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Quo vadis, Truman?

aus DER SPIEGEL 21/1947

Mark Twain, Amerikas großer Humorist, liebte eine burschikose Ausdrucksweise. Seine Frau konnte sich mit solchen Sitten nicht befreunden; um ihn davon zu heilen, überraschte sie ihn eines Tages, indem sie einen ganzen Strom profaner Worte nachäffte. Mark Twain war verblüfft. Aber dann lächelte er: »Du hast die Worte getroffen, liebe Olivia, aber nicht die Melodie.«

Diese Anekdote kredenzte ein amerikanischer Kongreßabgeordneter während der Debatte über Trumans Kredite für Griechenland und die Türkei. Er fügte hinzu: »Der Kongreß hat Trumans Worte, nicht aber seine Melodie begriffen. Er hat den Geldern zugestimmt, nicht aber der Doktrin.«

Die Debatte im Repräsentantenhaus war nach dem Bericht von Associated Press »hitzig, verwirrend und entzündlich.« Die Zuhörer auf der Gallerie machten große Augen, als die Abgeordneten einander anschrien. Der Republikaner H. Bender aus Ohio rief: »Ihr gebt dem Volk dieses Landes etwas, das es nicht wünscht. Macht keinen Fehler - es führt zu einem dritten Weltkrieg!« Der demokratische Abgeordnete von Massachusetts, MacCormack, schrie zurück: »Wenn ihr das Gesetz ablehnt, laßt ihr zu, daß eine Woge des Kommunismus ganz Europa und Asien überflutet und zuletzt die amerikanischen Küsten erreicht!«

Die Für-und-Wider-Trennungslinie lief quer durch die Fraktionen beider großen amerikanischen Parteien. Die Schlußabstimmung ergab jedoch eine große Mehrheit von 287:107 Stimmen für die Griechenland-Türkei-Kredite. Geringfügige Abweichungen zwischen der vom Senat und der vom Repräsentantenhaus angenommenen Fassung wurden angeglichen.

Die Truman-Kredite, dieser bedeutende Wendepunkt der neueren USA-Geschichte, sind damit von den Vertretern des amerikanischen Volkes angenommen worden. Ueber ein Dutzend Abänderungsanträge der Opposition wurden verworfen. Die Endfassung entspricht fast vollkommen der ursprünglichen Vorlage des Präsidenten. Aufgenommen wurde lediglich die Ergänzung Vandenbergs, daß die USA von der Hilfe zurücktreten sollen, wenn der Weltsicherheitsrat sie für unnötig oder unerwünscht hält.

Die Weltöffentlichkeit bewegt indessen die Frage, welche Wege die Truman-Doktrin künftig einschlagen wird. Dean Acheson, einer der energischsten Anwälte der Truman-Vorlage, skizzierte kurz vor seinem Rücktritt als stellvertretender Außenminister die Perspektiven: eine konsequente Ausdehnung der USA-Anleihen auf alle demokratischen Länder, die hilfebedürftig sind. Im besonderen nannte er Deutschland und Japan, die »großen Werkstätten Europas und Asiens.«

Die »Times« nennt seine Rede den »ersten Schuß in dem Feldzug Außenminister Marshalls«. Aber es werde ein langer Feldzug werden. »Es bestehen bereits heute Zeichen für einen wachsenden Widerstand des Kongresses gegen auswärtige Ausgaben. 5 Milliarden Dollar im Jahr würden diese Anleihen die Vereinigten Staaten kosten, schätzt Walter Lippmann.

»Die große Frage bleibt, bis wie weit Truman und Marshall die USA führen können. Niemand weiß die Antwort.« So läßt sich die »Sunday Times« vernehmen.

Amerikas Truman kegelt links

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