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STREIKRECHT Rauher Wind

Beim Bonner Gipfel waren sich die Parteischefs Kohl und Strauß einig: Der Gesetzentwurf zum Streikrecht wird nicht nachgebessert. *
aus DER SPIEGEL 5/1986

CDU-Generalsekretär Heiner Geißler will in den kommenden zwölf Monaten für die Union sechs Wahlen gewinnen, von der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein Anfang März bis zur Bundestagswahl 1987. Doch bevor es richtig losgeht hat den sonst so schneidigen schwarzen Chefmanager schon das Flattern gepackt. Geißler fürchtet, der Streit mit den Gewerkschaften über den Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes und um die Streikfähigkeit der Arbeitnehmer werde ihm das Wahlkampfkonzept vermasseln.

Geißlers Konzept zielt darauf ab, die Gewerkschaften wegen ihres in Schieflage geratenen Wohnungsbaukonzerns »Neue Heimat« so unter Druck zu setzen, daß ihr Widerstand gegen die Novellierung des Streikparagraphen erlahmt. Doch jetzt sorgt er sich, daß Aufschwung und Stabilität beim Wähler an Gewicht verlieren und statt ihrer der soziale Friede, ein Markenzeichen der erfolgreichen Nachkriegsrepublik, zum Wahlkampfthema werden könnte.

»Das wird ein Volksthema«, sagte IG-Metall-Chef Hans Mayr auf einer DGB-Vorstandsklausur in Darmstadt voraus, »beinahe ist es schon soweit.« Auch im Kanzleramt ahnen Kohl-Berater Böses: »Da kommt rauher Wind auf, der uns ins Gesicht wehen kann.«

Diese Befürchtung wird durch eine frische Infas-Telephonumfrage bestätigt. Danach sagten nur 21 Prozent der Befragten »Ja« zu den Regierungsplänen, zwölf mögen sich nicht festlegen, drei Prozent sagen gar nichts, aber 64 Prozent sind dagegen.

Für den CDU-General gibt's aus solchen Situationen nur einen Ausweg: Augen zu und durch. Am vergangenen Donnerstag suchte er bei einem Treffen der höchsten Würdenträger beider Unionsparteien im Kanzleramt die schnelle Entscheidung, um das strittige Streik-Thema endlich aus den Schlagzeilen zu treiben. Ein Initiativantrag der Koalitionsfraktionen sollte das Gesetzgebungsverfahren beschleunigen und noch vor den Landtagswahlen in Niedersachsen (15. Juni) beenden.

Doch Geißlers Krisenplan scheiterte. Sogar Franz Josef Strauß, der im Herbst ebenfalls Landtagswahlen zu bestehen hat, erschien es zu riskant, die Gewerkschaften zusätzlich durch ein parlamentarisches Hauruck-Verfahren zu verprellen.

Die Mehrheit der Unionschristen setzt in ihrem Streit mit den Arbeitnehmerorganisationen auf andere Methoden.

CDU in Bonn und CSU in München nehmen die aktuellen Schwierigkeiten der gewerkschaftseigenen »Neuen Heimat« (NH) als unverhofften Glücksfall, lassen sich doch so die Gegner im Streit um den Paragraphen 116, die der SPD angehörenden Vorsitzenden der DGB-Gewerkschaften, beim Wähler vorführen.

Landauf, landab und ungefragt erklären Redner von CDU und CSU, staatliche Hilfe komme nicht in Frage; gefragt seien nur die Eigentümer. Resümee: Aus den Nöten mancher NH-Mieter, die um ihre Wohnung fürchten, will die Union politisches Kapital schlagen.

Im CDU/CSU-Fraktionsvorstand fachte Helmut Kohl die Stimmung an: Hier zeige sich »eine Mißwirtschaft riesigen Ausmaßes«, ein »gigantisches Mißmanagement, für das letztlich die Aufsichtsratsmitglieder, die identisch sind mit DGB-Vorstandsmitgliedern, Verantwortung tragen«.

Um den schönen Schein zu wahren, als ob es kein Junktim zwischen staatlichen Hilfen für die Neue Heimat und gewerkschaftlichem Wohlverhalten im Streikrecht gebe, vergaß der Kanzler nicht die salvierende Schlußformel: »Die Neue Heimat hat mit 116 nichts zu tun.«

Sein Sprecher Friedhelm Ost tat so, als sei der Regierung die Kampagne lästig: »Wir haben das Thema nicht bestellt. Wenn die Gewerkschaften sanieren und ein Notopfer bei allen Mitgliedern erheben, ist es erledigt.«

In Wahrheit war der Fall »Neue Heimat« von den Unionsparteien für den Wahlkampf gegen die SPD eingeplant - nur später. Ein Brief des NH-Chefs Diether Hoffmann an Bundeskanzler Kohl hatte die Sache vorzeitig publik gemacht.

Wenn die Gewerkschaften mit Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen gegen das neue Bonner Streikrecht vorgingen, müsse die Regierung - so die Szenarien der Münchner und Bonner Wahlkampfstrategen - die Mieter der vom Verkauf bedrohten NH-Kasernen auf die Straße bringen. Demo-Treff: vor den Gewerkschaftshäusern.

Die Generalsekretäre der beiden christlichen Parteien lassen ihre Geschäfte von trainierten Hilfstruppen besorgen. Ganz im Sinne von CSU-Manager Gerold Tandler wurden in der vorigen Woche der »Bayernkurier« und das Bayerische Fernsehen aktiv. Chefredakteur Wolf Feller (CSU) machte aus der ARD"Brennpunkt«-Sendung zum Fall Neue Heimat einen überlangen antigewerkschaftlichen Wahlspot; dem Gewerkschaftskonzern dürfe der Griff in die Steuerkassen sowenig gelingen wie den Gewerkschaften ein Umbau der Arbeitslosenversicherung zur Streikkasse. Der Wadl-Beißer an Tandlers Leine: »Rotgeweinte Blauäugigkeit.«

Dazu paßte der »Bayernkurier« wie bestellt: _____« Mit der rechten Hand, zur Faust geballt, gegen die » _____« Bonner Regienungspolitik pro testieren, das ist das eine. » _____« Mit der linken Hand die gleiche Regierung um finanzielle » _____« Unterstützung für den heruntergewirt schafteten » _____« Wohnungsbaukonzern Neue Heimat anbetteln, das ist das » _____« andere. Die DGB-Gewerkschaften sind kaltschnäuzig genug, » _____« beides gleichzeitig zu tun. »

Die einflußreiche Mittelstandsvereinigung und die Lobby der Haus- und Grundbesitzer stricken nach ähnlichem Muster.

Am Montag voriger Woche hatte im Bonner Bundeshaus der Vorstand der

Mittelständler den Parlamentarischen Staatssekretär in Oscar Schneiders Wohnungsbauministerium, Friedrich-Adolf Jahn, geladen. Die Herrschaften aus Handel und Gewerbe warnten ihren Gast: Schneider solle ja nicht auf den Gedanken kommen und der Neuen Heimat unter die Arme greifen; sanieren müsse allein der DGB.

Mittelstands-Hauptgeschäftsführer Peter Spary beschrieb die Stimmung: »Solange der DGB noch Geld für allerlei Aktionen hat und in Millionenauflage Flugblätter gegen den 116 unter die Leute bringt, sollte er sein Geld lieber für die Neue Heimat ausgeben.«

Der Verband der Haus- und Grundbesitzer (Spary: »Wir stehen in regem Gedankenaustausch") begann eine Kampagne. Mieter gegen ihren Hauswirt - die Neue Heimat - aufzubringen und ihnen einzureden, sie sollten sich nur ja nicht die angeblich zu teuren Wohnungen, »die alten Hunde« (Hausbesitzer-Geschäftsführer Hans-Herbert Gather), andrehen lassen. Ähnlich larmoyant klang der Kanzler vor seiner Fraktion in Berlin: »Unsere Sorge gilt den Mietern.«

Dieses Spiel hat Methode. Im Fall Neue Heimat versucht Kohl, die Gewerkschaften zu schlagen, ohne die Mieter - und Wähler - offen zu verprellen. In Sachen Streikrecht spendet er seinen CDU-Arbeitnehmern schöne Worte, geht aber keinen Strich von seinem antigewerkschaftlichen Kurs ab.

Die lauten Beteuerungen der letzten Tage, die Koalitionsspitze sei für Verbesserungen des Blümschen Gesetzentwurfs offen, sind Lippenbekenntnisse. Am Donnerstag vereinbarten Kohl und Strauß klipp und klar: Der Entwurf des Arbeitsministers wird Gesetz. Nachbesserungen sind ausgeschlossen (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 22).

Schon einen Tag zuvor, beim Koalitionsgespräch mit der FDP, hatte sich gezeigt, daß Kohl seine Parteilinken und deren Verlangen nach einem besseren Gesetzentwurf nicht ernst nimmt. Die Liberalen, beruhigte Kohl den Koalitionspartner, sollten sich keine Sorgen machen; der Gesetzentwurf werde zügig verabschiedet; »substantielle Änderungen« seien nicht geplant.

Das hatte am Dienstag in Berlin, im Fraktionsvorstand und vor der CDU/ CSU-Gesamtfraktion, noch anders geklungen. Dort schilderte Otto Zink, Chef der Arbeitnehmergruppe, eindrücklich, wie wenig die CDU-Sozialausschüßler (CDA) von Blüms Gesetzentwurf halten, auch wenn sie auf ihrem Treffen am vorletzten Wochenende die persönliche Loyalität zu ihrem Vorsitzenden noch einmal gewahrt hätten.

Dann kam Kohl. Die CDA-Tagung war in seiner Sicht »ein Zeichen großartiger Solidarität«, der einstimmige Vorstandsbeschluß »eine gewaltige Leistung der CDA«. Auch der Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger fand: »Die Sozialausschüsse haben einen Härtetest großartig bestanden.«

Als hätten die CDU-Arbeitnehmer erfolgreich eine Schlacht gegen den Anti-Christen, die Gewerkschaften, geschlagen und sich hinter Kanzler und Arbeitsminister gestellt. Genau das Gegenteil ist richtig: Auf der Tagung der CDA-Landes- und Kreisvorstände hatten sich 35 von rund 50 Rednern gegen den Regierungsentwurf gewandt. Wäre abgestimmt worden, hätte Blüm eine schwere Niederlage hinnehmen müssen.

Die Sozialausschüsse verlangen echte Verbesserungen des Gesetzentwurfs; auch Blüm stimmte diesem Vorstandsbeschluß zu: »Die CDA fordert die Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf ... sicherzustellen, daß die seit 1969 und 1973 gültige Rechtslage ... erhalten bleibt und nicht zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften verändert wird.«

Der CDU-Vorsitzende Kohl dagegen wünscht eine Änderung der Rechtslage. Der Kanzler, so ein FDP-Präsidiumsmitglied nach dem Koalitionsgespräch, habe die Liberalen keineswegs gebeten, ihre harte Linie aufzugeben. Ihm gehe es nur um die »psychotherapeutische Übung, seine Formationen« zusammenzuhalten und die »internen Schwierigkeiten« mit der CDA zu überwinden.

Dabei ist längst offenbar, daß die Probleme nicht intern im Kreise der Christdemokraten zu beheben sind. Die Stimmung gegen die Regierungspläne draußen im Lande, so befand der IG-Chemie-Vorsitzende Hermann Rappe, sei »breiter, als wir alle dachten«.

Vorerst wollen die Gewerkschaften bei ihrem Kurs bleiben, eine Gesetzesänderung sei gar nicht nötig; diese Kampagne soll mit »betrieblichen Aktionen« gegen die Regierung gepaart werden. Rappe: »Betriebliche Aktionen sind erlaubt. Wenn eine Betriebsversammlung statt zwei Stunden dann drei Stunden dauert, ist eben sehr sorgfältig diskutiert worden.«

Doch zugleich wollen die Gewerkschaftschefs der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe Schützenhilfe geben. Unter dem Firmenschild »Arbeitsgruppe der DGB-Gewerkschafter in der CDA« will DGB-Vize Gustav Fehrenbach nach der parlamentarischen Anhörung einen neuen Gesetzentwurf präsentieren, der Blüms Formulierungen »die Giftzähne« (Rappe) zieht.

In der Zwischenzeit will der Unionsgewerkschafter seinem Parteifreund Blüm scharf auf die Finger sehen. Der Arbeitsminister dürfe in der Öffentlichkeit nicht länger so tun, als habe er bei seiner Arbeitnehmertruppe in der Sache Unterstützung gefunden. Mache Blüm so weiter, dann - warnt Fehrenbach - müsse auf einer außerordentlichen CDA-Delegiertenversammlung per Stimmzettel Klärung gesucht werden. Die Mehrheitsverhältnisse dort sind die gleichen wie bei der Funktionärskonferenz.

Für Blüm würde das kein leichter Gang. Mitte Januar hat er seiner Gefolgschaft noch eine Loyalitätserklärung abringen können, obwohl seine Basis in der Sache nicht mehr mit ihm übereinstimmt.

»Das«, weiß der Arbeitsminister, »kann man nur einmal in fünf Jahren machen.«

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