kindergärtnerin, die ständig dunkelbraunes Zeug trug, bezeichneten die Kinder -- so eruierte Janiesch -- als »böse Tante«; »lieb« wurde sie erst, als sie sich anders anzog.

Besonders in der Kinderklinik, »an einem Ort, wo geheilt (= ganz gemacht) werden soll« (so ein Janiesch-Papier), vermied der Spezialist alle Farben, die bei den ohnehin physisch und psychisch belasteten Jungpatienten noch zusätzlich unangenehme Assoziationen und Depressionen auslösen können. Statt dessen wählte er Töne, »die das Wohlbefinden steigern« und »die Kontaktbereitschaft und das Vertrauen zum Pflegepersonal positiv beeinflussen«.

Fensterrahmen, Türen und Gestühl ließ Janiesch vorzugsweise rotorange pinseln, Wände sonnengelb streichen, Betten blau und rosa beziehen. Den Schwestern verordnete er das Türkisblau, den Ärzten strahlendes Orange. »Farben«, sagt der Psychologe, »sind Vitamine für die menschliche Seele.«

Dem Vitaminstoß abgeneigt sind vor allem noch jüngere Ärzte in der Klinik. Wenner registrierte »zögernde Reaktionen« bei den Kollegen, Janiesch gar »erhebliche Aggressionen«. Die Jungmediziner argumentieren, es komme nicht auf die Farbe der Hülle, sondern auf die Qualität des Inhalts an.

»Unbewußt«, erkannte Professor Wenner, »wird mit dem weißen Kittel offenbar doch mehr verbunden, als daß er nur ein weißer Kittel ist.«

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