ÖSTERREICH Raub des Jahrhunderts
Erzherzog Carl Ludwig, 1918 geborener Sohn des letzten österreichischen Kaisers Karl I. hat genug vom dürftigen Leben. Er und die übrigen Habsburger wollen endlich Geld. Sie wollen es von der heutigen Republik Österreich.
Die Verwandten und Nachfahren des einstigen Herrscherhauses, das in Wien rund 650 Jahre lang regierte, begehren. ihnen das »1919 widerrechtlich beschlagnahmte Habsburg-Vermögen endlich wieder zurückzugeben«, so Carl Ludwig.
Der Wiener Rechtsanwalt Wolfram Bitschnau hat Ende April im Auftrag seiner nobelgeborenen Klientel sowohl beim österreichischen Verfassungs- als auch beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde eingereicht. Notfalls will er bis zum Europäischen Gerichtshof in Straßburg gehen. Bitschnau: »Es gilt, eine nationale Schande zu tilgen«.
Unterstützt wird die Causa Habsburg contra Österreich durch ein Buch des Tirolers Hermann A. Griesser, das wohl nicht durch Zufall jetzt erschien. _(H. A. Griesser: »Konfisziert. ) _(Österreichs Unrecht am Hause Habsburg«. ) _(Amalthea-Verlag, Wien, München. )
Der Autor führt dort den ursprünglichen Besitz des Erzhauses penibel auf und beschuldigt die republikanischen Politiker, den »Raub des Jahrhunderts« begangen zu haben.
Großzügig sind die Österreicher mit der Familie ihrer Kaiser nicht umgesprungen. Nur die Russen, die den Zaren samt Anhang ermordeten, begingen das Ende der Monarchie noch radikaler. Die Deutschen waren »vergleichsweise fast moderat«, so Bitschnau.
Als Karl der Erste und letzte nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg nach nur zweijähriger Herrschaft gezwungenermaßen »auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften« verzichtete, ohne freilich formell abzudanken, verlor er das Riesenreich der k.u.k. Monarchie vom Arlberg bis nach Lemberg, in dem sich 13 Völkerschaften lange leidlich vertragen hatten, die Krone, die Heimat und sogar den Notgroschen
Die neue Regierung unter dem Sozialdemokraten Karl Renner machte Tabula rasa. Sie begnügte sich nicht damit, die engere Herrscherfamilie des Landes zu verweisen, sondern verjagte auch alle ferneren Verwandten, so sie nicht willens waren, eine »Verzichtserklärung« zu unterschreiben und ausdrücklich ihre »Mitgliedschaft zum Hause Habsburg-Lothringen« aufzukündigen.
Im sogenannten Habsburger-Gesetz vom April 1919 erklärte sich die Republik kurzerhand zur Eigentümerin der gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens der vertriebenen Großfamilie.
Die diversen Erzherzöge und Erzherzoginnen durften lediglich das speziell deklarierte »persönliche Privatvermögen« behalten - laut Griesser mit wenigen Ausnahmen so gut wie nichts.
Die junge Republik nahm sich nicht nur das »hofärarische Vermögen«, also das Krongut, zu dem etwa die prachtvolle Wiener Hofburg und die Schlösser Schönbrunn und Laxenburg gehörten. Sie kassierte auch Bibliotheken, Kunstsammlungen und Vermögenschaften, darunter den »Familienversorgungsfonds«, bestehend aus Mietshäusern, Landsitzen und Liegenschaften von etwa 27000 Hektar.
Dabei handelte es sich um das gebundene Familienvermögen, aus dem sämtliche Apanagen und die Unterstützungsgelder für bedürftige Angehörige des Kaiserhauses bezahlt worden waren. Die Gründung des Fonds geht auf den geschäftstüchtigen Kaiser Franz I. (1708 bis 1765) zurück, den Gemahl der Maria Theresia, der im Siebenjährigen Krieg nebst seiner österreichischen Gattin auch deren preußischen Todfeind Friedrich den Großen mit Kanonen belieferte.
Und weil ihr das offenbar nicht genug schien, strich die Republik zusätzlich noch das »Kaiser-Franz-Joseph-Kron-Fideikommiß« ein, eine Vorsorgestiftung des offenbar pessimistischen Monarchen für den Fall, daß »infolge der geschichtlichen Entwicklung die Krone nicht bei unserem Hause bleiben sollte«. Im wesentlichen bestand die Stiftung aus dem steiermärkischen Schloß Mürzsteg, in dem der heutige österreichische Bundespräsident gern seinen Urlaub verbringt.
1922 starb Exkaiser Karl, 34, in einer feuchten Villa auf Madeira an Lungenentzündung. Seine Witwe Zita erhielt von der Republik weder Entschädigung noch Rente. Sie und ihre acht Kinder blieben auf Zuwendungen wohlhabender Aristokratenfreunde angewiesen.
Die einzige sichere Lieferung war der jährliche »Weinzehent«, den Kanzler Fürst Metternich einst dem jeweiligen Chef des Hauses Habsburg eingeräumt hatte: Alljährlich um die Weihnachtszeit traf verläßlich eine Ladung flüssiger Naturalien aus dem fürstlich Metternich-Winneburgschen Weingut Johannisberg im Rheingau auf Madeira ein.
Wir Kinder sind sehr oft barfuß gelaufen, weil wir zuwenig Schuhe besaßen, erzählt Zitas ältester Sohn Otto, für die Monarchisten »Kaiserliche Hoheit, für die Republik »Dr. Otto Habsburg«, über seine beschwerlichen Jugendjahre.
Noch schlimmer erging es den weniger bekannten Habsburgern, vor allem den betagten und nicht mehr arbeitsfähigen. Von den ehemals 124 Nutznießern des _(Mit Gemahlin Zita und Sohn Otto bei der ) _(Krönung zum König von Ungarn 1916. )
Familienversorgungsfonds lebten viele nahe am Existenzminimum.
1923 kam es zwischen dem Freistaat Bayern und Wittelsbach, dem einstigen Herrscherhaus, zu einem Finanzausgleich. 1926 zahlte der preußische Staat den Hohenzollern 30 Millionen Reichsmark. Nicht so Österreich.
Es beharrte auf dem Standpunkt Karl Renners, die Enteignung sei der Herrscherfamilie als,''Werk der Sühne für einen mutwillig vom Zaun gebrochenen Krieg« auferlegt worden und könne daher unmöglich rückgängig gemacht werden.
1935 schließlich, als der christlich-soziale Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg einlenkte und die Gründung eines neuen Familienfonds verfügte, war es zu spät. Ehe die Habsburger den wiedererlangten Besitz nutzen konnten, marschierte Hitler in Österreich ein. Ein Nazigesetz vom März 1939 enteignete sie zum zweiten Mal.
Auch in den fast fünf Jahrzehnten, die seither vergingen, ist nichts Entscheidendes geschehen. Keiner der inzwischen ergrauten Habsburg-Anwälte hat die Österreicher zum Zahlen gebracht.
Geändert hat sich allenfalls die Zahl der theoretisch Berechtigten. Bei Berücksichtigung der inzwischen üblich gewordenen Gleichstellung von Männern und Frauen, ehelichen und unehelichen Kindern, könnten es heute statt der ursprünglichen 124 rund 500 Personen sein.
Haus-Chef Otto verfolgte die Vermögensfrage bislang nicht. Ihm ging es zunächst darum, den noch immer Habsburg-feindlichen österreichischen Sozialisten statt des Geldes die Einreiseerlaubnis abzutrotzen.
»Wir waren der Meinung, daß die ohnehin aussichtslose Vermögensforderung unserer Sache mehr schaden als nützen würde«, erinnert sich Anwalt Bitschnau.
Heute erübrigen sich solche Rücksichten. Die Landesverweisung der Habsburger ist weitgehend hinfällig geworden. Chef Otto, bei Starnberg ansässig und hauptberuflich Europa-Parlamentarier für die CSU, gab die geforderte Verzichtserklärung ab und durfte das Land seiner Väter wieder betreten, sogar Ex-Kaiserin Zita besuchte Österreich 1982 Ottos Kinder und das Gros der Verwandtschaft sind gemäß einem Bescheid des Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 1980 davon befreit, weil sie als Nachgeborene nicht mehr zum »Hause Habsburg-Lothringen zählen« - dieses hat ja de jure am Geburtstag der Republik aufgehört zu existieren.
Auch juristisch scheint sich nun erstmals ein gangbarer Weg aufzutun, um »die Verewigung des Unrechts von 1919 zu stoppen« (Bitschnau). Neue Gutachter meinen, das Habsburger-Gesetz widerspreche sowohl dem Friedensvertrag, den die Kriegsgegner mit dem besiegten Österreich 1919 in St. Germain schlossen, wie der Europäischen Menschenrechtskonvention. In deren Zusatzprotokoll Nummer 1 steht ausdrücklich, daß »niemandem sein Eigentum entzogen werden« darf.
Erzherzog Carl Ludwig hält die Vermögensbeschlagnahme von Anfang an für rechtswidrig. »Wenn es gar nicht anders geht«, möchte er die in seinen Augen säumige Republik mit Hilfe des Straßburger Europäischen Gerichtshofs zum Zahlen zwingen.
Am Ende dürfte sich dann allerdings herausstellen, daß der Streit um des Kaisers Habe eigentlich nur ein Prinzipienstreit war.
Erzherzog Carl Ludwig kennt sehr wohl die beschränkte Finanzkraft des ohnehin schwer verschuldeten Österreich. Mit der vollen Entschädigungssumme, die sich inklusive der vorenthaltenen Erträge von 67 Jahren auf gute 28 Milliarden Mark hochrechnen wäre die Donaurepublik völlig überfordert.
Hermann A. Griesser glaubt zu wissen, daß die Habsburger inzwischen mit 100 Millionen Mark zufrieden sind.
H. A. Griesser: »Konfisziert. Österreichs Unrecht am HauseHabsburg«. Amalthea-Verlag, Wien, München.Mit Gemahlin Zita und Sohn Otto bei der Krönung zum König von Ungarn1916.