FRIEDENSBEWEGUNG Ragofix und fertig
Die Rüstungsgegner trafen sich an geheimem Ort. In einem Hanauer Hinterzimmer beratschlagten Ende November ein Dutzend Mitglieder der Friedensbewegung, was nach dem Protest gegen die Raketenstationierung zu tun sei.
Weil »liebevolle Menschenketten und Massenveranstaltungen nichts gebracht« hätten, verständigten sich die zwölf Verschworenen zum »Widerstand gegen den Militärapparat«. Nun sei »Zeit für
weitergehende, phantasievolle Aktionen«.
Vor drei Wochen wurde deutlich, was damit gemeint war. Allnächtlich vom 9. bis zum 12. Dezember betonierten Trupps kämpferischer Pazifisten und militanter »Autonomer« auf Straßen und Brücken überall in Osthessen rund 200 militärische Sprengkammern zu und machten sie damit unbrauchbar.
Zu der Aktion, die drei Tage lang unbemerkt blieb, bekannte sich in einem Flugblatt ("Wir wollen die Kriegsvorbereitung behindern und stören, wo und wie immer es geht") eine neue Gruppierung: die »Betonierenden Zellen«, über die Staatsschützer, abgesehen vom Namen, keinerlei Erkenntnisse haben.
Im Auftrag von Generalbundesanwalt Kurt Rebmann ermittelt die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt wegen »Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln«. Eingeschaltet ist auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) - bisher ohne Erfolg. »Wir wissen über die Betonierer«, gibt ein Staatsschützer zu, »rein gar nichts.«
Aufgeschreckt sind auch Bundeswehr und amerikanische Armee. Denn die wie zivile Kanalschächte aussehenden Sprenglöcher sind Teil des Nato-Konzepts »Barrior And Denial Plan« (Sperr- und Verwehrplan): Im Kriegsfall soll konventionelle oder atomare Munition in die Sprengkammern gefüllt und gezündet werden.
Dazu lagern in der Bundesrepublik 350 Minen mit einer Sprengwirkung von maximal 15 Kilotonnen - was der Zerstörungskraft der Hiroschima-Bombe entspricht. Die »Taktik der verbrannten Erde«, so der Nato-Plan, soll beispielsweise den Rückzug des für die Nato-Zentralfront zuständigen 5. US Corps sichern und den Vormarsch angreifender Truppen stoppen.
Mehrere hundert derartiger »Atomsprengschächte« haben die Betonier-Zellen in Osthessen ausfindig gemacht, einem Sektor von höchster strategischer Sensitivität. Im Einfallstor Fulda (amerikanisch: »Fulda gap"), das befürchten Friedensschützer, könnte der nächste Atomkrieg beginnen: Kaum ein Areal in Europa ist so dicht mit Militäranlagen befrachtet.
Die spektakuläre Nacht-Aktion schlug in der hessischen Friedensszene »wie eine Bombe ein« und fand »großen Anklang«, wie Erich Ehmes von der Großauheimer Friedensinitiative »Am Limes« berichtet: »Was da gemacht wurde, tut keinem weh und ist doch sichtbarer Widerstand.«
Jedenfalls ist die Sabotageaktion Ausdruck wachsender Gewaltbereitschaft innerhalb der Friedensbewegung: Die Befürworter von radikaleren Protestvarianten, das beobachten hessische Staatsschützer besorgt, erhalten immer mehr Zulauf.
Längst schon diskutieren Friedensbewegte, daß etwa gewaltfreie Blockaden von Militärstandorten »langsam zur Farce« werden (ein hessisches Strategiepapier), wenn Kommandeure ihren Kompanien, wie in Hamburg, einfach freigeben. »Viele von uns sind der Meinung«, weiß Ehmes, »daß absolute Gewaltfreiheit nichts mehr bringt.«
Die Antiraketenbewegung, fordern die »Betonierenden Zellen« in einem Aufruf, der inzwischen tausendfach verbreitet ist ("Schafft viele Betonierende Zellen!"), müsse sich zu einer »antimilitaristischen Bewegung« formieren - wie in den fünfziger Jahren.
Damals waren Sprenglöcher-Aktionen an der Tagesordnung. Ganz offen, im Beisein von Pressephotographen, schütteten Sozialdemokraten und Kommunisten 1955 und 1956 beispielsweise bei Neuss und Krefeld die Schächte der Militärs zu oder zerschlugen sie mit Spitzhacken; Material zum Betonieren war zu der Zeit noch rar.
Heute geht das, wie die »Betonierenden Zellen« in ihrem Flugblatt erläutern, »ganz einfach": »1 Teil Ragofix (haftet überall, erhältlich in jedem Baumarkt) und 2 Teile Wasser« mischen - und schon sei die Sprengkammer »ragofix und fertig«.
Die Anleitung ist als Anstiftung gedacht. Außer den Kanaldeckeln der 200 schon zubetonierten Nato-Sprengschächte haben die radikalen Pazifisten noch viele andere mit weißen Kreuzen markiert. Unter den Friedensfreunden kursiert bereits ein Lageplan. Überschrift: »Bildet schnelle Eingreiftruppen.«