Zur Ausgabe
Artikel 46 / 58

Briefe

RASSENFRAGE
aus DER SPIEGEL 23/1956

RASSENFRAGE

In der Titel-Geschichte über die Negerstudentin Autherine Lucy ("Neger-Frage - Die Saat der Gewalt") schreiben Sie, daß die Auseinandersetzung zwischen Weiß und Schwarz in den USA letzten Endes ein Kampf um den Besitz der Frauen der anderen Rasse sei. Diese Formulierung ist sicherlich richtig. Nur Ihre Darstellung der Ermordung des 14jährigen Negerjungen Emmet Till scheint mir die Version der

beiden weißen Mörder Bryant und Milam zu sein.

Die Komödie des Prozesses war ein Skandal, der nicht nur die USA erschütterte. Das Gericht unterstellte grundsätzlich die Richtigkeit der Aussagen der Angeklagten und Entlastungszeugen und ignorierte alles, was nicht in das Schema »Der Ermordete ist schuld« paßte.

Schon die hier wesentlich glaubwürdigere Aussage eines Spielgefährten Tills, daß die Provokation des Ermordeten nur in dem bekannten Doppelton-Pfiff bestanden habe, mit dem die US-Armed Forces ihr leibliches Wohlgefallen an hübschen Mädchen kundtun, verhallte ungehört. Hingegen wurde Mrs. Bryant, die alles Interesse an einer Dramatisierung der Beleidigung hatte, voll Glauben geschenkt. Einfach unglaubhaft ist aber die Schilderung des Tatverlaufs. Man stelle sich vor: Ein halbes Kind wird nachts von zwei bärenstarken Männern mit brutaler Gewalt aus dem Bett gerissen, in die Einsamkeit geschleppt und mit Revolvern blutig geprügelt. Und dieses Kind, das vor der Lynch-Justiz des

Südens vorher nachdrücklich gewarnt worden war, soll sich weiter in frechen Bemerkungen ergangen haben? Nein, das ist die untereinander abgestimmte Version der beiden Mörder, die nach anfänglichem Leugnen »Affekt« mimten. Diese Version konnte nur deshalb unwiderlegbar bleiben, weil der einzige Augenzeuge der Ermordete war.

Sicherlich, die illustrierten Photos zeigen Till als einen unsympathischen, »naßforschen Asphaltjungen«, dem man Unverschämtheiten durchaus zutrauen könnte. Aber auch das Verhalten der Mrs. Bryant, die den Mordprozeß zu koketten Posen benutzte, konnte kaum Sympathien erringen. Und schließlich ist rassische Aversion kein Grund für Mord. Wobei in diesem Lande freilich nicht nur an den Süden der USA oder an Südafrika gedacht, sondern an die eigene Brust geschlagen werden sollte.

Hannover DR. PETER E DOERELL

Roy und Carolyn Holloway Bryant

Big Milam

Emmet Till

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 46 / 58
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren