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Flughäfen Ratten im Labyrinth

Vier Monate nach Eröffnung des neuen »Terminal Mitte« am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt herrscht in dem Milliarden-Terminal technisches und personelles Chaos.
aus DER SPIEGEL 30/1972

Dem Verkehrs-Direktor Rudolf Lange, Vorstandsmitglied der Flughafen Frankfurt AG (FAG), erschien es doch »vielleicht vermessen, von einem Weg zum bestfunktionierenden Flughafen zu sprechen«. Denn, so bekannte er letzten Monat auf der Jahrespressekonferenz des Unternehmens, »es haben sich Schlaglöcher aufgetan, mit denen niemand gerechnet hat«.

Tatsächlich sind vier Monate nach der aufwendigen Eröffnung des neuen Rhein-Main-Flughafens »Terminal Mitte«, den der Bund, das Land Hessen und die Stadt Frankfurt für eine Milliarde Mark erbaut haben, aus Kinderkrankheiten schon chronische Leiden geworden.

Nach einem Kontroll-Rundgang des Frankfurter Oberbürgermeisters Rudi Arndt ("Weil wir soviel Negatives zu lesen, zu hören und zu sehen bekommen hahen") gab die »Frankfurter Neue Presse« eine düstere Prognose für den »Airport der Zukunft« (Titel der FAG-Festschrift): Beschäftigte und Passagiere müßten »noch einige Zeit mit Provisorien, Tücken und langen Wegen leben«

Zwar will FAG-Lange den neuen Jumbo-Bahnhof entschuldigend mit Flughäfen »der Größenordnung London. Paris. Amsterdam, New York. Chicago, San Francisco und Los Angeles« verglichen wissen. Aber der weltläufige Lufthansa-Kapitän Rudolf Braunburg korrigierte (in der »Zeit") solche »leicht ins Gigantische verzerrten Dimensionen": in den USA würde ein Flughafen von Größe und Verkehrsaufkommen des »Terminal Mitte« -- wo 1972 rund zwölf Millionen Passagiere abgefertigt werden -- etwa an 50. Stelle rangieren, weit hinter hierorts so unbekannten Namen wie Opa-Iocka oder Santa Ana.

Ratten, »die gelegentlich vor den verdutzten Passagieren in der unteren Flughafenebene auftauchten«, findet Fernost- und Amerika-Pilot Braunburg entschuldbar, wenn auch »nicht zum letzten Schick eines internationalen Großflughafens« gehörig. Aber: »Nicht entschuldbar ist das Fehlen von ausreichendem menschlichem Service.«

Für die 32 000 Passagiere zum Beispiel, die täglich bei 600 Starts und Landungen in Frankfurt ein- oder aussteigen -- Transit-Passagiere nicht mitgerechnet -, hat die FAG genau 25 Gepäckträger engagiert, vorwiegend Studenten und andere Aushilfskräfte. Sie können noch nirgends etwa durch Klingelzeichen gerufen, sondern allenfalls an ihren orangefarbenen Trikots im Getümmel des weitläufigen Terminals erkannt werden,

Dort freilich, wo Hilfe am dringendsten nötig wäre, sind Träger weder jetzt noch in Zukunft postiert oder erreichbar: in den 15 Kilometer langen Gängen und Schotten der labyrinthischen Tiefgarage.

Die Airport-Spezialistin Ute Lieske, Reporterin der »Frankfurter Rundschau«, addierte ihre Eindrücke auf Rhein-Main. vom Bankschalter bis zur Beschilderung. von der Klimatisierung bis zum Gaststätten-Service: »Warten« Schwitzen, Durst, gegen eine Mauer der Unfreundlichkeit rennen -- das sind die prägnantesten Merkmale, mit denen sich die Fluggäste im Terminal Mitte des Frankfurter Flughafens auseinanderzusetzen haben.« Beispiele:

* Noch immer arbeitet die gesamte Fluginformationsanlage »on test«, weil ständig neue Fehler im 70 Kilometer langen Kabelnetz auftreten -- die Reisenden müssen sich wegen jeder Auskunft über Flugzeit oder Flugsteig vor den spärlich gesäten lnformationsschaltern und Hinweistafeln drängeln.

* Noch lange nicht einsatzfähig ist die voreilig gerühmte vollautomatische Gepackbeförderungsanlage« elektronisch gesteuert und von 12 000 Elektromotoren getrieben -- mit hohem Zeit- und Kostenaufwand muß die FAG vorläufig antiquierte Rollkarren und viel Hilfspersonal dafür einsetzen.

* Die Rollsteige ("Laufkatzen") in den drei Terminaitrakten müssen »wegen der hohen Ausfallquote« (Lange) immer wieder abgeschaltet werden -- die Passagiere müssen dann ihr Gepack viele hundert Meter weit schleppen.

* Die Klima- und Heizanlagen in dem monströsen Glaspalast mit seinen zugigen und verschmutzten Tiefetagen. die zum Teil noch Großbaustellen gleichen, werden erst nach und nach von den Herstellern an die FAG übergeben und bedürfen ständiger Regulierung.

* Ungenügende, zu kleine oder mißverständliche Hinweise und »Piktogramme« (etwa: Kamm und Schere im Mini-Format als Wegweiser für eine lange Entdeckungsreise zum Friseur im Terminal-Untergrund) überlassen In- und Ausländer dem Chaos.

Die Mißverständnisse beginnen auch für Rhein-Main-Kenner bereits auf der Autobahn-Zufahrt zum »Terminal Mitte«, denn ein West- oder Ost-Flughafen existiert gar nicht, nur ein »technischer Bereich« anstelle der früheren Passagier-Anlage. Benutzer der teuersten Tiefgarage Deutschlands (Stunde: 1,20 Mark; Tag: zwölf Mark; drei Wochen: 168 Mark) müssen mit Kopfschmerzen oder Übelkeit rechnen -- obwohl die Belüfter seit dem ersten Kohlendioxidalarm höher geschaltet wurden.

Die Lichtschranken vor den Parkbuchten werden nun nach zahllosen Karambolagen mit einbiegenden Wagen und häufigem Versagen (blockiert trotz freier Plätze) abmontiert; ein Computer soll sie ersetzen. Lotsen und Kontrolleure, die verirrten und verzagten Fahrern den Trip im dreigeschossigen Underground erleichtern könnten, werden weiterhin fehlen.

FAG-Erklärung für die Parkpleite: Beschwerden würden an dem Beauftragten des libanesischen Tiefgaragen-Pächters Alfred Abela scheitern, weil dieser der deutschen Sprache nicht mächtig sei.

Ungeniert verwies die »Offenbach Post« auf vorschriftswidrige Abstellmöglichkeiten an Gebührenzählern oder in Kurzparkzonen. denn »wer nicht gerade verkehrs- oder sichtbehindernd parkt, zahlt für 14 Tage ein Bußgeld von nur zehn Mark«. Deshalb würden schon viele Autofahrer den »polizeilichen Strafzettel dem Einstellplatz in der Tiefgarage« vorziehen.

Den »Bushahnhof« des neuen Terminals entdecken Ankömmlinge aus aller Welt als simple Haltestelle vor dem B-Teil (Auslandsflüge) des Mammut-Gebäudes. An- oder abfliegende Passagiere des A- oder C-Flügels (A = Lufthansa, C = Charterverkehr), auch Greise und Gebrechliche, müssen mangels weiterer Busstationen auf dem Großflughafen mit Kindern und Koffern Hundertmeter-Distanzen zurücklegen. um wenigstens die Taxikosten zur Frankfurter Innenstadt (22 bis 25 Mark) zu sparen.

Die Terminal-Planer haben zudem ein olympiareifes Handikap für die Strecke zum Bus eingebaut: Hinweistafeln steuern die Reisenden mindestens 200 Meter weit -- je nach Startplatz im Terminal -- über Roll- und Steintreppen hinab zur unübersichtlichen Öde der »Null-Ebene« und von dort wieder treppauf zur Bushaltestelle. Oberirdische Entfernung über die Straße: 20 Meter.

Zuvor müssen ankommende Fluggäste ein zeitraubendes Pensum absolvieren, das sich etwa im offiziellen FAG-Taschenflugplan so liest: »Im westlichen, also dem Flugsteig A benachbarten Teil der Ankunfthalle B wird das Reisegepäck der Fluggäste ausgegeben, die mit einer von der Lufthansa in Frankfurt abgefertigten Luftverkehrsgesellschaft aus dem Ausland eintreffen. während die anderen internationalen Reisenden ihre Koffer im östlichen Teil der Ankunfthalle B erhalten.«

Oft-Flieger sollten sich das »Frankfurter ABC« einprägen, um Trimmdich-Läufe durch das neue Terminal zu verkürzen: Im National-Trakt A werden alle Inlandsflüge abgefertigt -- West-Berlin und Bedarfsflugverkehr (C-Trakt) ausgenommen Im International-Trakt B werden alle Auslandsflüge abgefertigt -- die der Lufthansa ausgenommen (A-Trakt). Berlin-Passagiere können zwar im B-Trakt einchecken. müssen aber für PanAm-Flüge über B-, für BEA- und Air France-Flüge über C- Flugsteige zur Maschine. Merke: »Die Maßstäbe sind anders geworden« (FAG-Direktor Lange).

Erstmals in der Geschichte der bundesdeutschen Flughäfen bilden auf dein neuen Frankfurter Airport Passagiere. Piloten und Personal eine Dreieinigkeit der Kritik. Die Crews klagen über bislang nur provisorische Aufenthaltsräume und lange Anmarschwege der Stewardessen. die »sich mit ihrem Koffer nicht gerade imageträchtig wie Kulis abquälen« (Braunburg). Auch sei der endgültige Ruheraum für Besatzungen noch lange nicht fertig,

Die Ortsverwaltung Frankfurt der Deutschen Postgewerkschaft monierte »unwürdige Arbeitsbedingungen« beim größten deutschen Luftpostamt: Die 500 Beschäftigten der Luftpostleitstelle, vorwiegend Frauen, müßten unter einem regendurchlässigen Dach, bei völlig unzureichenden Lichtverhältnissen, mit unzulänglichen sanitären Einrichtungen und ohne Umkleideräume arbeiten, »dafür ist an Zugluft kein Mangel«.

Über ungünstige Licht-, Luft- und Temperaturverhältnisse klagen auch die Angestellten der Bundesbahn. die in den Schächten unter dem Terminal Fahrkarten verkaufen und Züge abfertigen. Sie rügen zudem das ungenügende Hinweissystem sowie die unpraktische Anordnung der Fahrkartenschalter und Ticketautomaten. Ernsthafte Forderung dieser Airport-Geschädigten: eine »Tunnelzulage«.

Dabei bedienen sie den einzigen Service, der tadellos funktioniert -- wofür die Frankfurter Flughafenverwaltung freilich nichts kann.

Schnell (zwölf Minuten), pünktlich (etwa alle 30 Minuten) und billig (Rückfahrkarte Frankfurt-Hauptbahnhof Flughafen: 2,80 Mark) verkehren täglich mehr als 50 Bundesbahn-Zugpaare zwischen Stadt und Airport. Busse hingegen brauchen je nach Verkehrslage für eine Strecke 40 bis 60 Minuten.

Einziger Nachteil der Nahverkehrsdirektzüge, der manchen Flughafen-Flüchtling in Bedrängnis bringen mag: Die Klosett-Türen sind verriegelt und mit einem Schild versehen -- »Keine Toilettenbenützung auf der Flughafenbahn«.

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