Zur Ausgabe
Artikel 5 / 56

PSYCHOLOGISCHE VERTEIDIGUNG Rauch am Horizont

aus DER SPIEGEL 39/1958

Die 5. Panzerdivision übte in der Lüneburger Heide Krieg. Manöverpartei Rot war überraschend in die Bundesrepublik eingedrungen und suchte nach Bremen vorzustoßen. Manöverpartei Blau hatte es schwer: Der Manöverplan erlaubte ihr nicht, die Manöverparole des Bundespräsidenten - »Nun siegt mal schön!« - zu befolgen; sie mußte sich zurückdrängen lassen.

Die Roten dagegen durften sich sogar der neuesten Siegesmethoden bedienen: Sie attackierten die Blauen nicht nur mit Platzpatronen, sondern auch psychologisch.

Rote Flugzeuge ließen Flugblätter auf die blauen Panzergrenadiere rieseln, rote Lautsprecherwagen rollten bis in die Hauptkampflinie, verschonten den Kampflärm mit Tanzmusik und dröhnten antikapitalistische Sprüche über die Heidebüsche:

»Kameraden, ihr habt Vorfahrt in den Tod. Wollt ihr das? Macht gemeinsame Sache mit uns gegen die westlichen Besatzer. Während ihr den Kopf hinhaltet, suchen sie das Weite . . . Auf allen Straßen nach Westen haben die Fremden Vorfahrt. Was kümmert sie die deutsche Wiedervereinigung! Kommt, ehe es zu spät ist und der Atomtod unser Vaterland in einen Friedhof verwandelt! Ihr sitzt schon wieder im falschen Bus. Steigt aus - noch ist es nicht zu spät. Kommt, - Kameraden!« Und: »Hört auf mit dem Bruderkrieg. Wir sprechen eine gemeinsame Sprache und haben ein gemeinsames Vaterland.« Dazu das Lied: »Kinder, ist das Leben schön!«

Doch die Blauen blieben fest. Sie setzten sich zwar planmäßig weiter ab, aber keiner lief über. Überlaufen stand nicht im Manöverplan.

Ob der Plan in dieser Hinsicht realistisch war, wird nur die Zukunft erweisen können, wozu es erfreulicherweise keines Schießkrieges bedarf: An psychologischem Geplänkel ist heutzutage auch in Friedenszeiten kein Mangel. Mehr als das: Im Bonner Verteidigungsministerium ist man überzeugt, daß der psychologische Kampf im sogenannten Frieden der Hauptteil, das scharfe Schießen nur der Schlußakt des modernen Krieges ist.

Ein ungenannter, unverkennbar dem Strauß-Ministerium sehr, sehr nahestehender Autor verkündete den Primat der Psychologie in der letzten Ausgabe der Zeitschrift »Wehrkunde« mit wuchtigem Pathos:

»Die Agitprop des Gegners bildet nicht nur den Voraustrupp, sondern führt auch bereits den Krieg mit dem Giftgas der Aufhetzung und Drohung, der von der Artillerie der praktischen Infiltration oben und unten begleitet und vom Frontalangriff des bewaffneten Aufstandes gefolgt und gewonnen wird; der Heiße Krieg ist dann nur noch ein Teil davon.«

Und weiter: »Der psychologische Angriff ist der Krieg der Gegenwart, die psychologische Verteidigung die Forderung der Stunde, die psychologische Kampfführung derjenige Teil der militärischen Aufgaben, dessen Rüstungselemente heute schon für den sofortigen Einsatz benötigt werden.«

Solche »Rüstungselemente« für den Psycho-Krieg sind andernorts schon vorhanden, beispielsweise in Schweden, wo ein »Komitee für die Planung der Psychologischen Kriegführung« in einem amtlichen Memorandum Ziele und Methoden dieser Kampfesart analysiert hat. Das Ziel der Psycho-Krieger ist danach

- »einerseits die Schwächung des Widerstandsgeistes der feindlichen Nation

und des Kampfwillens der feindlichen Truppen ...

- »andererseits die Stärkung des Willens

und der Kraft des eigenen Volkes zum Durchhalten und des Kampfgeistes der eigenen Truppen.«

Um dieses Doppelziel zu erreichen, verbreitet die Psychologische Kriegführung - wiederum nach schwedischer Definition - »sachliche Angaben, Meinungen und Symbole mit Hilfe des gesprochenen, geschriebenen oder gedruckten Wortes oder mit Hilfe von Bildern oder irgendeines anderen Mittels, das Stimmungen und Gefühle übertragen kann«.

Genau nach diesem Rezept will nun auch Bonns Verteidigungsminister Strauß mit Hilfe ziviler und uniformierter Spezialisten seinen psychologischen Krieg führen. Strauß erklärt allerdings, eingedenk der defensiven Nato-Strategie, sich vorerst mit reinen Abwehraktionen bescheiden zu wollen, weshalb die Psychologische Kriegführung in der Bonner Ermekeilkaserne denn auch vertrauenerheischend

Psychologische Verteidigung heißt (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 16).

Das Motiv für dieses neue Strauß-Unternehmen lieferte das auch sonst um die Vertiefung der innerdeutschen Gegensätze stets eifrig bemühte Pankow, indem es eine Reihe freilich eher alberner als wirkungsvoller Psycho - Attacken gegen die Bundeswehr startete. Die Pläne dazu wurden in den Abteilungen »3000« und »6000« des »DDR«-Ministeriums für Staatssicherheit in Zusammenarbeit mit dem »DDR« -Ministerium für Nationale Verteidigung ausgeknobelt.

Die Kampagne gegen die Bundeswehr begann im Sommer 1956 mit einer »Aktion Gestellungsbefehl«. Die Psycho-Krieger des Ostens versuchten, in der Bundesrepublik Verwirrung zu stiften, indem sie an Wehrpflichtige gefälschte Gestellungsbefehle verschickten: »Gemäß dem Gesetz des Deutschen Bundestages vom 21. Juni 1956 über

die allgemeine Wehrpflicht haben Sie Ihrer 18monatigen Wehrpflicht in der deutschen Bundeswehr zu genügen und sich am 2. Januar 1957 in Hannover, Hindenburgkaserne, Langensalza-Straße, zu melden. Militärbezirk II; von Fink, Major.«

Diese »Aktion Gestellungsbefehl« scheiterte, weil die westdeutsche Polizei die Mehrzahl der falschen Gestellungsbefehle abfing, ehe sie die Adressaten erreichten.

Die wenig später per Eilboten verschickten »Einberufungsbefehle« aus Pankow kamen wenigstens teilweise in die Hände der Empfänger: »Nach Bundeswehrdienstgesetz vom 15. März 1956, §§ 3 und 4, Absatz 1 und 2, haben Sie sich am 15. Juli 1956 bis spätestens 10 Uhr beim Nato-Regiment I (zbV) in Andernach, Theo-Blank-Kaserne, Mac Cloy-Straße 11, zur Ableistung Ihrer Wehrpflicht zu stellen. Mitzubringen sind: 1. Einberufungsbefehl und Wehrpaß, 2. alte Wehrmachtspapiere und Auszeichnungen, die sofort auf der Schreibstube abzugeben sind, 3. eine Bescheinigung des Arbeitgebers,

daß das Arbeitsverhältnis beziehungsweise der Lehrvertrag unwiderruflich gekündigt ist.«

Unter diesen »Einberufungsbefehl« waren ein Bundes-Dienstsiegel mit der Inschrift »Kriegsministerium, Wehrbezirkskommando Essen V« sowie die Unterschriften »Bill Wolter, Colonel« und »Matzky, Oberst« gesetzt.

Auf der Rückseite standen die »Besonderen Anordnungen": »Vom Gestellungstag 0.00 Uhr ab haben Sie keinen Anspruch mehr, als Mensch behandelt zu werden, da Sie restlos den Militärstrafgesetzen aus dem Jahre 1940 unterworfen sind. Den Staatsbürger in Uniform gibt es nicht.... Sie haben kein Recht, Anstoß daran zu nehmen, wenn Ihre vorgesetzten Offiziere in der Regel Kriegsverbrecher sind... Jeder Versuch ihrerseits, eine Uk-Stellung zu erreichen oder sich als Kriegsdienstverweigerer auszugeben, ist zwecklos.«

Außerdem: »Wir erwarten, daß Sie Ihrer Einberufung pünktlich Folge leisten. Der Aufbau der Wehrmacht ist ernsthaft gefährdet, da sich ein großer Teil Wehrpflichtiger der Einberufung entzog und sich in die Deutsche Demokratische Republik begab, weil es dort keine Wehrpflicht gibt und Schutz vor Verfolgung durch die Organe der Bundesrepublik gewährt wird...« Und: »Da Sie nicht zur Verteidigung, sondern zum Angriff gegen den Osten vorgesehen sind, ist Ihnen zu empfehlen, sich eingehend mit der Planung des amerikanischen Generalstabs vertraut zu machen.«

Verriet dieser platt-polemische Text ohne weiteres die kommunistische Herkunft des »Einberufungsbefehls«, so sah der »Ausmusterungsbescheid«, der zur Störung des Bundeswehr-Aufbaues im Herbst 1956 verschickt wurde, ziemlich echt aus: »Es wird mitgeteilt, daß Sie bei der Erfassung zur Musterung von Wehrpflichtigen ausgenommen werden. Sie werden laut Gesetz § 46, Absätze 2 und 3, nicht zum Grundwehrdienst - Wehrübungen - noch zu irgendeinem Wehrersatzdienst in der BR herangezogen.

»Dieser Bescheid hat Gültigkeit bis auf Widerruf. Eine Wiederverwendung erläßt der Bundesminister für Verteidigung. Sollten durch die dortige Musterungskommission oder andere Behörden irrtümlicherweise Aufforderungen gleich welcher Art an Sie ergehen, so haben Sie diesen keine Beachtung zu schenken noch Folge zu leisten.

»Sie gelten als ausgemustert (§ 9, 10 und 11 Wehrpflichtgesetz). Dieser Bescheid gilt als Dokument.«

Harmloser, weil unverkennbarer kommunistisch ist die Anti-Wehrpropaganda des Ostberliner Deutschlandsenders und des bei Magdeburg stationierten »Freiheitssenders 904«. Auch die vom Verlag der ostzonalen Volksarmee herausgebrachte Flugschrift »Die Kaserne« kann ihre Urheber trotz der westlichen Pin-up-Titelseiten nicht verleugnen. Ihr einprägsames Motto: »Es ist fünf Minuten vor zwölf, der Rauch des Krieges steht schon am Horizont.«

Die frei erfundenen Tatarenmeldungen dieses Blättchens, von kommunistischen Agitatoren in einfallsloser, ermüdender Hetzmanier verfaßt, verschlagen in den Bundeswehr-Kasernen so gut wie nichts. Beispiele von »Kaserne«-Meldungen: - »Abgeschossen wurde der 39jährige Pilot Horst Breuer aus Wiesbaden mit seiner Maschine bei einer Übung des Traunsteiner Gebirgsjäger-Flakbataillons 8.«

- »Weil er die Schikanen seiner Vorgesetzten nicht länger ertragen konnte, erschoß sich der 19jährige Soldat Konrad Löhr (1. Geb.-Div. Mittenwald) im Kasernenbereich mit seinem Dienstkarabiner. Es ist erschreckend, in welchem Maße die Selbstmorde in der Bundeswehr von Woche zu Woche zunehmen.«

- »Der kriegsfreiwillige Kammhuber-Soldat Leo Scholven hat die 34jährige Theresia Czech aus Memmingerberg mit einem Seidenstrumpf erdrosselt.«

- »Völlig nackt, sozusagen als typisch Straußscher ,Staatsbürger ohne Uniform', lauerte ein Soldat vom Flugplatz Uetersen Frauen und Mädchen auf der Chaussee Appen-Uetersen auf.«

Nur wenig verfänglicher wirkte die Psychologische Kriegführung der Volksarmee, wenn sie ihre Attacken auf die Nahtstellen zwischen Bundeswehr und

Öffentlichkeit sowie zwischen Vorgesetzten und Untergebenen richtete. So kamen zu Soldatenfrauen, die wegen Wohnungsschwierigkeiten von ihren Männern getrennt leben mußten, parfümierte Briefe ins Haus mit dem Einheitstext der ostzonalen »Aktion Liebesbrief":

»Mein Liebster, ich kann noch immer nicht die schönen Stunden vergessen, die ich mit Dir verleben durfte. Leider hat es den Anschein, als wenn Du etwas unachtsam gewesen wärest. Wenn das zutrifft, müßte ich Deine Frau bitten, in eine Scheidung einzuwilligen. Ich warte voll Ungeduld auf die Stunde, da Du wieder in meinen Armen bist. Voll Liebe - Deine Lilo.«

Auf das gleiche Angriffsziel wie diese illegitimen Liebesbriefe, nämlich auf das Verhältnis zwischen Bundesbürgern und Bundessoldaten, waren die Giftgas-Sondermeldungen des Deutschlandsenders (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 16) und die »Aktion Beileid« gerichtet: Herren in feierlichem Schwarz überbrachten Frauen und Müttern von Bundeswehrsoldaten Todesbotschaften: »Ihr Sohn ist unglücklicherweise Opfer eines Manöverunfalles geworden.«

Schon raffinierter als diese Liebes- und Trauer-Mätzchen sind solche Propaganda-Aktionen Pankows berechnet, bei denen sich die Zonen-Propagandisten Auffassungen zu eigen machen, die von der legalen politischen und parlamentarischen Opposition der Bundesrepublik in legitimer Weise vertreten werden. So sind die Anti-Atombewaffnungsthesen der SPD und anderer legaler bundesrepublikanischer Vereinigungen in das Psycho-Kriegsprogramm Pankows übernommen worden, desgleichen die teilweise von der SPD befürworteten

Pläne des polnischen Außenministers Rapacki, in Mitteleuropa eine atomwaffenfreie Zone zu schaffen.

Der Zweck dieser Abstimmung östlicher Propaganda auf Ton und Thema der legalen Opposition ist klar: Jede Gegenpropaganda muß sich zwangsläufig auch gegen die SPD richten. So werden denn höchstwahrscheinlich die einzigen sichtbaren Erfolge der psychologischen Kampfführung Bonner Provenienz Propaganda-Kontroversen mit der Opposition sein - für andere Erfolge ist ohnehin kein Raum, denn auch ohne alle Gegenmaßnahmen waren Ulbrichts Propagandisten bisher keine nennenswerten Erfolge beschieden.

Jetzt freilich können sie Hoffnung fassen, daß Verteidigungsminister Strauß ihnen doch noch dazu verhilft, indem er durch überflüssige Gegenmaßnahmen einen neuen, kaum überbrückbaren Spalt zwischen Bonner Regierung und Bonner Opposition auftut. Die fatalen Konsequenzen der von Strauß ohne zwingenden Grund entfachten Debatte über die psychologische Verteidigung zeichnen sich bereits ab: Die SPD wird besondere Institutionen für die psychologische Verteidigung ablehnen müssen, weil sie damit Einrichtungen zur Bekämpfung ihrer eigenen Thesen billigen müßte. Der Vorwurf, die Bundeswehr greife in den parteipolitischen Tageskampf ein, liegt in der Luft. Hitzköpfige CDU-Parteigänger wiederum werden der SPD den Vorwurf machen, sie weigere sich, die Kampfkraft der Bundeswehr zu stärken, fraternisiere also mit dem Osten.

Womit erreicht wäre, was Pankow unter anderem zu erreichen wünscht: Eine weitere Verschlechterung des innenpolitischen Klimas der Bundesrepublik und Zweifel an der demokratischen Zuverlässigkeit der Bundeswehr.

Bundespräsident Heuss im Manöver: »Siegt mal schön!«

Lautsprecherwagen von Rot: Im falschen Bus

Zur Ausgabe
Artikel 5 / 56
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren