DATENSCHUTZ Rausgeeitert
Jahrelang nervte Reinhard Riegel, 43, seinen obersten Dienstherrn, Friedrich Zimmermann. Der Innenminister wiederum versuchte ebensolange, den unbequemen Kritiker mit Verlockungen loszuwerden oder durch Drohungen kleinzukriegen. Jetzt hat er es geschafft.
Ende letzten Jahres bekam Riegel, der Leiter des Referats für Sicherheit und Verteidigung beim Bundesbeauftragten für Datenschutz und damit Kontrolleur von Polizei und Geheimdiensten, einen Anruf von Zimmermanns damaligem Personalchef. Riegel, erklärte Heinz Kirchner, könne sich eine fällige Beförderung aus dem Kopf schlagen, wenn er nicht seinen Posten als Datenschützer räume.
Der Regierungsdirektor, dessen Name bis dahin ganz oben auf der Aufsteigerliste gestanden hatte, war empört. Kirchner und Staatssekretär Franz Kroppenstedt setzten sich für ihn ein - vergebens. Schon zwei Monate vorher war Riegel, obwohl nach beamtenrechtlichen Regeln dran, übergangen worden. Nun sollte es wieder nichts werden; der Minister selbst hatte ihn von der Liste gestrichen. Personalchef Kirchner bedauerte die Entscheidung, wies aber auch einen Ausweg: Riegel müsse verbindlich zusagen, das nächste Angebot, irgendwo anders zu arbeiten, anzunehmen.
Zunächst weigerte sich der Datenschützer, seiner eigenen Kaltstellung zuzustimmen. Eine solche Nötigung sei mit dem Beamtenrecht unvereinbar, wandte er ein. Aber bald mußte er einsehen, der Widerstand war aussichtslos. Denn auch sein unmittelbarer Vorgesetzter, der Bundes-Datenschutzbeauftragte Reinhold Baumann, sah keine Chancen mehr, seinen Mann trotz größter Verdienste zu halten, da er an höchster Stelle in Ungnade gefallen war.
Entnervt gab Riegel schließlich zu Protokoll, er werde auf ein Angebot eingehen. Bedingung: Die künftige Arbeit müsse seiner bisherigen Aufgabe gleichwertig sein. Der Regierungsdirektor avancierte daraufhin zum Ministerialrat. Zugleich wurde er darauf hingewiesen, beim nächsten Revirement im Hause, spätestens im März 1986, müsse er mit seiner Ablösung rechnen.
Auf der Abschußliste steht Riegel, seit die CSU das Innenressort übernommen hat. Der beste Mann des Baumann-Vorgängers Hans Peter Bull gilt bei Polizei und Nachrichtendiensten als ein strenger Aufseher. Riegel durchkämmte die Dateien des Bundeskriminalamts (BKA), kontrollierte den Bundesnachrichtendienst (BND) und inspizierte die Computer im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und im Militärischen Abschirmdienst (MAD). Er deckte auf, daß beim MAD auch Mitglieder etablierter Parteien wie die Hamburger Kultursenatorin Helga Schuchardt und Schriftsteller wie Walter Jens gespeichert waren (siehe SPIEGEL 4/1984). Durch seine Rügen wurden auch die zweifelhaften Praktiken des Verfassungsschutzes publik, der Grünen-Kongresse und Betriebsversammlungen observiert hatte (siehe SPIEGEL 25/1985).
Freunde verschaffte sich der Datenschützer damit nicht. Die Betroffenen stöhnten über seinen »Ehrgeiz«, seine »Verbissenheit«, seinen »missionarischen Eifer«. Aber selbst Gegner lobten ihn als Fachmann. »Ein Franz von Assisi, der die Welt verbessern will«, so Ex-BfV-Chef Heribert Hellenbroich, »aber hochintelligent und effizient.«
Gleich nach den gewonnenen März-Wahlen 1983 beschlossen die neuen Herren im Innenressort, dem unbequemen Beamten das Handwerk zu legen. »Der Riegel«, verkündete Staatssekretar Carl-Dieter Spranger im Wiesbadener BKA, »wird auch ruhiger werden müssen.« Spranger irrte, und schon bald begannen die Versuche, den mißliebigen Mann von seinem Posten wegzuhieven.
Das erste Angebot, Ende 1983, empfand Riegel als Zumutung. Mit »Verwaltungsvereinfachung« sollte er sich künftig beschäftigen. Mitte 1984, schon attraktiver, hätte er das Referat »Internationales Wasserrecht« übernehmen können. Ein Jahr später sagte ihm die Berufung an die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung zwar zu, doch seine Arbeit machte ihm noch mehr Spaß.
Die Begründung für die vielen Angebote war zunächst fadenscheinig. Riegel hieß es, sei schon seit 1978 beim Datenschutz, und in der Regel solle ein höherer Beamter nach fünf Jahren die Stelle wechseln. Aber schließlich wichen Kirchner und auch Baumann Riegels Fragen nicht mehr aus: »Man« wolle ihn einfach »weghaben«.
Ein Beamter der Baumann-Behörde: »Wir alle sehen das als Politikum ersten Ranges an.« Zimmermann, so der Eindruck, wolle die Datenschutzer insgesamt auf Linie bringen und die ärgsten Kritiker ganz ausschalten.
Außer Riegel bekamen auch andere Baumann-Leute Druck von oben zu spüren. Ulrich Dammann wurde erst befördert, als er Klage erhob, Ingolf Spickschen mußte ebenfalls den Richter anrufen, und Peter Ottermann nahm seine Klage wieder zurück, nachdem ihm ein Vorankommen zugesagt worden war. In einem Brief an die Personalabteilung des Ministeriums klagte Baumann, das Klima in seiner Behörde habe sich wegen dieser Querelen »ganz erheblich verschlechtert«. Der SPD-Innenpolitiker Harald Schäfer fürchtet bereits um die Qualität der Behörde: »Es gibt bald keine Kontrolle mehr, wenn Zimmermann die Beamten so behandelt oder durch willfährige ersetzt.«
Nach diesem Muster hat der Innenminister inzwischen sein ganzes Haus gesäubert. In aller Stille sorgte Zimmermann dafür, daß in dem dreizehn Jahre lang von der FDP regierten Ressort nicht länger liberaler Ungeist walten kann.
Einer seiner Vorgänger, Hans-Dietrich Genscher, hatte, oft zum Ärger der Sozialdemokraten und der eigenen Freunde, auch Beamte eingesetzt, die der Opposition angehörten. Bei unvermeidlichen Pannen, so Genschers Hintergedanke, sei die dann mitverantwortlich. An diese Vorsichtsmaßnahme hielten sich auch die Nachfolger Werner Maihofer und Gerhart Baum.
In Baums engster Umgebung wuselten daher neben einem FDP-Mann nur Mitglieder der CDU, der SPD oder Parteilose. Der Posten eines Staatssekretärs und zwei der wichtigsten Abteilungen waren in Unions-Hand, für Innere Sicherheit war Gerhard von Loewenich zustandig, für Personal Günter Ermisch.
Zimmermann aber leitete nach der Wende ein beispielloses Revirement in seinem Haus ein: Mißliebige Spitzenbeamte ohne oder mit falschem Parteibuch feuerte der Minister gleich bei seinem Amtsantritt. Danach berief er sieben neue Abteilungsleiter (von zwölfen) - allesamt Unions-Mitglieder - und zwölf Unterabteilungsleiter, davon elf eingeschriebene Mitglieder der Union und ein Sympathisant.
Ungeniert beschreibt einer der Aufsteiger die Methode: »Bald haben wir die Sozialliberalen rausgeeitert.«