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Verkehr Rastlos auf Achse

Lastwagen verursachen zunehmend schwere Unfälle. Besonders gefährlich: schrottreife Gefährte aus dem Osten.
aus DER SPIEGEL 10/1991

Erst verwandelten Rauhreif, Schnee und Glatteis deutsche Straßen in Rutschbahnen. Dann waberten, vorletzte Woche, auch noch dicke Nebelbänke über die Trassen und senkten die Sicht vielerorts auf unter 50 Meter.

Doch viele Lastwagenfahrer, Profis immerhin, nahmen kaum den Fuß vom Gas. Sie lösten die schlimmsten Massenunfälle seit Jahren aus. Auf der Autobahn Nürnberg-München rasten 3 Lastwagen _(* Auf der Autobahn München-Nürnberg am ) _(20. Februar. ) in einen Stau: 2 Tote, 26 Verletzte. Auf dem Frankenschnellweg in Nürnberg knallte ein Laster aus Saarbrücken auf haltende Wagen: ein Toter, fünf Verletzte. Bei Bad Eilsen, Autobahn 2, donnerte ein polnischer Lkw auf seine Vordermänner - Massenkarambolage: fünf Tote, zahlreiche Verletzte. Ein Polizeisprecher: »Viele sind blind in ihr Unglück gefahren.«

Dieselbe Raserei sorgte Dienstag und Mittwoch vergangener Woche, als Nebel und Glätte sich erneut ausbreiteten, auf Autobahnen wieder für Chaos. Bei Serienunfällen auf bayerischen, baden-württembergischen und hessischen Fernstraßen verkeilten sich Personen- und Lastwagen zu kaum mehr entwirrbaren Schrotthaufen.

In der Unfallträchtigkeit der von der Eigenwerbung zärtlich als »Brummis« verharmlosten tonnenschweren Gefährte sieht ein Sprecher des ADAC »einen Trend, der katastrophal ist«, und Bild urteilte: »Die ,Könige der Landstraße'' sind zum Schrecken der deutschen Autofahrer geworden.«

Tatsächlich werden Landstraßen und Autobahnen durch die ständig wachsende Laster-Lawine nicht nur immer stärker verstopft, sondern auch überproportional gefährlich.

Zwar machen die 1,8 Millionen Transporter nur rund fünf Prozent aller deutschen Kraftfahrzeuge aus. Doch bei jedem dritten Massenunfall auf der Autobahn ist mindestens ein Laster beteiligt. Bei diesen Karambolagen kommt es nach einer Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) sogar zu 64,6 Prozent aller Autobahn-Toten. Fahrzeuge des Schwerverkehrs (Laster und Busse) sind zudem, relativ zur Fahrleistung, laut BASt seit Jahren doppelt so häufig an einem Autobahn-Crash mit Toten beteiligt wie Personenwagen.

So kutschieren viele Trucker mit ihren oftmals gefährlichen Gütern in kaputten Kisten zu schnell und zu lange über weite Strecken. Mindestens jeder zweite Laster-Lenker, stellte jetzt das bayerische Gewerbeaufsichtsamt fest, verstößt gegen die Vorschriften. Häufigste Übertretung: Die Arbeits- und Ruhezeiten werden nicht eingehalten.

Einer der in Bayern überprüften Trucker saß bereits 47 Stunden hinterm Steuer, pausenlos. Auf der Autobahn zwischen Hamburg und Hannover wurde ein Fahrer gestoppt, der leicht brennbare Flüssigkeit transportierte. Der Mann saß rauchend am Volant, war bereits 23 Stunden rastlos auf Achse und hatte 2,07 Promille im Blut. Daß die Fahrer zumeist nicht freiwillig auf die Ochsentour gehen, stellte die bayerische Gewerbeaufsicht gleichfalls fest: 78 Prozent aller überprüften Fuhrunternehmer hatten gegen die Arbeitszeitordnung verstoßen.

Dabei hat der TÜV Bayern schon vor drei Jahren anhand der Unfallstatistik nachgewiesen, daß bei Berufskraftfahrern von der siebten Stunde an das Risiko einer Karambolage kräftig steigt. Zwischen siebter und neunter Stunde, so der TÜV, kommt es zu 61,5 Prozent mehr Unfällen als in den ersten drei Fahrstunden: Nach sieben Stunden Tour verdoppelt sich die Reaktionszeit, nach neun Stunden verdreifachen sich die Schrecksekunden.

In Nordrhein-Westfalen stellten Kontrolleure fest, daß rund die Hälfte aller Verstöße bei Gefahrguttransporten im Überschreiten der erlaubten Höchstgeschwindigkeit lag. Und in Frankfurt ermittelte die Polizei sogar erhebliche Mängel an hochgefährlichen Tanklastwagen: Von 43 untersuchten Fahrzeugen wiesen nur 8 keinerlei Macken auf. Bei den anderen reichte die Fehlerliste von defekten Warnleuchten bis zu kaputten Bremsanlagen.

Zu einem vernichtenden Fazit kamen auch Wissenschaftler der Gesamthochschule Kassel, die knapp 200 Lkw-Fahrer längere Zeit unter die Lupe genommen hatten: »Ihre Risikobereitschaft ist eindeutig zu hoch. Ihre bisweilen gefährliche _(* An der deutsch-österreichischen ) _(Grenze. ) Überheblichkeit, gewissermaßen von oben herab auf die anderen Autofahrer herunterzuschauen, ist unabhängig von Marke und Modell.«

Die Gefahr durch solche Straßen-Rambos hat sich im vereinten Deutschland noch erhöht. Laut Einigungsvertrag dürfen die einstigen DDR-Kraftfahrzeuge mit ihren minderen Sicherheitsstandards noch jahrelang auf deutschen Straßen stinken und stottern. Marode Laster rollen zudem verstärkt aus Polen und Bulgarien, aus Rumänien und der Türkei gen Westen.

Die bayerische Grenzpolizei an den Übergängen nach Österreich und der Bundesgrenzschutz an Oder und Neiße entdecken bei Stichproben immer wieder haarsträubende Mängel an Lastern. Mal sind Reifen abgefahren, mal Rahmen und Achsfedern gebrochen. Schäden an Bremsschläuchen fanden Grenzer ebenso wie verölte Bremsbelege und defekte Bremsventile.

Zwar gibt es keine Übersicht darüber, wie viele ausländische Schrott-Brummis mit gefährlicher Ladung über deutsche Straßen kurven. Doch jedes Jahr werden allein an der bayerisch-österreichischen Grenze Zehntausende dieser tückischen Trucks auf die Standspur gelotst oder gleich zurückgeschickt. »Wenn ich zehn Ostblock-Lkw kontrolliere«, sagt ein Grenzschutzbeamter, »könnte ich acht die Weiterfahrt verweigern.«

So scharf geht es an den deutschen Grenzen denn doch nicht zu. Der Pole, der bei Bad Eilsen die Massenkarambolage mit fünf Toten verursacht hatte und selbst schwer verletzt wurde, beteuerte: »Die Bremsen haben versagt.«

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld erließ Haftbefehl gegen den Mann wegen fahrlässiger Tötung.

* Auf der Autobahn München-Nürnberg am 20. Februar.* An der deutsch-österreichischen Grenze.

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