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GESELLSCHAFT Rauher Charme

Nach ihrer Heirat mit einem Russen wollte Tina Onassis auch unter Russen leben. Das aber heißt: Langeweile und Schlangestehen -- nichts für Tina.
aus DER SPIEGEL 42/1978

Männer aus dem Westen schätzen Rußlands Frauen, weil die so ursprünglich sind, so warmherzig. breithüftig, erdhaft.

Manche heiraten und nehmen ihre Partnerinnen meist in den Westen mit: Hannovers Stadtplaner Hillebrecht, zum Beispiel, oder Hamburgs Ex-Finanzsenator Rau, oder Korrespondenten wie der Deutsche Heinz Schewe und der soeben aus Moskau ausgewiesene Österreicher Erhard Hutter.

Umgekehrt schätzen auch Frauen aUs dem Westen russische Männer, die so unverdorben sind und so geradeaus. Dem maskulinen Slawentum erlag die partymüde Milliardärin Christina Onassis, als Sergej Kausow kam: etwas blaß, nicht gerade schön, doch ein guter Mensch.

Er besaß offenbar Vorzüge. die in Tinas früherem Einzugsgebiet schwer zu finden waren. Das muß es auch gewesen sein, was die Engländerin Jan Butler an die Seite des Sowjetpoeten Jewgenij Jewtuschenko trieb, und ihre Landsmännin Jennifer Stratham zu dem KGB-Journalisten Wiktor Louis.

Die französische Filmschauspielerin (konterrevolutionär-russischer Herkunft) Marina Vlady. die unter Hunderten von westlichen Bewunderern der fünfziger Jahre ihre Auswahl hätte treffen können, entschied sich für den sowjetrussischen Schauspieler und Sänger Wladimir Wvssozki: Marina Schtscherbatscheff, auch sie Französin. heiratete Rußlands Schachgroßmeister Boris Spasski.

Nicht nur die großen Namen sind attraktiv. Wie einstmals die Tänzerin Isadora Duncan, die den Dichter Jessenin ehelichte (er nahm sich das Leben, sie erstickte am eigenen Schal), wählen sich jedes Jahr Dutzende Amerikanerinnen und auch Deutsche einen Russen. Bei ihren Moskauer diplomatischen Vertretungen suchen sie meist Rat und Hilfe, den Bräutigam aus dem Sowjetreich heimzuholen.

Manche jedoch bleiben im Sowjetland. behalten für die eventuelle Rückreise ihren Paß und führen ein privilegiertes, aber langweiliges Leben. Jewtuschenkos Jan, 26, lebt mit ihm, 45, in einer Datscha des Schriftstellerverbandes, die wie ein englisches Jagdhaus aussieht.

Jennifer Louis war auch 26, als sie. Kindermädchen bei einem Diplomaten. zu ihrem Wiktor in dessen Einzimmerwohnung zog. Jetzt ist sie 47. wohnt in einem der wenigen sowjetischen Landhäuser, die eigene Ölheizung, Swimming-pool und privaten Tennisplatz haben. und gibt in Moskau. der Stadt ohne Telephonbücher, ein begehrtes Adressenbüchlein für Ausländer mit allen wichtigen Telephonnummern heraus.

Einem Reporter der amerikanischen Agentur »Associated Press« gestand sie ihre Empfindungen beim unkonventionellen Jawort von 1958: »Eine Art Autosuggestion -- du redest dir selbst ein, daß es richtig ist, was du tust«

So wird es auch bei Tina Onassis gewesen sein. Einmal dabei, etwas zu tun. was außerhalb der Regel liegt, nahm sie die absurden Moskauer Unbequemlichkeiten zunächst in Kauf: Die Verwöhnte ging mit ihrem Herzensrussen im Devisenladen einholen und teilte den beschränkten Wohnraum der Familie ihres Mannes, bis sie -- außer der Reihe eine Sechszimmerwohnung bekam, wie sie ausschließlich höchsten Rängen vorbehalten ist.

»Sie sollte es aufgeben. Vergleiche zwischen der Sowjet-Union und irgendeinem westlichen Land zu ziehen«, riet Frau Jewtuschenko, geborene Butler. Und: Sie solle Russisch lernen.

Heute kann Frau Kausowa, geborene Onassis, 20 Worte in der Landessprache, hat von der gängigen Kohlehydraternährung sechs Kilo zugenommen, muß vorm Devisenladen ihren Ausweis zeigen und mag nicht mehr Schlange stehen.

Das wiegt Sergejs rauher Charme offenbar nicht auf: Sie will zurück.

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