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Artikel 22 / 60

Quadratmeter im Himmel

aus DER SPIEGEL 6/1947

Zwei neuralgische Punkte bereiten der

britischen Empire-Politik große Sorgen: Palästina und Aegypten.

Im Heiligen Lande geht es wieder einmal recht unchristlich zu. Die Evakuierung britischer Untertanen, die man vorige Woche erwogen hatte, wird jetzt durchgeführt. Insgesamt werden davon etwas mehr als 6000 Menschen betroffen. Wie der englische Korrespondent der »Sunday Graphic« meldet, ist die Atmosphäre in Palästina wie wenige Stunden vor einer Kriegserklärung am Vorabend eines Krieges. Von britischer Seite werden RAF-Bomber eingesetzt, um ein Großteil der 2000 britischen Familien, die von der Evakuierung betroffen werden, nach England zu bringen. Einige Frauen und Kinder haben private Abmachungen getroffen und wollen nach Cypern, Transjordanien und Aegypten flüchten, um so nahe wie möglich bei ihren Männern sein zu können.

Diejenigen Männer, die »unentbehrlich« sind, sollen in Palästina bleiben. Dazu gehören auch die englische Journalisten. Allerdings kann die britische Verwaltung keine Gewähr für ihre Sicherheit, mehr übernehmen.

Familien, die schon seit Jahren ins Palästina ansässig sind, weigern sich das Land zu verlassen. Einige Frauen traten sogar in Sitzstreik. Mr. Stanley Clark einer der Direktoren der Barclay Bank, der zu den Unentbehrlichen gehört, erklärte, »wenn meine Frau geht, gehe ich auch«. Er ist ferner der Ansicht, daß England alles Ansehen verlieren würde, wenn man das Heilige Land evakuiert, und führt an »während der dunkelsten Stunden des Krieges, als die Deutschen Aegypten und Syrien bedrohten, gaben unsere Zuversicht und unser Mut den nötigen Rückhalt.«

Geschäftstüchtige sind dabei, ihre Habe möglichst vorteilhaft loszuschlagen. Insgesamt dürfen pro Kopf etwa 60 Pfund Gepäck mitgenommen werden. Die Frauen und Kinder von Offizieren und Soldaten sind in öffentlichen Gebäuden, die durch Stacheldrahtverhaue geschützt sind, untergebracht worden.

Die englischen Familien sitzen hinter Stacheldraht. Das amerikanische Konsulat in der Mamillah Road dagegen hat keinerlei Vorkehrungen getroffen. Mr. Lowell C. Pinkerton, der amerikanische Generalkonsul, erklärte, irgendwelcher Schutz sei überflüssig. Nicht einer der 5000 in Palästina lebenden Amerikaner hat an das Konsulat ein Ansuchen zur Evakuierung gestellt.

Die britischen Untertanen sind keineswegs davon beglückt, ausgerechnet in dieser Jahreszeit irgendwo in London notdürftig untergebracht zu werden. Auch dort herrscht die allgemeine Wohnungsnot, und die Sehnsucht nach dem sonnigen Heiligen Land wird doppelt groß werden.

Das Palästina-Problem ist für England zu einem Sorgenbecher geworden. Es unterstützte zunächst die Juden, als sie sich eine neue Heimat suchten. Gleichzeitig wurde aber den Arabern der Besitz des Landes zugesichert. Beide Parteien erheben heute Ansprüche, die sich nicht auf einen gleichen Nenner bringen lassen. Bei der abgebrochenen Konferenz in London waren zwar erstmals auch die palästinensischen Araber erschienen, die jüdische Delegation jedoch war ferngeblieben. Da die arabischen Abgeordneten eine Teilung Palästinas in jeder Form endgültig ablehnten, wurde die Konferenz auf unbestimmte Zeit, vertagt.

Der Präsident der jüdischen Agentur Dr. Weitzmann, richtete dagegen auf der Jahresversammlung der britischen Zionisten in London an die Zionistenführer die Aufforderung, unter gewissen Vorbehalten einen Teilungsplan für Palästina anzunehmen. Diese Bedingungen sind Großbritannien muß das Mandat entweder in vollem Umfang wirksam werden lassen oder es durch etwas Gleichartiges ersetzen, das den Bedürfnissen des Judentums genügt. Vor allem muß eine umfangreiche Einwanderung ermöglicht werden, um die Reste des europäischen Judentums zu retten. Ferner soll eine zusammenhängende jüdische Kolonisation, zumindest in einem Teile Palästinas gestattet werden. Schließlich soll in naher Zukunft ein jüdischer Staat verwirklicht werden, etwa in zehn Jahren.

Da sich der gordische Knoten in Palästina nur schwer lösen läßt, forderte Winston Churchill in der Palästina-Debatte im Unterhaus, Großbritannien solle sich auf seine Interessen am Suezkanal konzentrieren und die strategischen Positionen in Palästina aufgeben. Er fügte hinzu, Großbritannien habe niemals ausgesprochen strategische Interessen in Palästina gehabt. Die Verantwortung für die Beendigung des Konfliktes zwischen Juden und Arabern solle im übrigen die UNO und nicht das überlastete Empire tragen, »wenn nicht die Vereinigten Staaten bereit sind, mit Großbritannien die Verantwortung zu teilen«.

Unter allen Umständen müsse England vermeiden, mit den Unruhestiftern in Palästina in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Wenn man aber in einen Konflikt hineingezogen werde, dann müsse man sich so verhalten, daß der Gegner sich in acht nehme. »Was wäre die Folge gewesen«, fragte Churchill, »wenn wir den Deutschen nach der Bombardierung Londons lediglich eine Note gesandt hätten?«

In Washington erwartete man in dieser Frage eine Antwort von Präsident Truman an Churchill, da der Präsident zu einer außerordentlichen Pressekonferenz einberufen hatte. Truman schwieg sich jedoch über dieses Thema aus.

Die nächste Vollversammlung der UNO tritt nicht vor September zusammen. Das bedeutet, daß Palästina weitere acht Monate auf einen Friedensplan warten muß. Die britische Regierung sieht sich deshalb vor die Notwendigkeit gestellt, in irgendeiner Form eine Teilung Palästinas durchzuführen. Sollte sie das nicht erreichen, so müßte sie eine Sondersitzung der UNO-Vollversammlung einberufen und eine Revision des Palästina-Mandats nach von ihr vorgeschlagenen Richtlinien beanträgen.

Die englische Presse ist der Ansicht, daß die Evakuierungsmaßnahmen durchgeführt wurden, um freie Hand für ein drastisches Vorgehen gegen die Terroristen zu haben.

Auch am Nil geht der Geist der Unruhe um. Nachdem England gegenüber Aegypten zu Zugeständnissen bereit gewesen ist, hat sich dieser von einem Schutzstaat in einen Freund verwandelte Partner plötzlich halsstarrig gezeigt.

Streitapfel ist der Sudan, den die Aegypter als einen Teil ihres Herrschaftsgebietes betrachten. Auch hier befindet sich England in einer ähnlichen schwierigen Lage wie in Palästina. Den Sudanesen sind Hoffnungen auf Selbständigkeit gemacht worden, »wenn sie politisch reif genug seien«. Sir Sayed Abdul Rahman wurde von England als Mahdi Nr. 2 in den Sattel gehoben. Er zeigte sich erkenntlich, indem er für die Erfüllung eines Holzlieferungsvertrages für Heereszwecke sorgte.

Die Eingeborenen verstand der Mahdi dadurch gefällig zu machen, daß er seinen Untertanen für jeden geschlagenen Raummeter Holz einen Quadratmeter in Mohammeds Himmel versprach.

Jetzt macht sich der Mahdi die allgemeine Woge des Nationalismus zunutze und droht, ebenfalls einen »heiligen Krieg« zu führen, wenn Aegypten das »Land zweier Könige«, wie der Sudan genannt wird, restlos annektieren will. In Kairo bekamen die Diplomaten heiße Köpfe, ohne daß es zu einem Ergebnis führte. Aegypten blieb unnachgiebig. Es wird die Frage des anglo-ägyptischen Vertrages dem Sicherheitsrat vorlegen.

Fraglich ist, worauf Aegypten bei der UNO seinen Anspruch stützen will. Denn der strittige Vertrag vom Jahre 1936 läuft bis zum Jahre 1956 und sieht nur dann eine Revision vor, wenn beide Parteien sich einig sind.

Großbritannien hat nichts dagegen einzuwenden, daß Aegypten nun seinen Fall dem Weltsicherheitsrat vorlegen will. Seine Stellungnahme wurde im Unterhaus von Außenminister Bevin festgelegt. In seiner Rede führte Bevin aus, der König von Aegypten könne sich ohne weiteres auch König des Sudan nennen. Den Sudanesen solle jedoch, sobald sie fähig seien, sich selbst zu regieren, die Möglichkeit gegeben werden, in freier Wahl ihre politische Zukunft zu bestimmen.

Seit ungefähr 50 Jahren hat Großbritannien hervorragende Fachleute nach dem Sudan geschickt. Das ganze Gebiet hat unter ihnen einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufstieg genommen Auf diesem Wege müßte Aegypten fortschreiten, wenn es den Sudan seinem Herrschaftsgebiet einverleibt. Die ägyptischen Verwaltungsbeamten müßten dann also beweisen, daß sie in jeder Hinsicht den hervorragenden englischen Vertretern ebenbürtig wären.

Tränen unter Polizeiaufsicht

Jerusalems Klagemauer wird bewacht

Sie bleiben - hoffentlich nicht auf der Strecke Britische Soldaten bei einem Motorradrennen am Toten Meer Mahdi Nr. 2 - Sayed Abdul Rahman gibt anweisung auf himmlische Ehren

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