RAZZIA AUF RASSISMEN
Es ist ein Vergnügen, sich mit Gegnern zu streiten, die eine eigene Meinung besitzen und die Meinung des anderen zu verstehen suchen. Es ist hingegen ein Ärgernis, sich mit Leuten herumzuschlagen, die zwar schreiben können, aber dennoch Analphabeten sind. Herr Kurt E. Tallner aus Augsburg bezeichnet meine Assoziationen über Text und Darstellung der altehrwürdigen Oberammergauer Passionsspiele als »abstrus und unfaßbar«.
Demgegenüber stelle ich fest, daß schon im Jahre 1950 der Leiter der Oberammergauer Laienspielgruppe meine Kritik an Text und Regie anerkannt hat, mich sogar brieflich bat, ihm einen Verfasser zu nennen, der in der Lage sei, in der Sprache der Lutherschen Bibelübersetzung ein neues Textbuch zu schreiben. Vor wenigen Wochen wurde außerdem in einer Münchner Pressekonferenz von Sprechern Oberammergaus meine Textkritik erneut anerkannt und mitgeteilt, daß man Änderungen vorgenommen habe ...
Auch Herr Wünsche aus Mainz-Bretzenheim kann nicht lesen, wenn er aus dem SPIEGEL-Artikel in Nummer 13/1960 schlußfolgert, mir müsse wohl erst klargemacht werden, daß der Antisemitismus keine Nazi-Erfindung sei. Es geht mir gerade um die Bloßlegung der religiösen Wurzeln des Antisemitismus, die im Antijudaismus liegen. Der dogmatische Judenhaß gegen das Volk der Gottesmörder ging so weit, daß durch Jahrhunderte hindurch die Parole verfochten wurde: »Tod oder Taufe«. Die schon im Alten Testament postulierte Nächstenliebe wurde von christlichen Eiferern, auch in höchsten Kirchenämtern, so schmählich preisgegeben, daß das Festhalten am jüdischen Glauben lange Zeit als todeswürdig angesehen worden ist. Damit wurde auch die Anerkennung des Judentums durch Christus ("Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz und die Propheten zu zerstören. Ich bin gekommen, um zu erfüllen") mißachtet. Ebenso wurde mißachtet, daß die Jünger und ersten Anhänger Christi im Gelobten Land fast ausschließlich Juden waren. Wogegen ich angesichts vieler düsterer geschichtlicher Tatsachen protestiert habe, war, daß in der Oberammergauer Passion die ungetauften Juden als Pöbel karikiert, die Anhänger Christi jedoch als Lichtgestalten gezeichnet werden.
Daß der Judas-Darsteller und Regisseur von Oberammergau, Schwaighofer, im Stile seiner jüdischen Masken für fünfzehn Silberlinge auch Karikaturen für ein kraß antisemitisches Flugblatt gezeichnet hat, ist von den Briefschreibern ebenfalls übersehen worden, oder es wird von ihnen für unbedenklich gehalten. Um so notwendiger ist es, daß wir nicht nur gegen die Veterinär-Philosophie des dümmlichen Rassenwahns einschreiten, sondern auch die religiösen Wurzeln des Antijudaismus bloßlegen. Hier leistet der SPIEGEL dankenswerte Hilfe. Hamburg 1 ERICH LÜTH
Die Behauptung eines Lesers, daß Antisemitismus »fast so alt wie das Volk Israel selbst« ist, ist eine jener primitiv-maliziösen Halbwahrheiten, die alle Antisemiten anführen, um ihrem Judenhaß ein mehr als fadenscheiniges Mäntelchen geschichtlicher Rechtfertigung umzuhängen. Dabei kann in bezug auf die ersten 1300 Jahre jüdischer nationaler Geschichte - also vom Exodus, 1220 v. Chr., bis zur endgültigen Zerstörung jüdischer Staatlichkeit durch Julius Severus, 135 n. Chr. - von Antisemitismus selbst bei schlechtestem Willen keine Rede sein. Die blutigen Kämpfe, in die sich die jüdische Nation verwickelte, waren die Machtkämpfe jener Epoche. In der Verstreuung lebten die Juden zunächst friedlich mit den jeweiligen Mehrheitsvölkern zusammen. Das sich ausbreitende Christentum brachte die ersten Judenverfolgungen hervor. Während die Juden unter den »Barbaren« freundliche Duldung genossen, wurden sie im Jahre 439 n. Chr. unter dem Beifall der Kirche von dem weströmischen Kaiser Theodosius II. für rechtlos und ausgestoßen erklärt. Die christliche Judenhetze fand ihren ersten schauerlichen Höhepunkt in den Blutbädern, die die Kreuzfahrer als Rächer an den »Christtötern« unter den Juden Deutschlands anrichteten. Antisemitismus ist in seinen Ursprüngen - und ist es wesentlich auch heute noch - christlicher Antisemitismus.
Berlin HEINZ WEWER
Deutsch-Israelische Studiengruppe e.V. an der Freien Universität Berlin 1. Vorsitzender
Lüth*
* Direktor der Staatlichen Pressestelle der Freien und Hansestadt Hamburg.