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SCHWERBESCHÄDIGTE Quasi-Steuer

aus DER SPIEGEL 50/1960

Seit mehr als Jahresfrist warten die westdeutschen Arbeitgeber darauf, daß sich der Bundestagsausschuß für Kriegsopferfragen mit einem Gesetzentwurf befaßt, der sie von einer ebenso zopfigen wie ungerechten Abgabe befreien soll. Unter der Drucksache 1256 und »mit der Bitte, die Beschlußfassung des Deutschen Bundestages herbeizuführen«, übergab das Kabinett dem Parlament am l. Oktober 1959 den »Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes«.

Die Vorlage wanderte alsbald in den Kriegsopferausschuß, wo sie nunmehr unangetastet ein zweites Mal überwintern dürfte. Dabei handelt es sich um einen Entwurf, dem nach eindeutiger Auffassung eine gewisse Eilbedürftigkeit nicht abzusprechen ist.

Theo Blanks Bundesarbeitsministerium hatte die Neufassung denn auch mit Vorrang fertiggestellt, nachdem erwiesen war, daß dem derzeit gültigen Schwerbeschädigtengesetz aus dem Jahre 1953 eine Reihe gravierender und für, viele Gewerbebetriebe recht kostspieliger Mängel anhaften.

Jenes Schwerbeschädigtengesetz verpflichtet nämlich öffentliche wie private Arbeitgeber, - einen genau fixierten Anteil Schwerbeschädigter zu beschäftigen. So sind öffentliche Körperschaften, Banken, Versicherungen und Bausparkassen gehalten, wenigstens zehn Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Schwerbeschädigten zu besetzen. Für alle übrigen Betriebe 'mit mindestens sieben Beschäftigten beträgt die Auflage acht Prozent. Kommt ein Arbeitgeber dieser Vorschrift nicht nach, so muß er laut . Paragraph 9 des Gesetzes für jeden nicht besetzten »Pflichtplatz« eine Ausgleichsabgabe von monatlich 50 Mark an die Fürsorge zahlen.

Der Gesetzgeber betrachtete diese Abgabe »als wirksamen Motor für die Erfüllung der Beschäftigungspflicht«. Die Ausgleichsabgabe, so heißt es im Gesetzeskommentar, hat nicht den Zweck, dem Staat eine Einnahmequelle für Versorgungsleistungen zu verschaffen oder die Aufbringung der Mittel ... auf die Wirtschaft abzuwälzen«.

Zu eben dieser lukrativen Einnahmequelle hat sich jedoch die Ausgleichsabgabe seit 1953 entwickelt. Und das nicht etwa deshalb, weil die westdeutschen Arbeitgeber sich gegen die Einstellung Schwerbeschädigter gesperrt hätten, sondern weil die Zahl der von den Arbeitsämtern nachgewiesenen Schwerbeschädigten von Jahr zu Jahr zurückgegangen, die Zahl der Arbeitsplätze aber, und damit auch der Pflichtarbeitsplätze, enorm gestiegen ist.

Nach der letzten Betriebserhebung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung standen zum 1. November 1959 304 732 unbesetzten Pflichtplätzen in den Betrieben des Bundesgebiets nur noch 9184 arbeitslose Schwerbeschädigte gegenüber. Auf, jeden arbeitsuchenden Schwerbeschädigten entfielen mithin 34 freie Arbeitsplätze. Die Zahl der unbeschäftigten Schwerbeschädigten ist überdies bis zum 31. Juli 1960 auf 6347 gefallen.

Ohne Verschulden der Unternehmer ist mithin das Aufkommen aus -der Ausgleichsabgabe nach dem Zwickmühlen-Prinzip angestiegen: Firmen, die sich um Schwerbeschädigte bemühen, werden vom Arbeitsamt zumeist abschlägig beschieden. Wenn sie deshalb den vorgeschriebenen Schwerbeschädigten-Proporz nicht einhalten können, werden sie jedoch jenen Unternehmern gleichgestellt, die vorsätzlich keine Beschädigten aufnehmen wollen. Die Ausgleichsabgabe des Paragraphen 9 trifft mithin nahezu jeden Arbeitgeber. Insgesamt kamen bis jetzt über 70 Millionen Mark als Quasi-Steuer zusammen.

Um zu verhindern, »daß die Ausgleichsabgabe über diese Funktionen (Anreiz zur Beschäftigung Schwerbeschädigter) hinausgreift, und etwa zur Steuer oder zur Strafe wird«, legte die

Bundesregierung 1959 ihren Reformentwurf vor. Sie empfahl,

- einen großen Teil der Kleinbetriebe (bis zu neun Beschäftigten) von dem Zwang zur Bereitstellung von Pflichtplätzen zu befreien;

- die Pflichtsätze für Banken, Versicherungen sowie Bausparkassen von zehn auf acht Prozent und für die übrigen Betriebe von acht auf sechs Prozent zu senken;

- die Verwaltung zu ermächtigen, die Pflichtsätze gegebenenfalls bis auf vier und für einzelne Wirtschaftszweige bis auf zwei Prozent herabzusetzen.

Indes, der stichhaltig begründete Reformvorschlag blieb über ein Jahr lang im Kriegsopferausschuß hängen, währenddes die Arbeitgeber über die Ausgleichsabgabe weiter geschröpft wurden.

Zwar kramten die Ausschußmitglieder, die zum großen Teil bei den Kriegsopfer- und Zivilbeschädigten-Verbänden hauptamtlich tätig sind, jüngst die Drucksache 1256 für kurze Zeit aus ihren Schubladen hervor. Trotz des großen Zeitverlustes konnten sie sich aber zu einem Beschluß nicht durchringen. Der Ausschuß befand es für richtig, jetzt auf mehreren Besichtigungsreisen das vermeintliche Problem erst einmal zu studieren.

Schwerbeschadigter Telephonist: Fürsorge für den Fiskus

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