Raketen töten nicht - Menschen töten
Paul Nitze ist ein silberhaariger Gentleman von 76 Jahren, der ein Privatvermögen von mehreren Millionen Dollar besitzt und jedem gehobenen Golfklub zur Zierde gereichen würde. Doch hinter seiner noblen Erscheinung und seinem verbindlichen Auftreten glüht der Glaube an seine Mission, das amerikanische Vaterland vor der marxistisch-leninistischen Weltrevolution zu warnen und es zum Widerstand gegen sie anzuspornen.
Kein heute führender Amerikaner hat sich so ausdauernd für eine »Politik der Stärke« gegenüber der Sowjet-Union engagiert wie Paul Nitze: Er hat den Begriff geprägt. Als Ronald Reagan noch schauspielernd einen Schimpansen namens Bonzo zu Bett brachte, entwarf Paul Nitze im Planungsstab des Außenministeriums 1950 ein Schlüsseldokument der Nachkriegszeit, das Memorandum 68 des Nationalen Sicherheitsrats der USA ("NSC 68").
Das Strategiepapier, bis 1975 geheimgehalten, malte die bolschewistische Gefahr in schaurigen Farben und riet dringend dazu, die Sowjets mit ihren eigenen Methoden zu bekämpfen - »mit allen Maßnahmen, offen oder verdeckt, gewaltsam oder gewaltlos, die dem Zweck dienen können, die Absichten des Kreml zu durchkreuzen«. Zu den vier »possible courses of action« (möglichen Verfahrensweisen) zählte das Memorandum auch einen »Präventivkrieg« gegen die Sowjet-Union.
In den siebziger Jahren wurde Nitze von Richard Nixon in die US-Delegation für die Salt-II-Verhandlungen über Rüstungskontrolle berufen. Doch 1974 trat er unter Protest zurück: Die Gespräche mit den Russen, meinte er, dienten nur dem »Mythos der Entspannung«. Auch steuerten sie auf ein Gleichgewicht zu, das er nicht akzeptieren konnte.
Schon der Gleichstand der strategischen Waffen, fand Nitze, begünstige die Sowjet-Union und unterhöhle die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten; denn der Gleichstand mache die atomare Schutzgarantie Amerikas für seine Verbündeten in Europa und Asien unglaubwürdig. Eine »authentische Balance« könne es nur bei amerikanischer Überlegenheit geben - das müßten auch die Russen einsehen, wenn sie ein Rüstungskontroll-Abkommen haben wollten.
Nach der Wahl Jimmy Carters, der diese Logik anfangs auch nicht zu begreifen schien, gründete Nitze 1976 mit anderen Falken das »Committee on the Present Danger«, um, von der Rüstungs-Lobby gefördert, immer wirksamer anzutrommeln gegen das, was er und seine Mitstreiter als »gegenwärtige Gefahr« empfanden: Einschränkungen im Pentagon-Haushalt; sowjetische »Mammut-Raketen«; Moskauer »Expansionismus« in der Dritten Welt; die »an Pazifismus grenzende Naivität« von Carters Salt-Unterhändler Paul Warnke.
Ronald Reagan holte Committee-Aktivisten in Schlüsselpositionen des Amtes und der Verhandlungsdelegation für Rüstungskontrolle. Er »übergab den Hühnerhof an die Füchse« und habe dadurch einmal mehr bewiesen, wie stark der »marxistische Einfluß« in seiner Regierung sei, spottete Kolumnistin Mary McGrory: »Ich meine Groucho Marx, nicht Karl.«
Der Präsident liebt solche Marx-Brothers-Späße. Es ist seine kauzige Art, die Gutgläubigkeit und Intelligenz deutscher Bundesregierungen und anderer Verbündeter auf die Probe zu stellen. Aber auch Paul »itze neigt auf seine ernsthafte Art zu ähnlichen Kniffen. Eine » » brauchbare Verhandlungsposition ist ... ein wesentliches » » Element im ideologischen Konflikt. Für die Zeit nach dem » » Beschluß, die eigene Stärke auszubauen, kann ein Angebot oder » » ein Versuch zu verhandeln ... nur eine Taktik sein. Atompilz » » über Hiroschima 1945: »Der Sieger wird dem Verlierer » befehlen«
» Trotzdem ... mag es wünschenswert sein, diese Taktik » » anzuwenden, um sowohl öffentliche Unterstützung für das » » (Rüstungs-)Programm zu gewinnen als auch die unmittelbaren » » Kriegsrisiken auf ein Minimum zu verringern. »
Das liest sich wie eine interne Direktive für die beiden US-Delegationen, die zur Zeit in Genf dabei sind, »diese Taktik anzuwenden": für die Mittelstrecken-Delegation, die Nitze selber leitet, und für die Unterhändler in Sachen strategische Waffen, denen der General Edward Rowny vorsteht. Das Zitat, das Pseudo-Gespräche anrät, um die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, stammt aber aus Nitzes Memorandum »NSC 68« vom April 1950. Denn dieser »große Patriot« (William Safire) hat vieles sehr früh »ür sich entschieden - und ist sich treu geblieben. Wie ist es fü« » den Westen möglich, eine Position ausreichender Überlegenheit » » aufrechtzuerhalten, die ihn befähigt, (einen Atomkrieg) zu » » »gewinnen« ... wenn sich diese Notwendigkeit ergäbe? »
Auch diese Frage hat Paul Nitze mit als erster gestellt, und zwar schon 1956 in der Zeitschrift »Foreign Affairs«. Denn Nitze glaubte zu keiner Zeit, daß die Atombombe die menschliche Geschichte umwälze und ein Atomkrieg die »beispiellose Katastrophe« wäre, die Albert Einstein prophezeite. Für ihn war auch die »absolute Waffe« eine Waffe, mit der man auch künftig Kriege androhen, führen und sogar gewinnen würde. Man müsse allerdings den Sinn des Verbs »gewinnen« neu definieren.
Eine Bedeutung dieses Wortes, so Nitze, beziehe sich auf »den Vergleich zwischen der Nachkriegsposition eines Landes mit seiner Vorkriegsposition«, dann nämlich, wenn es hinterher besser dasteht als vorher. Das sei bei einem Atomkrieg für kein Land zu erwarten. »och Nitze wollte auf etwas anderes hinaus. In seiner anderen » » Bedeutung meint das Wort »gewinnen« den Vergleich der » » Nachkriegsposition des einen Gegners mit der » » Nachkriegsposition des anderen Gegners. In diesem Sinne ist » » es durchaus möglich, daß in einem generellen Nuklearkrieg die » eine oder andere Seite entscheidend »gewinnt« ...
» Der Sieger wird in der Lage sein, dem Verlierer Befehle zu » » erteilen, und der Verlierer wird ihnen gehorchen müssen oder » » dem vollständigen Chaos oder Ausgelöschtwerden (extinction) » » ausgeliefert sein. Der Sieger wird dann anfangen, das, was » » von der Welt übriggeblieben ist, zu organisieren, so gut er » » es vermag. »
Was soll es da noch zu »organisieren« geben? Wäre der »generelle Nuklearkrieg« nicht in jedem Fall das »vollständige Chaos«, das »Ausgelöschtwerden« für beide Seiten? Nicht unbedingt, meinte Nitze. Ein solches Ausmaß der Verwüstung sei nur dann wahrscheinlich, wenn, wörtlich, »der Krieg in einer völlig irrationalen Weise ausgefochten wird«.
Kann ein Atomkrieg zwischen den USA und der UdSSR etwas anderes sein als »völlig irrational«? Das könne er sehr wohl, bemerkte Nitze. Man müsse ihn nur »mit einem gewissen Maß an Vernunft« führen ("with »ome degree of reason"). Etwa so: Wenn der Atomkrieg unvermeidbar« » wird, ist es im Interesse des Westens, daß Atomwaffen des » » kleinsten Kalibers auf kleinstmöglichem Raum gegen höchst » » begrenzte Ziele eingesetzt werden ... Wir sollten uns auf » » militärische Objekte beschränken ... Wir sollten nicht von » » uns aus mit dem Bombardement von Industrie- und » » Bevölkerungszentren anfangen. »
Auch der Gegner müsse daran interessiert sein, Zivilisten möglichst zu verschonen, weil sonst ja auch seine Städte verloren wären. Auf diese Weise könne man den Atomkrieg »trotz der Tendenz zum (numerischen) Gleichstand der Arsenale« führen und gewinnen - vor allem dann, wenn es Amerika gelinge, sich bei den Kernwaffen immer wieder S.160 »technologische Vorsprünge« und Einsatzmöglichkeiten zu verschaffen, die ihm eine »ständig sich erneuernde strategische Überlegenheit sichern«. Also:
* Endloses Wettrüsten - es sei denn, die Sowjet-Union anerkennt die »strategische Überlegenheit« und damit die hegemoniale Stellung der Vereinigten Staaten;
* nukleare Kriegsführungsfähigkeit statt unbedingter Verhütung eines Nuklearkriegs;
* Suche nach nuklearen Einsatzmöglichkeiten gegen die Sowjet-Union - zum Beispiel vom Territorium der Verbündeten aus -, die der anderen Seite gegen die USA nicht zu Gebote stehen.
Paul Nitze war seiner Zeit voraus bei seinem Unterfangen, die Zeit zurückzudrehen und den Krieg zwischen den Großen trotz Atomspaltung, trotz Hiroschima wieder möglich zu machen.
Nitze, Vater der Falken, wollte nicht wahrhaben, daß die Vorstellungen etwa des Preußen Carl von Clausewitz vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln schon vor der ersten Atomexplosion überholt waren. Nitze und seine Jünger konnten und wollten nicht sehen, was der britische Feldmarschall Lord Carver sah, als er erklärte: » Clausewitz würde glauben, die Welt sei verrückt geworden, » » wenn man ihm die mehr als 40 000 Kernwaffen zeigte, mit denen » » Ost und West einander gegenüberstehen. Nicht einmal ein » » kleiner Teil von ihnen könnte je in einem Krieg benutzt » » werden, der als »Fortsetzung der Politik« (im Clausewitzschen » » Sinne) zu bezeichnen wäre, es sei denn einer Politik des » » Völkermords und Selbstmords. »
Paul Nitze wollte aus dem Atomkrieg ein jederzeit androhbares und ersteinsatzfähiges Werkzeug der Machtpolitik im Dienst der freien Welt machen. Nur mit dem atomaren Schwert, davon war und bleibt der militante Politiker überzeugt, werde die Macht der Finsternis, die ihr Hauptquartier im Kreml hat, auf die Dauer in Schach zu halten und vielleicht auch einmal in die Knie zu zwingen sein.
Auf Nitzes Ideen aus den fünfziger Jahren gehen denn auch die Kriegsführungskonzepte der Reagan-Falken und der Wille des Pentagon zurück, eine »Kriegsführungsfähigkeit« ("war fighting capability") zu erreichen mit Hilfe der von Nitze einst skizzierten Atomwaffen, die »auf kleinstmöglichem Raum gegen höchst begrenzte Ziele eingesetzt werden« können.
Denn kein anderer Einzelmensch hat so beharrlich mitgewirkt an der beginnenden »neuen Ära der nuklearen Geschichte«, am »Überschreiten der nuklearen Schwelle« (Strategiekritiker Thomas Powers) wie der silberhaarige Gentleman, von dem deutsche Politiker erhoffen, daß er ihnen in Genf die nuklearen Präzisionswaffen erspart, die derselbe Gentleman, noch ohne Silberhaar, schon vor 27 Jahren gefordert hat.
Die Strategie der »Nadelstiche«
Auf dem amerikanischen Luftstützpunkt Lakenheath in England standen 97 Kampfflugzeuge der US Air Force vom Typ F-111 in höchster Alarmbereitschaft. Dicht an dicht drängten sich die grün-, erdbraun- und schwarzgesprenkelten Maschinen auf dem Rollfeld, die Pilotenkanzeln hochgeklappt, die beiden mächtigen Düsenmotoren im Rumpf vorgewärmt.
Die F-111 mit ihrer Zwei-Mann-Crew hat einen Aktionsradius bis tief nach Nordrußland hinein und erreicht doppelte Schallgeschwindigkeit. Jede der startklaren Maschinen in Lakenheath hatte zwei Nuklearbomben an Bord.
Es war der 24. April 1980.
Mehr als 5000 Kilometer von Lakenheath entfernt trugen zur selben Zeit sechs amerikanische Hubschrauber ein aus Freiwilligen zusammengestelltes Einsatzkommando durch einen Sandsturm über der südpersischen Wüste. Auf Befehl von Präsident Jimmy Carter sollte das Kommando versuchen, die von Chomeini-Anhängern seit sechs Monaten gefangengehaltenen 53 Amerikaner in der US-Botschaft in Teheran zu befreien.
Im direkten Zusammenhang mit diesem Unternehmen war vom Nationalen Sicherheitsrat in Washington auch die massierte Startbereitschaft der F-111 in England angeordnet worden. Sie richtete sich aber nicht gegen den Iran des Ajatollah, sie zielte auf dessen nördliche Nachbarin, die Sowjet-Union.
Sowjetische Aufklärungssatelliten würden das extrem ungewöhnliche Gedränge sprungbereiter Kernwaffenträger auf dem Stützpunkt Lakenheath erkennen. Sie sollten es erkennen.
Die F-111-Armada war sogar zu eben dem Zweck alarmiert worden, den Sowjets ein Signal zu geben, das sie zur Vorsicht mahnt gegenüber der anlaufenden US-Operation im Iran: ein Signal, das ihnen zeigt, wie ernst die Vereinigten Staaten notfalls reagieren würden, wenn die Sowjet-Union sich nicht strikt heraushält aus allem, was sich südlich ihrer Grenze abspielt - ganz gleich, wie die Geiselbefreiung ausgehen und welche Folgen sie haben mochte.
Nur wegen des unerhörten innenpolitischen Drucks, unter dem er stand, hatte Jimmy Carter den Befreiungsversuch gutgeheißen. Doch das halsbrecherische Unternehmen scheiterte schon beim Anflug auf Teheran: Zwei Hubschrauber hatten Defekt, ein dritter ging bei einer Zwischenlandung in Flammen auf.
Aber was, wenn das Scenario Wirklichkeit geworden wäre, mit dem Carter und sein Sicherheitsrat rechnen mußten? Edward P. Thompson, Oxford-Historiker und führender Kopf der britischen »nti-Nuklear-Bewegung, hat es skizziert: 1. Das US-Kommando, » » unterstützt von örtlichen CIA-Hilfstruppen, trifft in Teheran » ein.
» 2. Blutige Schießereien, Befreiung einiger Geiseln, » Abschlachtung der übrigen.
» 3. Die USA bombardieren iranische Stützpunkte und/oder landen » » eine Strafexpedition, um die ermordeten Geiseln zu Mobile » » US-Einsatztruppe in Ägypten: Nuklearer Stolperdraht für » Nahost rächen und das Gesicht des Präsidenten zu wahren.
» 4. Die iranische Regierung ruft die Sowjet-Union um » militärische Hilfe an.
» 5. Konfrontation der Supermächte. »
Deshalb die startklaren und mit 194 Atombomben bepackten F-111 auf der Piste in Lakenheath: Sie sollten die Sowjets frühzeitig von einer solchen Konfrontation abschrecken.
Die F-111, 156 insgesamt, waren damals und sind heute noch nominell der Nato unterstellt. Darüber aber, daß Washington diese Maschinen auf dem direkten nationalen Befehlsweg gefechtsklar machen ließ, um sie in Sachen Iran aus dem Nato-Raum heraus zu einer drastischen atomaren Drohgebärde gegen die Sowjet-Union zu benutzen - darüber wurden die europäischen Bundesgenossen vorher weder informiert noch konsultiert. Der Nato-Vertrag läßt solche Eigenmächtigkeit zu.
Öffentlich blieben die Westeuropäer ohne Ahnung davon, wie sie um ein Haar ungefragt in den Brennpunkt eines Supermacht-Showdowns hätten geraten können, ohne Ahnung, zu welchen gewagten Manövern auf ihrem Rücken der große atlantische Alliierte sich befugt fühlt. Und doch vollzog sich vom Beginn der Iran-Krise (Ende 1978) bis zum sowjetischen Einmarsch in Afghanistan (Ende Dezember 1979) ein Umschwung in der politisch-strategischen Haltung Amerikas, der das westliche Bündnis erschüttern und die Hoffnung auf den Fortbestand des europäischen Friedens verdunkeln sollte.
Schon im Weißen Haus Jimmy Carters übernahmen die Falken mit Sicherheitsberater Brzezinski das Kommando - der Anwalt der Mäßigung, Außenminister Cyrus Vance, trat zurück. Mit Ronald Reagans Wahlsieg triumphierten die »Hardliner« auf ganzer Front.
Ein Schock steckte hinter dem Umschwung. Denn der Sturz des Schahs von Persien enthüllte weit mehr noch als der Einmarsch in Afghanistan, wie morsch und verwundbar die amerikanisch-westliche Position in wichtigen Gebieten der Dritten Welt tatsächlich ist.
Ohnmächtig mußten die US-Strategen mit ansehen, wie der mit gewaltigem Rüstungsaufwand verstärkte antisowjetische Riegel im Mittleren Osten in Stücke ging, ohne daß die Sowjets auch nur einen Finger zu krümmen brauchten. Betroffen nahm Washington zur Kenntnis, welche Kluft sich da auftat zwischen den Wirtschafts- und Hegemonialinteressen der Vereinigten Staaten auf der einen Seite und der Fähigkeit, diese Interessen notfalls auch militärisch zu behaupten, auf der anderen. Im Januar 1980 erklärte Carter vor dem »ongreß: Der Versuch einer außenstehenden Macht, die Kontrolle üb"r » die Region um den Persischen Golf zu erlangen, wird als » » Angriff auf die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten » » von Amerika betrachtet. Ein solcher Angriff wird mit allen » » notwendigen Mitteln einschließlich militärischer Gewalt » » zurückgeschlagen. »
Es war die kühnste Erweiterung der »vitalen Interessen« Amerikas seit Gründung der Nato. Vietnam war kein »vitales Interesse« - dort ging es »nur um Ideale«, wie der Altfalke Eugene Rostow einmal sarkastisch bemerkte. Am Golf aber geht es ums Öl.
Nur: Mit welcher »militärischen Gewalt« wollte Washington »zurückschlagen«, wie sich in dieser ebenso entlegenen wie tumultuarischen Weltgegend durchsetzen? Das Pentagon begann, eine Eingreiftruppe aufzubauen, die »Rapid Deployment Force« (RDF), die Caspar Weinberger mit höchster Priorität weiterentwickelt.
Aber würde es der Eingreiftruppe in einem antiamerikanisch umgewälzten Golfland wie dem Iran besser ergehen als den GIs in Vietnam - selbst wenn die Sowjets sich heraushalten? In jedem Fall würde es schlimm werden. Und wie immer, wenn in Washington strategischer Anspruch und militärische Mittel in ein eklatantes Mißverhältnis zueinander geraten, war die Versuchung da, das Wundermittel Atomwaffe in die Einsatzpläne einzubauen.
Schon Wochen vor dem Unternehmen Geiselbefreiung, Anfang Februar 1980, meldete die »New York Times«, eine Studie des Verteidigungsministeriums sei zu dem Schluß gekommen, »daß amerikanische Streitkräfte einen sowjetischen Vorstoß in den nördlichen Iran nicht stoppen könnten, und daß die Vereinigten Staaten deshalb erwägen sollten, bei jedem Konflikt in diesem Gebiet 'taktische' Nuklearwaffen zu benutzen«.
Der wohlinformierte Berichterstatter war Richard Burt, einer der schärfsten unter den Jungfalken, der heute im US-Außenministerium für Europa zuständig S.166 ist. Das Reagan-Team hat dieses »iranische Scenario« inzwischen auf den ganzen Mittleren Osten übertragen und ausgebaut. Die Grundidee dabei ist, daß die Rapid Deployment Force möglichst zuerst in dem Gebiet luftlandet, das verlorenzugehen droht, und dort als nuklearer Stolperdraht fungiert.
Richard Burt: »Obwohl zahlenmäßig unterlegen, würde eine solche Streitmacht ausreichen, die Sowjets von einer Intervention abzuschrecken, weil jeder Zusammenstoß zwischen amerikanischen und sowjetischen Streitkräften das Risiko einer Eskalation bis auf ein für die Sowjet-Union nicht akzeptables Niveau mit sich bringt.«
Aber wie soll das gehen? Wie soll eine Eskalation auf ein Niveau nuklearer Gewalttätigkeit aussehen, das die Sowjets nicht akzeptieren können, wohl aber die Amerikaner? Wie kommt es, daß die Männer im Kreml nach diesem Konzept um entscheidende Grade »abgeschreckter« wären als die Männer im »Situation Room« des Weißen Hauses? Daß sie die Konsequenzen ihres Handelns stärker fürchten müßten als ihre Gegenspieler in Washington?
Hinter diesen Fragen verbirgt sich das eigentliche Geheimnis des Kriegsführungsdenkens und der »funktionalen Überlegenheit«, die Reagans Leute erstreben - trotz des groben Overkill-Gleichstands der Supermacht-Arsenale. Aus dem Jargon der Strategen übersetzt, sieht das im Klartext so aus:
Die USA haben die Golfregion zu ihrem Lebensinteresse erklärt. Der Schutz - und die Kontrolle - der Ölzufuhr stützen Amerikas Einfluß auf die wirtschaftlichen Geschicke der ölabhängigen Europäer und Japaner. Ohne das Öl wäre Amerikas Führungsrolle im Westen wie in Fernost ziemlich am Ende - zumindest in den Augen der Falken, für die nur ökonomische und militärische Macht zählt, und die entsprechend wenig auf die brüderliche Wertegemeinschaft der freien Völker geben.
Amerika ist mithin entschlossen, zu kämpfen und sehr viel zu riskieren. Die Sowjets wissen das. Sie selber hätten in der Golfregion viel zu gewinnen, aber auch unabsehbare Blutbäder zu gewärtigen. Und ein existentielles Muß ist die Kontrolle über die Ölregion für die UdSSR nicht.
Vor allem aber müßten und würden die Sowjetführer bei einem Zusammenstoß mit den Amerikanern ein noch höheres Risiko auf sich nehmen als der Präsident im fernen Washington. Denn wenn die Amerikaner nuklear eskalieren, um einen sowjetischen Vormarsch in Nord-Iran aufzuhalten, würde mit größter Wahrscheinlichkeit auch das nahe Territorium der UdSSR in Mitleidenschaft gezogen - in diesem Fall die Sowjetrepubliken Aserbaidschan, Armenien, auch Georgien.
»Wenn bei der Sperrung von Straßen mit (nuklearen) Bodenexplosionen operiert würde, dann könnte die Sowjet-Union je nach der vorherrschenden Windrichtung, in beträchtlichem Maße von (radioaktivem) Fallout erfaßt werden«, notierte zum Beispiel ein Strategie-Analytiker der Air-Force-Denkfabrik Rand Corporation, Joshua M. Epstein.
Doch das wäre nur eine mögliche »nukleare Option«. Denn wenn der Nationale Sicherheitsrat im Weißen Haus schon bei dem Versuch, die Geiseln in Teheran zu befreien, das F-111-Geschwader in England in Alarmbereitschaft versetzt hat, wird er auch bei künftigen Krisen in der Dritten Welt kaum zögern, vorgeschobene Waffensysteme der USA in Europa und Asien gegen die Sowjet-Union mobilzumachen.
Dann würden, wären sie stationiert, bei einem Spannungsfall fern hinter der Türkei auch 108 Pershing-2-Lafetten mit Begleitfahrzeugen ihre Unterkünfte in den Standorten der 56. US-Artillerie-Brigade in Heilbronn, Schwäbisch-Gmünd und Neu-Ulm verlassen. Dann könnten 116 Cruise-Missile-Werfer mit je vier nuklearen Marschflugkörpern aus den Bunkern der US Air Force in der Eifel, auf Sizilien, in England rollen und in auffälligen Kolonnen ihre vorbereiteten Abschuß-Stellungen ansteuern.
Die Nachrüstungswaffen sind für solche Drohmanöver besonders gut geeignet; allerdings mit dem Nachteil für Europa, findet Rand-Experte Epstein (und er nicht allein), daß eine nukleare Willensdemonstration »eventuelle präemptive Neigungen der Sowjets gegenüber den verwundbaren landgestützten Kernwaffen der Nato verstärken könnte«.
Zu deutsch: Die Sowjets könnten versucht sein, einem so demonstrativ angedrohten Nukleareinsatz mit einem verheerenden Erstschlag zuvorzukommen. Die Neigung dazu könnte erst recht übermächtig werden, wenn die US-Streitkräfte im Iran tatsächlich Kernwaffen anwenden - und sei es auch nur, um die Straßen für einen beginnenden oder erwarteten sowjetischen Einmarsch unpassierbar zu machen. Epstein, der sich in Understatements gefällt: »Was dieser durchaus natürliche Gedankengang für die 'Euro-strategische Krisenstabilität' bedeutet, sollte offenkundig sein.«
Aber liegt die Crux nicht woanders? Die Kernfrage ist doch, ob die amerikanischen »war fighter«, so furchterregend sie sich auch aufführen, es im Ernst jemals wagen könnten, das Gebiet der gegnerischen Supermacht atomar zu verletzen - sei es durch den Fallout grenznaher Detonationen, sei es durch Präzisionsraketen, die von der Bundesrepublik Deutschland aus aufsteigen.
Beteuern die Sprecher der Sowjetregierung nicht seit Jahr und Tag, man werde auf amerikanische Raketen, die aus Württemberg kommen, genauso reagieren wie auf Interkontinentalgeschosse, die in Nord-Dakota oder Montana gestartet sind - also mit Vergeltungsschlägen gegen das Territorium der USA?
Moskauer Sendboten wie Georgij Arbatow haben immer wieder bestätigt, daß es nur einen allgemeinen und keinen begrenzten Atomkrieg geben könne. So gesehen würden die neuen Mittelstreckenwaffen tatsächlich Westeuropa an das strategische Arsenal Amerikas »ankoppeln«. Doch exakt an diesem Punkt offenbart sich der abgründige Unterschied zwischen den »Kriegsverhütern«, S.168 die dieser These anhängen, und den Kriegsführungsdenkern.
Die Moskauer Sendboten sagen ganz wie die westlichen Kriegsverhüter: Wenn ihr uns anrührt, gar nuklear - wie begrenzt auch immer -, dann ist die unbegrenzte Hölle los. Denn Kriegsverhüter glauben ehrlich an das »Gleichgewicht des Schreckens«. Sie wünschen sich diesen Schrecken unentrinnbar und unerträglich für beide Seiten, gerade weil sie jede bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den Atom-Mächten für alle Zeiten verhindern wollen.
Die »war fighter« befriedigt dieser Zustand nicht. Denn mit dem absoluten Horrorkrieg, den beide Seiten unbedingt verhüten müssen, kann man niemand drohen im praktischen Supermacht-Gerangel um Einfluß und »vitale Interessen«. Damit kann man begrenzte, aber unakzeptable Verstöße des Kontrahenten (den hypothetischen Einmarsch im Iran zum Beispiel) nicht bekämpfen und rückgängig machen. Damit kann man die Sowjet-Union nicht zum Wohlverhalten, ihre Klienten in der Dritten Welt nicht zu Ruhe und Respekt vor der westlichen Ordnung zwingen.
Abschrecken, das betonen die »war fighter« immer wieder, könne Amerika nicht mit der Drohung, den Holocaust zu entfesseln und Selbstmord zu begehen. Abschrecken könne es auch nicht mit konventionellen Kriegsmitteln - siehe Vietnam und Afghanistan. Abschrecken könne es nur mit der auch für den Gegner klar erkennbaren Fähigkeit, einen begrenzten nuklearen Krieg tatsächlich zu führen und zu beginnen.
»War fighter« wollen - wie alle Militärs seit dem alten Rom - den Krieg dadurch verhindern, daß sie imstande und willens sind, auch einen Atomkrieg nicht nur durchzukämpfen, sondern anzufangen.
»War fighter« wie Reagans Europa-Diplomat Richard Burt neigen deshalb dazu, die Kriegsverhüter als Naivlinge zu belächeln: »Pieties« (Frömmeleien) nannte Burt im letzten Jahr die Ansichten seines weisen Landsmannes George F. Kennan zur Undenkbarkeit eines bewaffneten Konflikts zwischen den Supermächten. Frömmelei: Dieser Vorwurf trifft vielmehr die Politiker, die sich vor ihren Wählern als verläßliche Kriegsverhüter darstellen, zugleich aber die Projekte der Kriegsführungsstrategen gutheißen und damit das täuschende Doppelgesicht ihres Nato-Doppelbeschlusses produziert haben.
Die Nato müsse in der Lage sein, »nadelstichgenaue Nuklearangriffe auf die Sowjet-Union durchzuführen« ("to carry out pinpoint nuclear attacks"), hatte Henry Kissinger im September 1979, drei Monate vor dem Beschluß in Brüssel gefordert - ein deutliches Echo von Nitzes altem Ruf nach atomaren Präzisionswaffen und von Kissingers eigenen frühen Meditationen über den begrenzten Atomkrieg als Mittel der Politik in seinem Werk »Außenpolitik und Nuklearkrieg« (1957).
»Nadelstichgenaue« Waffen aber sind keine Kriegsverhütungswaffen. Es sind Kriegführungswaffen. Sie sollen nicht Städte und Industrien des Gegners verwüsten - was in der Tat dessen grausige Vergeltung auch gegen die Vereinigten Staaten auslösen müßte. Sie sollen allein gegen militärische Objekte eingesetzt werden, »auf kleinstmöglichem Raum gegen höchst begrenzte Ziele«, wie es Paul Nitze einst formulierte. Sie sollen, jedenfalls am Anfang, nur entlegene Militärflugplätze, Depots und Kommandostellen treffen.
Stichgenaue Waffen sollen möglichst keine Zivilisten und auch nicht Zehntausende von Soldaten auf einmal töten. Sie sollen dem Gegner überhaupt keine Vernichtungsschläge versetzen. Sie sollen ihm vielmehr die ernste Mißbilligung des Weißen Hauses wegen seines Verstoßes gegen vitale Interessen der Vereinigten Staaten zum Ausdruck bringen und ihm die Korrektur seines Fehlverhaltens dringend nahelegen.
Das ist der Sinn der Punktgenauigkeit: Die Gegenspieler in Moskau sollen gerade so erschrecken, daß sie nachgeben, aber nicht so sehr, daß sie ihre Interkontinentalraketen nach Amerika starten lassen. Es soll ihnen weh tun, aber nicht so weh, daß sie die Besinnung verlieren.
Trotz ihrer beständigen Ankündigung, sie würden auch einen strikt begrenzten amerikanischen Schlag an Amerika vergelten und an dem dazugehörigen Stationierungsland, soll die Vernunft den Männern im Kreml raten, stillzuhalten und in sich zu gehen, weil es sonst erst richtig schlimm wird - für Westeuropäer und Amerikaner zwar auch, aber für die Sowjet-Union erst recht.
Das ist, was die »war fighter« unter »funktionaler Überlegenheit« verstehen im Unterschied zur bloßen Zahl der Sprengköpfe: dem Gegner eine Aktion androhen können, auf die er nur dann wirksam zu reagieren vermag, wenn er bereit ist, den Einsatz gewaltig zu erhöhen.
Eine einzige Pershing 2 mit einem einzigen Sprengkopf mit einer SS-20 zu vergelten, deren drei Sprengköpfe je fünfzehnmal soviel Vernichtungskraft haben und die im vollgestopften Westeuropa keine isolierten Militärziele finden - das hieße in der Tat den Einsatz erhöhen und dem Holocaust einen großen Schritt näherrücken. So weit würden die Sowjetführer nur gehen, wenn sie zum Äußersten bereit wären, kalkulieren die Kriegsführungsdenker, die sich viel auf ihre Clausewitzsche »Rationalität« zugute halten.
Würde ein US-Präsident auf diese Erwartung hin handeln? Würde er die Würfel werfen in dem »kosmischen Würfelspiel« (wie Weinbergers Vorgänger Harold Brown ein Atomduell der Supermächte einmal genannt hat)? Denn S.170 was auch folgt, beim amerikanischen Präsidenten, nicht im Kreml, läge die furchtbare Entscheidung »to go nuclear": die Tür aufzustoßen - und sei es vorsichtig - in »die Unermeßlichkeit des Nuklearkriegs« (Robert McNamara), hineinzugehen in das unerforschte Schreckensland, aus dem vielleicht kein Wanderer wiederkehrt.
Dieses Problem sehen auch die »war fighter«. Falken-Vordenker Colin S. Gray: »Die Vereinigten Staaten wären das erste Land, das vor der Entscheidung steht, ob es eine Handlungsweise einleiten soll, die auf dem Weg der Vergeltung zu katastrophalen Schäden führen könnte.«
Furcht vor unabsehbaren Konsequenzen, die den Kriegsverhütern auf beiden Seiten höchst erwünscht ist, wird von den Kriegsführern nur beim Gegner erstrebt, auf der eigenen Seite dagegen als gewissensbleiche »Selbstabschreckung« mißbilligt. Mehr als zwanzigmal haben Amerikas Präsidenten in den vergangenen 35 Jahren den Einsatz von Atomwaffen erwogen: Jedesmal hat Selbstabschreckung sie zögern lassen. Aber dabei soll es nach dem Willen der »war fighter« nicht bleiben.
Die Selbstabschreckung zu beseitigen, die Hemmschwelle überschreitbar und den Präsidenten »handlungsfähig« zu machen - darauf läuft die Kriegsführungstheorie im innersten Kern hinaus. Das zu erreichen, setzt wiederum und hier erst recht Präzisionswaffen voraus - Waffen für nukleare Nadelstiche.
Denn wenn die US-Streitkräfte erst über solche Waffen verfügen, dann - und das wissen auch die Sowjetführer - können die Berater des Präsidenten ihm (und er sich selber) einreden, ein »pinpoint nuclear attack« auf Ziele in Rußland sei durchaus machbar, ohne daß er »katastrophale Schäden« für die eigene Seite gewärtigen müsse - oder zumindest nicht für das eigene Land.
Sogar der Harvard-Außenpolitiker Stanley Hoffmann, früher liberal gemäßigt, ist inzwischen der gespenstischen Risikofreude der Falken erlegen, die bereit sind, nuklear zuzuschlagen, zugleich jedoch die Verantwortung für das, was danach geschieht, von vornherein auf den Kreml abwälzen: »Wenn sie (die Sowjets) von Euro-strategischen Waffen getroffen würden, läge die Last der Entscheidung, den Krieg zu einem strategisch-interkontinentalen Konflikt zu machen, bei ihnen.«
Die Waffe für einen solchen begrenzten »first strike« aber ist die Pershing 2 mit ihrer von der Goodyear Aerospace entwickelten Endanflug-Steuerung (Wehrzeitschriften-Werbung: »Ein Lenksystem, das der Pershing 2 hilft, den Feind zu finden, das Ziel zu suchen ... und zu treffen"). Sie ist die erste Waffe in den Arsenalen beider Supermächte, die sich für »nadelstichgenaue Nuklearangriffe« eignet.
Aber wieviel davon und von der neuen, der Kriegsführungs-Ära der nuklearen Geschichte haben die deutschen Politiker begriffen, die ihren Wählern seit fünf Jahren unverdrossen eintrichtern, die Pershings und Cruise Missiles seien lediglich als »Gegengewicht« gegen die sowjetischen SS-20 gedacht?
»Wenn es wirklich um die SS-20 ginge«, schreibt der frühere Oberstleutnant der Bundesluftwaffe und Friedensforscher Alfred Mechtersheimer (in seinem Buch »Rüstung und Frieden"), »hätte man die Pershing 1a durch ein Waffensystem ablösen müssen, das mindestens ebenso unerreichbar und unverwundbar ist wie die SS-20 für die Nachrüstungswaffen.« So jedoch, landgestützt und verwundbar, könnten diese Systeme einen SS-20-Angriff nicht verhindern, wohl aber auslösen.
Das sah auch Kanzler Helmut Schmidt. Seine im Planungsstadium der Nachrüstung geäußerte Bitte, die neuen Waffen unverwundbar auf See zu stationieren, war im Hinblick auf die Überlebensfähigkeit des ihm anvertrauten Volkes gut gemeint. Sie zeigte jedoch, daß er den entscheidenden Präzisions- und Kriegsführungsaspekt der neuen Waffen nicht verstanden haben konnte. Denn nur wenn sie von Land aus abgefeuert wird, kann die Pershing 2 die von Goodyear in ihren Kopf eingebaute Zielgenauigkeit erreichen. Auf See ist sie sinnlos.
Weil sich die Abschußposition (noch) nicht auf den Meter genau bestimmen läßt, sind U-Boot-Raketen (noch) nicht präzis genug für Punktziele und deshalb untauglich für selektive Erstschläge. Sie sind (noch) Waffen nur für den zweiten, den Vergeltungsschlag. Sie sind Waffen, die das Herz des Kriegsverhüters erwärmen, doch die Falken aus Army und Air Force kaltlassen, weil sie viel Geld kosten und man trotzdem kein »war fighting« mit ihnen planen kann.
Wenn dem Kanzler Schmidt dieser Zusammenhang und damit der wahre Grund für die Landstationierung bewußt gewesen wäre, hätte er diese Stationierung dann akzeptieren können? Sie und die grotesken Scheinargumente, mit denen er und seine Mitstreiter dem Volk plausibel zu machen versuchten, warum diese Waffen ausgerechnet mitten in diesem Volk aufgestellt werden müssen?
Die hanebüchenste Version tischte Hans-Dietrich Genscher beim ARD-Wahlhearing in der vorletzten Woche wieder auf: Die Raketen wirkten auf bundesdeutschem Boden »abschreckender« auf die Russen, »weil die dann wissen müssen, daß die Nato diese Raketen S.171 ganz bestimmt abschießen wird, ehe sie von sowjetischen Panzern überrollt werden.«
Doch zum Lachen ist das nicht. Denn aus dem Widerspruch zwischen den wirklichen Hintergründen der Nachrüstung und den Scheinbegründungen der Politiker und des Rechtskartells der Presse rührt die Unwahrhaftigkeit her, die der Raketendebatte so penetrant anhängt wie keiner anderen Auseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik: eine Unwahrhaftigkeit, die das Staatswesen zerfrißt.
»Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer«, hat der Engländer Siegfried Sassoon im Ersten Weltkrieg festgestellt. Heute, unter dem Einfluß der »war fighter«, kommt die Wahrheit schon vor dem Krieg abhanden.
»Der Krieg beginnt im Geist« Mit Friedenskräften meinen wir nicht die offizielle sowjetische Bürokratie oder den Parteiapparat,
sondern die einfachen sowjetischen Bürger, deren tiefe Abneigung
gegenüber dem Krieg aufgrund ihrer historischen Tragödie
»konditioniert« ist - über 20 Millionen Tote und 20 Millionen
Verwundete im Kampf gegen die deutsche Invasion während des Zweiten
Weltkriegs ...
In der UdSSR gibt es keinerlei Illusionen über die Rationalität
eines Atomkrieges. Entgegen periodischen Bekundungen von
Nato-Sprechern gibt es keine Pläne in der UdSSR zur Sicherung eines
Überlebens nach einem atomaren Konflikt. In den neuen Moskauer
Wohnbezirken gibt es keine Schutzunterkünfte ...
In der UdSSR gibt es kein seriöses offizielles Statement, wonach ein
solcher Krieg zu gewinnen wäre. Der sowjetischen Bevölkerung wird
gesagt, daß der globale Atomkrieg ein Wahnsinn ist und daß ihn
keiner überleben kann ...
Roy A. Medwedew, sowjetischer Historiker und Dissident, in der
amerikanischen Zeitschrift »The Nation«, Januar 1982 Die
verrückteren Rüstungsexperten sind (in der gegenwärtigen
US-Regierung) in höhere Positionen gelangt, als das normalerweise
der Fall ist. Sie können ihre Ideen weiter und höher tragen, weil
die Leute an der Spitze einfach weniger gut informiert sind, als das
norrnalerweise der Fall ist.
Herbert York, Kernphysiker und Mitarbeiter am Bau der ersten
Wasserstoffbombe, im April 1982
Fred C. Ikle setzte seine Worte penibel, als er den Senatoren des Ausschusses für die Streitkräfte in Washington ein kurzes Kolleg über den Krieg hielt.
»Der Gebrauch militärischer Gewalt muß immer einem politischen Zweck dienen«, erklärte Fred Ikle. »Unserem Wertesystem entsprechend wollen wir Zerstörung nicht um ihrer selbst willen herbeiführen, sondern um die Aggression aufzuhalten und unser Land und unsere Alliierten zu beschützen. Wann immer wir in einen bewaffneten Konflikt verwickelt werden, müssen wir eine gute Vorstellung und einen soliden Plan haben, wie wir diesen Konflikt zu einem zufriedenstellenden Abschluß bringen.«
Beim »Gebrauch nuklearer Waffen« sei das Prinzip des politischen Zwecks allerdings »besonders schwierig umzusetzen«. Trotzdem werde man die für die US-Streitkräfte gültige »nukleare Einsatzdoktrin formen und umformen«, bis das erreicht sei.
Das war im März 1981. In der konservativen Hochstimmung nach Ronald Reagans Amtsantritt akzeptierte der Senatsausschuß, was Ikle ihm verklausuliert vortrug, und billigte seine Ernennung zum Staatssekretär für Verteidigungspolitik und damit wichtigsten Planer in Caspar Weinbergers Pentagon.
Ikle, 58, ist gebürtiger Schweizer und hatte bis vor kurzem einen Akzent auf dem »e« in seinem Namen, ehe er auch den amerikanisierte ("Aikl"). Bis 1950 hatte er in Chicago Sozialwissenschaften studiert und seine Kenntnisse dann in die Kriegsforschung eingebracht. Bei der Rand Corporation arbeitete er über »soziale Auswirkungen des Bombenkrieges« - konventionell und atomar.
Auf den Spuren von Paul Nitze entwickelte sich Ikle zu einem im Verteidigungsministerium immer stärker beachteten Kritiker der Doktrin vom »Gleichgewicht des Schreckens« und der »gesicherten gegenseitigen Zerstörung« (MAD) der beiden Supermächte. Seine These: »Abschreckung ist nicht genug.«
Ein ebenso eingefleischter Anti-Kommunist wie Nitze, ist Ikle, wenn möglich, noch fester als der Falken-Vater davon überzeugt, daß die bestehende Abschreckung auf längere Sicht nicht funktionieren kann, auch wenn sie noch so ungeheuer mit Horrorpotential aufgeladen wird. Der Gegensatz zwischen den freien Völkern und dem roten Weltherrschaftsstreben erscheint ihm so tief, daß es früher oder später zu blutigen Konflikten unmittelbar zwischen der Sowjet-Union und den Vereinigten Staaten kommen muß.
Ikle 1973 in »Foreign Affairs": »Abschreckung ist die Drohung, etwas zu tun, was zu tun nicht ratsam wäre, wenn die Abschreckung versagt« - nämlich sich gegenseitig zu vernichten und hinzunehmen, daß die Freiheit ganz unverdient zusammen mit der Despotie untergeht. Folgerung im Klartext: Da der Krieg, auch wenn man ihn nicht will, nicht mit Sicherheit zu vermeiden ist, müssen sich die USA und ihre Verbündeten darauf einrichten, Krieg auf jede Art - auch interkontinental - tatsächlich zu führen, »zufriedenstellend« zu entscheiden und den eigenen Schaden so gering wie möglich zu halten.
Heute ist Fred Ikle die graumelierte Eminenz des Strategie-Laien Weinberger. Von seinem Büro gleich neben der Zimmerflucht des Ministers im äußeren der fünf konzentrischen Ringe des Pentagon zieht er die Drähte bei der »Wiederbewaffnung« Amerikas und hinter der internationalen Falkenfront.
Er ist der Hauptverfasser der Leitlinie »Defense Guidance 1984-88«, die dem 1600-Milliarden-Dollar-Rüstungsprogramm Reagans zugrunde liegt und einen »weltweiten Krieg« mit der UdSSR für möglich hält, »ür den sich Amerika wappnen müsse. Wörtlich: Unser langfristiges« » Ziel ist die Fähigkeit, den Erfordernissen eines weltweiten » » Krieges zu entsprechen, einschließlich parallel laufender » » Verstärkungen für Europa, Truppeneinsatz » » US-Verteidigungsminister Weinberger: Gegenoffensive erwogen » » Bei einer amerikanischen Panzereinheit. in Südwestasien und » » Unterstützung in anderen potentiellen Konfliktgebieten. »
Fred Ikle drängte Weinberger, es erst einmal mit ein wenig Handelskrieg zu probieren und das mißglückte Technologie-Embargo gegen die Sowjet-Union durchzupauken. Von ihm stammt die von »Aviation Week« gemeldete Anweisung, das Rüstungsprogramm »ohne Rücksicht auf Rüstungskontrolle« voranzutreiben.
Unauffällig, aber wirksam half Ikle auch schon, die Nato-Nachrüstung anzuschieben. Im Frühjahr 1977 bereits schrieb er in »Foreign Affairs«, die SS20-Drohung erhebe sich »wie eine dunkle Wolke über Europa«. Kurz darauf sprach er in Bonn bei Helmut Schmidt vor und »sagte ihm, daß er sich für die Belange der deutschen Sicherheit nicht auf Präsident Carter verlassen könne«, wie der gutinformierte Berater des damaligen Außenministers Vance, Arthur Macy Cox, berichtet.
Heute, im Zentrum der Macht, sitzt Fred Ikle den intern tatsächlich so genannten »war planners« vor, die im E-Ring des Pentagon ausknobeln, wie man den künftigen Krieg notfalls führen kann, damit er einem »politischen Zweck« dient und den auch erreicht - den Zweck nämlich, das politische System der Sowjet-Union zu demontieren.
Ikles Mitstreiter im Kriegsrat, sämtlich Männer um 40 von der strebsamen Art, die hierzulande durch Möllemann und Stoiber repräsentiert wird, übertreffen einander an Forschheit. Richard Perle, zuständig für »internationale Sicherheitspolitik« und Vorsitzender der »High Level Group«, des Nuklearkonzils der Nato, hat als Assistent des Senators Henry Jackson von 1970 an gegen die Entspannung agitiert und ist, schon in seinem neuen Amt, 1981 mit der Ansicht hervorgetreten, die europäische Friedensbewegung sei unter anderem auf das Bemühen protestantischer Pfarrer zurückzuführen, ihre leeren Kirchen wieder zu füllen.
Nüchtern genug freilich erklärte Perle der »Los Angeles Times« seine »trategische Einstellung: Meine Sorge ist nicht, daß die Sowjets » » die Vereinigten Staaten mit Kernwaffen angreifen im Vertrauen » » darauf, daß sie einen solchen Krieg gewinnen können. Meine » » Sorge ist, daß ein amerikanischer Präsident es sich nicht » » leisten zu können glaubt, in einer Krise zur Aktion zu » » schreiten, weil die Nuklearstreitmacht der Sowjets so » » beschaffen ist, daß sie bei einer Eskalation besser imstande » » sind als wir, die Eskalationsleiter hinaufzugehen. »
Perles enger Freund und wie dieser Ikles Protege ist John F. Lehman, Minister der meerbeherrschenden US Navy. Schon 1974 haben er und Perle als Referenten in der Regierung Ford gemeinsam, doch noch vergeblich gegen den Rüstungsbegrenzungsvertrag Salt I und das Abkommen von Wladiwostok gefochten. Heute will Lehman mit »maritimer Überlegenheit« und viel persönlichem Schwung dafür sorgen, daß die Nachschubwege für all die denkbaren Kriege in Übersee offenbleiben.
Der vierte im Freundesbund von Weinbergers hartem Kern ist der rothaarige Francis J. West, 42, »Bing« genannt S.174 und wie Perle mit der »international security« betraut. Der ehemalige Marinekorps-Offizier befaßt sich besonders mit der schnellen Eingreiftruppe für den Orient und mit der »Wiederbelebung« ("revitalization") der Nato-Zentralfront.
»Bing« West ärgert sich schon lange darüber, daß ein Löwenanteil der Nato-Ressourcen jahraus, jahrein ausgerechnet dort investiert wird, wo ein sowjetischer Angriff am wenigsten wahrscheinlich ist - an der deutschen Front. Als Direktor des »Naval War College« hat er zusammen mit Richard Burt und anderen Falken bereits 1979 darüber nachgesonnen, wie man das »tote militärische Kapital« in der Bundesrepublik aktivieren und für eine neue Globalstrategie nutzen könne.
Daraus ist inzwischen das Leitlinien-Ziel des Pentagons geworden, an der Zentralfront eine »Gegenoffensiv-Fähigkeit« als Zukunftsziel zu erstreben. Die Sowjetführer sollen fürchten müssen, daß Nato-Truppen in Deutschland zum Angriff gegen Osten antreten, wenn Moskau vitale Interessen der Vereinigten Staaten im Mittleren Osten oder in Asien ernstlich gefährdet. Eine weitere Gegenoffensiv-Front: Korea, wo das Pentagon gerade die größten Manöver seit dem Ende des Koreakriegs veranstaltet hat.
»us dem Jahresbericht Weinbergers zum Fiskaljahr 1983: Unsere » » Gegenoffensiven sollten sich auf Bereiche richten, wo wir den » » Ausgang des Krieges beeinflussen können. Um den Angriff des » » Feindes zu kompensieren, sollten sie gegen Territorien oder » » Besitzstände vorgetragen werden, die von ähnlicher » » Wichtigkeit für ihn (den Gegner) sind wie diejenigen, die er » angreift.
» Einige wichtige Verwundbarkeiten der Sowjet-Union haben mit » » der Tatsache zu tun, daß das Sowjet-Imperium ... kein » » freiwilliger Zusammenschluß demokratischer Nationen ist. 37 » » Jahre nach dem Versprechen freier Wahlen in Jalta macht die » » Verhängung des Kriegsrechts in Polen klar, wie solche Wahlen » » ausgingen, wenn sie erlaubt würden. Unsere Pläne für eine » » Gegenoffensive im Krieg können solchen Verwundbarkeiten auf » » sowjetischer Seite Rechnung tragen. »
In ihrem Roll-back-Elan schert es die »war planners« wenig, daß sie den »Charakter des Bündnisses verändern«, wie sogar die Nibelungen-Postille »Frankfurter Allgemeine« schon zaghaft anzudeuten sich unterstanden hat. Der neu entflammte Kreuzzugs-Eifer kann nichts dabei finden, daß er sich anschickt, die Nato aus einem Schutzbund souveräner Staaten in eine multinationale Fremdenlegion der Washingtoner Falken und ihrer Hegemonialpolitik zu verwandeln.
Vorletzte Woche ist »Bing« West nach Ägypten gejettet, um - noch vergeblich - zu sehen, ob man die US-Eingreiftruppe und die 6. Flotte John Lehmans im Mittelmeer nicht erst einmal gegen Libyens Gaddafi testen könne. Zugleich aber wächst unmittelbar an der Grenze der USA eine neue Gefahr heran: In Mexiko mit seiner wirtschaftlichen Not und seinen schreienden Klassengegensätzen könnte ein »von Castro-sowjetischen Aktivitäten« angestifteter »msturz drohen, wie Senatsfalke Henry Jackson jüngst gewarnt hat: » » Es ist das ernsteste Problem, dem wir uns außerhalb von » » Nahost und Westeuropa gegenübersehen ... Wenn die » » (mexikanische) Regierung destabilisiert wird, könnte es eine » » Revolution geben, und wir hätten eine Castro-Regierung an » » unserer Grenze. »
»Mexiko ist das entscheidende Schlachtfeld«, zitiert »Time«-Magazine einen »Spitzenbeamten« in Washington. »Wenn wir es in El Salvador und Guatemala nicht schaffen, marxistisch-leninistischen Machtübernahmen vorzubeugen, dann weiß ich nicht, was die USA oder sonst jemand tun könnten, um zu verhindern, daß Mexiko unter ein ähnliches Regime fällt.«
Für die Hardliner wäre das die Wiederkehr der Kuba-Krise im Götterdämmerungsformat - Atomkriegsdrohung gegen die Sowjet-Union inbegriffen. Schon im März vergangenen Jahres hat der »war fighter« Colin Gray im »Air Force Magazine« überlegt, ob eine »funktionale Überlegenheit« der USA bei den Nuklearwaffen nicht auch geeignet sei, »das Schüren von Krisensituationen durch die Sowjets abschrecken zu S.176 helfen«. Kein Zweifel ist erlaubt, daß auch Fred Ikles Freundeskreis im Pentagon solche Erwägungen anstellt.
Ohne mäßigende Gegenstimme entwerfen die »war planners« Pläne, die über den Verteidigungsminister zur Direktive für die Streitkräfte werden. Ein »Dilemma« allerdings gibt es dabei. Generalleutnant Brent Scowcroft, Vorsitzender einer von Reagan bestellten Sonderkommission zum Studium neuer strategischer Atomwaffen mit ähnlicher Zielgenauigkeit wie Pershing 2, hat es vor einem »trategen-Symposium in Washington skizziert: Die begrenzten » » nuklearen Optionen, auf die wir uns zubewegen, setzen voraus, » » daß wir Kommunikation mit der Sowjet-Union haben. Doch vom » » militärischen Gesichtspunkt ist eine der wirksamsten » » Angriffsarten die gegen die Führung und gegen » » Kommandosysteme. Das ist viel leichter, als die » » Offensivkräfte des Gegners bis zum letzten Stück » » auszuschalten. Hier liegt ein Dilemma, mit dem wir noch nicht » » ganz zurechtgekommen sind. »
Das Dumme ist: Wenn man mit präzis gezielten Schlägen die Sowjetführung atomisiert, wie macht man der »enthaupteten« Sowjet-Union dann klar, daß es sich ja nur um eine »begrenzte nukleare Option« handelt? Wie stellt man sicher, daß die roten Raketensoldaten dann nach Hause gehen und nicht alles, was sie in ihren Silos und U-Booten haben, nach Amerika schießen?
Allein an diesem Punkt wird es überdeutlich: Die Meinung, begrenzte Atomkriege seien machbar, planbar, androhbar, ist der gefährlichste Selbstbetrug, dem sich Menschen je ergeben haben. Er ähnelt dem Wahn Hitlers, durch Blitzkrieg ohne allzu große Verluste zum Sieg zu kommen - nur daß die Folgen ungleich katastrophaler wären. Weinbergers »war fighter« aber wanken nicht in ihrem Glauben, daß Amerika den Krieg nur verhüten könne, wenn es vor dem Krieg nicht zurückschreckt.
Michael Howard ist Militärhistoriker in Oxford, ein in Strategenkreisen angesehener Gelehrter, der immer für die Verteidigung des Westens und das nordatlantische Bündnis eingetreten ist. Doch auch ihm sind schwere Bedenken gekommen. In der Zeitschrift »Harper's« hält er den heute Regierenden der westlichen »upermacht vor: Ich glaube nicht, daß ich irgendwelche Illusionen« » über die Sowjet-Union habe. Aber wenn ich einige meiner » » amerikanischen Freunde über dieses Land sprechen höre, wenn » » ich bemerke, wie ihre Augen glasig werden und sie das Wort » » »die Sowjets« im Tonfall knirschenden Hasses hervorpressen, » » dann bekomme ich wirklich Angst, viel mehr Angst als vor den » » nuklearen Arsenalen und den verschiedenen Vorschlägen für » ihren Gebrauch ...
» Kriege beginnen im menschlichen Geist, und der Geist vieler » » Amerikaner scheint bereits sehr fest von den Flammen des » » Krieges ergriffen zu sein. »
Der Amerikaner Thomas Powers, Journalist und Pulitzerpreisträger, »eilt dieses tiefe Unbehagen: Seit 1945 bereiten sich die » » Vereinigten Staaten und die Sowjet-Union darauf vor, in einem » » großen Krieg gegeneinander zu kämpfen, und irgendwann werden » » sie es tun ... Wir mögen wünschen, daß es anders kommt, aber » » wünschen ist nicht genug. Alles, was wir getan haben, läuft » » auf Kriegsvorbereitung hinaus. »
Da sei es auch kein Trost, wenn man beständig die 37 Jahre Frieden zwischen Ost und West beschwöre, die man der nuklearen Abschreckung verdanke. Vor dem Ersten Weltkrieg habe die Abschreckung zwischen den europäischen Mächten sogar 43 Jahre lang funktioniert - von 1871 »is 1914. Powers über diese Zeit: Durch eine Krise nach der ander"n » wurstelte man sich ohne Krieg hindurch, weil jede Seite die » » Kriegsbereitschaft ihres Kontrahenten fürchtete, genau wie » » die Vereinigten Staaten und die Sowjet-Union heute die » » Kriegsbereitschaft des anderen fürchten. Als die Abschreckung » » 1914 versagte, war der Krieg, der folgte, entsetzlich wie » » keiner zuvor. »
Konfrontationspolitik und Kriegsführungsstrategien können auch in Lord Carvers »verrücktgewordener Welt« mit mehr als 40 000 (und, kraft Ikle-Weinbergers Programm, bald mehr als 50 000) Atomsprengköpfen kaum anders enden. Der Nato-treue und konservative John Barry von der Londoner »Times« glaubt allerdings nicht als einziger, daß die Europäer da bald nicht mehr mitmarschieren. Durch die Raketendebatte und Reagans harten Kurs sei die gesamte nukleare Verteidigungskonzeption der Nato in Frage gestellt.
Barry: »Da die Völker Westeuropas keine Kamikaze-Tradition haben, werden sie es für zu riskant halten, diese Verteidigungskonzeption beizubehalten.«
Ende
S.156
Heute bedroht das Zerstörungspotential der Nuklearmächte die
Souveränität Gottes über die Welt, die er erschaffen hat ... Wir
könnten sein Werk vernichten.
Entwurf des Hirtenbriefs der katholischen Bischöfe der USA zu
Rüstung und Krieg
*
God, Guns and Guts (Gott, Kanonen und Kampfgeist)
Populärer Auto-Aufkleber in Oklahoma und Texas
*
Eine brauchbare Verhandlungsposition ist ... ein wesentliches
Element im ideologischen Konflikt. Für die Zeit nach dem Beschluß,
die eigene Stärke auszubauen, kann ein Angebot oder ein Versuch zu
verhandeln ... nur eine Taktik sein. Atompilz über Hiroschima 1945:
»Der Sieger wird dem Verlierer befehlen«
Trotzdem ... mag es wünschenswert sein, diese Taktik anzuwenden, um
sowohl öffentliche Unterstützung für das (Rüstungs-)Programm zu
gewinnen als auch die unmittelbaren Kriegsrisiken auf ein Minimum zu
verringern.
*
S.157
Wie ist es für den Westen möglich, eine Position ausreichender
Überlegenheit aufrechtzuerhalten, die ihn befähigt, (einen
Atomkrieg) zu »gewinnen« ... wenn sich diese Notwendigkeit ergäbe?
*
In seiner anderen Bedeutung meint das Wort »gewinnen« den Vergleich
der Nachkriegsposition des einen Gegners mit der Nachkriegsposition
des anderen Gegners. In diesem Sinne ist es durchaus möglich, daß in
einem generellen Nuklearkrieg die eine oder andere Seite
entscheidend »gewinnt« ...
Der Sieger wird in der Lage sein, dem Verlierer Befehle zu erteilen,
und der Verlierer wird ihnen gehorchen müssen oder dem vollständigen
Chaos oder Ausgelöschtwerden (extinction) ausgeliefert sein. Der
Sieger wird dann anfangen, das, was von der Welt übriggeblieben ist,
zu organisieren, so gut er es vermag.
*
Wenn der Atomkrieg unvermeidbar wird, ist es im Interesse des
Westens, daß Atomwaffen des kleinsten Kalibers auf kleinstmöglichem
Raum gegen höchst begrenzte Ziele eingesetzt werden ... Wir sollten
uns auf militärische Objekte beschränken ... Wir sollten nicht von
uns aus mit dem Bombardement von Industrie- und Bevölkerungszentren
anfangen.
*
S.160
Clausewitz würde glauben, die Welt sei verrückt geworden, wenn man
ihm die mehr als 40 000 Kernwaffen zeigte, mit denen Ost und West
einander gegenüberstehen. Nicht einmal ein kleiner Teil von ihnen
könnte je in einem Krieg benutzt werden, der als »Fortsetzung der
Politik« (im Clausewitzschen Sinne) zu bezeichnen wäre, es sei denn
einer Politik des Völkermords und Selbstmords.
*