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Bücherspiegel Rassismus und Dummheit

aus DER SPIEGEL 40/1993

Wenn der junge Reporter Andrian Kreye in seinem Buch »Aufstand der Gettos« über die Rassenkonflikte Amerikas berichtet, weiß er, wovon er spricht. Er lebt seit fünf Jahren in einem Backsteinhaus in New Yorks Chinatown, zwischen asiatischen Musikern und Mafiosi, Dealern und Dandys, ebendort, wo Weiße wie er eine Minderheit sind. Vielleicht schärft das sein Auge für das bizarre Detail, das böse Vorurteil, die Bestialität eines Kriegs, der zur Alltagssache geworden ist.

Illusionslos und zärtlich, polemisch und verständnisvoll, bitter und humorvoll berichtet Kreye aus dem Schwarzenghetto in Harlem und aus den Todeszonen der Chicano Gangs in South Central Los Angeles, aus dem Reservat der Mohawk-Indianer genauso wie aus den Aufmarschgebieten der weißen Jungrassisten der Ayrian Nation.

Kreye gerät in Schießereien und Polizeirazzien, sitzt in Crackhäusern und den getäfelten Chefetagen millionenschwerer Investoren. Er trifft sich mit Salsa-Musikern in Latino-Bars und fachsimpelt über Rhythmenwechsel (er selbst spielt Saxophon), und er trifft auf schwarze Hollywood-Stars wie Wesley Snipes, für die kommerzielle und politische Erfolge keine Widersprüche sind.

Was dieses Buch so lesbar macht, ist vor allem die Haltung, mit der es geschrieben wurde. Kreye ist wach den eigenen Vorurteilen gegenüber. Doch er entgeht den Verlogenheiten des liberalen, politisch korrekten Establishments, die jeden bewaffneten Schwarzen oder Latino zum Freiheitskämpfer umlügen. Rassismus und Dummheit gibt es auch in den Ghettos. »Ein Jahr nach den Riots«, schreibt er, »hat sich in Los Angeles nichts geändert. Ganz im Gegenteil. Paranoia und Rassismus beherrschen die Stadt. Kann ich es dem Autobahnpolizisten übelnehmen, daß er sich meinem Wagen spät in der Nacht nur mit gezogener Pistole genähert hat?« Nein, meint er. In der gleichen Woche nämlich wurden zwei Polizisten bei einer Routinekontrolle erschossen.

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