RÜSTUNG Radikaler Schnitt
Sie begründete das Empire und hielt es, in der Viktorianischen Epoche, beinahe 100 Jahre fest im Griff -- keine andere Macht konnte es damals wagen, die grauen Festungen der königlichen Flotte zum Gefecht herauszufordern.
Sie war der Inbegriff globaler Machtentfaltung, eine dickbauchige, kanonenstrotzende Garantie für den Erhalt der Pax Britannica. Auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg, der das Ende für die »Home Fleet« brachte, blieb die Royal Navy eine furchtgebietende Marine -- fast gleich groß wie 1897, im 60. Regierungsjahr von Königin Victoria.
Damit aber ist es nun, nur eine Generation später, zumindest zahlenmäßig endgültig vorbei: Englands Premierministerin Margaret Thatcher weist der königlichen Seemacht für die Zukunft eine Rolle zu, die das Ende der althergebrachten und -- im Falle Großbritanniens auch bewährten -- Flottenpolitik bedeuten wird.
Die Royal Navy, so wollen es die Lady in der Downing Street und ihr Verteidigungsminister John Nott, wird Gegner künftig praktisch nur noch unter Wasser schrecken -- unsichtbar, wenngleich mit einer Feuerkraft unwirklich scheinender Gewalt.
Sie wird in vier Atom-U-Booten konzentriert sein, die mit insgesamt 64 amerikanischen »Trident«-Raketen armiert werden. 384 Wasserstoff-Sprengköpfe, jeder von sechsfacher Stärke der Hiroschima-Atombombe, finden in den »Trident«-Spitzen Platz. Ihre zerstörerische Wucht übertrifft all jene Explosionskräfte, die in den Kriegen seit der Erfindung des Schießpulvers und des Atomfeuers entfesselt wurden.
Vorigen Donnerstag, als er den neuen Flottenplan vom Blatt las, schwelgte John Nott im Stil eines Dr. Seltsam von den Unterwasser-Ungeheuern. Jedes »Trident«-Boot, laut Nott »unverwundbar gegenüber einem vorbeugenden Schlag«, könne »ein gewaltiges Gebiet in der Sowjet-Union bedrohen«; eine Verstärkung der konventionellen Streitkräfte würde »kein gleichrangiges Maß an Abschreckung« bedeuten.
Doch gerade daran zweifeln Kritiker aller Schattierungen: konservative Abgeordnete und Royal-Navy-Traditionalisten, Atom-Pazifisten, Labour-Leute und, ganz vorneweg, Ex-Marineminister Keith Speed, den die Regierungschefin feuerte, weil er Notts »Trident«-Tauchburgen zu kritisieren wagte.
Die nämlich haben auch noch einen abschreckenden Preis. Die vier Boote, von 1983 an auf Kiel gelegt, werden samt Raketen 27 Milliarden Mark des ohnehin schon ausgepowerten Staatshaushalts verschlingen. Geld jedoch, das für die »Trident« aufgewendet werden müsse, »kann anderswo nicht investiert werden«, kündigte Nott bereits vor der Unterhausdebatte an.
Die düstere Vorhersage manifestierte sich am Donnerstag, als Nott, zum Gram der 64 Royal-Navy-Admirale, sein brutales Sparprogramm verkündete. Ihm fällt mehr Tonnage zum Opfer, als die königliche Flotte seit den Tagen König Alfreds (849--899) je auf einen Schlag verlor.
Allein aus dem östlichen Atlantik werden neun Zerstörer und Fregatten abgezogen, die dort als schwimmende Sperr-Riegel der Nato operieren. Der Flugzeugträger »Ark Royal«, der Anfang Juni erst in Glasgow vom Stapel lief, soll an den Meistbietenden verkauft werden -- ein Schicksal, von dem die Schwesterschiffe »Illustrious« S.104 und »Invincible« vorerst wenigstens verschont bleiben. Eingemottet oder gleich verschrottet werden dagegen zwei der größten Landungsschiffe der Marine-Infanterie.
Arbeitslosigkeit droht Besatzungen und Personal. 10 000 der 62 000 Mann starken Royal Navy müssen sich nach einem neuen Job umsehen -- und mit ihnen 20 000 zivile Angestellte und Arbeiter, die in den Marinehäfen bisher für die Flotte tätig waren.
Ausgerechnet die beiden traditionsreichsten Kriegshäfen trifft der radikale Schnitt am härtesten. So soll die Chetham Naval Base am Medway-Fluß 1984 vollständig geschlossen werden -jener Hafen, den Lord Nelson als Heimatstützpunkt auserkoren hatte. Plymouth an der Kanalküste, von dem aus Drake gen Cadiz und Kapitän Cook in den Pazifik segelten, wird seine Royal-Navy-Docks verlieren. Sie liegen unweit jener Stelle, an der 1815 Napoleon, in einer Kajüte der »HMS Bellerophon«, vor der Überfahrt nach St. Helena gefangen war.
Keith Speed, seit seinem »Trident"bedingten Sturz ein vehementer Kritiker von Margaret Thatcher, trauert vor allem der »Ark Royal« nach. Ihre Bordflugzeuge hätten über eine Art platzsparende Rampe starten sollen, die den Bau kleinerer Flugzeugträger hätte revolutionieren können.
»Wir waren damit die Weltmeister, und jetzt schmeißen wir das weg«, ärgert sich Speed. »Nehmen wir an, Albanien hat genug bares Geld -- dann verkaufen wir das Schiff an die. Das alles macht mich krank, und auch die Russen wissen, daß diese Politik ein Plunder ist.«
Andere Strategen wähnen, daß die »blinde Liebesaffäre Margaret Thatchers mit 'Trident'« ("New Statesman") Auftakt einer atomaren Götterdämmerung sei, die mit den wirklichen Interessen Großbritanniens, etwa dem Schutz der Öl- und Erdgasfelder in der Nordsee, nichts zu tun habe.
Mit Admiral Stansfield Turner, Ex-Direktor des US-Geheimdienstes CIA, meldete sich am 12. Juni in der »Times« ein ganz besonders kompetenter »Trident«-Warner. Der Kauf werde bedeuten, meinte Turner, daß »jeder Überrest britischen Einflusses auf dem Erdball verlorengehen« werde -- mit einer nur mehr »sehr beschränkten Fähigkeit«, im Fall eines Krieges in Europa die Verbindungslinien im nördlichen Atlantik zu verteidigen.
Mit einem politischen Schreckensgemälde, welches die Urangst Margaret Thatchers, nämlich »die Sowjetisierung Großbritanniens« widerspiegelt, begründet die Regierung ihren milliardenschweren »Trident«-Deal. Eine zukünftige Moskauer Regierung, »im Charakter sehr verschieden von der jetzigen«, könnte »irgendwann« versucht sein, »Europa militärisch ihren Willen aufzuzwingen«.
Dem aber werde unter Wasser vorgebeugt: Die große Reichweite der »Trident« (7200 Kilometer) gestatte es den Booten, sich besser vor den sowjetischen Jägern zu verstecken.
Beide Argumente werden von den »Trident«-Gegnern -- Labour-Rüstungssprecher Brynmor John: »nukleare Narrheit« -- kämpferisch verworfen. Sie verweisen darauf, daß schon die Wasserstoff-Sprengköpfe der vier britischen »Polaris«-Atom-U-Boote reichen würden, um den angreifenden Kreml und 191 Sowjet-Städte im Retourschlag zu vernichten.
Außerdem bräuchten auch die »Polaris«-Boote, deren Raketen 4635 Kilometer zurücklegen können, russische Jagd-U-Boote nicht zu fürchten. Großbritannien, so behauptet Admiral John Grove, Chef der künftig obsoleten Boote, sei den Sowjets beim Aufspüren und Zerstören gegnerischer U-Boote gleich um sieben Jahre voraus. Die königliche Flotte sei »ständig in der Lage, sowjetische Boote auszumachen«. Grove: »Dem Gegner ist dies noch nie gelungen.«
Die »Times« ließ, erstmals in ihrer Geschichte, sogar pazifistische Töne anklingen. »Eindringlich« müsse zunächst »die moralische Seite der Entscheidung diskutiert« werden: »Ist es richtig, unsere Sicherheit auf Massenvernichtungsmittel zu begründen?«
Dabei erfuhren die Volksvertreter erst im April: Noch weiß nicht einmal John Nott, welche »Trident«-Type er nun kaufen kann. Bis dahin waren die Briten davon ausgegangen, im Juli 1980 das System »Trident I« bestellt zu haben. Nun aber ließ das Pentagon mitteilen, das Fertigungsband dieser Raketen-Version werde womöglich früher als beabsichtigt stillgelegt -- um eine noch größere, vor allem aber zielgenauere »Trident II« zu bauen.
Die »Trident II« erfüllt mit einem neuen Navigationssystem -- Abweichung vom Ziel: nicht mehr als 100 Meter -- einen alten Traum der Nuklearstrategen: Sie könnte, als erste Unterwasser-Rakete, beinahe punktgenau militärische Ziele wie Bunker, Raketensilos und Kommandostellen attackieren.
In die Kriegskasse des John Nott aber würde die »Trident II« ein noch größeres Loch reißen, weil die größeren Raketen auch den Bau von noch voluminöseren U-Booten bedeuten würden. Notts Ministerium veranschlagt die Mehrkosten auf 2,7 Milliarden Mark -- genug immerhin, um die freiwillige Selbstversenkung der Royal Navy über Wasser zu beschleunigen.