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RATTENFÄNGER WIDER WILLEN

aus DER SPIEGEL 21/1970

Es ist also doch noch gelungen, Deutschland auf der Expo 70 angemessen darzustellen: vermittels einer Invasion. Noch so ein Tag, so deutsch wie dieser, und man wird die Jumbos einsetzen müssen.

Denn das macht uns hier so schnell keiner nach: Freddy Quinn, das Orchester Max Greger (18 Personen), der Bielefelder Kinderchor (34 Personen), die Kessier-Zwillinge, das Medium-Terzett, die Wendlinger Schrammeln, das Düsseldorf-Hammer Fanfarenkorps nebst Tanzpaar (20 Personen), Rollschuhläufer, Trampolinturner, Kunstradfahrer, Berliner Modemädchen, ganz zu schweigen von den Berliner Philharmonikern.

Sodann über 30 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen, von denen einige dankenswert darum bemüht waren, darzutun, daß Deutschland nicht nur von Stockhausen und seinen Elektronikern, sondern auch von Menschen der allerschlichtesten Geistesart vertreten werden kann. Ferner Außenminister Scheel mit einem runden Dutzend Reisebegleiter, derzeit in der heitersten Laune unterwegs durch Fernost. Dann natürlich die Bayern, die zum säuberlich vom »Deutschen Tag« getrennten »Münchner Tag« auf der Expo vorsichtshalber auch eine Augsburger Delegation entsandt hatten. Und schließlich zwei Luftwaffen-Boeings auf Kontingent Bundespräsidialamt, eine davon voll, die andere als Reserve.

Und Gustav Heinemann. Eigentlich gehört hinter den Satz ein Fragezeichen. Denn es ist und bleibt -- eine Frage, ob der Bundespräsident die gewiß gewünschte Aufgabe, Deutschlands respektvolles Interesse an der »japanischen Herausforderung« durch seine persönliche Anwesenheit zu bekunden, überhaupt erfüllen kann, wenn er einer Art verstaatlichtem Massentourismus vorgespannt, wenn er zum Orientierungspunkt einer deutschen Sternfahrt auf die Expo gemacht wird.

Heinemanns Wahl zum Staatsoberhaupt hat in Japan damals erstaunlich viel Interesse gefunden, und an seiner Eignung, das auf Beethoven, Goethe, Wilhelm II. und Mercedes fixierte Deutschlandbild der Japaner korrigieren zu helfen, ist kein Zweifel. Nur ist dieses Potential nirgends schlechter eingesetzt als ausgerechnet da, wo Düsseldorfer Karnevalisten im Landsknechthabit für Deutschland trompeten, oder selbst da, wo der in Japan als Halbgott verehrte Herbert von Karajan die Neunte zelebriert.

Er hat das absurde Theater der Expo noch nicht einmal wie ein Tourist durchmessen, eher schon wie ein Rattenfänger wider Willen und mit einem Gesicht wie der herrliche Dulder Odysseus, wenn ihn die Frage beschäftigt, ob nicht daheim bei Penelope derweil die Bratkartoffeln anbrennen. Die Eroica aus der Konserve, die dem Bundespräsidenten-Trupp im deutschen Pavillon vorgespielt wurde, überstand Heinemann, erkennbar amusisch, indem er gelegentlich ein Stäubchen von der Jacke entfernte, mit den Fingern spielte und sein Programm konsultiert. »Rot zwingt blau raus«, konstatierte Walter Scheel, als er In der finsteren Ästhetik der unterirdischen Abteilung des deutschen Pavillons das riesige Glasmodell des menschlichen Kreislaufes betrachtete, das den Blutstrom durch rote und blaue Lichteffekte symbolisiert.

Nur im russischen Pavillon verriet Heinemann ein gewisses Engagement, machte auch schon mal selber einen kleinen Scherz und posierte schließlich mit Scheel, ganz im Sinne der neuen Bonner Ostpolitik, für die Photographen unter einem Lenin-Gemälde.

Doch die geringen Gelegenheiten, die sich ihm noch bieten, politischeres Engagement zu demonstrieren, läßt Heinemann nun mal nicht aus. Hingegen kann er mit der Musik, dem Thema des deutschen Expo-Beitrages, erklärtermaßen nicht viel anfangen. Und Ausstellungen verabscheut er gar, seit er sie offiziell besuchen muß und sich dabei selber als Ausstellungsgegenstand vorkommt.

Also wollte er eigentlich auch gar nicht auf die Expo. Die Einladung der japanischen Regierung, eine dem Schmetterlingsfang vergleichbare Sammelbestellung bei allen teilnehmenden Ländern, erreichte ihn bald nach seiner Wahl und traf ihn schon deshalb abgeneigt an, weil er Lübkes Globetrotterei nicht fortzuführen gedachte. Aber nicht nur Lübke, auch Heuss war früher zur Weltausstellung gefahren. Das schuf Tradition.

Kurz nach seinem Amtsantritt akzeptierte der Bundespräsident und verlor die Sache dann eine Weile aus den Augen. Unterdessen füllten sich die Bonner Bereitstellungsräume mit Expo-Invasoren der unterschiedlichsten Couleur und Gewichtigkeit. Als Heinemann im Verlauf der Vorbereitungen hörte, wie viele Leute allein in seiner Maschine mal schnell mit auf die Weltausstellung fliegen wollten, sagte er, wenn das so sei, dann würde er seinen Platz gern zur Verfügung stellen.

Der Anflug von Resignation, mit dem Gustav Heinemann nach diesem grimmigen Scherz der Angelegenheit Japan-Reise mehr oder minder ihren Lauf ließ, der wich auch während der Reise selbst nicht von ihm. Fast könnte man sagen, der Bundespräsident reiste nicht, er wurde gereist. Mindestens empfand er es selber so und verbarg es nicht.

Darin steckt, was ihn betrifft, eine neue Erfahrung. Es ist nicht nur die Erkenntnis, als Bundespräsident das zu sein, was er selber die »Bundesklagemauer« nennt, und den vielen Beschwerden, die er zu hören bekommt, in der Regel doch nicht abhelfen zu können. Es ist auch die Erkenntnis, daß sein Amt ihm aufnötigt, Dinge zu tun oder mindestens geschehen zu lassen, die zwar nicht gegen seine Überzeugung sind, aber doch gegen seinen way of life, gegen seine einzige Möglichkeit, sich selber darzustellen: nämlich als Gustav Heinemann.

Auf der Expo-Reise stellte der wahre Gustav Heinemann sich allenfalls in Hiroshima dar. Der Abstecher dorthin war sein Wunsch: »Ich meine, daß das, was in Hiroshima passiert Ist, die Menschheit im Ganzen angeht. Hiroshima dokumentiert, daß die Menschheit sich selber auszutilgen vermag. So gesehen, hat Hiroshima eine ungleich größere Bedeutung als andere Schlachtfelder wie Waterloo, Verdun, Stalingrad.«

Aber auch hier blieb eine Differenz zwischen Absicht und Wirkung. Sie drückte sich aus in dem von der Moral wie von der Emotion gleichermaßen bestimmten Abstand zwischen der Inschrift auf dem Zenotaph von Hiroshima: »Ruhet in Frieden, Der Irrtum soll sich nicht wiederholen« und der Fürbitte, die Gustav Heinemann spontan ins Gästebuch der Friedenskathedrale schrieb: »Herr, gib uns Frieden um Christi willen.«

Hiroshima ist eine wiederaufgebaute, eine blühende Stadt, Die auf eine geschmackvolle Weise ausdrucksamen

* Vor dem Toril Tor in Hiroshima.

Mahnmale der Vergangenheit sind für die Japaner heute eine Touristenattraktion unter anderen. Und auch wenn der japanische Ehrenbegleiter des Bundespräsidenten in dem mit grauenhaften Erinnerungsstücken angefüllten Atombombenmuseum nicht zuweilen in schallendes Gelächter ausgebrochen wäre, hätte Heinemann wohl erkennen müssen, daß die Japaner »diesen Teil ihrer Vergangenheit vollständig verdrängen wollen, eine ganz neue Seite aufschlagen wollen im Buch ihrer Geschichte.

Alles andere, den Besuch bei Kaiser Hirohito ausgenommen, war ohnehin Tourismus -- und noch nicht einmal besonders guter. Denn wenn die höflichen Japaner ihre ärgerliche Verwunderung über die Massierung des deutschen Aufgebots auch nicht laut werden ließen -- das Beste vom Besten war bei dem infernalischen Expo-Andrang für so viele eben nicht mehr zu haben.

In Kioto kamen die Heinemanns um den Genuß der Teezeremonie, angeblich weil deutsche Reporter, die vor Jahresfrist Kurt Georg Kiesinger dorthin begleiteten, den Rasen nicht geschont und die Akteusen der Zeremonie Geishas genannt hatten, was in diesem Zusammenhang einer Herabwürdigung gleichkommt. Und Ihren Ruhetag, den Montag letzter Woche, verbrachte die Gruppe Heinemann bei Nieselregen in einem schönen, aber von amerikanischen Reisenden überwiegend weiblichen Geschlechts überfluteten Hotel in Miyonashita. Die Damen aus USA stellten zum Abschied denn auch das obligate Gruppenbild mit »Mr! President«, nicht ohne dem Bonner Protokollchef, Botschafter Schwarzmann, für dessen Assistenz 200 Yen (etwa zwei Mark) Trinkgeld zu geben.

Peinlich auch, daß Josefa Noa, 64, Rentnerin aus Köln, die der Präsident, oder besser seine Frau, auf einen entsprechenden Bittbrief hin zu ihrer Tochter nach Japan mitgenommen hatte, offenbar nicht ganz so bedürftig war, wie das Petitionsreferat des Präsidialamts im Benehmen mit dem Kölner Sozialamt in fliegender Hast ermittelt zu haben glaubte. Bereits auf dem Hinflug, als die resolute Dame freimütig von ihrem nur vier Wochen zurückliegenden, durch ein Visum im Paß bewiesenen Aufenthalt in New York zu erzählen begann, regte sich bei einzelnen Mitreisenden der Verdacht, Josefa Noa habe mehr Ähnlichkeit mit der immer schwarzfliegenden Dame aus dem Roman »Airport« als mit der deutschen Rentnerin vom Dienst im Sinne des Bürgerpräsidenten.

Doch Gustav Heinemann blieb einigermaßen ungerührt. Josefa Noa, entschied er sogleich, sei in der von Ihm gern als »Luftschiff« oder als »Zeppelin« apostrophierten Luftwaffen-Boeing »Otto Lilienthal« auch wieder zurückzunehmen. Und so tauften die PK-Berichterstatter dieser deutschen Expo-Invasion den »Zeppelin« im stillen auf den Namen: Heinemanns Arche Noa.

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